⓹ ⊱ • 「🎹」 • ⊰

𝟷𝟶. 𝙽𝚘𝚟𝚎𝚖𝚋𝚎𝚛 𝟸𝟶𝟷𝟸

「 ⓟ🅞🅘ⓝⓣ 🅞🅕 ⓥⓘ🅔🅦:
𝐘𝐚𝐦𝐚𝐠𝐮𝐜𝐡𝐢 𝐓𝐚𝐝𝐚𝐬𝐡𝐢 」

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Es ist mitten in der Nacht, als ich aufwache. Ich weiß nicht, was mich geweckt hat, aber es war nicht angenehm. Ich habe jeglichen Sinn für Orientierung verloren, mir ist verdammt kalt und mein Herz klopft viel zu schnell, meine Finger schwitzen und ich kann mich nicht ordnen. Es ist unangenehm und löst in mir eine Angst aus, weil es so ungewiss ist, woher es kommt. Ich weiß auch nicht, was ich dagegen tun soll, ich kann keinen klaren Gedanken fassen, um etwas zu finden, wie ich dagegen arbeiten kann. Ich habe mal gelesen, dass man bei Panikattacken, in denen man sich nicht ordnen kann, die 5-4-3-2-1-Methode nutzen soll. Weil es mir echt nicht gut geht und mir nichts Besseres einfällt, versuche ich auch, diese zu befolgen. Also, zuerst, fünf Dinge, die ich sehen kann. Ich sehe meine Bettdecke, die fast direkt unter meinem Kinn liegt. Ein altes Paar Socken, denn mit Socken kann ich nicht schlafen. Dann liegt auf dem Boden meine Tasche, die ich achtlos dahin geworfen habe. Geradeaus ist ein Kleiderhaken, wo der Schal hängt, den Tsukki mir gegeben hat. Zuletzt konzentriere ich mich noch auf den Kaktus auf meiner Fensterbank.
Dann vier Dinge, die ich anfassen kann. Mein Bettgestell, die Decke, die ich sowieso schon berühre. Die Fernbedienung, die noch neben mir liegt, die ich allerdings jetzt auf den Nachttisch lege. Zuletzt ein noch leerer Notizblock. Als nächstes konzentriere ich mich auf drei Dinge, die ich hören kann. Da wäre der Wind draußen, das Blut, das in meinen Ohren rauscht und, mit sehr viel Konzentration, höre ich auch draußen im Flur das Flackern des Nachtlichts heraus.
Weiter geht es mit zwei Dingen, die ich riechen kann. Meinen Schweiß kann ich riechen, aber einen zweiten Geruch finde ich nicht. Weil mir nichts besseres einfällt, schnüffle ich kurz auch an meinen Socken, was gar nicht so schlimm ist, wie es immer beschrieben und dargestellt wird. Oder meine Socken riechen einfach nicht, das kann auch sein.
Zuletzt fehlt mir nur noch etwas, das ich schmecken kann. Ich gehe davon aus, dass mein Speichel da nicht zählt, also kippe ich den letzten Schluck von dem kalten Tee herunter, der noch an meinem Bett steht. So, das sollte es gewesen sein. Ich lege mich wieder hin und decke mich zu. Es wird nicht allzu viel besser, aber ich kann mich wenigstens ein wenig beruhigen und meinen Körper davon überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Zu guter letzt setze ich mir Kopfhörer auf und höre ein wenig Musik. Ein Blick auf meine Digitaluhr verrät mir, dass es etwa zwei Uhr morgens ist. Oh, Freude, ich bin jetzt sechzehn. Das war ein wunderschöner Start in meinen Geburtstag. Aber ich sollte mich nicht beschweren, die Musik hilft mir immerhin, mich endlich bis aufs letzte Bisschen abzuregen. Dass ich heute noch in der Lage sein werde einzuschlafen, bezweifle ich irgendwie. Ich seufze und starre apathisch an die Decke. Verdammter Mist. Ich weiß, dass ich mit Sicherheit nicht der Einzige bin, der sowas mal erlebt hat. Es war ja auch nicht mein erstes Mal, dass ich sowas hatte. Wenn ich etwas dagegen tun könnte, das niemandem das je wieder wiederfahren muss, würde ich sofort was dagegen tun. Aber wie sollte ich? Was hat mir geholfen? Natürlich, die 5-4-3-2-1-Methode, die könnte ich vielleicht teilen. Aber vorallem war die Musik das, das mir geholfen hat. Vielleicht könnte ich ja...
