45. WIE ICH (FAST) DIE ABSCHLUSSPRÜFUNGEN VERPASST HÄTTE

H A R R Y

Endlich hatte ich Unterrichtsschluss.

Hoffentlich hatte Sky schon Feierabend. Machte ich mir hier gerade ernsthafte Hoffnungen? Was war nur in mich gefahren. Ich hatte heute im Unterricht drei verschiedene Mädchen mit Sky angesprochen, und dachte fast den ganzen Tag nur an diese seltsame Begegnung, die mein Leben anscheinend verändert hatte. Zum positiven... Also irgendwie.

Gab es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick?

Bestimmt. Ich hatte zwar nie daran geglaubt, aber mittlerweile war ich etwas verunsichert.

Die Straße in der sie wohnte, war schnell gefunden. Ich parkte den schwarzen Range Rover fast genau vor der Haustür. Etwas aufgeregt war ich schon, aber das würde sich bestimmt gleich wieder legen. Ich wusste allgemein nicht, was in letzter Zeit mit mir los war. Noch einmal atmete ich tief ein, ehe ich meine Hand anhob um auf die Klingel zu drücken. Drinnen regte sich etwas, und wenige Sekunden später wurde die Tür aufgerissen. Es stand ein etwa gleichaltriger Typ vor mir. In meinem Hals bildete sich ein Kloß, mit Sicherheit verfärbten sich meine Wangen gerade in ein leichtes rot.

Wer war der Kerl?

War er etwa Skys Freund?

"Ja?", fragte er mit einer tiefen Stimme.

"I-ist Sky da?"

Er wandte seinen Blick nicht von mir ab, als er nach ihr rief. Es dauerte ein bisschen bis sie vor mir stand. Mit großen Augen starrte sie mich an, bestimmt hatte sie keine Ahnung, wie ich hierhergefunden hatte. Ihr Blick fiel auf den Gorilla neben uns, der mich immer noch anstarrte, als wäre ich ein Stück rohes Fleisch.

"Lucas, hör auf ihn so anzustarren, als würdest du ihn gleich auffressen wollen."

Der Kerl drehte sich langsam um, und verschwand in der Wohnung.

"Ich entschuldige mich mal für meinen Bruder. Immer wenn jemand Männliches vor der Tür steht, und nach mir fragt, schellen bei ihm die Alarmglocken", seufzte sie und verdrehte die Augen.

Erleichtert atmete ich aus. Er war nicht ihr Freund, sondern nur ihr Bruder. Seelenruhig starrte ich sie an, ihre Augen schienen noch brauner geworden zu sein, als vorhin. Fragend sah sie mich an.

"Harry? Ich habe dich was gefragt", meinte Sky und fuchtelte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum.

"Ehm ja, was ist?"

"Was willst du hier?"

Meine Hand fuhr in die Jackentasche, und als ich das kühle Metall zwischen meinen Fingern fühlte, zog ich den Anhänger heraus.

"Du hast das hier vorhin verloren, und ich dachte mir, dass ich es dir lieber wiedergebe, bevor irgendein psychisch gestörter Pädophiler vor deiner Tür steht."

Sky brach in schallendes Gelächter aus, und ich bemerkte, wie ich mich gerade selbst als gestörter Pädophiler bezeichnet hatte. Verdammt nochmal, peinlicher konnte es nicht werden. Seit wann war ich nur so schusselig? Sky schnappte sich den Anhänger aus meiner Hand, und ließ den kleinen Gegenstand in ihre Hosentasche gleiten.

"Willst du vielleicht reinkommen? Wir könnten das mit dem Kaffee nachholen."

"Gerne."

S E R E N A

Müde streckte ich mich, der Unterricht war mal wieder so richtig einschläfernd gewesen. Außer Louis' Stunde natürlich. Die ganze Zeit hatte er mich aufgerufen und im Unterricht geneckt. Wir hatten alles um uns herum vergessen, und wären fast über uns hergefallen, wären da nicht Nes und Sarah gewesen. Sogar Tatze hatte heute mit drinnen gesessen. Anscheinend hatte Sarah ein gutes Wort bei Liam eingelegt, sodass Tatze jetzt ihr Abi mitmachen konnte, dass im Übrigen schon direkt vor der Tür stand.

