H - Ortskenntnisse

"Und, ist das Wetter gut?" fragte Gemma mich am Telefon, als ich am nächsten Tag mit ihr telefonierte. Wir hatten im Hotel eingecheckt in Neapel und würden eine Sightseeing Tour machen.
Geplant war eine Stunde bis zur Abfahrt, die ich damit verbrachte, mir ein Outfit auszuwählen und mit meiner Schwester zu telefonieren.
"Wieso fragst du nicht, was du wirklich fragen willst, Gems?" fragte ich, ohne ihre Wetterfrage zu beantworten. Schließlich war es Juni und ich war in Südeuropa. Wie sollte es schon sein, außer warm und sonnig. 

"Gut, wie du willst. Wie sind die anderen Singles so?" 
Die Neugierde hörte ich ganz eindeutig heraus und verdrehte instinktiv die Augen. Louis schoss mir augenblicklich in den Kopf und erschrocken schüttelte ich den Gedanken direkt ab.
"Aufdringlich", rutschte es mir heraus und bereute es in dem Moment, in dem ich es sagte.
"Wieso?" 
Seufzend setzte ich mich auf das Bett und berichtete meiner Schwester alle Details, seit ich hier am Flughafen angekommen war. Ich endete meine Erzählung mit meinem Abgang aus der kleinen Bodega, in welcher ich Louis hatte sitzen lassen. Gemma brauchte einen Moment, um zu antworten.
"Er scheint dir zu gefallen." 
"Man, Gemma! Das habe ich nicht gesagt. Würde er mir gefallen, dann wäre ich doch nicht gegangen!" verteidigte ich mich, woraufhin sie lachte. 
"Haz, es ist doch nicht schlimm, wenn dir jemand gefällt. Du sollst ihn doch nicht gleich heiraten. Tu dir selbst einen Gefallen und lass dich ein bisschen umgarnen. Nach den letzten Jahren, Harry du weißt, ich liebe dich. Aber du musst wieder anfangen, zu atmen." 

Ich wusste, wie sie das meinte und seufzte leise auf. Irgendwann einmal hatte sie zu mir gesagt, ich würde herumlaufen, als ob ich nur noch ein atemloser Geist wäre. Eine Hülle meiner Selbst und ich wusste, was sie damit gemeint hatte. Denn es war so, ich fühlte mich, als könne ich nicht richtig atmen. 
Ich sah aus dem Fenster und kaute auf meiner Lippe. 
"So einfach ist das nicht", sagte ich leise. 
"Ich weiß, Haz", antwortete sie sanft. "Aber zwei Jahre sind genug. Versuch es bitte, tu's wenigstens für mich. Du kannst dich nicht ewig verkriechen." 
Gemma hatte recht und das wusste ich eigentlich auch. Ich durfte mich nicht den Rest meines Lebens verstecken, auch wenn es das ist, was ich wollte. Irgendwann musste ich anfangen, wieder nach vorne zu sehen.
"Vielleicht gehe ich mit den anderen was trinken", murmelte ich unschlüssig, woraufhin Gemma mir ganz begeistert gut zuredete. Sie machte mir Mut, auf ihre Art. Gemma war für mich, neben meiner Mom, immer ein Fels in der Brandung gewesen. Ich wusste, dass ich ihr und ihrem Urteil vertrauen konnte. Also versprach ich ihr, mich ein wenig zu lockern.

Wir verabschiedeten uns kurze Zeit später, als es für mich los ging zu der Sightseeing Tour. Im Bus angekommen setzte ich mich in einiger Entfernung zu Louis und Niall, die mit dem Jungen von gestern, Tommi, zusammensaßen und aufgeregt miteinander diskutierten. Ich verstand nicht ganz, um was es ging.
"Hey, Harry!" sagte Louis und ich drehte den Kopf zu ihm. Er strahlte mich an und ich zwang mich zu einem Lächeln.
"Hallo", antwortete ich schlicht, setzte mich dann und nahm den Sprachführer in die Hand.
Louis tauchte keine Sekunde später neben mir auf und schaute auf das Buch, dann zu mir.
"Ich kann dir Italienisch viel besser beibringen als dieser Schinken da!" 
Ich sah zu ihm und zuckte mit den Schultern. "Ich lerne lieber allein." 
Er lächelte und schüttelte den Kopf. "Dann macht's doch keinen Spaß. Aber wie du willst! Du weißt ja, wo du mich findest!" entgegnete er, ehe er zurück zu Niall und Tommi ging und sich in seinen Sitz warf. 