Mir schießt plötzlich eine Idee in den Kopf. Eine undurchdachte, dumme, naive und so eine zufällige Idee, wie ich sie noch nie hatte.
Ich setze mich auf und begebe mich in Richtung Laptop. Ich fahre ihn hoch und gehe auf eine Video- und Musikplatform, suche nach Videos, die spezifisch dafür da sind, um Panik im Zaun zu halten. Damit meine ich keine dieser Videos, die für geistige Zufriedenheit helfen sollen, wie zum Beispiel, wenn jemand einen Teppich wäscht, und auch keine dieser Videos, in denen jemand dir ein Ohr abquatscht und dazu anzuregen versucht, glücklich zu sein. Solche Worte helfen meist nicht. Aber was finde ich? Nichts. Absolut nichts, das helfen würde. Und das ist der Moment, wo meine Idee ins Spiel kommt und ich sie weiter ausspinne. Wenn es sowas nicht gibt, dann muss ich eben dafür sorgen. Es dauert nicht lange, bis ich mein Keyboard mit dem Laptop verkabelt habe. Ich habe einen Plan, ob es was wird, weiß ich nicht. Musik ist für viele Zwecke da, aber wenn man einen Menschen danach fragen würde, wozu er Musik im Allgemeinen braucht oder verwendet, würde fast niemand sagen, um damit Ängste abzuwehren und Panik einzuschränken, weil man meist in Angstsituationen nicht als allererstes denkt, schön, jetzt erstmal Mukke an und viben, gut, vielleicht gibt es Ausnahmefälle, weil diese Personen das, genau wie ich, schon für sich entdeckt haben. Aber wieso denn nicht, wenn es dadurch möglich wäre? Ich habe jahrelang geübt und gespielt, ich sollte in der Lage sein, irgendeine Melodie zu komponiereren, die Anderen helfen könnte. Die Frage ist, wie ich das anstelle. Eine zu melancholische Melodie würde es nicht verbessern, weil sie den Menschen nur weiter hineinziehen würde. Es ist wie eine Droge, denn eine Droge bringt dich nicht dazu, dich besser zu fühlen, sondern verstärkt das Gefühl, in dem du dich gerade befindest. Eine ruhige Melodie wirkt in solchen Situationen meist beängstigend auf einen Menschen oder löst weiter zu viel Zeit zum Denken aus, das würde auch nichts verbessern. Aber eine fröhliche Melodie würde vielleicht sogar aufkratzend wirken, viele Menschen können in Angstzuständen so etwas sowieso nicht hören. Also, nicht zu traurig, nicht zu fröhlich, nicht zu ruhig. Es ist schwierig, aber wenn ich es schaffe, das alles gut zu kombinieren, könnte ich eine perfekte Melodie erschaffen. Vielleicht ist es dann das erste Mal, dass ich etwas auslöse, das etwas bewirken kann, meinem Leben irgendwie einen Sinn verschaffen kann. Vielleicht könnte es jemandem helfen. Ich habe sowieso nichts zu tun und kann nicht schlafen, also warum versuche ich es nicht einfach? Ich wollte immer schon Ideen gleich auf den Grund gehen. Früher habe ich meist aufgegeben, wenn es nicht geklappt hat, aber irgendwann hatte ich begriffen, dass es beim ersten Mal nie klappt und die Herausforderung, in etwas gut zu werden, nicht darin liegt, talentiert zu sein, sondern darin, niemals aufzugeben. Nur durch Versuche und Fehler wird man besser. Wenn man irgendwann alles beisammen hat, was man nicht tun sollte, dann gibt es, laut Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Pfaden, irgendwann nur noch einen möglichen Pfad, den man gehen kann, und das ist der richtige, bei denen alle Chancen auf gut stehen.

