17. Dezember

Er hasste dieses Spiel, hasste es mit Passion. Es war unrealistisch, dumm und passte nicht zu dem, was es eigentlich darstellen sollte, aber Alan konnte nicht anders, als es zu spielen. Sein Lieblingscharakter spielte dort mit. Er war oben in seinem Zimmer und das schon seit Stunden. Dieses Spiel regte ihn einfach zu sehr auf...

Es klingelte an der Tür. „Alan!", rief Kylie durchs Haus, „ich bin auf Toilette. Du musst gehen!"

Alan stöhnte, pausierte das Spiel und setzte seine Kopfhörer ab. Mühselig raffte er sich auf, lief den Flur entlang und die Treppen herunter. Es klingelte noch zweimal, schnell hintereinander.

„Bin auf dem Weg!", brüllte er. Anschließend riss er die Tür auf.

Davor stand ein Junge, er war etwa 12 Jahre alt, hatte braune Haare, in denen auf der rechten Seite nach hinten hin sich Dreckklumpen häuften. Seine Brust hob und senkte sich schnell, er schien gerannt zu sein. Und das Auffälligste? In seinem Mund steckte ein Knebel.

„Nanu? Was... wer bist du?", fragte Alan.

„Hm-hmm mm mmm!", machte der Junge und streckte ihm überdeutlich seinen Knebel entgegen. Zusätzlich wackelte er mit dem Oberkörper, wodurch Alan erst auffiel, dass die Hände des Jungen ebenfalls auf seinen Rücken gefesselt waren.

„Oh, klar, klar. Das hätte ich direkt machen sollen, tut mir leid", sagte er,„dreh dich um, ich helf dir."

Der Junge gehorchte und Alan befreite seine Hände, woraufhin diese sofort zum Knebel schossen und ihn runterzogen. Er schnappte nach Luft.„Danke", stieß er atemlos hervor, während er sich umdrehte.

Kylies Stimme ertönte von drinnen:„Wer ist da, Alan?"

Er stockte. Der Junge kam ihm zwar bekannt vor, nur fiel ihm kein Name ein. War das eins der vielen Kinder aus den Befragungen? Bestimmt, dachte er sich. Nur leider half ihm das kein bisschen.

Hilfssuchend drehte sich Alan um, als tauche dortauf einmal der Name des Jungen auf.
Kylie kam ins Wohnzimmer gelaufen, stoppte jedoch ein paar Meter von ihnen entfernt. Als ihr Blick auf den Jungen vor der Tür fiel, riss sie die Augen auf.

„Marko? Marko Wiedemann?"

Der Junge nickte und auch Alan klappte die Kinnlade herunter. Das erklärte zumindest, warum er gefesselt gewesen war. Andererseits hätte es auch Tim Helmer sein können.

„Du bist zurück? Warst du- also entweder du warst noch nicht beim Waisenhaus und du hast sehr merkwürdige Betreuer oder du hast den falschen ersten Ort nach deiner wieder ausgesucht", kommentierte er.

Marco zog die Nase hoch. „Ich dachte, es wäre das Logischste, hier zuerst aufzukreuzen. Sie wissen schon- wegen der Befragung und so. Früher oder später hätte ich eh kommen müssen, also warum nicht jetzt?"

Er wandte ein: „Denkst du nicht, deine Betreuer würden sich Sorgen machen?"

Marco neigte den Kopf hin und her. „Na ja, schon, aber ist die Ermittlung nicht wichtiger?"

Kylie antwortete nicht einmal, sondern schüttelte den Kopf und ging wieder rein.

„Wir sollten erstmal deine Betreuer informieren", sprach Alan aus, was sie beide dachten.

„Bin dabei", murmelte Kylie. Er nickte ihr dankbar zu.

Dann wandte er sich wieder an Marko und bat ihn rein. Schniefend gehorchte dieser.

„Und geht es dir soweit gut? Brauchst du... medizinische Versorgung oder so?", erkundigte er sich. Im Hintergrund hörte man Kylie bereits reden.

