#11 - Körperklaus
Tja, aber genau so war es dann.
War ja klar.
Ich wurde im Regen stehen gelassen.
Ich meine, es wunderte mich ehrlich gesagt herzlich wenig. Das Universum wollte mir eben einen Arschtritt nach dem anderen verpassen. Trotzdem hätte ich den nicht gebraucht.
Ich irrte also nun diesen geteerten Weg auf und ab, der gesäumt von Büschen und Bäumen war, durch die es leider aber durchtropfte. In Berlin hatte es 28 Grad gehabt, und ich Pfosten hatte natürlich Hotpants und ein dünnes Shirt an und keine Jacke dabei.
„Jana?"
Kaum dass ich meinen Namen gehört hatte, wirbelte ich herum und – den Typen kannte ich irgendwoher!?
Ich sah den Security skeptisch an und machte nur: „Mh?"
Er sollte ruhig wissen, dass ich angepisst war.
Der Typ mit seinen Teddybärknopfaugen lächelte und sagte im reinsten Oxford-Englisch: „Wir kennen uns schon. Weiß nicht, ob du dich an mich erinnern kannst. Ich war damals beim One Direction Konzert ebenfalls da, als Sam und Harry ihre Beziehung öffentlich gemacht haben. Wie lange ist das her, fast sechs Jahre, oder?"
„Ah. Ja. Hi." Ich erinnerte mich tatsächlich an den Kerl, nur interessieren tat es mich herzlich wenig, ich wollte einfach nur zu meiner Cousine und aus diesem Regen raus!
„Können wir reingehen bitte?", fragte ich ihn ungeduldig und versuchte, nicht allzu unhöflich zu klingen. Klappte natürlich herzlich wenig, verstand sich.
„Ja, natürlich. Tut mir Leid, dass du hier im Regen warten musstest, wir sind hier momentan unterbesetzt und ..."
Ich hörte ihm nicht mehr zu, während er mir irgendwelchen Kaffeeklatsch aus seinem Security-Leben erzählte. Meine Laune war eh schon auf den Nullpunkt gesunken. Dabei hatte George mir geholfen, ein wenig beschwingter durch den Tag zu gleiten, endlich mal ein wenig meine Probleme zu vergessen, endlich ein wenig zu leben, so wie ich es früher immer getan hatte.
„So, da wären wir", er öffnete mir eine Glastür, nachdem er seine Security-Karte gegen einen Sensor gehalten und einen Code eingetippt hatte. „Nach dir bitte."
Ach, die Briten und ihre guten Manieren. Das brachte mich dann irgendwie doch zum Schmunzeln.
Ich befand mich nun im Foyer eines hochmodernen Gebäudes und sah mich staunend in der hohen Eingangshalle um. Wow.
„Hier entlang bitte, Jana."
Am Ende eines kurzen, sehr hellen Flures, von dem eine Seite komplett verglast war, blieb Benjamin – wie er übrigens hieß, was er mir wieder mitgeteilt hatte und was Sam auch vorhin gesagt hatte, wie mir wieder eingefallen war – stehen und öffnete mir die Tür.
„Bitteschön. Ich wünsche dir einen schönen Aufenthalt in London. Tschüss, Jana", verabschiedete er sich höflich.
„Mhh, danke fürs Herbringen, Benjamin. Ciao", bedankte ich mich seufzend und schob mich dann in den Raum hinein. Ich war in einem kleinen Vorraums eines geräumigen Tanzstudios gelandet. Langsam trottete ich zur gläsernen Tür, durch die ich Sam und die anderen sofort erspäht hatte.
Kurzerhand ließ ich mich einfach im Türrahmen nieder und sah ihnen beim Tanzen zu. Sie hatten mir den Rücken zugedreht und Sam stand ganz vorne, weswegen sie mich trotz des Spiegels, der die gesamte Wand einnahm und in den sie sah, noch nicht bemerkt hatte. Machte aber auch nichts, ich wollte sie ja eh nicht stören. Das war unhöflich und unprofessionell und ich wollte mich wenigstens einmal richtig verhalten. Wenn ich schon sonst nichts richtig machen konnte, dann war das doch mal ein Anfang, oder?
„Okay, guys, das reicht für heute. Wir machen morgen früh weiter", rief der Choreograf, den ich noch gar nicht wahrgenommen hatte, weil ich zu fasziniert von meiner Cousine gewesen war. Es waren nur vier Tänzerinnen, und Sam stach wie immer total raus. Selbst nach so vielen Jahren, die ich sie nun schon tanzen sehen hatte, haute mich ihr Talent jedes Mal wieder um. Ich konnte nicht einmal genau sagen, was so faszinierend war. Ich selbst war ja total der Körperklaus, was tanzen – also Choreographien – anging (im Club tanzen oder so bisschen Freestyle war absolut kein Problem für mich), deswegen konnte ich das so schlecht beschreiben. Aber wenn Sam tanzte, dann sah man einfach zu. Wie sie sich bewegte. Wie sie jede Bewegung fühlte. Wie einfach alles fließend ineinander überging. Wie sie sich manchmal bewegte, als gäbe es die Schwerkraft nicht für sie. Als gelte das ganze Zeug von Einstein nicht und was er da eben zur Relativitätstheorie erforscht und gefunden hatte.