Es ist nicht so, dass mir plötzlich dreißig Prozent mehr Selbstbewusstsein auferlegt wurden, vielmehr ist es der Drang, irgendwie helfen zu wollen und die nächtliche Müdigkeit und Naivität, die mich offener werden lassen und mir den nötigen Grundbaustein geben, um etwas tun zu können und zu wollen. Ich bin nicht besonders, nicht einzigartig und vorallem kein wichtiger Bestandteil von irgendwas. Aber vielleicht kann ich anderen Menschen, Menschen wie mir, die das Selbe fühlen, helfen und ihnen zu verstehen geben, dass es für alles einen Ausweg gibt, ihnen das Leben irgendwie erleichtern.
Während ich mehrere Melodien, die einfach zufällig in meinem Kopf sind, teste, einspiele, verändere und bearbeite und sich immer weitere Minuten mit Musik auf meinem Programm bilden, denke ich nur daran, wie froh ich bin, dass das alles so locker und flüssig von der Hand geht. Ich bin froh, dass ich immer geübt habe und an diesem bisher noch so bedeutungslosem Hobby festgehalten habe. Hätte ich nicht geübt oder aufgegeben, wäre ich hierzu nicht in der Lage. Jede zuvor von mir gespielte Taste, jede Minute und jede Übungsstunde war es wert gewesen. Ich habe das erste Mal das Gefühl, dass ich stolz auf mich sein darf, dass ich vielleicht doch zu etwas im Stande bin. Bis um fünf Uhr morgens sitze ich daran und schaffe es, eine fünfminütige Audiospur auf meinen Laptop zu laden. Zu guter Letzt suche ich nach frei verwendbaren, beruhigenden Bildern, die ich nebenbei in einer Diashow beilaufen lasse, damit ich das Ganze nicht nur als Audio, sondern auch als Video hochladen kann. Als das Stück dann abgeschlossen ist, speichere ich alles gut ab und sorge erstmal dafür, dass ich ein Konto habe, das über mich nichts aussagt, weil ich nicht möchte, das jemand, den ich kenne, davon erfährt. Am liebsten würde ich das von meinem Leben separieren. Der Nutzername "faceofstars" sagt nichts über mich persönlich aus. Wenn überhaupt jemand darüber nachdenkt, was der Name zu bedeuten hat, würde dieser Jemand nur auf den Schluss kommen, dass der Name einfach so gewählt wurde und mir gefällt, andere vielleicht, dass ich aus einem englischsprachigem Land komme und man mich dort mal so verglichen hat. Gängig wäre das wohl, in die richtige Richtung ginge es. Die Sterne sollen meine Sommersprossen umschreiben. Das hat meine Mutter mal zu mir gesagt, als ich deswegen so aufgezogen wurde. Der Nutzername ist ja sowieso nicht wichtig. Als Titel des Videos und der Audiospur wähle ich einfach "music to cure your anxiety" und in der Beschreibung erkläre ich noch die 5-4-3-2-1-Methode auf Englisch und merke kurz noch an, dass das mein Werk ist und somit die Rechte bei mir liegen. Dann, nachdem ich alles noch einmal tausend Mal durchgehe, stelle ich fest, dass alles fertig ist. Alles, was ich noch tun muss, ist, alles hochzuladen. Nur noch den Button anklicken, der Rest läuft von allein. Aber irgendwie habe ich plötzlich doch kalte Füße. Was, wenn ich doch irgendwo einen Fehler übersehen habe? Wenn ich irgendeinen Bockmist von Melodie eingespielt habe, bei der die Leute eher Ohrenkrebs kriegen, als dass sie ihnen hilft? Wenn jemand mit mehr Erfahrung das hört und nur den Kopf schüttelt? Oder jemand, den ich kenne, das findet? Das wäre der schlimmste Fall. Vielleicht sollte ich es lieber lassen und weiterhin mein verborgenes, bedeutungsloses Leben führen. Oder doch nicht? Ich bin hin- und hergerissen, all die Entschlossenheit von vorhin ist dahin. Ich bin mir bewusst, dass ich drei Stunden und länger daran saß und dafür auf meinen Schlaf verzichtet habe. Da steckt auch alles, was ich bisher gelernt habe und viel Mühe drin, so einfach ging das dann doch nicht von der Hand, dass es mir nichts bedeutet. Aber andererseits ist das auch nicht viel Zeit, die ich darein gesteckt habe, immerhin brauchen große Musiker Monate, um etwas neues rauszubringen und selbst das ist häufig nur ein Reinfall, ich habe innerhalb von drei Stunden eine einfache Melodie komponiert und glaube, dass ich wirklich jemandem damit helfen kann? Ich bin wirklich sehr gutgläubig. Hat jemand wie ich überhaupt das Recht, ein eigenes Werk zu teilen? Denke ich dann nicht selbst, dass es gut ist? Aber darf ich sowas von mir denken? Ich bin mir nicht sicher. Andererseits, wenn ich jetzt einmal über meinen Schatten springe und den Button klicke, könnte ich vielleicht etwas verändern. In anderen Menschen, in meinem Leben, in mir. Es weiß ja niemand, dass ich das bin, oder? Vielleicht ist es dann gar nicht so schlecht, wenn ich es einfach hochlade... Plötzlich ploppt ein Fenster auf.
