Kapitel 3
Zum Glück haben wir beide diesen Donnerstag nur 4 Schulstunden, weil am Nachmittag irgendeine Lehrerkonferenz ist, trotzdem schaue ich alle paar Minuten zu der Uhr an der Wand.
Endlich ist es 11:20 Uhr und wir dürfen gehen. Meiner Mutter habe ich einfach die Wahrheit gesagt, dass ich mich endlich wieder mit Freya treffe.
Wie verabredet warte ich an dem Haupttor, direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite liegt unser Lieblingscafé. Als Freya aus dem Gebäude kommt, schlägt mein Herz sofort etwas schneller.
„Hi Freya! Wie geht's?", begrüße ich sie leicht nervös, aber mit einem aufrichtigen Lächeln.
„Gut, und dir?"
„Mir auch. Wollen wir dann?"
Zum Glück müssen wir nicht lange auf die Grünphase der Ampel warten und sind dementsprechend schnell am Café. Dieses ist zur aktuellen Uhrzeit relativ leer, der größte Andrang ist schon vorbei. Erst wieder zur Mittagspause kommen oft die Schüler aus den höheren Klassen und einige Lehrer hier her. Eben alle, die das Essen der Mensa nicht mögen und den Schulhof verlassen dürfen.
„Was hätten Sie gerne?", fragt uns die Kellnerin.
„Einen Eiskaffee bitte."
„Für mich das gleiche", sagt Freya.
Die Kellnerin nickt und notiert es sich.
„Warum genau hast du mich eigentlich gefragt, ob wir uns treffen können?", fragt Freya mich, als wir wieder alleine am Tisch sitzen.
Ich hole einmal tief Luft und gehe gedanklich schnell durch, wie ich es ihr erkläre ohne komisch zu wirken oder zu lügen - gleichzeitig will ich aber auch auf keinen Fall etwas sagen wie "Ach, ich habe mich bloß Hals über Kopf in dich verliebt und wollte ein Date!".
„Naja, wir haben echt lange nichts mehr miteinander gemacht. Und im Moment habe ich relativ viel Zeit, also dachte ich, könnte ich mich mal wieder verabreden. Außerdem bin ich in meiner Klasse zwar nicht unbeliebt, aber ehrlich gesagt, so richtige, echte Freunde wie wir es früher waren habe ich nicht."
Ich schaue ihr in die Augen und warte auf ihre Reaktion. Freya ist echt wunderschön, das muss doch jeder zugeben können. In meinem Bauch kribbelt es und ich spüre ein seltsames Glücksgefühl, so wie auch gestern, als ich sie gesehen habe. Keine Zweifel, ich habe mich komplett verliebt. Und das trifft natürlich immer die ungünstigsten Leute.
„Also... Ich würde auch gerne wieder mehr Kontakt zu dir haben. Und abgesehen davon ist meine Klasse auch nicht so dolle", sagt Freya mit einem schiefen Lächeln im Gesicht.
„Ihre Kaffees", sagt die Kellnerin und stellt unsere Gläser auf die Tischplatte. Ich liebe den Eiskaffee hier und Freya anscheinend auch. Tatsächlich kommen viele Leute nur für den Kaffee hier her, durch den das Café unter anderem seinen guten Ruf hat.
Während wir trinken, gleitet mein Blick wieder zu Freya und obwohl ich es nicht möchte, finde ich mich wieder, wie ich für einen Augenblick auf ihre Oberweite schaue. Weil wir uns gegenüber sitzen, ist es zum Glück nicht allzu auffällig, aber trotzdem peinlich. Ich versuche, nicht zu offensichtlich weg zu gucken, sondern lieber Augenkontakt herzustellen.
Ich weiß schon länger, dass ich nicht heterosexuell bin. Viele Leute sagen ja, dass sie einen Gaydar haben, von sowas kann ich aber nur träumen. Immerhin merke ich manchmal, wenn jemand definitiv nichts von mir will, nur hat das nichts mit Sexualitäten zu tun.
