- 2. Kapitel -

Kaum merklich füllten sich meine Augen mit Tränen, die ich schnell mithilfe der Bettdecke beseitigte, bevor sie Harry zu Gesicht bekommen konnte. Ich mochte es nicht Schwäche zu zeigen, auch wenn es vor meinem besten Freund war, der mich durch Licht und Schatten begleitete.

Noch immer vernebelt von den Erinnerungen an unser Telefonat und meinem spontanen Entschluss das Haus zu verlassen, wandte ich mich der Zimmerdecke zu.
Im Augenwinkel sah ich Harry, dessen Sorge sich durch sein Auf und Ab treten bemerkbar machte.

„Du kannst mir alles sagen, das weißt du doch, Louis", bestätigte er kurze Zeit später meinen Verdacht, dass er sich große Gedanken machte.
Ich nickte nur leicht und sah starr zur weißen Decke auf, während ich mühsam gegen die Tränen ankämpfte. Der Wunsch endlich alleine zu sein, wurde scheinbar erhört. Denn da setzte Harry sich endlich seufzend in Bewegung und ließ mich mit meinen Gedanken allein.

Ich wusste nicht, ob der Rest der Nacht sich nicht erschließen wollte, da mein Erinnerungsvermögen scheiterte oder ob mein Unterbewusstsein mich damit schützten wollte.
Desto mehr ich versuchte mich zu entsinnen, je mehr verlor ich mich in meinen Gedanken.

Gerade als ich in einem Halbschlaf abgedriftet war, wurde die Tür auf einmal erneut geöffnet.
Ich hätte mich am liebsten beschwert und Ruhe gefordert. Nur brachte ich noch immer kein Ton über meine Lippen. Und so zeigte ich mein Desinteresse damit, dass ich mich nicht rührte.
Obwohl ich wusste, dass es nicht fair war, da Harry nur Gutes wollte.

„Trink", forderte er mich auf und reichte mir ein Glas, auf welcher Oberfläche eine sprudelnde Tablette schwamm. Ich presste die Lippen noch mehr zusammen und wandte mich dem Fenster zu.
Aus müden Augen betrachtete ich die Regentropfen, die sich an dem Glas sammelten und wie Tränen hinunterliefen.

Das Durcheinander in meinem Kopf wurde immer schlimmer und die Fragen vermehrten sich wie Obstfliegen. Wo war ich hingegangen? Warum hatte ich Harry angerufen? Und vor allen, wem gehörte die fremde Frauenstimme? War ich etwa...

„Louis William Tomlinson", beendete Harry mein Grübeln, bevor es außer Kontrolle geraten konnte.
Seine Stimme klang bestimmt und doch so warm, dass ich es nicht übers Herz brachte sie erneut zu ignorieren. Zudem war ein Mittel gegen meine Kopfschmerzen genau das, was ich jetzt brauchte.

Langsam richtete ich mich auf und nahm Harry das Glas aus der Hand. Ich trank es in wenigen Schlucken aus und schmeckte sofort den bitteren Geschmack der Medizin.
„So, und jetzt lege ich dir Kleidung und ein Handtuch raus, damit du Duschen kannst. Du stinkst derart nach Alkohol, dass einem allein beim Einatmen übel wird!", meinte Harry schließlich und nahm mir das leere Glas wieder ab.

Ich konnte mir ein winziges Schmunzeln nicht verkneifen. Mein Kumpel war heute aber auch wieder einmal äußert ehrlich. Doch wurde ich gleich darauf wieder ernst und meine amüsierte Mimik erlosch.
Ich nickte als Einverständnis und sah ihm zu, wie er das Zimmer verließ und nebenan ins Bad lief. Dieses Mal ließ er die Tür offen, sodass ich in den Flur sehen konnte. Er war wie immer ordentlich hergerichtet.

Ich sah die einzelnen Fotos von uns als Band, welche an der Wand hingen und in dieser Entfernung so klein waren, dass ich sie nur erkannte, da ich sie bereits vom Nahen betrachtet hatte.
Es war schon eigenartig, wie man Veränderungen erst durch Fotos aus der Vergangenheit erkannte.
Gedankenverloren wanderte mein Blick zurück zum Fenster.
Ich begann die Regentropfen zu zählen, die nach unten glitten und einzelne Wasserspuren hinterließen.
Dies stellte sich als eine gute Ablenkung heraus und half mir die Angst zu verdrängen.