"Wollen Sie die ausgewählten Dateien (pianofile19.mp4 ; pianofile19.mp3) hochladen?"
Darunter ein "Bestätigen" und ein "Abbrechen".
Und dann ein Timer, unter dem steht, dass der Entwurf in fünfzehn Sekunden verworfen wird. Das heißt, ich muss mich entscheiden. Wenn ich jetzt nicht auf "Bestätigen" drücke und mich später umentscheide, muss ich alles nochmal aufschreiben, suchen und ausfüllen, darauf habe ich keine Lust. Also drücke ich einfach schnell auf "Bestätigen", warte die zwei Minuten ab, bis es getan ist und schalte dann schließlich den Laptop aus. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ob ich damit etwas Gutes getan habe, weiß ich nicht. Ich bereue es irgendwie sofort, als der Laptop aus ist, alles in mir schreit, es wieder zurückzuziehen, aber dann müsste ich das jetzt alles wieder anschalten, Passwörter eingeben und öffnen, doch dazu bin ich jetzt einfach zu müde. Ich kann meine Augen nicht mehr offen halten. Schön, selbst mein Körper arbeitet gegen mich und meine Ängste. Also gebe ich nach, da ich sowieso viel zu schnell einschlafe, um mir noch lange darüber Gedanken zu machen.

Als ich wenige Stunden später geweckt werde, habe ich das Gefühl, dass ich weniger müde wäre, wenn ich einfach gar nicht geschlafen hätte. Ich bin so müde, dass mir nicht auffällt, dass mein Vater vor meinem Bett steht und es Konfetti über mir regnet. Das ist wohl das, was mich geweckt hat, der Knall der Konfettikanone. Ich fühle mich, als wäre ich gegessen, ausgeschieden und überfahren worden. Oder als hätte man mir K-O-Tropfen verabreicht und mich dann in einen Straßengraben geworfen. Ich komme erst in die Realität zurück, als mein Vater den letzten Rest aus meinem Wasserglas genau in mein Gesicht schüttet, gerade, als ich gähne. Ich fange wie wild an zu husten und habe das Gefühl, dass ich sterben werde, weil ich keine Luft mehr bekomme, da ich nebenbei auch noch Konfetti eingeatmet habe. Ich kriege mich dann aber irgendwann doch ein. Schön, jetzt sitze ich hier mit Augenringen des Todes, nassem Gesicht, in dem das Papierkonfetti klebt und geschwollenen Augen, weil das ganze Husten mich zum Weinen gebracht hat.
"Upsi", sagt mein Vater und er kratzt sich den Hinterkopf.
Ich bleibe einfach still, mein Herz rast immernoch und muss erstmal darauf klar kommen, dass ich doch noch nicht ins Gras gebissen habe.
"Nun ja, immerhin bist du wohl jetzt wach. Alles Gute zum sechzehnten Geburtstag, mein Sohn!"
"Danke, Papa."
"Und, wie fühlt man sich mit sechzehn? Wow, du bist bestimmt gewachsen, jetzt dauert es nicht mehr lange, bis du erwachsen bist! Es fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen, als du gerade geboren wurdest, und jetzt bist du schon wieder älter."
Er tut so, als müsste er sich eine Träne wegwischen, ich belächle das nur und lasse mich wieder in mein Kissen fallen. Ich bin jetzt nicht wach genug, um eine andere Reaktion darauf zu zeigen.