Verdammt nochmal, ich hatte noch keinen einzigen Strich getan. Wenn das nicht danebengehen würde. Heute war lernen angesagt. Nach Schulschluss wollte ich gerade die Treppen herunterrennen, um den Bus nach Hause zu kriegen, doch jemand zog mich zur Seite und legte seine Lippen auf meine. Ich grinste in den Kuss hinein. Lächelnd löste ich mich von Louis und sah ihn an.

"Was machen wir heute?", war seine erste Frage.

"Wir? Es gibt heute kein Wir, ich muss leider lernen. Sag Mr. Payne er soll das Abitur um eine Woche verschieben, dann können wir darüber diskutieren."

Louis setzte einen Schmollmund auf und blickte mich flehend an, doch ich blieb hart. Wenn ich diese Prüfungen wiederholen musste, dann hätten wir noch ein kompliziertes, illegales Jahr in unserer Beziehung vor uns, und das wollte ich definitiv nicht.

"Ciao Louis, wir sehen uns Morgen."

"Warte, ich kann dich auch fahren!", rief er.

Langsam drehte ich mich um und lächelte ihn an.

"Du weißt genau, wie das enden wird. Louis, diese Prüfungen sind so wichtig für mich. Für uns. Da werden wir wohl mal einen Tag ohne einander klarkommen."

Ich küsste ihn nochmal, seine vollen rosa Lippen bewegten sich rhythmisch zu meinen.

"Ich liebe dich", presste er zwischen dem Kuss hervor.

"Ich dich auch."

Dann löste ich mich wieder von ihm und rannte die Treppe nach unten. Jetzt hatte ich höchstwahrscheinlich den Bus verpasst, aber das war es mir wert gewesen. Glücklich machte ich mich auf den Weg zur Bushaltestelle, der Bus war gerade dabei wegzufahren, aber als der Fahrer sah wie ich auf ihn zu rannte, blieb dieser stehen und wartete auf mich. Lächelnd zahlte ich meine Karte und bedankte mich schnell bei ihm.

Zuhause angekommen warf ich meine Tasche in die Ecke, Nes saß schon in ihrem Zimmer, aber nicht alleine. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte ich sie und Zayn.

"Solltest du dich nicht irgendwie auf die Prüfungen vorbereiten?", fragte ich.

Sie und Zayn sahen mich an, als wäre ich von einem anderen Planeten. Mit einem verwirrten Blick drehte ich mich um und verließ ohne eine Antwort abzuwarten das Zimmer. Ordentlich legte ich meine Bücher alle auf den Schreibtisch. Morgen waren das Mathe- und Englisch Abi, und übermorgen das in Deutsch, Physik und dem jeweiligen Wahlfach. Ich hatte mich für Kunst entschieden. Kaum hatte ich das Mathebuch aufgeklappt, verging mir die Lust und ich hatte Langeweile.

„Es sind doch nur zwei Tage, an denen ich jetzt noch lernen muss, und dann nie wieder. Augen zu und durch", redete ich gedanklich auf mich ein.

Neben das Buch legte ich meinen Block, dann fing ich an mir Notizen zu machen. Als ich mit Mathe so ziemlich am Ende war, schlug die Uhr bereits 22, doch mir war das völlig egal. Jetzt war ich bereit für Englisch.

Müde schlug ich das Buch auf und lernte bis mir die Augen zufielen...

*

Verschlafen rieb ich mir meine schmerzenden Augen. Hatte ich etwa die ganze Nacht, ohne Pause nur gelernt? Die Wanduhr bestätigte meine Vermutung. Wir hatten gerade Mal kurz nach acht, am liebsten hätte ich mich wieder umgedreht und weitergeschlafen, doch... Moment! Wir hatten kurz nach acht! Wie von der Tarantel gestochen sprang ich hoch, haute mir den Kopf an der Lampe an und rannte ins Badezimmer.

Wieso hatte mich Nes, die dumme Kuh, nicht geweckt?

Mich darüber aufzuregen hatte ich jetzt leider keine Zeit dazu. Scheiße, die Matheprüfung würde in nicht einmal einer viertel Stunde anfangen! Im Turbogang machte ich mich fertig. Diesmal hatte ich leider nicht so viel Glück, den Bus zu erwischen, weshalb ich rennen musste. Ich nahm die Beine in die Hand und rannte wie sonst etwas um mein Leben. In der Schule herrschte bereits diese Totenstille.

