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➷ 𝟷𝟿. 𝙾𝚔𝚝𝚘𝚋𝚎𝚛 𝟸𝟶𝟷𝟸

「ⓟ🅞🅘ⓝⓣ 🅞🅕 ⓥⓘ🅔🅦:
𝐘𝐚𝐦𝐚𝐠𝐮𝐜𝐡𝐢 𝐓𝐚𝐝𝐚𝐬𝐡𝐢」

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Ein heftiges Grollen ertönt. Ich zucke zusammen und und blicke leicht auf, mein Blick geht dezent in Richtung Himmel, an dem lediglich dunkle Wolken sind und man nichts von der Spätherbstsonne mehr sieht. Kurze Zeit später landet ein Wassertropfen auf meiner Nase, der widerum rechts über meinen Nasenflügel, dann über meine Wange rollt und letztendlich an meinem Kiefer heruntertropft. Ein paar Male wiederholt sich das Ganze und als Tsukki schließlich durch die Tür der Sporthalle hinter mir tritt, wende ich meinen Blick schließlich ab und sehe zu ihm. Ohne eine Miene zu verziehen blickt er mir in die Augen und ich schaue zurück.
"Hast du geweint?", fragt er schließlich, als er den ersten Schritt in Richtung nachhause geht. Ich trockne mit dem zu langen Ärmel meiner Jacke meine Wangen und mein Kinn und schließe zu ihm auf.
"Nein, das war nur der Regen."
Ein leises "Tch" kommt zurück und wir gehen wortlos weiter. Wieder grollt es laut und mit dem Schlag meiner Augenlider fange ich das weiße Licht kurz ein, welches ein Blitz abgibt. Das bisschen Nieselregen verwandelt sich schnell in einen kräftigen Schauer.
"Kei, wollen wir nicht ein wenig schneller gehen?", frage ich, als ich bemerke, wie etwas von dem Regenwasser bereits durch meine nicht wasserdichte Jacke sickert und meine Kleidung darunter nass wird, sodass meine Haut und der Stoff zusammenkleben. Ein widerliches Gefühl.
"Wenn wir rennen, kriegen wir nur noch mehr Regen ab."
"Bist du sicher? Wir gehen doch die gleiche Strecke, da kriegen wir doch auch die gleiche Menge Regen ab."
"Wenn wir gehen, verbringen wir nur mehr Zeit damit, nass zu werden. Wenn wir rennen, trifft uns in den Seiten mehr Regen. Aber statt darüber zu diskutieren, können wir auch einfach unter den vorstehenen Dächern der Gebäude lang gehen, wir müssen nur einen Umweg nehmen, Tadashi. "
Ich nicke bloß und so biegen wir in die Straße ein, in der viele Häuser eng zusammen an der Straße stehen, sodass man sich ein wenig vor dem Regen schützen kann. Während wir weiter still schweigend den Tropfen zuhören, die auf Autodächer, Dächer und den Boden tropfen, freue ich mich wieder ein wenig darüber, dass er meinen Vornamen benutzt hat. In der Öffentlichkeit macht er das nicht, trotz dass wir beste Freunde sind und das auch jeder weiß. Vielleicht ist es ihm unangenehm, wer weiß schon. Aber ich darf ihn vor anderen auch nicht "Kei" nennen, obwohl ich kein Problem damit hätte. Aber das ist wohl eher seine Entscheidung und wenn er es nicht möchte, dann mache ich das nicht. Stattdessen nutze ich einfach jede Gelegenheit, um ihn dann, wenn wir unter und sind, beim Vornamen zu nennen. Generell ist Tsukki privat aber nicht viel anders als sonst. Obwohl, vielleicht doch ein bisschen. Immerhin hat er mir erlaubt, für heute über Nacht zu bleiben. Das haben wir schon sehr lange nicht mehr gemacht. Als ich noch jünger war, war ich sehr gerne dort. Alle waren nett zu mir und ich habe mich sehr wohl gefühlt, heute ist es nicht anders, auch, wenn ich schon seit längerer Zeit nicht mehr länger als ein paar Minuten da war. Früher hatte ich dort sogar meine eigene Zahnbürste und irgendwann, weil ich meinen oft vergessen habe, sogar meinen eigenen Schlafanzug. Anfangs habe