Ich sah zu ihnen und mir fiel auf, wie der Blondschopf Louis ansah. Er himmelte ihn förmlich an und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, ehe ich aus dem Fenster sah. Anscheinend hatten Topf und Deckel sich dort bereits gefunden. Als der Bus startete, konzentrierte ich mich auf Giovanni, der vom Fahrersitz aus mit einem Mikrofon die verschiedenen Sehenswürdigkeiten aufzählte und die dazugehörigen Geschichten zum Besten gab. Es war unheimlich interessant und alles, was ich durch das Fenster sehen konnte, begeisterte mich. 

Giovanni ließ uns zwei Stunden später aus dem Bus, damit wir die Stadt allein erkunden konnten. Dies gehörte offensichtlich zum Repertoire der geführten Reise, denn er empfahl uns mit einem Augenzwinkern, dass wir uns in kleinen Grüppchen aufteilen sollten. 
"Am Besten zu zweit, eh? Neapel ist romantisch!" sagte er zu Niall und strahlte ihn an. Dieser sah zu Louis und Tommi.
"Ich habe eher Lust auf einen Dreier mit viel Bier!" scherzte er und klatschte mit Louis ein, der ganz begeistert nickte. Eindeutig hatten diese drei Männer Lust, die ganze Reise lang zu feiern und Spaß zu haben.
Ich nahm mir meine Kopfhörer, um wie geplant allein loszuziehen. Ehe ich sie in die Ohren stecken konnte, legte sich eine Hand auf meine Schulter und ich drehte den Kopf zur Seite. Louis sah mich lächelnd an. 
"Was würdest du tun, wenn der Vulkan jetzt ausbricht?" 

Ich sah in die Richtung, in die er mit dem Kopf nickte und bemerkte erst jetzt, dass sich vor uns der Vesuv, ein gewaltiger Vulkan, emporhob. Ich hatte gelesen, dass Neapel am Fuße des Vesuv lag, doch ich hatte nicht damit gerechnet, ihn so prominent sehen zu können.
"Weglaufen?" sagte ich schulterzuckend nach einer Weile und sah ihn an. 
Louis lachte. "Also ich würde versuchen, dich zu retten", sagte er und zwinkerte mir zu, woraufhin ich hilflos leise lachte. Er hatte anscheinend immer einen frechen Spruch auf den Lippen. Eine Tatsache, die mich aus dem Konzept brachte. 
"Das ist nobel von dir", antwortete ich wenig kreativ. 
Doch Louis strahlte mich an und nickte. "Sehr! Also, wirst du wieder allein durch die Straßen wandern, oder schließt du dich uns an?" fragte er ganz direkt. 

Ich sah zu Niall und Tommi, die gerade spielerisch miteinander zu Boxen schienen und konnte nicht anders, als die Augen zu verdrehen. 
"Ziemlich viel...Energie. Ich denke..." setzte ich zunächst an, dann sah ich in Louis' Augen und erinnerte mich an Gemma's Rat, der wohl viel mehr eine Bitte gewesen war. Und mein Versprechen, dass ich mich bemühen würde. 
"Ich habe gehört, dass es in Neapel die beste Pizza der Welt gibt", sagte ich also leise, mit unsicherem Unterton. 
Mein Gegenüber strahlte noch mehr, wenn das überhaupt möglich war. "Die will ich auch ausprobieren! Na komm!" Er griff einfach nach meiner Hand und zog mich mit, was ich zunächst geschehen ließ, weil er mich damit überrumpelt hatte. 
Als wir bei den anderen ankamen, zog ich sie jedoch schnell wieder weg und vergrub meine Hände in den Taschen meiner Hose. Louis warf mir einen entschuldigenden Blick zu, ehe er in die Hände klatschte.
"Auf geht's Jungs! Pizza und Bier erwarten uns! Andiamo!" 

