H - Dann bin ich Santa!
Ich stockte und sah zu Louis, der sich vor meinem Tisch aufgestellt hatte und mit verschränkten Armen zu mir hinunterblickte.
Sein Grinsen war frech und er legte den Kopf schief.
"Ich habe dich nicht beobachtet", sagte ich sofort und zog die Augenbrauen zusammen.
Aus seiner Kehle drang ein leises Lachen und er nahm die Sonnenbrille ab, schob sie sich in die Haare und sah mir in die Augen.
Sein strahlendes Blau faszinierte mich für einen Moment, weshalb ich blinzelte und der Griff um mein Weinglas verfestigte sich. Er beobachtete mich amüsiert und zwinkerte mir zu, als ich wieder zu ihm sah.
"Wieso sitzt du hier so alleine? Du weißt, dass diese Reise dafür da ist, Leute kennenzulernen, oder?" fragte Louis mich und in seiner Stimme war echte Neugier herauszuhören. Ich seufzte leise und lehnte mich mehr zurück.
"Ich will niemanden kennenlernen."
Der Braunhaarige schien augenscheinlich einen Moment nachzudenken, ehe er sich zu Niall umdrehte. "Ich komme nach! Geht schonmal!" rief er, die Beiden nickten und verschwanden, und ich öffnete den Mund um zu protestieren, doch er hob die Hand als Zeichen, dass ich nicht reden sollte. Aus irgendeinem Grund hörte ich darauf und schloss die Lippen wieder zusammen.
Er sah zu den Leuten am Nebentisch und setzte ein charmantes Lächeln auf.
"Mi dà la sedia, per favore?" fragte er, woraufhin die älteren Leute nickten.
Louis zog den Stuhl heran, während er fröhlich "Grazie!" rief und einen Augenblick später saß er mir gegenüber an meinem Tisch und sah mich mit einem breiten Lächeln an.
Fassungslos sah ich ihn an.
"Was soll das?" fragte ich unwirsch und musterte ihn.
Louis zuckte mit den Schultern. "Schon vergessen? Wir sollen uns hier kennenlernen. Ich würde dich gerne kennenlernen."
Ich seufzte und schüttelte den Kopf, nahm einen großen Schluck meines Weines und sah ihn nicht mehr an. Das war genau das, was ich nicht wollte. Ich wollte weder jemanden kennenlernen noch meine Sommerabende hier in Italien mit irgendwem teilen. Ich ließ die Flüssigkeit in dem schmalen Glas herumschwingen und schloss eine Sekunde die Augen. Vielleicht war er dann ja weg.
"Das Hemd steht dir fantastisch."
Seine helle, weiche Stimme ließ mich die Augen wieder aufschlagen und ich sah direkt in seine. Er fing an zu lächeln. "Grün."
"Grün?"
Er beugte sich vor und stützte die Unterarme auf dem Tisch ab, sah mich weiter an und lächelte. "Deine Augen sind grün. Das finde ich schön, du hast schöne Augen."
Wortlos sah ich ihn an und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Zu sehr kamen Erinnerungen hoch an ein Kennenlernen, dass sich ähnlich abgespielt hatte. An Zeiten, die besser waren.
"Aber sie sind irgendwie traurig."
Ich presste die Kiefer aufeinander und blickte auf den See hinter ihm, trank einen weiteren Schluck, bis das Glas leer war.
Zittrig griff ich nach der Karaffe, im selben Moment wie mein Gegenüber und als unsere Finger sich berührten, zuckte ich leicht zusammen und zog die Hand zurück. Es fühlte sich beinahe an wie ein kleiner Stromschlag und ich sah Louis erschrocken an.
Er schmunzelte, griff nach der Karaffe und schenkte mir Wein ein, ehe er sie zurückstellte und seine Finger ineinander verschränkte.
"Willst du dich uns vielleicht anschließen, Harry?"
Die Art, wie er meinen Namen sagte, ließ mich nervös werden und ich schüttelte den Kopf sofort. "Nein, danke."
"Sicher? Wir gehen genau wie du nur etwas trinken."
Er versuchte es weiter, zog eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche und zündete sich eine an, nahm einen tiefen Atemzug, sah mich währenddessen die ganze Zeit an.
"Ich bin nicht daran interessiert, mich sinnlos zu besaufen."
Er lachte laut auf. Ein glockenklares, sorgloses Lachen.
"Wer sagt denn was von sinnlos betrinken? Wir sind im Urlaub, wir lassen es uns gut gehen! Komm schon, Harry. Ein Getränk!" bat er mich.
Er setzte einen Hundeblick auf und ich schluckte wieder leicht, konnte meine Augen nicht abwenden und kaute nervös auf meiner Lippe herum.
Louis schien genau zu wissen, wie er sich geben musste, wenn er etwas wollte. Dennoch konnte ich mich selbst nicht dazu bringen, zuzustimmen. Ich war noch nicht so weit. Also schüttelte ich erneut den Kopf.
Sein Lächeln verschwand und er musterte mich ein wenig eindringlicher. Als die Kellnerin an unseren Tisch kam, sah er sie fröhlich an und zeigte auf meinen Wein.
"Un secondo bicchiere per favore", sprach er und ich runzelte die Stirn.
"Was hast du zu ihr gesagt?" fragte ich ihn sofort.
"Ich habe ein zweites Glas bestellt. Wir beide trinken jetzt nämlich ein Glas zusammen und danach lasse ich dich wieder Trübsal blasen", sagte er schlicht.
Ich riss die Augen auf. "Nein, hör auf!" protestierte ich sofort.