ich die Alten von Akiteru bekommen, da er, als er in meinem Alter war, die selbe Größe hatte wie ich. Tsukki hingegen war immer schon größer als ich und ich hätte vielleicht in seine Schlafanzuge gepasst, die er mit acht getragen hat, allerdings wollte er mir die sowieso nie geben. Seine Dino-Schlafanzüge waren ihm heilig, die gab er mir nicht ab, nicht einmal leihweise. Damals hatte er sogar eine Zahnbürste, dessen Kopf der eines Stegosaurus war. Ich hätte bei so einer weiten Zahnbürste eine Maulsperre bekommen, aber Tsukki konnte sein Maul ja immer schon weit aufreißen, zumindest dann, wenn er sich kritisch zu etwas äußert. Ich hatte damals nie so coole Sachen zuhause, also hat Keis Mutter mir sehr oft auch etwas mitgebracht, beispielsweise mein Tacos-Shirt, das ich immer trug, wenn es möglich war. Jetzt, wo ich so darüber nachdenke, frage ich mich, wie viel sich wohl geändert hat in den letzten Jahren. Kauft Tsukkis Mutter ihm noch immer jeden Monat die gleiche Stegosaurus-Zahnbürste? Trägt Tsukki noch immer einen Dinosaurier-Schlafanzug? Wenn ja, fände ich das zwar irgendwie untypisch, aber auch süß.

Trotz dass wir einen Großteil des Weges ein wenig Schutz vor dem Regen hatten, klebt mir meine Wäsche nass an der Haut und ich bin froh, als wir endlich bei ihm zuhause ankommen. Wir stellen die nassen Schuhe im Flur unter den Heiztisch und stellen eine große, längliche Plastikschale unter die Jacken, damit das Wasser da rein tropft. Sobald wir den dunklen Raum verlassen und die Tür zu Küche und Esszimmer aufschieben, beginnt es sofort, köstlich nach Essen zu riechen und mein Magen meldet sich zu Wort. Ich drehe mich zu Tsukki um, der allerdings schon zur Spüle abgehauen ist, um seine feuchte, beschlagene Brille zu reinigen. Wie immer riecht es hier nach einem Hauch Kirschen, wenn man den Geruch des Essens ausblendet. Selbst die Einrichtung hat sich nicht großartig geändert. Das Einzige, das mir auffällt, ist, dass die Sorte der Duftkerzen anders sind. Früher war es immer Kirsche, jetzt ist es Kirsch-Vanille. Ich muss ein wenig lächeln. Es fühlt sich gut an, wieder hier zu sein. Ich bewege mich nun auch in Richtung Küche, um seiner Mutter hallo zu sagen. Als ich die Frau sehe, die gefühlt halb so groß wie Kei ist, nicke ich ihr freundlich zu und wünsche ihr einen guten Abend. Sie dreht sich um und als sie mich erkennt, kommt sie sofort zu mir und tut ihr Bestes, um mit ihrer Hand meine Wange zu erreichen. Ich frage mich, ob es beleidigend wäre, ein wenig in die Knie zu gehen, tue es aber letzten Endes doch.
"Tadashi, ich glaube, ich gucke nicht richtig. Groß geworden bist du, mein Junge! Du bist ja fast so groß wie Kei! Gottchen, vor wenigen Jahren kam ich noch an deine Wange, ohne dass du dich bücken musst."
Ich grinse und sage ihr, dass es schön sei, sie wiederzusehen. Kei ist noch immer mit seiner Brille beschäftigt, direkt neben der Spüle steht die Fritöse, ein Fettfleck ist auf seiner Brille gelandet. Scheinbar ist ihre Stimme sehr lockend, denn kurze Zeit später steht auch Akiteru in der Tür.
"Wow, Tadashi lässt sich auch mal wieder blicken! Wie lang ist's her, dass du mich hier siehst? Groß geworden bist du. Und vorallem gut! Dein letzter Aufschlag war der Hammer, weiter so und du kannst bald durch deine Aufschläge einen ganzen Satz holen." Dann zwinkert er, er weiß wohl selbst, was für einen Mist er da erzählt.
