25. Dezember (Finale)

„Matthias Richard Schreiner“, sagte sie, bei jedem Schritt ein Wort. Nachdem die Tür hinter ihr zugefallen war, sah er auf und ein Lächeln zupfte an seinem Mundwinkel.

„Kylie, nicht wahr? So wollen Sie doch genannt werden.“

Sie schnaubte. „Nicht von Ihnen.“

Kylie setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Es mochte zwar scheinen, als seien sie, der Tisch und die festgeschraubten Stühle allein in diesem Raum, doch wussten beide aus unterschiedlichsten Gründen, dass sie unter strenger Beobachtung standen. Sie begann, ihre Notizen durchzublättern.

„Ist Ihnen Catherine lieber?“, fragte er, beugte sich vor und lugte neugierig in ihre Notizen.

Resolut schlug sie diese zu. „Mir wäre es lieber, wenn Sie mich Frau Carpenter nennen. Wurden Sie bereits über den Tatbestand und ihre Rechte informiert?“

Grinsend nickte er, dann wurde er ernst. „Wie geht es Finn?“

Provokant hob sie eine Augenbraue. „Sie haben ihn angegriffen. Zweimal.“

Er lehnte sich zurück. „Das ist mir bewusst, aber das beantwortet nicht meine Frage.“

Scharf erwiderte sie: „Ich denke, Sie wissen es.“

Er schüttelte den Kopf.

Kylie beschloss, nicht weiter darauf einzugehen und stattdessen mit der Befragung fortzufahren. „Warum haben Sie diese Kinder entführt?“

„Das einzige Kind, das mich gerade interessiert, ist Finn. Ist er am Leben?“, sagte er. Wie es schien, würde er sich wohl ebenfalls stur stellen. Nur gut, dass sie viele Fragen und noch mehr Zeit hatte.

„Herr Schreiner, haben Sie diese Kinder sexuell missbraucht?“

Der Sturheits-Wettbewerb endete, bevor er richtig begonnen hatte, indem er sich ruckartig aufrichtete und sich empörte: „Also bitte, ich vergreife mich doch nicht an Kindern!“
Er schnaubte. „Mit meinem Aussehen habe ich alle Optionen offen - da wähle ich doch keine Kinder! Leuchtet ein, nicht?“

Nicht überzeugt wandte sie sich wieder ihren Notizen zu. Immerhin etwas, dachte sie sich. Sie würden die Kinder trotzdem nochmal eindringlich dazu befragen. Dann fuhr sie fort: „Nun denn, Sie wurden bereits mehrfach-“

Indem er laut aufstampfte, unterbrach er sie. „Hey, beantworten Sie gefälligst meine Frage, bevor Sie mir neue stellen!“, forderte er.

Kylie hörte, dass er seine Handschellen straff zog, als könnte er sie damit öffnen. Und nicht nur die Ketten standen unter Spannung; alles an ihm stand sichtbar unter Spannung. Na los, raste aus, gib der Sondereinheit einen Grund, feuerte sie ihn gedanklich an. Doch auch er schien die Augen der anderen Polizisten regelrecht auf sich spüren. Immerhin war heute der 25. Dezember - kein Beamter hier in Weißwesen, der heute arbeitete, hatte Besseres zu tun als zuzusehen. Schreiner atmete tief ein und aus, sein Lächeln kehrte zurück.

Aus heiterem Himmel schloss er: „Sie stehen auf mich. Sie weichen meinen Fragen aus, um mich verrückt zu machen und wollen mich möglichst lange hier behalten. Stimmt es nicht, Kylie?“

Sie biss die Zähne zusammen und behielt, davon abgesehen, nach außen hin die neutrale Fassade aufrecht, im Versuch, diese ebenfalls nach innen zu ziehen. Ihm scheint das Spiel zu gefallen, bemerkte sie, ich sollte es lassen.

Daher schlug Sie vor: „Ich werde Ihre Frage zu Finn beantworten, wenn Sie dann kooperieren. Einverstanden?“

Er neigte den Kopf. „Deal. Sie erfüllen Ihren Teil zuerst, Ky- ich meine natürlich- Frau Carpenter.“ So spöttisch wie er sie anfunkelte, hätte sie gerne einen Rückzieher gemacht.

