- 7. Kapitel -
Mum hatte mir einmal eine Weisheit mit auf dem Weg gegeben: Du kannst keinen anderen Menschen lieben und mit ihm zusammen sein, wenn du dich selbst nicht liebst.
Ich hatte diese Worte wohl ziemlich unterschätzt, sie als kitschig und übertrieben empfunden.
Doch jetzt, Jahre später, lernte ich die Wahrheit über diese Weisheit kennen. Mum hatte vollkommen recht damit.
Denn obwohl ein Gedanke an Eleanor ausreichte, um die unbändige und gebliebene Liebe zurückzuholen, konnte ich mir nicht vorstellen, dass wir je wieder glücklich zusammen wurden.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, diese leidenschaftliche Zuneigung zu Jemanden zu empfinden und sich doch selbst im Wege zu stehen.
Selbst wenn Eleanor, naiv und treu wie sie war, mir eine zweite Chance geben würde, würde ich mir selbst nie verzeihen können. Nicht einmal dann, wenn es die ganze restliche Welt tat.
Zwei Tage verbrachte ich hinter geschlossenen Türen und Fenstern und suhlte mich im Selbstmitleid und Schuldgefühlen.
Ich sprach in dieser Zeit kein Wort und bekam langsam das Gefühl, dass ich das Sprechen verlernen würde, würde nicht bald ein anderes Geräusch als mein Schluchzen meine Lippen verlassen.
Und selbst das verstummte irgendwann. Entweder hatte ich keine Kraft mehr zum Weinen oder ich hatte begriffen, dass es nichts ändern würde. Was immer es war, es ließ Ruhe in mein Haus einkehren.
Der Alkohol war zu einem guten Freund geworden, zu welchen ich eine Hassliebe aufgebaut hatte. Ich hasste ihn noch immer dafür, dass er mich in dieses ganze Schlamassel geschubst hatte.
Ohne ihn wäre es womöglich nie so weit gekommen und ich würde nicht einsam und allein auf meinem Sofa liegen und langsam, aber sicher eingehen.
Doch scheinbar meinte es der Alkohol gut mit mir und wollte unsere gemeinsamen Fehler wieder gut machen, in dem er mich ablenkte, mir Beistand und mich berauschte.
So ging die Zeit dahin. Eine der dunkelsten Tage meines gesamten Lebens. Vielleicht lag es daran, dass ich es noch nie zuvor ernster mit einem Mädchen gemeint hatte oder doch an dem Fakt, dass ich wohl das schlimmste getan hatte, was ich hätte tun können.
Meine Wut richtete sich hauptsächlich gegen mich selbst, manchmal aber auch gegen die Fremde, die mein Leben auf den Kopf gestellt hatte und dann wieder verschwunden war, wie ein Erdbeben, welches kam und ging und sich nicht um die Folgen scherte.
Am dritten Tag nahm ich mir vor Mum, meine Schwestern und Niall zu erreichen, da diese die Menschen waren, die mir noch am nächsten standen und das recht hatten, zu erfahren, was geschehen war.
Doch noch bevor ich mir die Mühe machte nach meinem Handy zu suchen, welches ich nach meiner Ankunft irgendwo verstaut hatte, wusste ich, dass ich es nicht über mich gebracht hätte, darüber zu reden. Schon gar nicht am Telefon.
Und so blieb ich weiter liegen und ließ Erinnerungen und dunkle Gedanken auf mich einprasseln, wie ein Platzregen.
Die Erinnerungen an Eleanors und meine gemeinsame Zeit waren die Lichtpunkte meiner Gedanken, zumindest solange, bis mir wieder Bewusst wurde, dass sie eben nicht mehr länger mehr als jene waren.
Oft wurde ich in meinem Kopf von ihr beobachten. Vor allen dann, wenn ich mir die Bilderrahmen ansah, auf welchen wir verewigt worden waren oder die Chipsschale, die auf dem Tisch im Wohnzimmer stand und der letzte Beweis dafür war, dass unser abgesagter Filmabend tatsächlich stattgefunden hatte.
Die Schale gammelte nun schon eine so lange Zeit vor sich hin, doch ich wagte es nicht sie zu entfernen. Ich wagte es nicht sie anzufassen. Bis zu einem Moment, in dem ich es einfach nicht mehr länger aushielt.
