2 | Verdacht
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Erschöpft erkenne ich beruhigt ausatmend einen sicheren Unterschlupf etwas weiter weg von der lichtlosen Schlucht. Sobald meine Sicht siegessicher auf einen monströsen Baum, welcher den Umständen entsprechend gemütlich aussieht, fällt, da er dicke Äste, einen starken Stamm und üppiges Blattwerk aufweist, scheint es eine clevere Alternative zu dem energieraubenden Schweben zu sein. „Ist alles in Ordnung?", wende ich mich besorgt an Mingi, der sich weiterhin fest, ängstlich an meinen Körper krallt, als würden wir nach wie vor über dem dunklen Abgrund schweben und dem grauenvollen, hungrigen Knurren der infizierten Untoten schockiert zu lauschen. Diese Aktivitäten mit meinem Gewissen vereinbaren zu können grenzt an die Unmöglichkeit, jedoch geht es hier um das brutale Überleben, wobei in solchen Fällen nur der Stärke, Intelligentere oder derjenige mit dem besseren Team den bitteren Kampf um das Durchsetzungsvermögen gewinnt.
Sein Kopf liegt unruhig in meiner Halsbeuge, während ich beschützend seine Oberschenkel halte, damit der Jüngere bloß keine schmerzbegleitende Bekanntschaft mit dem steinigen Boden machen muss, wobei wir uns seit dem hektischen Überfall wachsam in der Luft befinden. Es raubt mir zwar das meiste meiner eingeschränkten Energie, aber dem Gelb-Orangehaarigen würde ich sogar bedingungslos die Welt zu Füßen legen, diejenigen, welche ihm in seiner Vergangenheit reuelos Schmerz hinzufügten, kompromisslos zur Rechenschaft ziehen. Zum Glück kassieren diese schrecklichen Menschen ihr gerechtfertigtes Karma, denn die Stadt wird baldigst voller Kranker wimmeln und sie ebenso unaufhaltsam anstecken. So schwache Persönlichkeiten lassen sich nun mal leicht beeinflussen.
Konstant wird mein Körper von ziehenden Schmerzen, Erschöpfung und der Inkubationszeit der aggressiven Viren, welche mir erbarmungslos wichtige Kraft stehlen, gejagt, trotzdem entscheide ich mich schuldbewusst, vor dem Kleineren absolut keinen Verdacht zu wecken, dass es mir schlecht gehen könnte. Er hat bereits genug gelitten, außerdem könnte ich es unter gar keinen Umständen ertragen, die geringe Hoffnung in seinen Augen zum Erlöschen zu bringen. Wir haben uns versprochen, die Apokalypse zusammen zu überleben und loyal Seite an Seite zu kämpfen, komme was wolle.
Die grausamen Zombies scheinen seinen bedenklichen Adrenalinpegel ordentlich in die Höhe geschossen zu haben, weswegen er momentan überfordert versucht, sich zu beruhigen, seinen benommenen Verstand wieder in die Realität zu integrieren. Behutsam fliege ich mit dem 25-Jährigen sicher im Arm zu dem voluminösen Baum, welcher vorerst unser Unterschlupf sein wird, bis wir weiter in Richtung Süden aufbrechen müssen, schließlich dauert es gewiss nicht lange, bis mein bester Freund und ich von ihnen erbarmungslos aufgesucht werden. Eine bedeutende Sorge, die jeden, der ebenfalls in unserer ungünstigen Lage feststeckt, das kostbare, einmalige Leben retten könnte, denn durch die verschiedenen, sorgenvollen Hintergedanken ist man um einiges achtsamer, was sämtliche unerwartete Gefahren betrifft.
Ein hastiges Schütteln seines Kopfes bringt mich fürsorglich dazu, meinen Griff bestimmend zu verstärken, um schneller an dem besagten Ziel unversehrt anzukommen. „Ich bin bei dir", flüstere ich zuversichtlich, nachdem ich mich achtsam ein Stückchen zu ihm nach hinten lehne. „Danke", antwortet der Feuermeister schüchtern, während ein leichtes Lächeln auf seine Lippen schleicht, mein Herz automatisch schneller gegen meinen Brustkorb schlägt, meine ernsten Gesichtszüge im selben Moment erweichen. Ich könnte ihn den ganzen Tag mit liebevollen Augen beobachten, jedoch gewährt mir die gefährliche Situation meinen kitschigen Wunsch nicht.