"Na na, was wird das? Es ist schon zwölf Uhr mittags, Wir müssen uns fertig machen, wir fahren gleich zu Mama! Was hast du denn gemacht, dass du so müde bist?"
Oh, stimmt. Zu Mama. Ja, genau, wir wollten ja heute zu meiner Mutter fahren! Deshalb habe ich Tsukki ja versetzt. Meine Vorfreude schiebt die Müdigkeit endlich für einen Augenblick beiseite und ich kann aufstehen.
"Heeeey, willst du denn gar nichts zu deinem super tollem Frühstück sagen? Na ja, jetzt ist es eher Mittagessen."
Erst jetzt sehe ich, dass das alte Tablett an meinem Bett durch ein neues getauscht wurde und auf diesem ein Teller steht, auf dem ein Miniaturmodell einer japanischen Erdbeer-Käsetorte thront. In meinen Augen könnten jetzt vermutlich Sternchen blitzen.
"Wow, danke Papa! Hast du den etwa gestern noch gebacken? Durfte ich deshalb nicht in die Küche?"
"Na klar, das mit den Glasscherben war doch nur eine Ausrede. Alles nach eigenem Rezept und Mengenangaben, ja ja! Und jetzt isst du den, ziehst dir was vernünftiges an und machst dich fertig, und dann kommst du zum Auto. Ich warte da auf dich."
Daraufhin verlässt er mein Zimmer und ich nehme mir den Teller. Dann stürmt er wieder in mein Zimmer, mit dem äußerst erklärendem Wort "Halt".
Ich sehe ihn fragend an, aber als ich die Kerze in seiner Hand sehe, kann ich mir schon denken, was er vorhat.
"Ich habe die Kerze vergessen! Du musst dir doch noch was wünschen!"
Kurzerhand zündet er die Kerze an und sie brennt.
"Singen machen wir später mit Mama. Also wünsch dir was!"
Hmm, einen Wunsch... Aber was soll ich mir wünschen?
Ich möchte, dass ich gesehen werde und etwas bewirken kann, egal, wer es ist. Und ich möchte, dass Tsukki mich eines Tages als das sieht, das ich bin und mir nur einmal zeigen kann, wie erwiderte Freundschaft und vorallem, wie Liebe sich anfühlt, die nicht von den Eltern kommt, die es schon bedingungslos tun. Das ist das erste, das mir in den Kopf schießt, also puste ich die Kerze mit diesen Gedanken aus. Ich hoffe, das wird als ein Wunsch gewertet.
"Ahh, ich kann es bis hierhin hören: Oh, ihr guten, höhreren Mächte, nun bin ich sechzehn, so bitte lasset mich doch endlich meine unschuldige, unerfahrene Art loswerden, beschenkt mich endlich mit jugendlichen Trieben und gönnet mir meine wohlverdiente Entjungferung!"
"P-papa! Du bist doch eindeutig nicht mehr ganz dicht, das habe ich mir sicherlich nicht gedacht!"
"Ich weiß, ich weiß, ich mache nur Spaß. Aber mal unter uns, wäre ich "ganz dicht", würdest du wohl nicht existieren, nicht wahr?"
"Papa!"
"Schon gut, ich gehe ja."
Der Alte macht mich echt irre.

Aber was solls, ich befolge all den Befehlen als wäre ich sein Abgeordneter und setze mich schließlich eine halbe Stunde später zu meinem Vater ins Auto, um mit ihm ins Krankenhaus zu fahren. Ich hasse Krankenhäuser. Jedesmal, wenn man dort ist, hat das nie einen guten Grund, also verbinde ich nur Schlechtes damit. Schon allein wenn man rein kommt und alles nach Desinfektionsmittel riecht und alles so sauber und grell weiß ist, könnte ich einen Anfall kriegen. Aber so geht es wohl Jedem. In diesem Gebäude sind schon mehr Menschen gestorben, als alle anwesenden Mitarbeiter, Patienten und Besucher an den Fingern abzählen können. Bei dem Gedanken schaudert es mich. All die alten und jungen Menschen, die an so einem hässlichen Ort gestorben sind, all die Menschen, die mit Angst einschliefen aber sich darauf gefreut haben, wieder gesund zu werden, aber nie mehr aufgewacht sind. Es ist gruselig und tut mir irgendwo auch weh. Es ärgert mich, dass meine Mutter hier schon zum zweiten Mal ist. Aber ich will auch heute keine schlechte Laune haben, schließlich reißen sich meine Eltern heute, trotzt der brenzligen Umstände, den Arsch auf, um mir einen schönen Tag zu bescheren, also denke ich schnell an etwas anderes.