Ich nicke lächelnd und lasse ihn weiter reden, jetzt hat er Tsukki entdeckt, der sich weder auf, noch in den Arm nehmen lässt.
"Und mein kleiner Bruder ist auch da, lass dich drücken, komm schon her!"
Kei tritt einen großen Schritt zur Seite, stellt sich hinter mich und beschwert sich, was das Theater soll, er sehe ihn ja fast jeden Tag.
"Nun hab' dich nicht so, dir hat keiner was getan. Wenn du mit Tadashi auch so umgehst, gibt's aber einen drüber!"
Er zwinkert mir zu, ich lache und Kei rollt mit den Augen. Ich liebe diese Familie. Sie gehören zu den nettesten Menschen, die ich kenne und selbst nachdem wir drei Jahre kein Wort miteinander geredet haben, behandeln sie mich noch immer genau wie früher, ich habe das Gefühl, mit Akiteru und seiner Mutter könnte man sich nicht verfremden oder auseinander leben, sie würden immer wieder ankommen und so tun, als sei nichts gewesen. Wobei, Tsukki war da etwas anders, aber er hatte trotzdem diesen einen Sonderplatz in meinem Herzen sicher, egal wie er sich verhielt.
"Wann ist das Essen fertig?", fragt Kei nun hinter mir. Er hat mal Hunger, wie untypisch für ihn. Sonst muss man ihm einen Schlauch tief in den Hals stecken und die Nahrung mit einem Trichter durch die Öffnung gleiten lassen, so wie man es bei Gänsen oder anderen Vögeln beim Mästen tut, wie ich mal in einer Dokumentation gesehen habe.
"Es dauert noch zwanzig Minuten, könntet ihr in der Zeit schonmal den Tisch decken?"
Wir nicken zustimmend und machen uns an die Arbeit, Akiteru holt die Teller, Kei die Platzdeckchen, ich hole die Getränke aus dem Keller und stelle den Nachtisch aus der Truhe. Schließlich finden wir uns wieder zu dritt zusammen und wir setzen uns bis zum Essen noch ins Wohnzimmer.
Im Wohnzimmer brennt der Kamin, sodass Akiteru sich flach davor auf den Boden legt und die Hitze auftankt. Mein bester Freund setzt sich stumpf auf die Sofalehne und starrt in Richtung Fenster, vielleicht sieht er den rötlichen Blättern zu, die von dem Wind vom Baum gezupft werden und in die nächste Pfütze platschen. Ich allerdings habe sofort nur Augen für das große Klavier in der Ecke. Sofort brennt es förmlich in meinen Fingern, ich will es spielen. Es ist nur ein Hobby und ich habe mir fast alles selbst beigebracht mit Hilfe meiner Tante und meiner Mutter, aber selbst Tsukki sagt, ich habe ein Talent dafür. Na ja, aber er ist auch der einzige, der davon weiß, kein Wunder, ich erinnere mich daran, wie oft ich schon versucht habe, ihn damit anzustecken, ihm vorgespielt habe und ihm Akkorde beigebracht habe, aber ich fürchte, dass das eher meine Leidenschaft ist. Ich bin nicht sicher, ob meine Mutter und mein Vater mich je spielen oder sogar singen hören haben, nicht einmal unter der Dusche. Außerdem glaube ich, dass Tsukki meine Singstimme mag, obwohl er das nur angedeutet hat. Gezielt würde er mir sowas bestimmt niemals sagen. Aber das ist nicht schlimm, es ist schließlich nur ein Hobby und nicht mein Beruf und hat keine Bedeutung für mich.
Unerwarteterweise steht Tsukki auf und tippt wahllos ein paar Tasten des Klaviers. Klingt gar nicht mal so quälend, wie wenn Menschen ohne Ahnung spielen, vielleicht hat er meinen Predigten aus den letzten Jahren doch Gehör geschenkt. Er wird wohl meinem Blick gefolgt sein, weil er mich gut kennt, hat er sicher gewusst, wie sehr es mich in den Fingern juckt.