„Yu, ich bin wieder zu Hause", sang mein bester Freund trällernd durch unsere gemeinsame, schlichte Wohnung, ehe die moderne Haustüre schnell ins Schloss fiel. „Ich habe dich so vermisst", warf ich gespielt dramatisch meine, vor meinem langen, wärmenden Hoodie, bedeckten Arme um die Taille meines gelb-orangehaarigen Gegenübers, welcher die begrüßende Geste sonnig lächelnd erwiderte. Bei niemanden fühlte ich mich je so wohl, wie bei Mingi, was womöglich daran lag, dass wir seit dem Tag, an dem ich optimistisch zu ihm an den Esstisch in der Cafeteria der Schule ging, keine Menschenseele uns mehr trennen konnte. Anfangs war der Jüngere mühsam zu knacken, glich einer verkrampften, zugepressten Riesenmuschel, jedoch bekam ich im Laufe der Zeit, in welcher ich mehr als geduldig wartete, endlich seine innere Perle zu sehen. Bis zum heutigen Tag fragte ich mich, warum sich die unwichtigen Mitschüler so gemein, respektlos und widerwertig gegenüber dem Kleineren verhielten. Mir war die temporäre Ansicht anderer über mein Aussehen, Persönlichkeit oder meinen natürlichen Haaren immer egal, weil ich sie cool fand und nie vorhatte, jedem zu gefallen. Der einzigen Person, welcher ich je gefallen wollte, hatte ebenso eine außergewöhnliche Haarfarbe, die ich zutiefst bewunderte.
In den ersten Wochen schreckte der Teenager meistens reflexartig von meinen sanften Berührungen zurück, weswegen ich mir irgendwann die witzige Angewohnheit beibrachte, ihm durch seine bezaubernden Haare zu wuscheln, er anscheinend keinesfalls etwas dagegen hatte. Die glückliche Freundschaft verband uns seit unserer ersten Begegnung sofort miteinander, dennoch kam ich erst im Nachhinein zu der unerwarteten Erkenntnis, dass ich tiefe, romantische Gefühle für meinen besten Freund entwickelte.
„Was möchtest du essen?", fragte ich aufmerksam, während Min niedlich gähnend mein Handgelenk schnappte, müde ins Wohnzimmer torkelte. „Wie wäre es mit Tteokbokki? Wir können uns eine Portion teilen", grinste der Hübsche warmherzig, ehe die Schmetterlinge wild in meinem Bauch herumflatterten, mich leicht verliebt zum Lächeln brachten. Wie sehr ich diese verdammten Gefühle einerseits hasste, andererseits liebte. Er bedeutete mir zu viel, ich konnte ihn nicht so einfach verschwinden lassen, unsere Verbindung qualvoll abreißen...
„Klingt nach einem exzellenten Plan. Ich bestelle", zücke ich breit schmunzelnd mein Handy, ehe ich von dem Gelb-Orangehaarigen verspielt auf die Couch mitgezogen wurde. „Danke. Wie war die Arbeit?", lehnte sich mein Mitbewohner kuschelnd näher an mich, bevor ich unsere Bestellung lächelnd abgab, neugierig den Fernseher einschaltete. „Ganz gut, ein paar komische Patienten wie immer, aber ja", erzählte ich wahrheitsgemäß, während ein zuckersüßes Kichern den Raumstrahlend erhellte. „Du bist Arzt in einem Krankenhaus, da müsst ihr sicher so einiges mitmachen. Von Unfällen beim Geschlechtsverkehr bis hin zu Knochenbrüchen und vieles weiteres", belustigte sich der Jüngere niedlich, wobei ich ihn mit funkelnden Augen ansah.
Ich liebte ihn so sehr.