„Äh, mir ist etwas kalt, der Drecksack hat mich in einer Pfütze abgelegt. Sie hätten nicht zufällig eine Decke?"

Alan bejahte und ließ kurz Kylie mit dem Jungen allein, um ihm eine zu holen. Er hätte ihm ja auch ein paar trockene Klamotten gegeben, aber er bezweifelte, dass ihm seine oder Kylies Klamotten passen würden. Als er zurück kam, drapierte er die Decke über seine Schultern, welcher sie sofort enger um sich zog.

„Dankeschön, Herr Fletcher."

Alan winkte ab. „Nicht der Rede wert", behauptete er und ließ sich neben ihm nieder.

Da Kylie noch immer am Telefonieren war, beschloss er, etwas Smalltalk zu betreiben, bis sie wirklich beginnen konnten.

„Geht es dir denn sonst so einigermaßen gut? Hattest du Angst? Hat er dir weh getan? Oder war es eine sie?", schoss er los, statt das zu tun, was er tun wollte. Aber gut.

Marko grinste. Etwas steckte ihn zwischen den Zähnen. „Oh, ich hatte keine Angst. Er hatte vermutlich eher Angst vor mir, deshalb hat er mich ja auch zurückgebracht!"
Er nieste.

Kylie legte auf und gesellte sich zu ihnen. Alan fragte unterdessen: „Warum denkst du das?" Marko setzte zu einer Erklärung an: „Als mich der Drecksack entführen wollte, da habe ich mich gewehrt. Ich habe-"

Kylie unterbrach ihn:
„Tut mir leid für die Unterbrechung, aber wann genau war das?"

Er überlegte einen Moment. „Ähm... vielleicht so ein Uhr morgens, vielleicht auch zwei, keine Ahnung... oder später. Auf jeden Fall-"

Kylie notierte sich das mit klackernden Nägeln auf ihrem Handy.

„-habe ich dann ein Geräusch gehört, draußen vorm Fenster", fuhr er fort,„aber das war kein Krach, das war eher so ein Umpf, verstehen Sie?

Ich gehe also raus, im ersten Moment alles ruhig, alles finster, aber dann drehe ich mich zum Wald um und werde von hinten angegriffen! Der Kerl presst mir seine Hand auf den Mund und zerrt so mein Kopf nach hinten. Was er aber nicht weiß: ich habe einen Ninja in mir. Also nutze ich meine Ninjaskills und kicke mithilfe eines Hakens nach hinten. Wie erwartet, erwische ich seine Kniekehle und BAM, er knickt ein und ich schubse ihn mit dem Rücken zusätzlich nach hinten. Der Typ stöhnt dann wie eine PUs-"

„ Moment, das heißt, du hast seine Stimme gehört? Wie klang er?", unterbrach ihn Kylie ungeduldig.

Diese Information war essentiell in ihrer Spurensuche, abgesehen vom Aussehen und seinem eventuellen Namen natürlich. Das könnte ein Durchbruch für den Fall sein.

Markuo schien die Unterbrechung nicht zu stören, denn er grinste. „Er hat später sogar mit mir gesprochen, von Angesicht zu Angesicht und so." Er klang wie ein Typ, der mit seinem Auto prahlte. Das war aber auch kein Wunder, so gebannt wie Alan an seinen Lippen hing. Auch Kylie versteckte nicht, wie sehr sie diese Informationen interessierte.

Marko, der offenbar genau wusste, wie viel ihnen beiden hieran lag, nutzte die Situation, um hemmungslos zu plappern. Er fuhr fort: „Erstmal zurück zur Entführung. Also, der Typ liegt am Boden, ich fahre herum, lass mich zu Boden fallen und ramme ihm mein Knie in den Magen, worauf er wieder stöhnt wie ein kleines Mädchen - nichts für ungut, Frau Carpenter - auf jeden Fall greife ich dann nach seiner Maske, das war so eine dunkle, keine Ahnung was für eine Farbe, ehrlich gesagt... das war im Mondlicht so schwer zu erkennen, aber ich denke, die war schwarz. Auf jeden Fall war es eine Skimaske. So, ich greife also nach seiner Maske und plötzlich strampelt er nicht mehr, ich denke, ist er tot? Bevor ich weiß, wie mir geschieht, greift er mein Handgelenk und von einer Sekunde auf die andere liege ich unten. Hab' mich gefühlt wie in den Anfängen dieser Szenen, die Elias uns immer zu überspringen zwingt, dabei würde ich gerne Wrestling sehen...