„Nichts da, wir machen morgen früh weiter", zeterte der Choreograf, als eins der Mädels seufzte. Sie hatte nicht einmal etwas gesagt, aber der Typ hatte sich sofort angegriffen gefühlt.
„Ist mir egal, wenn die Dreharbeiten mittags losgehen, dann können wir immer noch vormittags proben!"
„Nichts für ungut, Ivan, aber wir müssen zur Location, in die Maske, nochmal alles mit Camila durchgehen und so weiter", schaltete sich nun Sam mit ruhiger Stimme ein. „Wir haben um acht Uhr morgens Pickup. Da können wir nicht mehr proben."
„Ihr habt es aber nötig!", rief dieser Ivan-Choreofutzi und warf die Hände in die Luft. „Es sieht grauenvoll bisher aus."
„Jaja klar, weil wir auch alle vier absolut unbegabt sind und total asynchron. Sorry, aber es gibt nichts mehr zu verbessern, also stop it und lass uns endlich gehen", sagte die Tänzerin mit den feuerroten Haaren – und mir fiel jetzt erst einmal die Kinnlade nach unten.
Das. War. Ilona.
Whaat?!
Seit wann hatte Ilona feuerrote Haare?! Himmel nochmal, da flog mir ja beinahe mein festgewachsenes Toupet weg, so shook war ich! Ich hatte ihr keine Aufmerksamkeit geschenkt, weil ich sie auf den ersten Blick nicht erkannt hatte. Wow.
Ilona wartete Ivans Antwort überhaupt nicht ab, sondern drehte sich um und ging zu ihrer Flasche, die sie vom Boden aufhob, und lief dann Richtung Ausgang. Also Richtung Jana. Die ja hier auf dem Boden saß. Mitten im Weg, wie es sich so schön gehörte.
„Eyyy Jani!", rief Ilona jetzt begeistert und hatte mich im nächsten Moment schon vom Boden hochgerissen und in ihre Arme verfrachtet. „Mann, ist das schön, dich mal wiederzusehen, Kleine! Shit, wie lange haben wir uns denn nicht gesehen?! Wow!"
Ich musste grinsen.
„Meine Fresse, so lange, dass ich dich nicht einmal erkannt habe mit deinem feuerroten Kopf! Das sieht ja mal abartig geil aus!", sagte ich und Ilona löste sich lachend von mir.
Sie schwang ihren Pferdeschwanz wie einen Propeller um ihren Kopf und meinte dann trocken: „Was man für ein beklopptes Musikvideo nicht alles tut. Ich schwöre dir, ich kriege die nie wieder richtig blond. Wahrscheinlich bleiben sie für immer ekelrosa oder so."
Jetzt hatte auch Sam uns erreicht und umarmte mich fest. Sie drückte mir einen Kuss auf die Schläfe und ließ mich gar nicht mehr los. „Hat alles gut geklappt? George hat schon auf dich gewartet am Flughafen, oder? Wo ist denn dein Koffer?"
„Bei George im Auto", antwortete ich gedämpft, weil sie mich immer noch so fest drückte, und mein Kinn grub sich in ihre Schulter, „er meinte, er holt uns ja eh ab, deswegen kann ich den gleich bei ihm im Auto lassen."
„Ach, dieser Mann ist einfach zu gut für diese Welt", meinte Sam und ließ mich nun doch mal los. Aber auch nur so weit, dass sie mich seitlich in den Arm nehmen konnte. Ich klammerte mich genauso fest an sie und wollte sie nie wieder loslassen.
Die anderen beiden Tänzerinnen stellten sich bei mir vor – dass ich sie beide aus Musikvideos kannte, sagte ich nicht, ich wollte ja nicht wie die größte Stalkerin rüberkommen (auch wenn ich das eigentlich war, wenn wir mal ehrlich waren ...) – und dann machten wir uns alle gemeinsam (ohne den blöden Ivan allerdings) auf den Weg nach draußen.
„Hast du Hunger?", fragte Sam, als sie nach mir ins Auto rutschte.
„Voll", war meine einsilbige, aber sehr inbrünstige Antwort.
„Alles klar. Sollen wir Pizza bestellen? Oder Sushi? Oder Indisch? Worauf hast du Lust?"
„Oh Gott, du stellst mich vor Entscheidungen, die ich eindeutig nicht treffen kann", jammerte ich grinsend. Sam grinste zurück und meinte nur: „Okay, Sushi. Ganz einfach."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top