„Erst beantworten Sie eine Frage“, wagte sie daher.

Überdeutlich verdrehte er die Augen, nickte aber ungeduldig. Es sah so aus, wie wenn er mit der Hand eine Komm zum Punkt-Geste gemacht hätte.

„Warum haben Sie diese Kinder entführt?“

Er seufzte, als sei er dieser Frage müde. „Aus demselben Grund, aus dem ich im letzten Prozess vor meiner Einbuchtung verknackt wurde - dem Hauptpunkt.“

„Kannibalismus?“ Sie hatte die Akten frisch vor diesem Gespräch gelesen. Interessiert beugte sie sich daher näher. „Und warum haben Sie die Kinder wieder freigelassen?“

„Ah-ah-ahaa!“ Entspannte streckte er die Füße unter dem Tisch aus. „Erst beantworten Sie meine Frage. Sonst schweige ich für immer.“

„Denken Sie, Sie können das?“, hakte sie nach.

„Das Recht dazu habe ich zumindest, nicht wahr?“ Schreiner zuckte mit den Schultern. „Also?“

Ergeben seufzte sie. Er würde nicht locker lassen. „Finn Förster ist am Leben, doch er hat viel Blut verloren und sein Zustand ist kritisch.“

Sie wusste genau, dass er höchstwahrscheinlich durchkommen würde, nur würde sie ihm das ganz sicher nicht unter die Nase reiben. Alan, der in demselben Krankenhaus stationiert war, hatte die Ärzte und Schwestern nämlich immer wieder gefragt, so besorgt war er um den Jungen. Er hätte für ihn die Kugel sicher nicht nur mit dem Arm abgehalten... Auch wenn er Finn kaum kannte, war er (erst recht seit vorgestern) sichtbar vernarrt in ihn.

Schreiner fragte: „Ist er ansprechbar? Ich würde gerne mit ihm sprechen - wie ich eigentlich schon gestern gefordert habe. Nur hat mir niemand zugehört.“ Bedauernd presste er seine Lippen aufeinander.

Damit hatte Kylie schon fast gerechnet. „Tut mir leid, “, antwortete sie daher sarkastisch, „aber das dürfen Sie nicht. Zumindest nicht, solange man nicht aktiv Kontakt zu ihnen sucht.“

Noch nie war sie so froh über das deutsche Rechtswesen gewesen. Laut Alan war der Einfluss dieses Mannes ohnehin viel zu stark auf diesen Waisen. Er war wohl vollkommen verwirrt und konstant in Angst, sein Peiniger könnte ihn besuchen kommen.

„Ich kenne meine Rechte.“

Kylie sah auf und lachte. „Nun, dann wissen Sie doch, dass Sie das nicht können.“

Er schüttelte den Kopf. „Mir steht ein Anruf zu. Ein Anruf, um eine nahestehende Person oder einen Verteidiger zu kontaktieren“, pochte er, „und ich möchte diesen nutzen und mit Finn sprechen.“

Sie räusperte sich. „Nun, das ist richtig, doch können Sie eben nur einen solchen Anruf tätigen.“

„Wie gut, dass ich noch niemanden anrufen lassen habe.“ Er grinste.

„Das werde ich prüfen“, versicherte sie, „aber ich denke nicht, dass es nötig ist, ihr Opfer von ihrer Verhaftung zu informieren.“

Er schnaubte. „Ach, ich bitte Sie. Es ist ja nicht so, als würde ich ihm drohen. Ich möchte ihn nur noch einmal sprechen - und Sie sind ja da und passen auf wie ein Schießhund. Falls ich etwas Falsches sage, können Sie den Anruf doch sofort beenden, nicht?“

Ohne ihn anzusehen, nickte sie. Das gefiel ihr ganz und gar nicht.

„Na also. Dann gehen Sie mal und überprüfen Sie es. Ich habe alle Zeit der Welt. Ich hatte ohnehin nicht vor, in nächster Zeit zu gehen.“ Er zwinkerte.