Wie die vergangenen Tage lag ich auf der Couch und starrte an die Wand, als ich plötzlich ein Entschluss in mein Kopf schoss. Es musste sich etwas ändern. Das war wohl die treibende Kraft, die mich dazu brachte, meinen Arsch hochzubekommen. Veränderung.
In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie ein solches Bedürfnis gehabt aufräumen zu müssen, wenn ich das überhaupt irgendwann mal gehabt hätte.
Ich räumte normalerweise erst dann auf, wenn ich etwas suchte oder wenn ich eine solche Langeweile verspürte, dass ich eine Beschäftigung brauchte. Heute war es anders.
Ich erhob mich ruckartig vom Sofa, worauf mir augenblicklich schwarz vor Augen wurde. Mein Kreislauf schien vollkommen außer Betrieb zu sein. Das sollte sich jetzt ändern.
Auf wackligen Beinen lief ich in die Abstellkammer und kehrte kurze Zeit später mit einer Mülltüte in den Händen zurück. Energisch begann ich zuerst die Flaschen, welche zerstreut auf, unter, vor und neben dem Sofa lagen, einzusammeln und hineinzustopfen.
Ich spürte eine solche Energie, dass ich ohne darüber nachzudenken, die alte Chipsschale griff und die Reste wegschmiss, ehe ich die Schale in die Küche brachte.
„Ich liebe dich, Louis. Vergiss das nicht, obwohl wir uns so selten sehen und ich es heute verbockt habe!“
Mühsam verdrängte ich die Erinnerungen an jenen Abend und lief zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hoch in den zweiten Stock.
Das Schlafzimmer stand halb offen, genauso wie die blauen Vorhänge, welche so alt wirkten, dass sie nicht zu dem Rest des Hauses passten. Doch hatte ich darauf bestanden sie von meinem Elternhaus in mein eigenes mitzunehmen.
Eine Weile starrte ich in den Raum und war wie erschlagen. Ich hörte ein leises Lachen. „Louis!“
Ich hätte schwören können zwei Menschen zu sehen. Ein Junge mit braunen Haaren und blauen Augen und ein Mädchen mit wunderschönen Locken und einem frechen Grinsen auf den Lippen.
Ich sah, wie sie auf dem Bett saßen und sich neckten, ehe sie sich tief in die Augen sahen und er begann seine Hand durch ihre Haare zu fahren. Behutsam hob er sie hoch, legte sie auf die Matratze und beugte sich über sie. Ein Flüstern, ein Blick, ein Kuss.
Ich zuckte zusammen. Der Gedanke war so schnell fort, wie er gekommen war.
Und so lief ich panisch zum Schlafzimmer und starrte in dessen Inneres. Es war leer. Kein Junge und kein Mädchen. Kein Lachen und kein Kuss.
Ruckartig schlug ich die Tür zu, blieb einen Moment mit der Türklinke in meiner Hand stehen und versuchte meinen Atem zu beruhigen.
Das erste Mal seit längerem hatte ich das Gefühl, dass sich Tränen in meinen Augen bildeten. Doch wenn einer seine Trauer äußerlich verstecken konnte, dann ja wohl ich.
Noch immer mit klopfendem Herzen entfernte ich mich von dem Schlafzimmer. Kurz hielt ich inne. Es kam mir vor, als würde ein Kichern unter dem Türspalt hindurch in den Flur dringen – ihr Kichern.
Doch als ich länger hinhörte, hörte ich nur das Rauschen meines Blutes in meinen Ohren. Ich wurde verrückt. Ganz sicher wurde ich das.
Meine nächste Anlaufstelle war das Bad. Es war erstaunlich, wie viel Zeug Eleanor in dem ganzen Haus herum liegen ließ, obwohl wir eine Fernbeziehung führten… geführt hatten und das Haus oft leer stand.
Mein Blick wanderte über die Ablage über dem Waschbecken, auf welcher so viel Schminke lag, als würde Eleanor sonst was dahinter verstecken müssen. Doch dem war nicht so. In den Momenten, in denen sie am natürlichsten war, war sie am schönsten.
Abgesehen von den Abenden, an dem sie mit geschwungenen Locken, einem perfekten Make-up und einem atemberaubenden Kleid die Treppe heruntergekommen war und man in ihren braunen Augen die Vorfreude auflodern sehen konnte, gefolgt von der Ungeduld, dass es endlich los ging – Abende, an denen wir gemeinsam ausgegangen waren und das Leben genossen hatten.