***

Drei Stunden später hatten wir die Pizza, die wirklich unwahrscheinlich gut gewesen war, hinter uns gelassen und ich hatte mich von Louis, Tommi und Niall überreden lassen, Aperol Spritz mit ihnen zu trinken. 
Wir hatten eine kleine Bar am Wasser gefunden, auf deren Terrasse Loungesessel standen. Italienische Musik drang aus den Boxen, eine leichte Brise war aufgekommen und die Luft war herrlich frisch. Wir saßen in den Sesseln und Niall erzählte lautstark Geschichten aus seiner irischen Heimat, Mullingar, während die zweite Runde Aperol bereits auf dem kleinen Tisch vor uns stand. Ich hielt mich zurück, hörte den Männern zu und nippte an dem bitteren Getränk. Es schmeckte und gedanklich schrieb ich es auf die Liste der Drinks, die ich zuhause sicher auch an dem ein oder anderen Tag wieder genießen würde. 

"Harry, du bist so still. Erzähl mal, wo kommst du eigentlich her?" fragte Niall mich irgendwann, als er seine Tirade beendet hatte und nun sahen mich drei Augenpaare neugierig an. 
"Holmes Chapel, das kennt ihr sicher nicht", antwortete ich bemüht lässig. Louis hob protestierend die Hand.
"Doch, ich kenne das!" rief er und ich sah ihn überrascht an. "Wirklich?" fragte ich und Louis nickte. 
"Ja, ich war mit meiner Familie schon ein oder zweimal dort. Es ist eine schöne Gegend!" antwortete er lächelnd und ich nickte zustimmend. "Natürlich nicht so schön wie Doncaster!" warf er frech hinterher und ich schnaubte.
"Doncaster ist definitiv nicht schöner als Holmes Chapel!" konterte ich, anscheinend musste man ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen. 
Er sah mich überrascht an. "Woher willst du das wissen? Warst du schon mal da?" fragte er. 

Ich nickte und sah auf mein Glas. "Ich habe drei Jahre dort gelebt", gab ich leise zu und als ich wieder zu ihm blickte, erkannte ich die Überraschung in seinem Ausdruck. Er wirkte sprachlos und ich musste lächeln, ein leichter Stolz kam in mir auf. Ich hatte diesen frechen Kerl aus dem Konzept gebracht, das gefiel mir. 
"Wieso hast du nichts gesagt?" fragte er mich.
Ich zuckte mit den Schultern, antwortete nichts, denn ich wusste nicht, wie ich das begründen sollte. Über den Grund, wieso ich nach Doncaster gezogen war, wollte ich nicht reden, auf keinen Fall. Aber anlügen wollte ich ihn auch nicht, also beließ ich es bei dem Schulterzucken. Er wirkte auf mich, als würde er es erkennen, denn er nickte leicht. 
"Finde ich cool, dann kennst du dich ja bereits aus", sagte er, grinste dann frech. Ich musste leise lachen und schüttelte den Kopf. 
"Ich bezweifle, dass ich meine Ortkenntnisse je wieder brauchen werde." 
"Sei dir da mal nicht so sicher, Harry!" entgegnete er mit diesem eindeutig flirtenden Ton in seiner Stimme.

Ich schmunzelte und atmete tief durch, sah auf das Wasser vor uns und dachte über seine Worte nach. Ich war mir mehr als sicher, dass ich sie nicht brauchen würde, doch ich sparte mir die Antwort. 
Während die Männer das Thema wechselten und zu Fußball übergingen, spürte ich seinen Blick überdeutlich auf mir. Und so sehr ich mich auch dagegen sträubte, verselbstständigte sich mein Körper und ich erwiderte den Blick. 
Seine Augen leuchteten amüsiert und er prostete mir zu, entlockte mir damit ein kleines Lächeln, weshalb ich scheu auf mein eigenen Glas schaute und es an meine Lippen hob, um davon zu trinken. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee gewesen, den Tag mit diesen drei Chaoten zu verbringen. 

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