"Wieso?" fragte er, sein Lächeln blieb weiterhin unbeirrt in seinem Gesicht und sein Blick war ganz warm.
"Ich hatte bereits gesagt, dass ich..."
"Ja, ich weiß!" unterbrach er mich. "Aber komm schon, es ist so schön hier und du sitzt hier so allein und wirkst so traurig, das kann ich nicht durchgehen lassen."
Ich sah auf meine Hände und schüttelte den Kopf.
"Ich bin nicht traurig", sagte ich halbherzig.
Wieder dieses Lachen. "Okay, dann bin ich Santa! Wart's nur ab, heute Nacht komme ich durch den Kamin geschossen!"
Ich wollte es gar nicht. Ich wollte es wirklich nicht, doch aus meiner Kehle drang ein leises Lachen, dass ich nicht unterdrücken konnte.
Ich sah ihn an und er grinste zufrieden. Seine ganze Körpersprache war so unglaublich selbstbewusst, dass ich nicht umhin konnte, den Blick schweifen zu lassen. Er hatte einen gut trainierten Körper, auch wenn er schmal gebaut war. Louis sah sehr gut aus.
"Geht doch! Also, ich rate mal wild ins Blaue. Du hast eine hässliche Trennung hinter dir und traust dich jetzt das erste Mal wieder raus. Bin ich auf der richtigen Spur?" Er lehnte sich zurück und musterte mich interessiert.
Ich ließ die Schultern hängen und schüttelte den Kopf.
"Falsch."
Er neigte den Kopf und fuhr sich mit dem Finger über die schmalen Lippen. Zu meinem großen Schock löste die Geste etwas in mir aus und ich schluckte und spannte mich leicht an. Louis schien es nicht zu merken und wenn doch, dann ließ er es sich nicht anmerken.
"Also keine Trennung?" fragte er, sein Ton war deutlich sanfter geworden und ich zuckte mit den Schultern.
"Ich schätze, das ist Auslegungssache", antwortete ich nach kurzem Überlegen.
Mein Kopf füllte sich mit Erinnerungen und ich schüttelte ihn leicht, um sie zu verbannen, sah zu Louis und wusste nicht, was ich ihm antworten sollte. Also beschloss ich, das Thema zu wechseln.
"Du bist also auf dieser Reise um jemanden ernsthaft kennenzulernen?" fragte ich ihn.
Er lachte leise und schüttelte den Kopf. "Kann man das wirklich auf so einer Reise? Ich meine, die große Liebe finden? Ich glaube nicht. Aber wir alle hier sind mit der gleichen Ausgangslage da. Wir sind Singles und wollen etwas erleben!" erklärte er mir.
Ich bezweifelte, dass meine Ausgangslage die gleiche wie seine war, doch ich sprach diesen Gedanken nicht aus. Er weckte in mir Interesse daran, mehr über seine Ansichten zu erfahren.
"Du willst also rumvögeln?"
Kurz war er perplex, dann fing er an zu lachen. "So habe ich das nicht gemeint", sagte er und nahm sein Glas, dass ihm die Kellnerin gebracht hatte, ohne dass ich es überhaupt gemerkt hatte.
Er füllte es mit Wein und trank einen großen Schluck, sah über den Glasrand hinweg in meine Augen, ein schelmischer Ausdruck entstand darin.
"Ich will Italien erleben, hin und wieder etwas trinken und Spaß haben!" erklärte er mir.
"Aber gegen Sex ist nun auch nichts einzuwenden", fügte er mit einem Zwinkern in meine Richtung hinzu.
Ich wurde rot, ohne dass ich es kontrollieren konnte, und sah weg von ihm in Richtung See. Mittlerweile war es dunkel und nur die Laternen und der Mond über uns im sternenklaren Himmel tauchten die Umgebung in ein gemütliches Licht.
Louis brachte mich irgendwie aus dem Konzept und ich wusste nicht damit umzugehen. Prompt entwickelte sich in mir ein schlechtes Gewissen, dass ich überhaupt ein Gespräch zugelassen hatte. Also legte ich hastig Geld auf den Tisch und sah ihn nicht mehr an.
"Ich muss jetzt schlafen. Wir sehen uns morgen", sagte ich leise und stand auf.
Bevor ich weglaufen konnte, schlang sich seine Hand um mein Handgelenk und erschrocken sah ich zu ihm.
Er lächelte mich sanft an.
"Schlaf gut, Harry. Wir sehen uns morgen." Seine Stimme war so warm wie Honig und ging mir geradewegs unter die Haut.
Ich öffnete den Mund, schloss ihn jedoch gleich wieder und befreite mich aus seinem Griff, ehe ich in eindeutig viel zu schnellen Schritten den Rückweg zum Hotel antrat. Mein Herz pochte wild in meiner Brust und ich wurde immer schneller, bis ich den Rest des Weges fast schon rannte.
Sowie ich im Zimmer war, schossen mir Tränen in die Augen, die ich grob wegwischte und den Kopf schüttelte, bevor ich die Dusche anstellte und mich entkleidete.
"Hör auf zu heulen", murmelte ich zu mir selbst und stellte mich anschließend unter das heiße Wasser und schloss die Augen.
Tristan's Gesicht tauchte vor mir auf und ich biss mir fest auf die Lippe. Das hier war ein Fehler gewesen, diese Reise anzutreten war völlig verrückt und es passte auch nicht zu mir. Was hatte sich Gemma nur dabei gedacht?!
Wie sollte ich überhaupt je wieder Spaß an etwas haben? Ich wusste nicht, wie das möglich sein sollte.
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