"Kannst du aus diesen Tönen als Grundlage etwas brauchbares machen?", fragt er, ohne in meine Richtung zu blicken. Klar kann ich das, denke ich, aber ich bin nicht sicher, ob jetzt die beste Zeit ist, um so etwas zu versuchen, zumal ich dann vor Kei und Akiteru spielen würde, wenn ich es nicht schaffe, wäre es mir unangenehm, schließlich bin ich kein Profi. Aber solangsam kann ich mir den Wunsch, das Klavier zu spielen, nicht mehr verkneifen und ich setze mich davor. Zur Sicherheit spiele ich noch einmal die Tasten, die Tsukki gespielt hat, um zu überprüfen, ob ich meinem Gehör und musikalischem Urteilsvermögen trauen kann. Dann erstelle ich eine etwa eine Minute lange Melodie mit diesen Tönen als Grundbaustein und weiteren Nebentönen, dieselben Töne in höheren und tieferen Oktaven und in abwechselnder Reihenfolge, indem ich einfach nur spiele, an nichts spezifisches denke und improvisiere, die Melodie leicht abändere. So schlimm klingt es eigentlich gar nicht.
Als ich fertig bin, sitzt Akiteru da und klatscht ununterbrochen.
"Siehst du, und deshalb solltest du dir mehr zutrauen.", erwidert er. Ich lächle wieder und lasse mich von ihm darüber ausquetschen, wie lange ich schon spiele und wie ich mir das selbst oder mit unprofessioneller Hilfe beibringen konnte, in so jungem Alter.

Kurze Zeit später werden wir schließlich zum Essen gerufen. Es gibt Pommes mit japanischem Hähnchen-Katsu dazu. Schließlich ist auch Tsukkis Vater dabei und es gibt wieder viel zu bereden. Wenn niemand aufpasst, schiebt Tsukki die labberig gewordenen Pommes auf meinen Teller. Mein absolutes Lieblingsessen. Dafür gebe ich ihm alle Erdbeeren, die auf meinem Erdbeertiramisu liegen. Ich bin aber weniger geschickt und im Raum müssten das alle gesehen haben. Allerdings spricht Niemand das an, schließlich bin ich Gast. Nach dem Essen werden wir entlassen und ich bin mit Tsukki allein auf seinem Zimmer. Das wurde auch Zeit, findet er. Man hat es ihm irgendwann angesehen, dass er seinem Bruder am liebsten etwas an den Kopf geworfen hätte. Ich empfinde Akiteru nicht als anstrengend, aber ich frage mich sowieso, wie viel man denn anders sieht, wenn man Tsukki ist. Beispielsweise weiß ich, dass er mir seine labberig gewordenen Pommes nicht überlassen hat, weil ich sie liebe, sondern weil er sie nicht besonders mag. Vielleicht kommt es auf das Selbe heraus, ich meine, was hätte er sonst mit den Pommes machen sollen? Ich sollte vielleicht dankbarer sein, er hat sie immer noch mir gegeben und sie nicht weggeschmissen. Aber ich bezweifele, dass er mir etwas von dem gegeben hätte, das er selbst auch gerne isst, so wie ich ihm meine Erdbeeren gab, obwohl ich die trotzdem gern esse. Was ich da denke, ist echt fies, denke ich und verwerfe das alles wieder. Das ist immer noch mein bester Freund, egal welche Macken er hat und es ist nicht richtig, mich als gut und ihn als schlecht darzustellen, schließlich ist es das genaue Gegenteil.

"So, wie sieht der Plan aus?", frage ich schließlich, da ich nicht hergekommen bin, um mit ihm gemeinsam die Wände zu bestaunen.
"Wir sollten uns vielleicht schon einmal umziehen. Nasse oder nur halbtrockene Klamotten an der Haut sind echt ekelhaft."