Es klopfte, er bat sie herein und ein Krankenpfleger betrat den Raum. Er hielt ein Handy in der Hand, grüßte knapp den Besucher und wandte sich dann an den Patienten, der in diesem Zimmer stationiert war: „Jemand möchte Sie sprechen, ich habe ihn gerade am Telefon. Es ist ein gewisser Matthias Schreiner.“

Verdutzt sah Finn erst zu ihm, dann zu Alan. „Wissen Sie, wer das ist?“

Alan schüttelte nachdenklich den Kopf. Der Name kam ihm zwar bekannt vor, aber er konnte ihn nicht ganz zuordnen. Daher riet er: „Geh lieber nicht dran. Wenn's jemand wär, den du kennst, würde er dich vermutlich auf dem Handy anrufen, also ist er vermutlich von der Presse.“ Er schnaubte. „Als würde man eher drangehen, wenn ein Name statt ein Journalist gesagt wird. Soll ich ihn kurz googeln?“

Finn schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich probier's aus. Wenn er von der Presse ist, kann ich immernoch auflegen.“

„Wie du meinst.“ Alan zuckte mit den Schultern. „Soll ich rausgehen?“

Er winkte ab, dankte dem Pfleger und nahm ihm das Handy ab. Dieser informierte ihn erneut, dass der Anruf gehalten wurde; wo er ihn fortsetzen könnte und was er machen sollte, wenn er fertig war. Erneut bedankte sich Finn, dann verließ der Pfleger den Raum.

„Hallo?“

Ein schwer zu verstehndes Geräusch kam aus dem Handy. Alan kam neugierig näher, Finn drückte den Lautsprecher. „Ähm- wie war das bitte?“

„Hallo Finn. Hier ist Graham.“

Er wurde bleich. In genau demselben Moment, in dem seine Knie nachgaben, trat Alan noch etwas näher um die Konversation leichter zu verstehen. Instinktiv griff er ihm unter die Arme, ohne an Finns Verletzung zu denken. Schmerz erfüllt zischte dieser auf und verzog das Gesicht; das Handy fiel zu Boden.

Nach ein paar Sekunden konnte er dann wieder aufrecht stehen, murmelte ihm ein schüchternes Dankeschön zu und hob dann schnell das Handy wieder auf.

Beinahe ängstlich starrte er das Telefon an.

„Finn?“, meldete sich Graham, „bist du noch dran?“

Panisch sah er zu dem Erwachsenen. Dieser legte ihm kurz eine Hand auf die Schulter, um ihm zu zeigen, dass er ihm helfen würde, und nickte. „Ja“, krächzte Finn daher.

„Also, da ich nicht weiß, wie viel Zeit die Bullen mir bei dem Gespräch lassen, komme ich wohl besser gleich zum Punkt. Wie geht es dir?“

Alan runzelte die Stirn. Wie war das noch mit gleich zum Punkt kommen? Finn stotterte etwas herum, von wegen, er sei noch recht schwach, weil er so viel Blut verloren hatte, aber es ginge ihm ansonsten gut. Er unterbrach sich selbst teilweise fünf Sekunden lang, so nervös war er.
Wenigstens schien er nicht der Einzige zu sein; aus dem Telefon kam ununterbrochen das nervöse Scharren und Stampfen Grahams.

„Und wie is- äh- wie steht- was- ähm... W-wie ist deine Feierta- äh, dein Weh- äh- Weihnachten?“, stotterte er zusammen.

Um es ihm etwas leichter zu machen, berührte Alan ihn sanft an der Schulter, um ihn so zum Bett zurück zu führen, was ihn jedoch heftig zusammenfahren ließ. Oh, mann, der Arme ist echt fertig mit den Nerven, dachte er sich und deutete zum Bett. Finn brauchte einen Moment, ließ sich dann aber hinführen und setzte sich.

„Ich hatte schon bessere Weihnachten“, antwortete Graham unterdessen und lachte, um die Situation etwas aufzulockern (was bei Finn jedoch nicht ankam).

So langsam fragte sich Alan, warum genau Finn so unglaublich nervös war. Was mochte dieser Mann ihm angetan haben? Oder lag es am Anruf an sich? Social Anxiety wäre ihm durchaus zuzutrauen...