Nach dutzenden Regentropfen, kam Harry mit einem Handtuch über dem Unterarm hängend zurück und sah mich auffordernd an.
Allein wenn ich daran dachte, das warme Bett zu verlassen und mich zu bewegen, suchte mich eine Erschöpfung auf. Doch ließ ich mir nichts anmerken und erhob mich vorsichtig.

„Danke", nuschelte ich leise und nahm ihm das Handtuch und die darunter liegende Kleidung ab. Gerade als ich mich auf dem Weg ins Bad machen wollte, blieb mein Blick an dem gemusterten Hemd hängen, welches mir Harry gegeben hatte.
Eins stand fest: Ich würde darin aussehen wie ein Zirkusclown.

„Hast du nicht etwas weniger buntes?", fragte ich nach und schien der Sprache nach dem Glas Wasser wieder mächtig zu sein.
„Sei froh, dass ich dich überhaupt hier aufnehme. Eigentlich wollte ich seit zwei Stunden bei Mum sein", entgegnete Harry und schien wieder lockerer zu werden. Er war sichtlich erleichtert, dass ich wieder Sprüche machte und mich so benahm, wie er es von mir gewohnt war.
Doch wie lange das anhalten würde, war nur eine Frage der Zeit...

Auf zittrigen Beinen lief ich ins Bad und schmiss dort die Jogginghose in die Ecke, bei dessen Anblick ein ungutes Gefühl in mir aufkam.
Bevor mich weitere Gefühle aufsuchen konnten, zog ich mein Shirt aus und wusch vorerst mein Gesicht am Waschbecken.
Ich hatte die Hoffnung, dass ich mich dadurch wenigstens ein bisschen lebendiger fühlte.

Doch dann stockte ich auf einmal. Erschrocken sah ich ein zweites Mal in den Spiegel und fuhr prüfend mit meinem Daumen über meinen Hals.
Die dunkle Stelle war gestern ganz sicher noch nicht da gewesen.

„Fuck!", entfuhr es mir, während ich mich von meinem gespiegelten, geschockten Gesicht abwandte und mich auf dem Whirlpool Rand niederließ.
Der Knutschfleck war nicht von Eleanor. So viel stand fest. Doch von wem war er dann?

Wie aus dem Nichts ertönte erneut diese raue, hauchende Frauenstimme: „Und wo ist deine geliebte Freundin jetzt?"
Ich spürte ihren warmen Atmen in meinem Nacken. Auf das Schlimmste gefasst, drehte ich mich um. Doch sah ich nur die glänzende, weiße Wand hinter mir.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, während mich dunkle Erinnerungen aufsuchten und überfielen.

Der Regen hatte mich bereits eingeholt, als ich in den stickigen und nach Alkohol stinkenden Club trat.
Ich hatte ihn schon öfter besucht, meistens in Gesellschaft von Freunden. Doch dieses Mal war ich allein und hatte keine große Lust mit anderen ins Gespräch zu kommen oder erkannt zu werden.

Ich drängte mich durch zu der Bar, an welcher ein glatzköpfiger Mann Getränke verteilte und mit mürrischer Miene umher sah.
Die Musik ging unter den lauten Rufen und Gesprächen unter und die kleine Tanzfläche schien heute ebenfalls nicht gerne genutzt zu werden.

Gedankenverloren lief ich zu einem der leeren Barhocker und ließ mich auf diesen nieder. Er war so hoch, dass meine weißen Chucks in der Luft baumelten.
„Was darf es sein?", rief Glatzkopf zu mir herüber, während er sich über die vor Schweiß glänzende Stirn wischte.
Ich zuckte mit den Schultern und ließ mein Blick über die Leute gleiten, ehe ich bei einem bläulichen Getränk hängen blieb, welches eine junge Frau in der Hand hielt.

„Das", murmelte ich gleichgültig. Der Barkeeper machte sich sofort ans Werk, während ich die Ellenbogen auf der Theke abstützte und mir durch die Haare fuhr.
Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, hier hergekommen zu sein. Ich wusste, dass Eleanor es nicht mochte, wenn ich ausging und Alkohol trank, ohne ihr Bescheid zu sagen. Nicht, dass sie einer dieser Kontroll-wahnsinnigen Freundinnen waren, die einen womöglich noch eine Hundeleine umlegten.
Doch kannte sie mich und meine Vergangenheit zu gut und hatte mich versucht vom Alkohol zu entfernen.