Ich stimme zu und hole dann meine Sachen aus dem Rucksack. Diesmal habe ich nichts vergessen und Keis Mutter muss mich nicht wieder versorgen. Aber als ich daran denke, frage ich mich sofort wieder, ob Tsukki noch immer Dinos auf seinem Schlafanzug trägt und ab dem Moment beobachte ich jede seiner Bewegungen und verfolge ihn mit meinem Blick, während er sich auszieht und ein hellrosanes, großes T-Shirt aus dem Schrank nimmt. Natürlich beobachte ich ihn nur deswegen, schließlich finde ich das wirklich sehr interessant und aufregend. Als ich auf dem Shirt keinen Dino erkenne, bin ich fast schon traurig, bis ich sehe, dass dort etwas steht.
"I'm not a dinoSOUR, I'm a dinoSALTY", steht dort in großen Buchstaben drauf. Ich grinse und muss mir verkneifen, nicht laut zu kichern. Er erwischt mich natürlich trotzdem.
"Halt die Klappe, Tadashi. Ein Spinner namens Akiteru hat das extra für meinen Geburtstag anfertigen lassen. Und ich habe nichts anderes mehr im Schrank"
"Ich lache doch gar nicht. Ich finde es süß."
"Tch."
Ich kann nicht anders, als jedes Mal zu lachen, wenn ich ihn ansehe. Ein pastellpinkes Shirt mit so einem Spruch passt absolut nicht zu ihm. Es steht ihm zwar, aber für mich hat er gerade jegliche Seriosität verloren und ich kann nicht anders, als dauerhaft zu grinsen. Ich weiß natürlich, dass ich ihm damit auf die Nerven gehe und ich riskiere, dass er den restlichen Abend nicht mehr mit mir spricht, aber ich kriege mich noch rechtzeitig ein, sogar noch bevor er wirklich wütend wird.
Aber irgendwie gefällt es mir, dass Tsukki seine Obsession für Dinos im Geheimen noch nicht los ist. Erstens hätte er ja auch einen Pulli anziehen können, wenn das T-Shirt ihn so stören würde, zweitens hat sich sein Zimmer nicht verändert, es gibt noch genügend Hinweise, die auf seine Liebe zu Dinos hinweisen.
Aus Prinzip und dem Klischee zuliebe müsste ich ihn jetzt fragen, ob wir nicht Jurassic Park schauen wollen, aber erstens weiß ich, dass er diese Filme hasst, weil das die einzigen Filme sind, die Emotionen in ihm auslösen und zweitens bin ich der Meinung, dass ich ihn genug geärgert habe. Ich freue mich, dass ich der Einzige bin, der das bis zu einem gewissen Grad darf. Weil ich noch keinen Schlafplatz für mich hergerichtet habe, nehme ich mir das Recht, mich neben Tsukki auf das Bett zu legen. Noch sagt er nichts dazu, also bleibe ich liegen.
Es ist eine Weile still, Tsukki sucht in einer Schublade nach etwas und ich starre an die Decke. Ich habe das echt vermisst, schon fast vergessen, wie das ist, wenn man nicht bei sich zuhause ist. Ich habe schon ganz vergessen, dass Tsukki mich unter uns eher als Freund ansieht als öffentlich, wo es eher so wirkt, als sei ich sein Groupie. Aber so ist es nicht. Zumindest habe ich für einen Moment das Gefühl. Trotzdem hat er natürlich seine gewissen Charakterzüge, die er behält, selbst wenn wir unter uns sind. Ein Beispiel, er würde sich niemals hinlegen, solange ich auf seinem Bett bin, er würde nie wirklich offen und ernsthaft über sich reden oder mir ernst und nicht auf ironische Weise ein Kompliment geben. Aber trotzdem brauche ich alles an ihm was er ist, jede seiner Macken macht ihn aus und macht ihn unersetzlich. Ich bin froh, mich seinen einzigen Freund nennen zu dürfen. Doch trotzdem ist da etwas, das mich stört. Nicht an ihm, in meinen Augen ist er perfekt wie er ist, an mir stören mich sämtliche Dinge, aber daran liegt es auch nicht. Schließlich hört Kei auf, in der Schublade zu wühlen und zieht eine rechteckige Dose heraus. Ich erkenne die Dose sofort wieder. Dadrin war das Dinosaurier-Quartett. Als wir jünger waren, war das DAS Spiel. Wir haben es jedesmal gespielt, bis Tsukki alle Karten auswendig konnte und es langweilig wurde.