„Frohe Weihnachten übrigens“, raunte Graham, nahe am Hörer, „hast du was Schönes bekommen?“

„Ein-“ Seine Stimme erlitt einen Voicecrack, woraufhin er rot anlief, sich räusperte und es schnell nochmal versuchte: „J-ja, ei-einen Swe- äh einen Pul- Pullover... von Seth. Un- und Plitz- äh Plätzchen.“ Er lachte vor Nervosität hysterisch auf. Würde er weiter so machen, käme noch einer der Pfleger rein. Seine Herzschlagrate war definitiv nicht mehr weit von einem Notfall entfernt.

Alan hob und senkte beruhigend seine Hände, um ihn etwas zu unterstützen. Finn gab sein Bestes, seinen Anweisungen zu folgen.

Wenigstens macht es diesen Bastard genauso nervös wie Finn, stellte Alan mit Genugtuung fest, denn das Schaben und Trippeln wurde unregelmäßiger und lauter.

„Ich hatte ein Gespräch mit der heißen Polizistin, von der du mir erzählt hast. Falls man das als Geschenk zählen kann“, berichtete Graham unterdessen.

Grimmig blickte Alan drein. Er meinte Kylie, dessen war er sich fast sicher; es würde auch erklären, warum sie heute morgen meinte, sie hätte noch was vor. Natürlich ließ sie sich eine Befragung nichtmal dann entgehen, wenn ihr Freund im Krankenhaus lag!

„Ich weiß übrigens, dass Sie mich hören können, Frau Carpenter“, bestätigte Graham seinen Verdacht gerade, „und ich nehme zurück, was ich gesagt habe, das war dumm von mir. Ihre bloße Präsenz ist natürlich immer ein Geschenk!“

Von Sekunde zu Sekunde wuchs seine Lust, beim Polizeirevier von Weißwesen vorbeizufahren und ihm eine reinzuhauen. Er wollte wirklich seine Freundin und Finn sich gleichzeitig unwohl fühlen lassen? Das konnte er auf keinen Fall zulassen. Demonstrativ setzte er sich neben Finn und legte einen Arm um ihn. Gequält lächelte ihn dieser an, versuchte aber, dabei möglichst dankbar auszusehen.

„Und was machst du so?“,, wandte sich Graham wieder an Finn.

Er nahm sich etwas Zeit zum Antworten, in der seine Nervosität so greifbar schien wie noch nie. Mit dem Fuß schabte er über den Boden, stampfte in unregelmäßigen Zeitabständen auf, schabte noch einmal über den Boden und stampfte nochmals auf.

Und da verstand Alan, dass das Gespräch auf zwei Ebenen stattfand.

„Nichts,... und du?“, antwortete Finn gepresst, was Alan geflissentlich ignorierte. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Finns Bein und er gab sein Bestes, um ihn auf dieser Ebene zu verstehen.

Es ging: Schaben, Stampfen, Pause.
Ein Stampfer, Pause.
Zwei Stampfer, Pause.
Schaben, Stampfen, Pause.

Finn mochte vielleicht nervös sein, aber Graham nicht. Das war kein Zufall.

Das war Morse.

Während Graham ihm die nächste Frage stellte, versuchte Alan krampfhaft, sich an seine Ausbildungszeit zurückzuerinnern. In derselben Zeit hatte er nämlich aus Neugier Morse gelernt - für den Fall der Fälle. Und er konnte das auch entziffern, nur gab AEIA wenig Sinn, sofern Finn nicht klammheimlich versuchte, Tarzan zu imitieren.

Es könnte höchstens eine doppelte Verschlüsselung sein... Aber nein, das ergab genauso wenig Sinn. Er bezweifelte doch stark, dass ein Sechzehnjähriger ohne Freunde, mit denen er das geübt haben könnte, aus dem Stehgreif eine Aussage zweifach verschlüsseln konnte.

Jetzt antwortete Graham in Morse: kurz, zweimal lang. Das war entweder ein w oder ein u - beides hatte drei Zeichen, begann mit Kurz und endete mit Lang, nur verwechselte er die beiden häufig wegen des Mittelparts.
Dann: kurz, lang. Selbes Problem wie zuvor: Alan verwechselte oft A und N, weshalb einer seiner damaligen Kollegen ihn per Nachricht nach wie vor als Nlna anschrieb.
Zuletzt dreimal kurz; ein S.