„Wie war es denn bei dir?", schenkte ich meinem Gegenüber nun meine volle, ungeteilte Aufmerksamkeit, während dieser sachte seinen Kopf auf meine Schulter ablegte, meinen Puls um ein Vielfaches toben ließ. „Obwohl ein paar unfreundliche Gäste da waren, ging es gut. Es besuchten uns sogar zwei ältere Damen, die jeweils einen kleinen, süßen, weißen Spitz und einen atemberaubenden Golden Retriever dabeihatten. Das hat meine Laune sehr verbessert, weil ich an dich denken musste", berichtete Mingi stolz, weswegen ich breit lächelnd spürte, wie sich meine Wangen erhitzten.
„Das Labor, welches vor ein paar Monaten fertiggestellt wurde, erzielt in kurzer Zeit rasende Fortschritte, jene wiederum wichtig für unsere Forschung sein werden. Die Wissenschaftler vor Ort berichteten, dass sie etwas Neues entdeckt haben, was unsere Stadt in eine neue, verbesserte Gemeinschaft verändern wird", erklärt die Nachrichtensprecherin plötzlich, weshalb mein bester Freund automatisch konzentriert die Ohren spitzte, sich genervt zu mir drehte.
„Glaubst du den Scheiß?", zeigte der Kleinere dem Fernseher frech die Zunge. „Nein, warum sollte ich? Im Krankenhaus kommen ständig mehr Leute auf die Intensivstation, was dazu führt, dass wir bald komplett ausgelastet sind. Meine Kollegen saufen Kaffee, als wäre es pures Wasser und es verschwinden immer mehr Menschen. Das kann unter keinen Umständen mehr purer Zufall sein", respondierte ich kritisch, ehe der Feuermeister anerkennend brummt.
Ohne jegliche Vorwarnung sprang der Erwachsene enthusiastisch auf und verschwand für ein paar Minuten in seinem Zimmer, bevor er mit drei monströsen Karten vollbepackt, wie ein Esel wieder auftauchte, diese auf dem Couchtisch erschöpft fallen ließ. „Kannst du bitte den Tisch wegschieben? Wir brauchen Platz", streckte sich mein Gegenüber ausgiebig, ehe ich seiner Aufforderung hastig nachging.
„So, die ist für die Grenzen, die ist für das Gebirge und die dritte ist von der Bevölkerungsdichte. Es muss einen Zusammenhang geben und diesem kommen wir jetzt auf den Grund. Das kann so niemals weiter funktionieren", sprach mein bester Freund grübelnd, während er seriös einen roten Marker in die Hand nahm und zu philosophieren begann, sobald ich mich wie er in einen komfortablen Schneidersitz begab. „Hier ist Seoul, da leben wir. Im Süden wäre es zu auffällig, obwohl ich nicht ausschließen kann, dass da keine Einrichtung für das sogenannte „Projekt Proteinbarriere zwischen Tier und Mensch" sein könnte, denn zutrauen würde ich dem Staat vieles", malte der Kellner fokussiert verschiedene Formen auf die Karte, färbte sie in ein knalliges, erkennbares Rot. „Hast du bemerkt, dass wir von Woche zu Woche immer höhere Steuern bezahlen müssen?", fragte ich skeptisch, nachdem ich meinen Blick von dem Hübschen abwenden konnte. „Selbstverständlich, deswegen zweifle ich dieses scheinheilige Schauspiel von den sozialen Medien sehr an", rätselte er prüfend weiter.
Als die Tür unerwartet klingelte, da unser Essen endlich ankam, stritten Mingi und ich spielerisch, wer das Abendessen bezahlte, da eigentlich ich ihn einladen wollte, deshalb war ich im Vorfeld so schlau und versteckte seine Geldtasche, sodass er keine andere Wahl hatte, mir somit schmollend beim Bezahlen zusah. „Danke, Yuyu", umarmte mich der Jüngere fröhlich von hinten, nachdem wir unser Geschirr gesättigt in die Küche stellten.
„Gerne. Wir werden der ganzen Sache auf den Grund gehen, ich passe im Krankenhaus mehr auf und du nimmst die sozialen Medien, plus die Leute im Restaurant genauer unter die Lupe", erwiderte ich zuversichtlich.
Solange wir einander haben, schaffen wir es.
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Die ersten Kapitel sind da!
Viel Spaß beim Lesen und einen wunderschönen Abend!
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