Naja, ich habe mich natürlich gewehrt, aber der Typ war viel stärker und scheiße groß und plötzlich hat mich irgendwas in den Hals gestochen."

Bis jetzt hatte er ununterbrochen durch geredet, machte jetzt aber eine kleine Pause, in der er sich den Hals rieb.

„Hast du denn nach Hilfe gerufen?", hakte Alan nach.

Marko schüttelte den Kopf und brummte verlegen: „Habe da zu spät dran gedacht. Als mir die Idee kam, wurde schon alles schwarz."

„Du wurdest also ohnmächtig, nachdem du in den Hals gestochen wurdest", nahm Kylie die Befragung wieder regulär auf, „dürfte ich die Einstichstelle wohl sehen?"

Er nickte und zog seinen Hoodie zurecht, sodass sie es gut sah. Kylie machte ein paar Fotos von der bereits größtenteils verheilten Wunde. Es war eine klare Stichwunde, wie als hätte er sich an einer überdimensionalen Nadel gestochen, vielleicht etwas gröber. Vermutlich war das dem Kampf zuzuschreiben.

Anschließend bedeutete sie ihm, fortzufahren. Wenn Sie schon mal so viele Informationen auf einmal bekamen, wollten sie nicht riskieren, dass ihr Informant es sich plötzlich anders überlegte.

„Naja,", nahm er den Faden also wieder auf, „irgendwann bin ich dann wieder aufgewacht. ich wusste natürlich erstmal null, wo ich war und so, in dem Raum da bin ich noch nie gewesen."

„Wie sah der Raum denn so aus? Welche Möbel gab es, was für Farben hast du gesehen? Könntest du das etwas ausführen?", bohrte Alan.

Marco fixierte den Weihnachtsbaum in ihrem Wohnzimmer. „Also so einen gab es schon einmal nicht."
Er stand auf, zog die Decke enger um seine Schultern und näherte sich langsam und mit neugierigen Blick den Baum. Fasziniert sah er von einem Ornament zum nächsten.

Es gab typische, einfarbige Weihnachtskugeln in rot, grün und gold, doch dort hing auch der eine oder andere Charakter aus Star Wars im Weihnachtsdesign oder zumindest mit Weihnachtsmütze. Über den Baum verteilt gab es ebenfalls verschiedene selbstgemachte Dekorationen, die in ihrer Gelungenheit variierten. Alans Mutter hatte sie über die Jahre von ihrem Sohn bekommen und verwahrt.

„Ich wette, mein Vater hat auch so einen", wisperte Marko, regelrecht ehrfürchtig, „er wollte mich nicht aufnehmen, nachdem meine Mutter bei der Geburt gestorben ist... ich habe weder eine Familie, noch einen Baum..."

„Könnten wir erstmal über den Fall reden?", bat Kylie.

„Kleinen Moment mal!", rief Alan dazwischen, „soll das heißen, ihr habt im Waisenhaus keinen Baum? Wo legt der Weihnachtsmann denn seine Geschenke ab?"

Er runzelte die Stirn und drehte sich um. „Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber sind sie nicht langsam zu alt, um an den Weihnachtsmann zu glauben?"

Geschockt wandte sich Alan an Kylie. Er flüsterte: „Wie kann es sein, dass er nicht mehr an den Weihnachtsmann glaubt?!"

Marco verdrehte die Augen. Er hatte ihn laut und deutlich gehört. „Ich bin 13", belehrte er ihn.

„Ja und? Ich kenne viele Kinder, die mit 13 noch an den Weihnachtsmann geglaubt haben." Das war eine Lüge. Genau genommen war er der Einzige, der in seiner Klasse noch an den Weihnachtsmann geglaubt hatte.