Wenn wir zusammen feiern gingen, konnten wir beide zu tief ins Glas sehen und die Zeit aus den Augen verlieren. Eleanor war nicht eine, die um null Uhr wieder ab zischte. Doch wusste ich dennoch, dass sie es nicht gerne sah, wenn ich wie früher zum Frusttrinken neigte.
Sei es bei meinen vorigen Trennungen, dem Stress als Band, Streit mit meinen Freunden oder (wenn der Fall mal eintreten sollte) auch bei Auseinandersetzungen mit Eleanor. Dies kam aber glücklicherweise nur sehr selten vor.

„Hier", riss mich Glatzkopf aus den Gedanken und stellte mir das blau, schimmernde Getränk vor die Nase. Ich nippte daran und stellte erleichtert fest, dass es sich nicht um einen dieser versüßten Cocktails handelte, bei dem es nur ums Aussehen ging.

Ich begann zu trinken und malte mir aus, wie der Abend anderseits verlaufen wäre.
Manche in meinem Alter würden froh sein trinken zu gehen und nicht einen Liebesfilm geprägten Abend mit der Freundin verbringen zu müssen.
Doch da war ich anderer Meinung.
Wir waren schon eine so lange Zeit zusammen und wussten genau, wann wir unseren Freiraum brauchten.

Doch so sehr ich ihr auch den Abend mit ihrer Familie gönnte, stieg die Sehnsucht und die Trauer immer weiter an.
Nachdem ersten Cocktail bestellte ich mir weitere, willkürliche Getränke, dessen Namen sich nicht in mein Gehirn abspeichern ließen.
Es musste eine lange Zeit vergangen sein, als plötzlich eine raue, hauchende Stimme hinter mir ertönte: „Kann es sein, dass es sich bei diesem attraktiven, jungen Mann um den Sänger Louis Tomlinson handelt?"

Ich spürte eine Hand an meinem Arm und drehte mich so ruckartig um, dass mir einen Moment schwarz vor Augen wurde.
Schließlich sah ich in das Gesicht einer jungen Frau mit blonden Haaren. Ihr Blick war fokussiert und durchdringend und ließ Unbehagen in mir aufkommen. Sie schien auf eine Antwort zu warten, doch brachte ich kein Wort zustande.

„Warum so schüchtern?", hauchte sie mir da ins Ohr und kam noch einen Schritt näher.
Ihr Atem strich meinen Hals und hinterließ eine Gänsehaut auf dieser Stelle. Als ich plötzlich ihre Zunge auf meiner Haut spüren konnte, zuckte ich erschrocken zusammen und erwachte aus meiner Starre.

„Alter, was soll das? Ich habe eine Freundin!", rief ich panischer als beabsichtigt und stieß sie grob von mir weg, während ich meinen Hals an meiner Schulter ab strich. Das Gefühl ihres Atems blieb jedoch und ließ sich nicht mehr abschütteln.

„Und wo ist deine geliebte Freundin jetzt?", hakte die Fremde nach und schien ihr Selbstbewusstsein durch meine abweisende Art nicht ein Stück verloren zu haben.
„Was geht dich das an?", fauchte ich die Blondine an und wandte mich wieder meinem Getränk zu, welches vor mir auf der Theke stand und welche Vorgänger ich nicht mehr mitgezählt hatte.

„Sie hat dich enttäuscht" Die Fremde sah mich so durchdringend an, als würde sie hindurch in meine Seele gucken wollen.
Da ich ihren Blick selbst im Augenwinkel nicht Stand halten konnte, drehte ich mich wütend um und rief: „Nein, das hat sie nicht! Sie ist auf dem Geburtstag ihrer Mum. Und dazu hat sie großes recht!"

Ich wusste nicht, weshalb ich einer Wildfremden so viel anvertraute, wie ich es nur selten bei Vertrauten tat.
Und vor allen wusste ich nicht, weshalb sie wirkte, als würde sie mich seit Jahren kennen.
Gab das Internet wirklich so viel über einen preis, dass Jemand einen so schnell durchschauen konnte? Panisch schüttete ich den Rest des Glas in mich hinein, um sie nicht weiter angucken zu müssen.