Wieder schwelgte ich in Erinnerungen und schluckte schwer, sodass ich in dem gegenüberliegenden Spiegel mein Hals zucken sah.
Verbrauchte Luft entfuhr geräuschvoll meinen Lippen, dann begann ich das Schminkzeug zusammen zu räumen.
Solange, bis mein Blick an ihrer Zahnbürste hängen blieb. Sie stand im Becher neben meiner und hatte sich mit dem Kopf von dieser abgewandt. Eine sah nach rechts, eine sah nach links, während sie weiten Abstand hielten.
Nun war ich an dem Punkt angekommen, an dem ich mir wirklich ernsthafte Sorgen um mich machte.
Anderseits musste es eine große Kunst sein, sein Liebeskummer in zwei Zahnbürsten rein zu interpretieren. Kopfschüttelnd riss ich mich von diesem Gedanken los.
Vielleicht war ich in den Tagen ohne viel Gesellschaft, Essen und Licht ja tatsächlich geisteskrank geworden, obwohl mir diese Vermutung eigentlich schon mein ganzes Leben nachgesagt wurde.
Noch immer verwirrt und mit einer unterdrückten Panik in meiner Brust, machte ich mich wieder an die Arbeit des Aufräumens.
Meine Konzentration war für ungewöhnlich lange Zeit mein Gast, sah mir zu wie ich die Sachen verstaute und löste sich erst auf, als ich plötzlich eine kleine rosafarbene Glasflasche in den Händen hielt.
Sie passte sich perfekt meinen Händen an, schmiegte sich an meine Haut und strömte selbst mit geschlossener Kappe einen süßlichen Duft aus, der meine Beine weich werden ließ.
Ich liebte den Duft ihres Parfüms.
Völlig eingenommen von dem Geruch, öffnete ich die Flasche mit einem leisen Geräusch und sprühte ein Hauch von Eleanor auf mein Handgelenk.
Einen Augenblick schien es, als würde ich eine Reise durch die Zeit machen. Als würde sich der Schmerz in meiner Brust, wie ein Knoten, lösen.
Dann passierte plötzlich alles so schnell, dass mein Begreifen nicht hinterherkam.
Mit einem lauten Geräusch flog hinter mir die Tür auf. Der Schock breitete sich in meinen ganzen Körper aus, während meine Finger scheinbar an Kraft verloren.
Das Parfüm glitt mir aus den Händen und landete klirrend zu Boden. Ein entsetzter und selbst für mich fremder Aufschrei entfuhr meinen Lippen. Als er bereits verklungen war, hallte ein anderer hinter mir immer noch nach. Geschockt drehte ich mich um und sah in zwei blaue Augen.
„Niall?“, fragte ich völlig überfordert nach. Meine Stimme klang rau, als hätten sich meine Stimmbänder noch nicht auf das Sprechen vorbereitet.
„Wie zum Teufel ...“, fing ich an, als ich den Ersatzschlüssel in der Hand meines Kumpels wahrnahm.
Ich hatte ihn ihm gegeben, als Eleanor und ich im Urlaub gewesen waren und Niall und Harry darauf bestanden hatten, auf unseren Familienhund Ted aufzupassen.
Normalerweise wohnte er bei meiner Familie Zuhause. Manchmal nahm ich ihn allerdings auch mit zur mir, wenn es mir die Zeit und die Ruhe erlaubte.
Nun war es jedoch schon eine ungewöhnlich lange Zeit her, dass ich ihn das letzte Mal hier hatte, da ich eigentlich vorgehabt hatte in naher Zukunft oft unterwegs zu sein. Dass ich seit Tagen nicht das Haus verlassen hatte, wusste noch niemand von meiner Familie.
„Mach das Fenster auf, verdammt!“, hörte ich Nialls Schreie auf einmal meine Gedanken unterbrechen.
„Was?“ Aus irgendwelchen Gründen schien mein Gehirn langsamer zu arbeiten als gewöhnlich und meinen Füßen wurde das Gefühl verliehen, als ständen sie mitten auf dem Deck eines schaukelnden Schiffes.
Benommen senkte ich meinen Kopf und sah zu Boden. Ich erhaschte Scherben, Eleanor und Erinnerungen.
Sie lagen zerbrochen vor meinen Füßen und vernebelten meine Sinne.