Erneut bat Kylie, zum eigentlichen Thema zurückzukommen, also fuhr Marko fort, das Zimmer zu beschreiben: hölzerne Wände, vielleicht Eiche, die Decke ebenso.

„Aber insgesamt gab es drei Räume, die ich gesehen habe", wandte er ein,„offensichtlich Schlafzimmer, Wohnzimmer und Bad." Zuerst beschrieb er das Schlafzimmer, da er sich dort (zumindest im wachen Zustand) die meiste Zeit aufgehalten hatte. Als Boden gab es versetzte Dielen und an Möbeln gab es  nur sechs Betten, ein paar Nachttischchen und ein paar Lampen.

„Ich habe immer in dem Bett am weitesten von der Tür entfernt geschlafen. Tim hat dauernd gesagt, er hätte wohl Angst, dass ich abhaue, denn sein Bett war direkt neben der Tür. Gesa war mir gegenüber."

„Was ist mit Eliasa?", erkundigte sich Alan in demselben Moment, in dem Kylie nachhakte: „Was ist mit dem Entführer?"

Marko schien, trotzdem beide Fragen zu verstehen. Damit schien er schon deutlich kompetenter als die meisten Erwachsenen, mit denen sie geredet hatten, darunter unter anderem Denker und Hoffmann.

Er erwiderte: „Keine Ahnung, wo Elaisa war, habe sie da nie gesehen. Ebenso habe ich nicht den geringsten Schimmer, wer der Typ war. In Silberweiler habe ich ihn noch nie zuvor gesehen. Ich verstehe aber auch nicht, warum er bei der Entführung überhaupt eine Maske getragen hat, wenn er sie dann doch nicht trägt, während wir in demselben Raum wie er sind. Ich meine, er hat uns von Anfang an gesagt, dass wir vermutlich wieder nach Hause können, also muss ihm doch klar gewesen sein, dass wir das weitersagen..."

Kylie notierte sich erneut einige. Besonders interessant fand sie Markos letzten Satz; entweder war der Täter besonders dumm oder da steckte etwas dahinter. Sie würde sicher darauf zurückkommen, aber erstmal bat Kylie, ihn näher zu beschreiben.

Alan war unterdessen schon lange mit den Gedanken abgedriftet. Elaisa war nicht da? Wie kann das sein? Ich muss später unbedingt Noah und Angelina besuchen.
Auch wenn er wenig Infos hatte, so hatte er überhaupt ein paar Informationen, was für das Paar immerhin etwas wäre.

„ Alan, kennst du jemanden, auf den diese Beschreibung passt?", schreckte in Kylie auf.
„Hm?"

Geduldig wiederholte Sie Markos Beschreibung: der Täter war ein Typ mit etwas älterem Bart (in etwa einen Monat alt, brünett mit Rotstich, so um die 40 und etwa zwei Meter groß. Sein Gesicht war lang und seine Haare kastanienbraun.

Alan kniff die Augen zusammen und versuchte, sich das so grob vorzustellen. Tatsächlich kam ihm ein Gesicht in den Sinn, welches er erst vor Kurzem gesehen hatte, doch er kam nicht drauf, wann oder wer das war. Er teilte es Kylie mit, die es interessiert zur Kenntnis nahm, aber nicht weiter kommentierte.

Recht bald danach endete die Befragung. Marko beschrieb noch die anderen zwei Räume, diese Aussagen deckten sich mit denen von Linus. Dann war es Zeit für ihn, zu gehen und auch Alan wollte sich auf den Weg zu seinem Freund machen.

Kylie jedoch bat ihn, Marko noch nach Hause zu begleiten. „Jetzt ist er vermutlich noch viel gefährdeter, da er bereits das Gesicht seines Entführers kennt."

Der Junge aber winkte ab. „Ich glaube nicht, dass ihm das so wichtig war", kommentierte er. Kylie bestand trotzdem darauf, dass Alan, da er sowieso rausgehen wollte, ihn nach Hause begleitete.