„Tja, aber da ihr euch selten zu Gesicht bekommt, ist es unschön versetzt zu werden", sprach sie meinen Gedanken aus und jagte mir immer mehr Angst ein.
„Fuck, woher weißt du das alles?", fragte ich nach, obwohl ich hierdurch den letzten Rest meiner Seriosität in den Wind schoss.
Mein Blick wanderte von ihren blonden, glatten Haaren zu ihrem Top und der kurzen, aufreizenden Hose, welche nicht zu dem Wetter außerhalb dieses Gebäudes passte.
Ich konnte nicht leugnen, dass sie einen guten Körper hatte. Nicht zu mager, aber dennoch echte Modelmaße. Wieder musste ich an Eleanor denken und mein Magen zog sich zusammen.

„Du bist Louis Tomlinson, bist viel beschäftigt und die kleine Eleanor lebt ihr eigenes Leben, in dem du keine große Rolle spielst. Durch dich ist sie berühmt geworden und hat ihren Platz im Leben gefunden. Aber irgendwann braucht sie dich nicht mehr", antwortete die Fremde verspätet und ließ eine Übelkeit in mir aufkommen.

„Was laberst du da?", giftete ich sie an und bemerkte, dass uns Glatzkopf zusah. Seine mürrische Miene hatte sich in einen interessierten Film-anschau-Blick geändert.
Bevor ich mich nach weiteren Schaulustigen umgucken konnte, die mich womöglich noch erkannten, kam die Blondine erneut einen Schritt näher und ließ ihre Hand über meinen Rücken fahren.
Ich zuckte zusammen, doch konnte meine Hand nicht davon überzeugen ihre wegzuschlagen.
„Hör auf!", krächzte ich schließlich und konnte nicht verhindern es panisch klingen zu lassen.

„Warum? Weil du Angst hast, dass ich dir den Kopf verdrehe? Weil du Angst hast, dass die Liebe zu Eleanor das hier nicht übersteht?", fragte sie nach und begann meinen Hals zu küssen, während ihre Hand sich unter mein Shirt drängte und meine Haut streifte.
Ich saß nur regungslos da. Mein Kopf brummte von der Lautstärke, meinem Alkoholkonsum und dieser ganzen verzwickten Situation.

Immer wieder schoss mir das Bild von Eleanor in den Kopf. Ich durfte das hier nicht tun. Es war falsch. Meine Freundin hatte mir nichts getan.
Sie hatte mich nur versetzt. Nachdem wir uns fast drei Wochen nicht mehr gesehen hatten. Sie hatte nur kurzfristig abgesagt, da ihre Familie ihr wichtiger war. Sie hatte mich nur vergessen und beinahe mich nicht einmal deswegen angerufen.
Sie hatte nicht einmal darüber nachgedacht, dass ich mich drei Wochen lang auf diesen beschissenen Abend gefreut hatte.
Vielleicht war es nicht mehr das, was ich wollte. Vielleicht war die Luft einer Fernbeziehung schon längst raus.

Im nächsten Moment spürte ich unbekannte Lippen auf meinen. Bevor ich irgendetwas hätte tun können, verstärkte die fremde, spannende Frau, dessen Name ich nicht einmal kannte und die mich dennoch so gut zu kennen schien, als hätte sie seit Jahren Kontakt zu mir, den Kuss fordernd.
Er fühlte sich anders an, als die, die ich von Eleanor kannte und wirkte keineswegs zart und sanft. Ich verlor die Orientierung. Ich verlor die Kontrolle. Es war neu. Es war anders. Und genau das, was ich jetzt brauchte.

Eleanor wird mich hassen. Die Fremde drückte sich gegen meinen Oberkörper. Ich werde mich hassen. Fordernd bewegte sie mich zum Aufstehen und drängte mich zum Ausgang. Ich werde mich ein Leben lang verachten.
Sie lenkte mich weiter, bis ich irgendwann den Regen auf meiner Haut wahrnahm.

Dieses Mal übernahm ich die Oberhand und schubste sie sanft Richtung Hauswand. Sie schien den Wechsel zu genießen, war beeindruckt von meiner plötzlichen Willensstärke und ließ sich von mir weiter zur Mauer drängen. Der Regen durchnässte uns, doch das war mir gleich.
Es war viel zu aufregend und anders, als das was ich in den letzten Jahren erlebt hatte. Der Geschmack von Alkohol, Spucke und Fehlern hinterließ ein Prickeln auf meiner Zunge. Und das, das schmeckte verdammt gut.

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