Ich setze mein Glas wieder ab und lege meine Hand flach auf die Tischplatte. Freya setzt ihr Glas ebenfalls ab und schaut mir für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen.
„Ich fände es echt toll, wenn wir wieder so gute Freunde wie in der Fünften werden könnten", breche ich das Schweigen und unterdrücke dabei das Zittern in meiner Stimme. „Ich mochte dich wirklich sehr als beste Freundin."
„Ich dich auch. Wir haben echt viel zusammen erlebt."
„Ja", sage ich. „Und wir haben über allen möglichen Mist geredet."
Ich muss leicht lachen, als ich an unsere gemeinsamen Erinnerungen denke. Inzwischen haben wir uns ziemlich geändert, wie es nun mal so passiert.
„Weißt du noch? Du hast immer nur Musik aus den 70ern gehört", sage ich immer noch lächelnd.
„Ich bin inzwischen deutlich offener für verschiedene Musik, als früher!"
„Ja, ich höre auch alles mögliche. Sogar ziemlich viel Metal inzwischen", meine ich. Vor zwei Jahren hatte ich noch exakt zwei Bands, deren Musik ich mochte. „Kennst du eigentlich girl in red?", frage ich, vielleicht, ganz vielleicht, sagt sie ja Ja.
***
Wieder Zuhause kann ich nicht aufhören, an Freya zu denken. Ich weiß genau, worauf das hinauslaufen wird. Inzwischen kenne ich mich gut genug damit aus, wie starken Liebeskummer ich bekomme, auch bei noch so kleinen Schwärmereien. Meinen ersten kleinen "Crush", wenn auch eher freundschaftlich, hatte ich in der zweiten Klasse und sogar dem habe ich monatelang hinterher getrauert.
Wenn ich meine Gefühle in mich hineinfresse und ignoriere oder verdränge wird es nur schlimmer, also bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, es wenigstens zu versuchen. Aber dafür sollte ich erst mal rausfinden, ob Freya straight ist - was sie bei meinem Glück bestimmt ist, sonst fresse ich einen Besen. Ich kann sie ja nachher oder morgen anschreiben und versuchen die Unterhaltung zum Thema LGBTQ+ zu lenken.
Um halb sieben gibt es Abendessen, heute schlichte Nudeln mit Brokkoli und Reibekäse. Was an sich sogar ganz gut schmeckt, nur esse ich es gefühlt jeden Tag, an dem es keine Tiefkühlpizza gibt.
Schweigend nehme ich mir eine zweite Portion. Die Uhr tickt leise und das Besteck meiner Mutter klirrt, als sie es auf ihrem Teller ablegt. Ich spüre mein Handy in der Hosentasche summen, die Nachricht werde ich mir gleich in Ruhe anschauen. Ansonsten ist es still.
„Hey, ich wollte dir nur nochmal sagen, dass ich unser Treffen vorhin echt schön fand, danke für die Einladung 😊"
Ich muss lächeln als ich sehe, dass sie von Freya stammt.
„Gerne doch :) Und schön, dass es dir auch gefallen hat, können wir gerne wieder machen."
„Gerne, klingt gut! 😘"
„☺️
Hast du eigentlich mitbekommen, dass an unserer Schule vielleicht eine Regenbogenflagge aufgehängt werden soll?"
„Ja, hat unser Klassenlehrer erzählt. Ich finde das voll cool :) Du?"
„Ich finde es auch total gut, ich meine, es ist ja ein großes Zeichen für Toleranz und so. Ich finde, LGBTQ+ sollte generell mehr Repräsentation bekommen."
„Finde ich auch, manche meiner Freunde gehören auch zur Community."
„Oh cool, ich kenne da tatsächlich auch jemanden.
„Um ehrlich zu sein, ich gehöre selber dazu.
Ich kann mich in alle Geschlechter verlieben. 😅"
„Das wusste ich gar nicht, bist du pansexuell?"