Ausnahmsweise hatte ich heute Mal kein Problem damit, das Klassenzimmer zu finden - dachte ich zumindest. Verzweifelt guckte ich mich hektisch um. Fast hätte ich hyperventiliert, wäre da nicht Louis gekommen.

"Was ist los Serena? Was machst du hier? Deine Matheprüfung hat doch eben angefangen!"

"Ich habe verschlafen, mein dummer Wecker hat nicht geklingelt und Nes hatte es wohl nicht nötig mich zu wecken. Wo ist mein verdammtes Klassenzimmer? Louis, hilf mir", sagte ich mit brüchiger Stimme, mir kamen sogar fast die Tränen.

"Ganz ruhig, komm' mit ich bring dich hin", rief er und schnappte sich meine Hand.

Auf der Stelle breitete sich dieses altbekannte Kribbeln in meinem Körper aus. Zusammen rannten wir in den obersten Stock. Dort angekommen hielten wir vor einer Tür an, auf die er mit seinem Finger deutete.

"Da drinnen. Beeil dich, nicht, dass du noch mehr Zeit verlierst. Ich wünsche dir viel Glück", meinte er und drückte schnell seine Lippen auf meine.

"Danke Louis, ich liebe dich."

"Ich dich auch, und jetzt rein da!"

Er lächelte mir nochmal aufmunternd zu, ich öffnete die Tür und Harry versuchte mich anzulächeln. Mein Bruder deutete auf den freien Platz, direkt vor ihm. Erleichtert setzte ich mich hin, holte mein Mäppchen aus der Schultasche und drehte das Blatt herum. Viele Aufgaben sprangen mir ins Auge, die ich dank meiner neuen Kenntnisse, die ich seit gestern Abend besaß, mit Leichtigkeit löste. Alles klappte super, außer die letzte Aufgabe. Es wollte einfach nicht hinhauen, aber da landete plötzlich ein Zettel auf meinem Tisch.

Verblüfft starrte ich in Harrys Augen, er bedeutete mir, diesen aufzufalten und durchzulesen. Ich tat das und stellte fest, dass er mir soeben die Aufgabe erklärt und ich geschummelt hatte.

"Sieh es als eine Art Entschuldigung", flüsterte er so leise, dass nur ich es hören konnte.

Erleichtert machte ich mich daran zu rechnen, und die richtigen Ergebnisse hinzuschreiben. Eigentlich war es ja soweit kein Betrug, er hatte es mir ja nur erklärt.

Ungefähr fünf Minuten später wurden unsere Bögen eingesammelt.

Ich atmete die angestaute Luft aus und ließ mich zurück in den Stuhl sinken. Die nächste Prüfung war Englisch, diese würden wir in einer Stunde schreiben. Bis dahin hatte ich Zeit, mein Frühstück nachzuholen und Nes zusammenzuscheißen.

Der nächste Tag verlief ungefähr gleich, bis auf die Tatsache, dass ich den ersten Test diesmal nicht halb verschlief. Als alles geschrieben war, wirkte die ganze Klasse unendlich erleichtert. Morgen würde dann die Zeugnisvergabe sein. Aufgeregt lief ich in meinem Zimmer auf und ab. Louis hatte ich seit heute Morgen bei der Physikprüfung nicht mehr gesehen. Er hatte mir versprochen, dass er heute Abend wieder vorbeischauen würde, und wir uns dann Filme ansehen würden.

Wie aufs Wort klingelte unten die Tür, und ehe Nes diese öffnen konnte, sprang ich neben ihr fast den ganzen Treppenabsatz herunter. Die Sehnsucht nach meinem Freund war immer größer geworden. Ich hasste es, so lange von ihm getrennt zu sein. Die Tür riss ich mit so einer Wucht auf, dass Louis der an diese angelehnt war nach drinnen stolperte. Das End' vom Lied war dann, dass wir beide auf dem Boden landeten, er auf mir drauf.

"Ihr könnt es wohl gar nicht erwarten, oder?"

Ich drehte meinen Kopf zu meiner besten Freundin und streckte ihr die Zunge raus. Dann suchten auch schon Louis' Lippen meine. Nes verschwand kichernd. Wir küssten uns weiterhin leidenschaftlich, es wurde immer wilder. Unsere Zungen führten einen Kampf, jeder wollte die Führung für sich haben.

Die Filme konnten wir für heute wohl vergessen.

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