Prolog

Der Saal ist voll. Zum Kotzen glückliche Gesichter umgeben Lee. Alle warten auf ihren Partner. Nun ja, nicht direkt ihren Partner. Das geht ja nicht. Das Auge. Sie bekommen ein Foto eines Auges ihres Partners. Die Regierung hat das System erfunden, damit sie die Bürger etwas kontrollieren können. Sie hatten eine Akte von jedem, in dem alles steht. Darauf basiert wählt ein Computer die Partner aus. 

Dieses Jahr ist sie dran. Sie glaubt nicht an diesen ganzen Schwachsinn. Weder an das Augensystem noch an die Liebe. Irgendwann wird man halt an einen Partner gefesselt und muss den Rest seines Lebens mit ihm verbringen. Oder man stirbt alleine.

Sie bevorzugt die zweite Variante. 
Gespannt warten alle auf den Repräsentanten der Regierung. 
Gelangweilt blickt sie sich im Saal um.

Er ist fast schon überfüllt. Es stehen keine Tische oder Stühle im Saal. Die einzige Sitzmöglichkeit ist der Boden. Ihr Blick schweift durch die Menge.

Ganz Philadelphia scheint sich hier versammelt zu haben. Sie kann es nicht glauben. Die Regierung hat einfach mal die sechstgrößte Stadt der USA mit ungefähr 1,6 Millionen Einwohnern in einen einzigen, riesigen Saal gequetscht. Wobei Lee eigentlich nur Kinder sieht. 

Lee ist wirklich nicht scharf auf dieses Auge. Was soll sie denn mit dem Auge ihres Partners? Das bringt ihr doch nichts. Natürlich, sie könnte ab heute jedem tief in die Augen schauen und diese Augen bis ins kleinste Detail mit dem Auge auf ihrem Bild vergleichen, aber das wäre wohl ziemlich übertrieben.

Lees Gedanken schweifen zu sich nach Hause. Ihre Mutter hatte ihr immer wieder gesagt, wie wichtig das doch sei. Ihre genauen Worte waren: »Schätzchen, finde deinen Partner schnellstmöglich. Du willst doch nicht etwa alleine sterben, oder?« Lee hatte nur die Augen verdreht. 

Jeder zwölfjährige des Landes ist in diesem Moment aufgeregt in einem Saal. Es ist doch lächerlich. Die Zeit ist gekommen. Mit zwölf Jahren bekommt man das Bild ausgehändigt. Es ist nur ein Auge darauf zu sehen. Das Bild begleitet einen durch sein ganzes Leben. Entweder man findet seinen Partner bevor man stirbt, oder lebt eben alleine. Immer auf der Suche. Lee hat nicht vor, ihren Partner zu finden. Eine Suche bringt Stress mit sich und Stress macht einen verrückt. 

Ein Mann betritt die Bühne. Man sieht ihm sofort an, dass er ein hohes Tier der Regierung sein muss. Er sieht aus, als wäre er am liebsten woanders. Tja, da sind wir ja schon zu zweit, denkt Lee. 
Er räuspert sich. Klopft kurz gegen das Mikrofon. Die Spannung im Saal ist greifbar.

»Guten Abend, Bürger von Philadelphia. Es ist mir eine Ehre, heute die Paare verlesen zu dürfen. Wenn ich euren Namen nenne, kommt ihr bitte zu mir nach oben und holt euer Bild ab. Die anderen bleiben bitte still, bis sie dran sind. Es ist der schnellste Weg, das hier zu beenden und eure Nerven nicht zu strapazieren. Nachdem ihr euer Bild erhalten haben, verlasst ihr bitte den Saal. So kann ich den Überblick behalten.«, liest er von dem Blatt auf dem Podium ab. 

Na super. Wahrscheinlich muss sie ewig warten. Er liest sie wahrscheinlich nach dem Alphabet vor und ganz sicher nicht von hinten nach vorne. 'Stone' kommt ziemlich weit hinten. Am liebsten würde sie den Saal einfach verlassen. 

Er verliest die Namen. Schnell leert sich der Saal. Aufgekratzt verlassen die meisten den Saal. Jungen und Mädchen drücken glücklich das Bild gegen ihre Brust. Manche hauchen sogar einen Kuss darauf. Allein der Gedanke, wie oft sie das noch tun würden, lässt Lee erschaudern. Küssen ist doch nur eine Beschleunigung zum Verteilen von Krankheiten. 

»Rosalie Stone.«

Echt jetzt? Angeblich wissen sie alles, aber nennen trotzdem ihren eigentlichen Namen und nicht den, den sie sich ausgesucht hat? Wer sind sie eigentlich? Lee dachte, dass FBI beobachtet jeden. Unfähig.

Das sind sie. Wieso sollte sie sich dann überhaupt das Auge abholen, wenn es sowieso nichts bewirkt? Aber es hat ja doch keinen Sinn, sich zu wehren.

Seufzend setzt Lee sich in Bewegung und bahnt sich einen Weg durch die Menge zur Bühne. Der Mann überreicht ihr das Bild. Ohne etwas zu sagen, nimmt sie das Bild entgegen. Ohne es anzusehen verlässt sie die Bühne. 
Sie stopft das Blatt Papier in ihre Jackentasche. 

Dann läuft sie durch die Menge zum Ausgang. Erleichterung durchflutet sie. Es ist vorbei. Sie ist aus dem Saal draußen. Sie hat es überlebt. Es fühlt sich an, als wäre eine schwere Last von ihren Schultern genommen worden. Natürlich weiß sie, dass sie sich noch auf die Suche machen muss. Müsste. Sie hat nicht vor, es zu tun. Soll er oder sie doch selbst kommen, wenn er oder sie eine Freundin will. Von ihr aus hat sie kein Problem mit dem alleine Sterben. Das hatte sie sowieso vor. 

Befreit von dem Druck im Saal, schlendert sie die Straßen entlang. Ihr Ziel: Nach Hause. 

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