Plötzlich kam Niall in den Raum gestürzt und riss das Fenster auf. Kalte Luft drang in das Badezimmer und flutete meine Lunge. Es fühlte sich belebend an, so als hätte ich seit Tagen nicht mehr richtig geatmet.
„Man, das riecht ja intensiver, als Zayns Deo gerochen hat!“, rief Niall auf einmal laut, sah mich mit verzogenen Gesicht an und unterdrückte ein Husten oder Würgen, oder was auch immer seinen Mund verlassen wollte.
Endlich erwachte ich aus meiner Starre und entgegnete laut: „Man nimmt ja für gewöhnlich auch nicht die ganze Flasche!“
„Tu doch was!“, meinte Niall hustend und vergrub sein Gesicht schützend in seinem Ärmel.
„Was denn?“, rief ich hilflos. Ich konnte Eleanors Geruch riechen und schmecken, während mein Magen sich immer mehr zusammen zog.
„Irgendwas!“
Ich sah hinunter zu den Scherben, umging sie vorsichtig und lief auf Niall zu, um die Tür zu schließen, doch scheinbar hatte mein Kumpel eine andere Idee.
Er flitzte davon und kehrte kurze Zeit später mit einer halb aufgewickelten Küchenpapierrolle wieder. Sie flatterte hinter ihm her, wie eine Kriegsflagge.
Nur das sie um einiges länger war, als es in einem Krieg der Fall gewesen wäre.
„Was soll das bringen?“, zweifelte ich seine Strategie an, als er begann das Küchenpapier auf dem Boden zu verteilen.
Es saugte sich voll und blieb nass und zerrissen zwischen den Scherben liegen. Der Geruch hingegen strömte aus dem Bad und verteilte sich im Flur, bis Eleanor jede Ecke ausgefüllt hatte.
„Niall!“, meinte ich ernst und machte Anstalten die Tür zu schließen.
Das geöffnete Fenster würde seinen Dienst schon leisten, wenn der süße, intensive, verführerische Duft erst einmal hinter verschlossener Tür gefangen war.
„Ahh!“, entfuhr es dem vor mir knienden Blondschopf auf einmal. Ein Zucken durchfuhr seinen Körper, ehe er sich ruckartig erhob und umdrehte.
Woher seine Aufruhr kam, erkannte ich, als ich den Blutstropfen an seinem Finger bemerkte.
Die Scherben waren wohl keine Freunde von irischen, tollpatschigen Leuten, die Schuld daran waren, dass mein gesamtes Bad, inklusive uns und dem Flur, nach meiner Exfreundin roch.
Ich zog ihm am Ärmel aus dem Raum, knallte die Tür zu und sah ihm einen Augenblick erschöpft und wütend in die Augen. „Was suchst du hier?“
„Mhm … Mal überlegen“, murmelte Niall ironisch, während er sich die Hand hielt. „Vielleicht denjenigen, der mir nichts von all dem erzählt, was er angestellt hat!“
Er war der erste, der dies nicht wütend, vorwurfsvoll oder enttäuscht klingen ließ.
„Ich war schon ein bisschen beleidigt, als Liam es mir erzählt hat. Ich meine, Harry wusste es und Liam und Sophia und die ganze Weltbevölkerung … Das war schon echt beleidigend. Ich meine, ich bin doch einer deiner besten Freunde und gut, dass du unartig warst … oh verdammt! Das brennt echt wie Feuer! Kann Parfüm eigentlich entzünden? Das fühlt sich nicht gesund an!“
Ein zischender Laut entfuhr seinen Lippen. Ohne ein Wort zu sagen, zerrte ich ihn die Treppe herunter und führte ihn in die Küche.
Wie bei einem kleinen Kind nahm ich seine Hand und hielt sie unter den kalten Wasserhahn. Niall zuckte erschrocken zusammen, doch entspannte sich dann wieder.
Noch immer wortlos ließ ich ihn stehen und besorgte ein Pflaster, welches ich ihm anschließend reichte.
Er bedankte sich murmelnd und verdeckte seine Wunde. Dann kehrte Stille ein. Erst jetzt begann ich langsam zu realisieren, was in den letzten zehn Minuten geschehen war.
Es zog an mir vorbei wie ein Film, doch das einzige, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war Eleanors Geruch, der an Niall und mir haften blieb und intensiver war, denn je.
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