Kapitel 14
"Charlie, ich will ja eigentlich nur, dass du glücklich bist. Seit ihr zusammen seid, bekomme ich dich kaum noch zu Gesicht und wenn doch, wirkst du immer enorm bedrückt. Ich mache mir Sorgen, dass du gemobbt werden könntest, weil du anders bist. Und dass das vielleicht alles meine Schuld ist, weil ich etwas falsch gemacht habe", sagt meine Mutter zu mir, kaum dass Freyas Schritte verhallt sind.
Sobald die Worte anders und falsch ihren Mund verlassen haben, fühle ich wie einen Stich in meinem Herzen, der mich zur Verzweiflung treibt.
"Das einzige was du falsch machst ist, mich einfach nicht zu akzeptieren! Ich wäre glücklich, wenn du mich mein Leben in Frieden leben lassen würdest, wie ich möchte. Ich bin nicht komisch, sondern ganz normal, egal ob andere das sehen können oder nicht. Und Freya und ich lieben uns, das kannst du nicht verbieten."
"Charlie..." Sie seufzt.
"Weißt du, als ich mit Papa zusammen gekommen bin, meinten meine Eltern, er würde mir nicht gut tun. Ich war ja schon über zwanzig und dachte darum, ich wüsste es besser. Und dann ist alles schief gelaufen, er hat sich kaum gekümmert und ist schließlich abgehauen, wie du weißt. Ich will nicht, dass du den gleichen Fehler begehst wie ich damals und dich in eine Beziehung stürzt, die dir schlussendlich nur schadet. Gerade mit einem Mädchen, am Ende könntest du auch noch deine ganzen Freunde verlieren."
Mir schießen tausende boshafte Antworten durch den Kopf, wie zum Beispiel: Ich würde ja nicht gleich eine Familie in die Welt setzen, um die ich mich dann doch nicht sorgen kann. Oder, ich würde, nur weil meine Mutter ihr Leben nicht auf die Reihe bekommt, nicht zwangsläufig auch auf voller Länge versagen.
Aber mir ist bewusst, wie sehr ich die Situation damit nur verschlimmern würde - mal ganz abgesehen davon, dass es ganz sicher nicht ihre Schuld war, dass Papa uns verlassen hat.
Ich bin wütend und würde sie am liebsten anschreien, gleichzeitig ist sie selber auch nur verletzt und hat Angst um mich, also sollte ich mich wohl etwas zurückhalten.
"Es ist doch nichts schlimmes dabei, mit einem Mädchen zusammen zu sein", entgegne ich.
Trotzdem, ganz vorbei kommen wird sie nicht an einer bissigen Antwort.
"Und meine Freundinnen, die übrigens deutlich toxischer sind als meine Beziehung, sind auch vollkommen okay damit. Weißt du, die berühmte Jugend von Heute ist nicht mehr ganz so verklemmt wie im letzten Jahrtausend alle waren. Ich ziehe Freya auch nicht in irgendwelche Probleme rein, die deiner Fantasie entspringen, sie ist nur einfach immer für mich da, wenn ich sie brauche. Und du... du meintest doch neulich noch, dass die Pubertät zum Ausprobieren und Entdecken da ist. Oder etwa nicht?"
"Ja, im Grunde hast du ja Recht, ich mache mir doch nur Sorgen, Charlie. Wenn irgendetwas ist, du unglücklich bist oder doch Probleme hast, dann komm zu mir, ich bin für dich da."
Sie macht einen Schritt auf mich zu und nimmt mich in die Arme. Zögerlich erwidere ich die Umarmung und vergrabe mein Gesicht in ihrer Schulter.
Leise sagt meine Mutter: "Ich habe mich außerdem ein bisschen informiert, über Geschlechter und so. Ich verstehe es nur trotzdem nicht ganz, magst du mir genauer erklären, wie du dich fühlst? ...Oder - wie du bist?"
"Also, das ist ein bisschen komplizierter", flüstere ich, während meine Augen feucht werden. "Du fühlst dich ja als Frau, richtig? Und Opa ist ein Mann. Aber es gibt auch Leute, die sich als beides identifizieren können, oder als keins von beiden so richtig, die Leute sind dann einfach gesagt nonbinary. Und... bei manchen ändert sich das auch, aber das ist dann keine Phase oder so. Ich-"
Ich schlucke und atme einmal durch.
"Ich bin kein Mädchen, sondern nonbinary. Manchmal bin ich ein bisschen Mädchen, aber manchmal auch etwas anderes. Ich möchte nicht als Mädchen wahrgenommen werden."
Inzwischen laufen mir die Tränen in Strömen über das Gesicht und meine Stimme wird immer zittriger.
"Ich bin keine junge Frau, sondern einfach ein Mensch. Ich bin nicht deine Tochter, sondern einfach dein Kind. Und ich bin auch keine Sie. Weißt du, seit ich denken kann schieben mich alle Leute durchgehend in eine Rolle, die mir gar nicht entspricht! Ich dachte jahrelang, jeder würde sich fühlen, als wäre man komplett fehl am Platz, einfach falsch. Aber anscheinend gibt es Leute, die deren Pronomen und Körper richtig finden. Ich wusste bis neulich gar nicht, wie sich das anfühlt."
Ein kleiner, verzweifelter Laut entringt sich meiner Kehle, halb Lachen, halb Schluchzen.
"Wenn du- Welche Pronomen soll ich denn dann für dich nehmen?"
"Ich weiß nicht, vielleicht er? Oder dey? Em? Xier? Im Deutschen ist das alles so kompliziert. Könnten wir sonst ein bisschen ausprobieren, was am besten passt?"
"Ja, du musst mir aber erklären, wie ich diese dey em und xier Pronomen richtig verwende. Und ich verstehe noch nicht ganz, wie du dich als etwas anderes als männlich oder weiblich fühlen kannst - Ich kann es mir einfach nicht vorstellen", sagt sie.
"Ich glaube, das geht auch nicht so einfach. Du kannst ja auch keinem Farbenblinden erklären, wie rot aussieht. Aber der kann ja trotzdem verstehen, dass es rot gibt und rote Erdbeeren auch trotzdem mögen, oder? Und was die Pronomen angeht, ich kann dir ja mal so Beispielsätze aufschreiben oder so."
"Stimmt. Weißt du Charlie, ich liebe Erdbeeren. Und ich liebe dich."
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