„Ich gucke derzeit in deinem Jahrbüchern nach Graham, wenn das in Ordnung ist", meinte Kylie, an Alan gewandt.

„Wer zur Hölle ist Graham?", fragte er. „Außerdem habe ich keine jahrbücher, Mom hat maximal Fotoalben. Frag sie am besten mal, keine Ahnung wo die sind."

An Kylies Stelle antwortete Marko:„Graham ist der Dreckskerl, der sich mit mir angelegt hat."

„Das ist der Name des Entführers", klarifizierte Kylie. Anschließend verabschiedeten sie sich und sie verließen den Raum.

Erst als die schnarrende Klingel durch das Haus der Landmanns schrillte, fiel Alan wieder ein, was das letzte Mal passiert war. Womöglich waren sie noch im Krankenhaus.

Er trat ein paar Schritte zurück; das Auto stand war neben dem Haus, doch es blieb totenstill. Dann erinnerte er sich, dass sie im Krankenwagen mitgefahren waren, weshalb es logisch war, dass das Auto noch da stand. Ob es ihm wohl gut geht?, fragte sich Alan.

Er sah an der Fassade hoch. Der Himmel war schon recht dunkel, doch im Haus brannte noch kein Licht. Vermutlich sind sie wirklich noch im Krankenhaus, dachte er sich. Hoffentlich ist es nichts Ernstes.
Er wollte gerade gehen, als er die Haustür sich knirschend öffnen hörte. Sein Blick huschte an der Fassade herab und er sah Angelina im Türrahmen stehen. Kai hatte sie auf dem Arm.
Er war vielleicht etwas blass, doch Mutter wie Sohn strahlten.

„Hallo, Onkel Alan!", grüßte er, woraufhin Angelina ihn runter ließ, und er sofort losrannte, um ihm ein High Five zu geben. Der Kleine freute sich mindestens so doll wie Alan, immerhin hatte ihn noch nie ein Kind so begrüßt.

„Hey, großer!" Er klatschte mit ihm ab.

„Und hey, Angelina!"
Alan ging auf sie zu, Kai sprang vor ihm her.
„Schön zu sehen, dass es euch beiden besser geht."

Angelina nickte.„Ja, es war an der Zeit. Dafür hat Noah jetzt ein Tief."
Alan wollte wissen: „Warum das denn?"

Angelina zuckte bloß mit den Schultern, dann bat sie ihn rein.

„Möchtest du vielleicht einen Tee? Oder etwas Kaffee?", bot sie ihm an, während sie ein paar Spielzeuge mit dem Fuß zur Seite räumte. „Spatz, lass bitte nicht immer deine Spielsachen rumliegen. Sonst tritt jemand drauf und dann gehen sie kaputt", kommentierte sie währenddessen.

Dass dieser Spitzname - Onkel Alan - offenbar von ihr kam, bemerkte er nur am Rande. Viel mehr fiel ihm auf, wie anders alles wirkte. Statt dem leichten muffigen Geruch, der die letzten Male in der Luft hing, roch es nun lieblich. Alles war viel heller und beide Landmanns schienen mehr Energie zu haben.

Alan bat um etwas Tee. Sie nickte, versprach, ihn gleich vorbeizubringen und verschwand in die Küche.

Während sich Alan auf der Couch niederließ, drangen gedämpfte Stimmen aus der Küche zu ihm. Er verstand kein Wort, doch das musste er auch nicht. Kaum 10 Sekunden später öffnete sich die Tür erneut und Noah kam herein.

„Papa!", freute sich Kai. Er ließ sein Spielzeug stehen und liegen und wuselte auf seinen Vater zu, um ihn zu umarmen.
Dieser lächelte angespannt und tänzelte um ihn herum.

„Papa ist gerade nicht nach einer Umarmung", beeilte er sich, zu sagen und trat rückwärts auf die Couch zu. Er schien seinem fünfjährigen Sohn auszuweichen. Dieser zog eine Schnute und murmelte etwas vor sich hin, ging aber wieder spielen.