„Sowas in der Art, ja. Omnisexuell bzw omniromantisch passt besser, aber den Begriff kennt so gut wie niemand. Im Grunde bedeutet beides, dass man alle Geschlechter mag, nur manchmal passt ein Label eben etwas besser, zum Beispiel wenn man sagt, man unterscheidet je nachdem, ob man Präferenzen hat oder nicht. (Ich hoffe, ich nerve dich nicht zu sehr ^^)"
„Nein, alles gut! Ich beschäftige mich in letzter Zeit eh mehr mit dem Thema Sexualität und Geschlecht, nur im Internet bekommt man meistens keine so guten Erklärungen. 😘 Und wenn doch, dann findet man irgendeine Seite, die etwas anders behauptet."
„Na dann ist ja gut :)"
„Ich muss dir was sagen, ok?"
„Schieß los"
„Wirkt vielleicht seltsam...
Die Sache ist die, dass ich nie wirklich jemanden zum Reden hatte. Ich meine, eine Mutter kümmert sich wie du weißt alleine um mich und ich habe zu große Angst vor ihrer Reaktion, wenn ich ihr sage, dass ich glaube, lesbisch oder bi zu sein."
„Du kannst immer zu mir kommen, wenn du jemanden zum Reden brauchst, ich supporte dich auf alle Fälle 😘🏳️🌈"
„Danke ❤ 🥺
Ich finde es voll schön, dass wir nach den Jahren immer noch so offen miteinander reden können.💓"
„💞"
„💕"
„Mal eine Frage, ihr habt ja in Geschichte bestimmt auch gerade den zweiten Weltkrieg, habt ihr zufälligerweise schon die Quelle 5 auf Seite 147 besprochen? Ich verstehe nämlich den einen Satz nicht wirklich."
„Ahh shit, Geschichte! Danke, dass du mich erinnerst, ich habe unsere Hausaufgaben voll vergessen 😣 Aber wir sind erst bei Seite 144, tut mir leid"
„Ach, alles gut. Wir können auch einfach morgen noch einmal schreiben
Wenn ich irgendwie helfen kann, sag Bescheid."
„Danke, aber ich muss zum Glück nur was aus einem Verfassertext raussuchen. Wir schreiben aber wahrscheinlich bald eine Arbeit, da könnte ich etwas Hilfe beim Lernen gebrauchen :')"
„Klar. Vielleicht kannst du mir bei Deutsch irgendwann helfen? Ich komme mit diesen Gedichtsinterpretationen gar nicht klar 😅"
„Okay, wir können uns gerne bald mal für die Schule treffen. Ach, und hättest du übermorgen vielleicht Lust in die Eislaufhalle hier zu gehen oder so? Wollte da nämlich sowieso mal wieder hin."
„Ich wusste gar nicht, dass du Eislaufen magst, cool."
„Ich liebe es! ^^"
„Ich auch 😍😄"
„☺️
Treffen wir uns früh? Dann ist weniger Gedränge und das Eis ist noch nicht so kaputt."
„Ja, gerne"
„Bis morgen in der Schule dann =)"
„Bis morgen :)"
Oha. Ich habe mit allem gerechnet, nur nicht damit. Ich habe mich gerade geoutet und Freya ist nicht straight.
Ich brauche einen Besen, und zwar schnell. Okay, vielleicht eher ein Beruhigungsmittel.
Auf alle Fälle bin ich aber so erleichtert wie noch nie. Ich meine, ich muss mich endlich mal nicht verstecken und Glück habe ich auch noch! Ich spüre eine so große Welle von Befreiung die mich innerlich überrollt, dass mir schon beinahe Freudentränen in die Augen steigen.
Einen Moment später kommen aber auch die Zweifel: Wenn Freya einfach hetero wäre, könnte ich mir keine falschen Hoffnungen machen. So kommt für sie aber jede Person infrage, ich weiß ja nicht auf was, beziehungsweise wen Freya steht. Wahrscheinlich mag sie mich doch nur freundschaftlich, vielleicht hat sie sogar einen Freund...
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