Kurze Zeit später erreichen wir das Zimmer, in dem meine Mutter liegt, gemeinsam mit einer Frau in ihrem Alter. Ich bin froh, dass die zwei sich so gut verstehen, so ist meine Mutter nicht allein dort und langweilt sich nicht. Mich scheint die Frau auch zu mögen, da sie mich auch sofort in den Arm nimmt und mich beglückwunscht, als sie mich sieht.
Als sie mich dann aber loslässt, habe ich nur noch Augen und Gehör für meine Mutter.
"Komm her, Großer", sagt sie, und ich setze mich sofort in Bewegung, lasse mich auf ihrem Bett nieder und lasse mich in den Arm nehmen.
Ein altes, japanisches Sprichwort besagt, dass selbst der gefährlichste, größte Tiger in den Fängen seiner Mutter wieder zum braven Katzenjungen wird, also schäme ich mich auch nicht dafür, es sieht ja eh keiner zu. Generell finde ich daran sowieso nichts schlimm.
"Übrigens, Tadashi..."
Ich setze mich auf und sehe ihr ins Gesicht. Was kommt jetzt?
"Ich komme heute wieder mit nach Hause."
Augenblicklich erhellt sich mein Gesicht. Das bedeutet schließlich, dass es ihr wieder gut geht und wir uns keine Sorgen mehr um sie machen müssen. Aber trotzdem tut mir auch sofort die Dame Leid, die noch hier ist. Frau Shinsetsu wird weiterhin hierbleiben und entweder alleine durchstehen müssen, oder vielleicht mit jemanden auf ein Zimmer, mit dem sie sich nicht verträgt. Als würden sie alle wissen, was ich denke, teilt die Dame uns nun mit, dass wir sie ja mal in ihrem Café besuchen kommen können, wenn sie auch wieder raus darf. Allerdings bin ich mit nicht sicher, ob sich das Café noch so lange halten wird. Sie hat es leider besonders schlimm getroffen. Frau Shinsetsu hat durch einen Autounfall ihren Mann und ihren Sohn verloren, sie ist die letzte Zurückbleibende und hat nur noch ihr Café, worum sie sich nun allein kümmern muss. Dafür tut sie mir wirklich unfassbar Leid. Aber wir verbringen ohnehin nicht mehr viel Zeit mit ihr, sodass ich viel darüber nachdenken kann, da wir schon bald aufbrechen, um meinen jährlichen Geburtstagsausflug zu unternehmen, der damit endet, dass meine Mutter nach Wochen endlich wieder richtiges Essen bekommt, weil wir uns nach einem Tagesausflug irgendwo an einem Gasthaus gutes Essen bestellen und den Tag damit abschließen. Trotzt des viel zu kalten Wetters war der Tag seit langem Mal wieder ein voller Erfolg. Auf dem Weg nach Hause wird es zwar ein wenig unbequem, weil all die Koffer, Taschen und Tüten in meine Seiten drücken, aber die Freude, dass meine Mutter wieder nach Hause kommt, ist viel größer. Es ist das erste Mal, dass ich wieder merke, dass es etwas Besonderes ist, wenn man beiden Elternteilen eine gute Nacht wünschen kann und mit dem Gedanken ins Bett gehen kann, dass es Allen gut geht. Aber ich gehe erstmal nicht ins Bett. Beim heutigen Ausflug habe ich mit meinen Eltern viele Fotos gemacht, die ich mir gerne nochmal in groß ansehen würde, um welche davon auszusuchen, welche ich dann irgendwann mal ausdrucke, also nehme ich die SD-Karte aus dem Fotoapperat und stecke sie in meinen Laptop, welchen ich anschalte. Nachdem ich das Passwort eingebe, öffnet sich sofort das selbe Fenster von gestern. Verdammter Mist, das kommt davon, wenn man den Laptop nur ausmacht und nicht runterfährt. Sofort beginnt die Videoplatform sich zu aktualisieren. Mein Herz schlägt plötzlich ultraschnell. Nein, ich will das nicht wissen, ich will nicht sehen, wie viele Aufrufe ich mit meinem Video und der Audiodatei erzielt habe, das würde ich nicht verkraften, egal, welche Zahl da steht. Ich will das Fenster schließen, aber während es aktualisiert, darf ich das nicht, das wird mir scheinbar verboten, ich kann es nicht schließen. Dann ist es fertig aktualisiert. Ich würde am liebsten sofort das "x" oben in der Ecke drücken, aber irgendwie gleiten meine Augen doch an die Stelle, wo die Zahl steht, die ich mir eigentlich nicht ansehen wollte.