Geschafft ließ sich Noah neben Alan auf die Couch fallen.

„Hey, Mann", grüßte er, „wie geht's?"

Noah schien nicht nach Plaudern zumute. Er spähte in Richtung Küche, dann drehte er sich mit wichtiger mine zu ihm und wisperte aufgeregt:„Du musst mir helfen."

Ohne zu Zögern stimmte er zu.

„Letzten Sonntag", begann er, „ das war meine Schuld."

Alans Augen weiteten sich. „Kais Zusammenbruch?"

Noah nickte und sah bedauernd zu seinem Sohn, der nicht zuzuhören schien. Ohne Alan anzusehen, appellierte er: „Du musst verstehen, das wollte ich nicht. Nicht, dass..."
Er raufte sich die Haare.

„Es ist nur... Angelina ist schon seit Ewigkeiten so distanziert, wir reden gar nicht mehr und... und es ihr ging ihr so schlecht... ich- ich war einfach verzweifelt. Ich musste mich um Kai, mich und Angelina gleichzeitig kümmern, während ich noch am trauern um meine Tochter bin. Ich wollte nur- ich- Das verstehst du doch, oder?"

Alan rückte ein Stück von seinem Kindheitsfreund ab. Er verstand ganz und gar nicht. Sein Herz schlug schneller. Hat er Kai umbringen wollen? Haben Sky , Danny und Kylie recht? Ist er der gesuchte Täter?
Er schluckte; seine Stimme kam ihm viel zu laut vor, als er mit gepresster Stimme fragte, was er getan hatte.

Schuldbewusst sah Noah zu seinem Sohn. Er schwieg.
Alan dachte schon, er würde nicht mehr antworten und war kurz davor, bei Angelina Bescheid zu sagen, dass er den Tee doch nicht wollte, um zu gehen, als er doch noch sprach: „Angelinas Medikamente."

„Was?"

Noah lachte nervös auf. „Ich habe ihm von Angelinas Antidepressiva gegeben.“

Schnell schob er hinterher: „Laut dem Arzt wirken sie eben beruhigend und Kai hatte so unglaublich viel Energie..." Beschämt vergrub er das Gesicht in den Händen.

„Alles, was ich wollte, war etwas Ruhe, um meine Gedanken zu ordnen. Es war einfach zu viel! Normalerweise teilen wir uns die Aufgaben auf. Wir machen es...“

Zitternd atmete er aus und hob verzweifelt den Kopf.

„Gemeinsam."

Er schüttelte den Kopf. „Gemeinsam mit ihr hätte ich es geschafft, aber..."

Die Tür ging auf und Angelina kam rein, auf dem Tablett in ihrer Hand vier Tassen. Sofort setzte sich Noah gerade hin, zwang sich zu einem Lächeln und verhielt sich normal. Sie sagte ihm, sie hätte ihm auch einen Tee gemacht und er bedankte sich.
Von der Verzweiflung, die noch eben aus jeder Pore seines Seins zu kriechenschienen, war jetzt nichts mehr zu merken. Angelina wusste offenbar nicht bescheid...

Alan bedankte sich ebenfalls und sah in seine Tasse. Klar, sein Freund war gestresst gewesen, doch wenn er schon seinem Sohn dermaßen gefährdete, wie war das dann erst mit anderen Kindern...? War er wirklich der Täter?

Von der Seite her beobachtete Alan ihn. Zumindest passte die neue Beschreibung nicht mehr so ganz: Noah hatte nie mehr als einen Drei-Tage-Bart, war unter zwei m groß und und definitiv jünger als 40. Andererseits kam es immer auf die Perspektive an und in so einer Situation könnte jeder (besonders Kinder) solche Dinge schnell mal schlecht einschätzen.

Alan wusste nicht, was er jetzt tun oder denken sollte, also berichtete er den Paar, was er Neues wusste und ging danach heim. Er würde Zeit brauchen, um darüber nachzudenken. Zeit, in der er hoffentlich nicht zu dem Schluss käme, dass sein bester Freund ein Straftäter war.

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