Er wartete, doch abgesehen von Grahams Stimme hörte er nichts weiter. Hm, er hatte entweder UNS oder... Nein, er hatte WAS? gefragt! Damit ergab Finns Aussage auch mehr Sinn; seine Tarzanimitation hieß eigentlich NEIN.

Auch jetzt antwortete der Junge wieder, gleichzeitig verbal und per Morse. Bei Graham war es wirklich unauffällig, sofern man nicht damit rechnete; er variierte auch die Pausen. Finn hingegen stockte in Morse, wann immer er einigermaßen flüssig sprach (und umgekehrt). Wieder antwortete er: NEIN.

Was auch immer Graham vorher gefragt hatte, diese Antwort schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen. Er lachte zwar, konnte dabei (oder wollte?) aber nicht seine Verstimmung verstecken.

„Wie wär's, wenn du mich demnächst mal besuchen kommst? Sobald ich in einem Gefängnis fest sitze- ich meine natürlich- stationiert bin, kannst du ja Besuch einfordern. Ich verspreche, ich bin der letzte, der dir das verwehrt. Ich würde mich wirklich freuen.“

Er klang so unglaublich freundlich, dabei war wohl jedem einzelnen Zuhörer klar, dass das wohl eher eine Drohung war. Einzuwilligen wäre Selbstmord.

Auch Finn schien das zu verstehen und verneinte. Das Problem daran war, dass er das nur in Morse tat.

„Finn? Bist du noch dran? Ich habe deine Antwort nicht verstanden.“

„Oh, äh, klar. Ich- ja!“ Er giggelte nervös.

Auf der anderen Seite der Leitung hörte Alan, wie sich die Tür öffnete und einige Beamte reinkamen und mit ihm zu diskutieren begannen, ob er das denn so ausmachen dürfte.
Alan beschloss, den Moment zu nutzen, um Graham eine Botschaft zu schicken:

Kurz, kurz, lang, kurz.
Zweimal kurz.
Lang, kurz, lang, kurz.
Lang, kurz, lang.

Geschockt sah Finn zu ihm auf. Sowohl die Realisation über das, was er sagte sowie darüber, dass er überhaupt Morse verstand, haute ihn offensichtlich um.

Grinsend fuhr Alan fort:
Lang, zweimal kurz.
Zweimal kurz.
Lang, kurz, lang, kurz.
Vier mal kurz.

Fick dich?! FINN, was soll das?“, polterte Graham sofort und stand, dem Geräusch nach, auf. Chaos brach bei ihm aus, da er empört rumschrie und die Beamten ihn dazu zu bringen versuchten, sich hinzusetzen.

Finn lachte unterdessen fassungslos auf, aber es war dieses Mal definitiv nicht bloß vor Adrenalin. Wie einen Held sah er Alan an, der getan hatte, was wohl auch sein Wunschdenken gewesen ist.

Davon beflügelt, leckte er sich die Lippen und begann dann seine eigene Nachricht zu verfassen. Anfangs war Alan unsicher, ob es ihm galt, was sich aber auf halbem Wege änderte. Stolz strahlte er den Waisen an, während er morste:
AUF NIMMERWIEDERSEHEN!

Etwa nach drei Vierteln der Nachricht, hörte man, wie Graham aufgab, sich zu wehren. „Hey, nein- Finn, warte!“, rief er und wurde mitten im Wort abgeschnitten.

Sie lachten, Alan bot ihm die Hand an, zum High Five. Glücksselig schlug Finn ein und bedankte sich überschwänglich. Nicht viel später umarmte er ihn, so überwältigt war er vor Glück.

Als sich beide so langsam einbekamen, erkundigte sich Alan, wozu er denn nein gesagt habe, woraufhin Finns Lächeln sofort zerbröckelte.

„Es ist- uh- das-... Er sagte... Ich- kann- kann ich es in Morse sagen? Es- äh... Es fällt mir... fällt mir schwer, darüber zu reden.“

Alan nickte.
BRING DICH UM, morste Finn daher.

„DAS hat er gesagt?!“, empörte er sich sofort.