104.245 Aufrufe.
Nein, das glaube ich nicht. Es ist statistisch gesehen unmöglich. Kein Mensch der Welt schafft es, innerhalb von zwanzig Stunden so eine hohe Zahl an Aufrufen zu erlangen, vorallem, wenn niemand irgendwie auf deine Videos hingewiesen wird durch ein Abonnement oder so etwas. Mich kennt niemand, ich hatte keinen einzigen Abonnenten zu den Zeitpunkt. Es ist unmöglich, der einzige Weg, mein Video zu sehen, sind entweder Empfehlungen auf der Homeseite, aber das würde ja bedeuten, dass es Menschen gibt, die sich nichts anderes anschauen als Videos zu solchen Themen, oder natürlich spezifische Suchen danach. Ist das wirklich so ein gefragtes Thema? Mal statistisch gesehen: 15,3 % der Bevölkerung leidet an Angstzuständen. Das macht allerhöchstens 1,2 Millionen Menschen aus, wenn's hochkommt. Pro Tag werden etwa eine Millionen Videos angeklickt. Das heißt, die Chance, dass von diesen eine Millionen jemand nach so einem Video sucht, wird immer geringer. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll. Ich gehe davon aus, dass das Video international gegangen sein muss. Das würde die vielen Aufrufe mit den verschiedenen Zeitzonen erklären. Aber jemandem wie mir würde so etwas doch niemals passieren. Da muss ein Fehler vorliegen. Vielleicht ist es das falsche Video, ich habe mich verguckt oder sonst was. Aber nein, selbst nach mehreren Malen der Aktualisierung steht dort noch immer "music to cure your anxiety- hochgeladen vor zwanzig Stunden von faceofstars- 104.306 Aufrufe, 119 Kommentare".
Ich habe mich eindeutig nicht verguckt. Das ist mein Video. Diese Zahl zu sehen ist mir schon fast wieder zu viel. Für manche mag diese Zahl nicht groß sein, aber wenn man mal überlegt, wie viele Menschen das eigentlich sind, die sich das angeschaut haben- ich weiß jetzt schon, dass ich mich nicht traue, runterzuscrollen und die Kommentare zu lesen. Ich schließe das Fenster erst einmal und atme durch. Sowas muss ich sacken lassen. Dann öffne ich die Website, auf der ich die mp3-Datei hochgeladen habe. Auch hier werde ich mit Zahlen übergossen. Es gibt hier zwar keine Aufrufzahlen, aber ich erfahre, dass die Audiospur in 32.789 Playlisten hinzugefügt und 11.361 Mal als offline-Datei runtergeladen wurde. Ich komme gerade irgendwie ganz schlecht damit klar. Da liegt plötzlich so ein riesiger Druck auf meinen Schultern. Ich wurde das erste Mal wirklich richtig gesehen, aber von so, so vielen Menschen auf einmal. So viele Menschen auf der Welt haben nun die Töne gehört, die ich zufällig zusammengebastelt habe. In gewisser Weise ist das beängstigender, je öfter ich darüber nachdenke. Aber irgendwann spüre ich plötzlich auch einen Ansturm von Glück. Ich habe wirklich etwas bewirkt. Ich habe vielleicht jemandem geholfen. Mein Wunsch hat sich erfüllt, ich wurde gesehen. Und das Beste, niemand weiß, dass ich das bin. Ich konnte meine Identität wahren und etwas Gutes tun.

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