"Hast du Lust?", fragt er und ich richte mich sofort nickend auf. Wenn Tsukki von sich aus schon sowas machen will, muss ich natürlich sofort zuschlagen.

Wir sitzen beide im Schneidersitz auf seinem Bett, er teilt die Karten aus und ich sehe ihm dabei zu, muss mir wieder gestehen, dass ich in jeder Hinsicht in seinem Schatten stehe. Er ist in Allem besser als ich, sieht bei allem was er tut gut aus und hat nie Angst vor irgendwas. Zumindest sehe ich ihn so, bestimmt ist das ein falsches Bild, da ich nicht weiß, wieviel er vor mir versteckt. Was ich dabei spüre ist aber tiefste Bewunderung für ihn, kein Neid oder Selbstmitleid. Ich schüttle mich innerlich und nehme die erste Karte von meinem Stapel. Da wir nur zu zweit sind, macht es keinen Sinn, die Art Quartett zu spielen, bei der man alle vier Karten einer Kategorie zusammenkriegen muss, also spielen wir die Variante, bei der eine Karteneigenschaft überwiegen muss, beispielsweise bekomme ich seine Karte, weil das Gefährlichkeitslevel meines Tyrannosaurus den von Tsukkis Velociraptors überwiegt. So geht das eine Weile, mit meinen Gedanken bin ich aber ganz wo anders. Ich frage mich, ob Tsukki Spaß hierbei hat, oder ob es ihn langweilt, es ihm kindisch erscheint oder sonst was. Ich frage mich, was er wirklich von mir denkt. Ich weiß, dass ich nunmal einige Stufen unter ihm stehe, aber ich wüsste gerne, wie er das sieht. So etwas würde ich natürlich niemals laut sagen, ich weiß nicht, was ich dann einstecken müsste. Aber Kei ist jemand, den ich nicht deuten kann, nicht sein Gesicht oder seine Körpersprache, auch nicht durch die Art, wie er sich verhält. Er sitzt einen Meter entfernt und doch fühle ich mich, als leben wir in zwei verschiedenen Welten. Ich versuche immer, mich ihm anzupassen, weil ich glaube, dass er mir so vielleicht Anerkennung schenkt und mich sieht, ich frage mich so vieles, dass ich mich in Rage denke und kaum noch anderes wahrnehme, bis mein Name fällt. Ich schrecke ein wenig auf und sehe zu ihm.
"Dein Handy klingelt."
Ich brauche eine Weile, um zu verstehen, ich bin noch ganz benommen und starre ihn weiter an. Als sein Gesicht sich verzieht, erwache ich wieder.
"W-was, mein Handy? Ja, genau."
Das war zwar nicht die intelligenteste Weise, zu antworten, aber egal, ich erhebe mich und ziehe das grüne Klapphandy aus meiner Tasche, da der penetrante, metallisch alt klingende Ton mich nervt. Ich achte nicht darauf, wer der Anrufer ist und brumme nur in den Hörer.

"Tadashi, hast du gerade Zeit? Es ist was Ernstes, am besten, du bist gerade alleine."
Ich runzle meine Stirn und habe sofort Angst. Der Anrufer ist mein Vater. Ich glaube nicht, dass ich extra das Zimmer verlassen sollte und setze mich wieder auf Tsukkis Bett.
"J-Ja, was denn? "
"Es geht um deine Mutter. Sie hatte einen Schlaganfall und wir mussten sie ins Krankenhaus bringen. Sie ist stabil, keine Sorge, aber ich dachte, du solltest sofort davon erfahren."
Und jetzt?
Was sage ich jetzt, was tue ich? Ich weiß nichts mehr, das einzige das ich noch weiß ist, dass es schon wieder passiert ist. Es ist schon das zweite Mal. Mein Kopf ist sonst leer. Der Schock sitzt so tief, dass ich für kurze Zeit alles um mich herum vergesse.

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