„Warum?!“

Und da erzählte er ihm die ganze Story: wie er Graham getroffen und für einen harmlosen Obdachlosen gehalten hatte, über das erblühender das Vertrauens zu ihm und über Grahams Idee, Kinder zu opfern, um Aliens zu beschwören.

„Die anderen Kinder haben mich schon immer wie eine andere Spezies behandelt“, gestand er, „und deshalb dachte ich, naja, vielleicht wäre ich deshalb mit Außerirdischen besser aufgehoben. Ich fühle mich ohnehin dauernd wie einer.“

Er berichtete weiter, zuerst in ernster Situation nicht erkannt zu haben. Graham war so überzeugend gewesen und er war der erste Mensch der dauerhaft für ihn da war. Alle seine Freunde zuvor hatten sich irgendwann zurückgezogen, dafür nie selbst Initiative ergriff. Sie waren vermutlich genauso unsicher gewesen, ob er überhaupt mit ihm befreundet sein wollte, wie er es umgekehrt war. Stumme Tränen hatten über sein Gesicht zu rinnen begonnen, seit er das Thema Ausgangssperre angeschnitten hatte. Erst als er von seiner Entdeckung Elaisas halb ausgenommener Leiche auf dem Küchentisch berichtete, schluchzte er wirklich auf.

Egal, was er erzählte, Alan hörte zu und war für ihn da. Er verurteilte ihn auch nicht - nein, nie könnte er ihm die Schuld dafür geben; das tat er schon selbst. Zu Unrecht, wie er fand.

Hätte er ihnen Bescheid geben sollen? Natürlich.

War es verständlich, dass er es, aus Angst, nicht getan hatte? Ebenfalls ja.

War das dumm? Vielleicht.

Aber nur durch dieses Gespräch (und einen kurzen Abstecher auf Google) fand er raus, warum ihm der Täter und die beschriebene Hütte so bekannt vorgekommen waren:

Graham, offiziell bekannt als Matthias R. Schreiner, war ein verurteilter Straftäter, nach dem gefahndet wurde, seit er aus dem Gefängnis ausgebrochen war. Er hatte sein Fahndungsfoto in den Nachrichten gesehen.

Und die Hütte? Alan kam sich richtig dumm vor, als ihm, bei Finns Wegbeschreibung zu den restlichen zwei vermissten Kindern, wieder einfiel, woher er die Hütte kannte: es war die Hütte, die sein Vater gebaut hatte, als er noch klein war. Er hatte dan Wald so sehr geliebt, dass er immer darauf bestanden hatte, er wolle eines Tages mit seinen Freunden dort wohnen. Nicht selten hatte er sich mit Noah und anderen dort Gruselgeschichten erzählt.

Irgendwann zwischendrin erstarrte Finn, als sei Graham in den Raum gekommen.
Auf seine Nachfrage hin, bettelte er: „Oh, bitte, stecken Sie mich nicht in dasselbe Gefängnis wie ihn! Ich- können Sie- können Sie da irgendwas machen? Er- ich will nicht wissen, was er... oh, mann, was er mir alles antun würde... Sie müssen das verhindern! Bitte!“

Alan neigte den Kopf. „Wer sagt, dass du überhaupt ins Gefängnis kommst?“

„Was- was reden Sie da? Ich bin... Ich bin ein Monster!“

Er lächelte sanft. „Ich war mal Polizist,“, sagte er, „hättest du mir das damals im Dienst gesagt, hätte ich dich wohl verhaften müssen.“

Finn knubbelte an der Strippe seines Pullis herum.

„Aber jetzt bin ich nicht im Dienst. Okay, ich bin komplett raus, weil...“ Er sah zur Seite und fuhr sich durch die Haare. „Weil ich dort meinen eigenen Graham kennengelernt habe...
Auf jeden Fall habe ich jetzt nur nich meine Bürgerpflicht; ich muss Leute, die eine Gefahr für sich ider andere darstellen, der Polizei melden.“

Er ließ den Kopf hängen und stand auf. „Ich verstehe.“

„Du bist auch ganz sicher nicht suizidgefährdet?“, hakte Alan aus heiterem Himmel nach.
Irritiert schüttelte Finn den Kopf.

Er stand ebenfalls auf. „Tja,“, sagte er, „das ist wirklich ein Jammer. Laut deinen eigenen Erzählungen hast du nie jemandem gedroht, wehgetan und du bist auch nicht in Gefahr, dir selbst wehzutun. Heute wohl keine Verhaftung für dich.“

Kumpelhaft legte er seine Hand auf seine Schulter. Ehrfürchtig starrte Finn auf ihn herab.

Alan sagte: „Du tust so, als sei deine Geschichte vorbei, dabei kann das erst der Anfang sein. Mit Freude würde ich dich auf den folgenden Seiten begleiten - gerne auch über viele Kapitel hinweg - nur versprich mir, dein Buch zu nutzen.“

Er zwinkerte. „Und du kannst es ruhig erstmal langweilig werden lassen.“

Mit Tränen in den Augen fiel er ihm in die Arme. „Ich verspreche es, Alan“, schluchzte er.

„Ich versprech's!“

A/N: Eigentlich war noch ein 26. Kapitel geplant, aber das lassen wir mal lieber (das hat so einen „Teaser für die Fortsetzung“-Vibe und ich weiß nicht, ob ich das will).

Daher: wenn du bis hier gelesen hast, Glückwunsch! Du hast deine Zeit mit über 66.600 Wörtern (was ist das bitte für eine Zahl wtf - ich runde mal von 66.681 großzügig auf 67.000, weil ich das Vorwort, das „Frage“- und das „Antwort“-Kapitel nicht mit einberechnet habe) verschwendet.

Jedes Kapitel hatte durchschnittlich etwa 2.667 Wörter (WAS IST MIT DEN ZAHLEN FALSCH? Wisst ihr was? Scheiß, drauf, es sind 2.700, fertig) und ich habe etwa seit hm... Ende Juli/Anfang August so dran gearbeitet (ja, ich habe definitiv zu viel prokrastiniert, so bin ich halt).

Und was ist die Moral von der Geschicht'?
-Kinder klauen lohnt sich nicht :3
-Kannibalismus ist ganz böse (und nicht sehr appetitlich)
-Nicht alles ist, wie es scheint (Seppl, der nice schien und es ganz und gar nicht wahr oder auch Graham... Irgendwie habe ich keine Gegenbeispiele, weil ich nicht weiß, ob man Finn zählen kann, ups)
-Mach' was du willst, sind eh alle korrupt - niemanden interessiert's wenn du maaal das Gesetz brichst (Für jeden, der das ausprobiert, übernehme ich keine Haftung!)
-sei Emo und du wirst einen Simp haben (Anny, ich sehe genau dich an. Aber immerhin hast du mich so motiviert, weil es so zumindest einen Charakter gab, der nicht so schlecht schien)

Nee, ganz ehrlich, es gibt keine. Denkt euch was aus. Denkt euch noch ein paar Regenbögen furzende Einhörner rein, et voilà, Friede Freude Eierkuchen (eigentlich hatte ich Finn sterben lassen wollen, damit die Moral sowas wäre von wegen „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht! 🤓“  aber I mean, es ist Weihnachten. Da kann ich Anny nicht schon wieder einen Typen nehmen (obwohl es schon cool wäre, dir wieder einen OS zum Geburtstag zu schreiben).

Jo, das ist, wenn ich mich nicht irre, tatsächlich das erste Mal, das eine Geschichte keinen so beengten Rahmen hatte. Niemand saß (für den gesamten Zeitraum der Geschichte) irgendwo fest, die Hauptcharaktere waren ungefähr normal vernetzt, statt absolute Loner und es gab immer wieder neue Charaktere.

Also willkommen zu Liz' Erstlingswerk einer (mehr oder weniger) normalen Welt.

Vielleicht sehen wir uns ja wieder, im nächsten Adventskalender, einer Dystopie, einem Superheldenroman, einer Romcom (wohl eher nicht), einer Fantasywelt, einem Krimi, Thriller oder einfach in den Kommentaren einer Geschichte.

Ich wünsche euch einen guten Rutsch ins Neue Jahr und erkläre mit Freuden dieses Buch für beendet.

*Platz für konstruktive Kritik*

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