32. WIE MIR (MAL WIEDER) DAS HERZ GEBROCHEN WURDE
Am nächsten Morgen kitzelte mich das Sonnenlicht frech an der Nase. Ich räkelte mich und musste feststellen, dass Louis nicht mehr da war. Dafür lag eine ziemlich verschlafene Nesrin am Boden.
Moment mal... wieso lag sie am Boden? Und wo war Zayn, war er etwa auch schon weg? Der Tag fing ja schon einmal super an.
Mit meinem Fuß stupste ich Nes an, die sich sofort erschrocken aufrichtete.
"Wo bin ich?", war ihre erste Frage, ehe sie sich umblickte und dabei blinzelte.
"In meinem Zimmer. Darf ich fragen, was du hier machst und warum du bitte auf dem Boden geschlafen hast?", hakte ich nach und zog meine Augenbrauen kraus.
Sie guckte mich ein bisschen verwirrt an.
"Achso, das meinst du", antwortete sie schließlich.
Jetzt war ich es, die verwirrt guckte. Was wollte sie denn jetzt? Ich verstand rein gar nichts mehr.
"Zayn musste gestern Abend noch gehen, weil seine Mutter Hilfe gebraucht hatte, und ich wollte, dass du es als erste erfährst. Zayn und ich werden heiraten! Es ist alles wieder in Ordnung!"
Die letzten Wörter quiekte sie beinahe so laut, dass die Nachbarn jetzt sicherlich auch davon wussten. Dann gab es da auch noch das nächste Problem. Oh scheiße, wie sollte ich ihr erklären, dass ich alles schon wusste? Immerhin hatte sie gestern in Zayns Armen geschlafen, als Lou und ich nach Hause gekommen waren. Jetzt wartete sie auf irgendeine Reaktion.
"Yay", freute ich mich, sprang auf und umarmte sie wild. Dabei hoffte ich, dass man die gefakete Lache nicht so wirklich raushörte.
Dafür erntete ich einen eher seltsamen Blick, aber in ihren Augen spiegelte sich sehr viel Freude wider. Wie hätte ich denn sonst reagieren sollen? Ich hatte es ja schon gewusst und mich gestern Abend für sie gefreut. Die beiden waren aber auch einfach das absolute Traumpaar. Und ich hatte von Anfang an gewusst, dass alles gut enden würde, und siehe da? Anscheinend war das Schicksal doch nicht komplett auf der gegnerischen Seite.
'Bilde dir ja nichts ein! Du musstest ja alles kaputt machen, wegen dir ist dieser ganze Schlamassel auch erst entstanden.'
War ja klar, dass die sich mal wieder einmischen musste. Ich seufzte laut. "Wieso bist du nicht zu mir ins Bett, sondern hast auf dem kalten und harten Boden geschlafen?", war meine nächste Frage.
"Im Bett lag schon Louis. Wo ist der überhaupt so schnell hin?"
Mein Blick fiel auf die Uhr, und mit einem Schrecken musste ich feststellen, dass wir schon nach Zwölf hatten. Nachmittags!
"Scheiße! Wir haben Schule! Wieso hat Louis mich nicht geweckt?", kreischte ich und rannte hytserisch durch's Zimmer.
Sie zuckte mit den Schultern und lief ganz entspannt ins Bad. Wie konnte sie jetzt bitte so verdammt entspannt sein? Wir hatten einen kompletten Schultag verschlafen! Das war der absolute Horror. Mir fehlte so oder so schon ein riesiger Teil des Stoffes, ob ich mein Abi schaffen würde war fraglich. Ich konnte mich zudem schon einmal auf das Nachsitzen bereitmachen. Und wir alle wussten doch, dass beim Nachsitzen nicht immer alles nach dem Rechten ging. An dem Aufblinken meines Handys konnte ich erkennen, dass Sarah mir eine SMS geschickt hatte.
Wo seid ihr? Ich habe gesagt, dass es dir und Nesrin nicht so gut geht und ihr beim Arzt seid. Melde dich bitte, ich mache mir Sorgen.
Aw, meine Freundin machte sich also Sorgen um mich. Ich tippte schnell eine Antwort, in der ich ihr alles erklärte und mich bei ihr für die Notlüge bedankte. Dann ging ich nach Nes ins Bad und zog mir eine bequeme Jeans und einen zu großen Pulli an. Meine Haare machte ich zu einem unordentlichen Dutt, damit sie mich nicht nerven konnten.
Sollte ich jetzt überhaupt noch zur Schule gehen?
Wir hatten noch Nachmittagsunterricht und ich konnte ja einfach sagen, dass es mir wieder besser ging. Die Wahrheit war, dass ich nur in die Schule wollte, damit ich möglichst in der Nähe von Louis sein konnte.
"Wohin gehst du?"
"In die Schule. Sarah hatte gesagt, dass es uns beiden nicht so gut ging und wir beim Arzt waren. Kommst du mit?"
Sie schüttelte müde den Kopf und hielt sich den anscheinend schmerzenden Rücken. Selbst Schuld. Ich nickte nur kurz und schnappte mir meine Umhängetasche, in der alles nötige für die Schule gepackt war.
Dann schlüpfte ich noch in meine Vans und schon konnte ich in die Schule.
*
Der Pausenhof war gähnend leer, keine einzige Menschenseele war hier draußen. Das Gebäude war hell erleuchtet, und in fast allen Klassenzimmern brannte Licht. In vereinzelten Räumen konnte man erkennen, wie die Lehrer an der Tafel rumhantierten und die Schüler gelangweilt auf alles andere außer auf den Unterricht achteten. Mit schnellen Schritten durchschritt ich die Eingangshalle.
Was würde es jetzt noch bringen in die fünfte Stunde zu gehen? Mathe brauchte doch eh niemand und das schon gar nicht bei Mr. Styles.
Ich wollte Louis einen kurzen Besuch abstatten; hoffentlich hatte er gerade keinen Unterricht.
Als ich auf dem Weg zum Lehrerzimmer war, wurde meine Frage beantwortet. Seine Stimme war deutlich aus einem Klassenzimmer zu hören. Aber er war nicht alleine.
"Eleanor. Hör mir bitte zu. Du warst meine erste richtige Liebe. Ich werde dich immer auf irgendeine Weise lieben, das musst du mir glauben..."
Enttäuscht presste ich mir die Hand auf den Mund um nicht los zu schluchzen. Mehr musste ich gar nicht mehr hören. Ich rannte auf die Toilette und schloss mich ein. Dort ließ ich meinen Tränen den freien Lauf. Wie hatte ich mich so in meinem Louis täuschen können? Moment, das stimmte nicht so ganz.
Er war nicht mein Louis.
Nicht mehr.
L O U I S
Gerade war ich dabei die Klassenarbeiten aus der neunten Klasse zu kontrollieren, als ich wieder an Serena denken musste. Sie sah heute Früh einfach so niedlich aus, ich hatte sie nicht wecken können. Zudem wäre ich fast über Nesrin die schlafend am Boden lag, gestolpert. Ich wäre auch gerne liegen geblieben, aber da ich hier der erwachsene Lehrer war, hatte ich aufstehen müssen.
'Wenn du so erwachsen bist, wieso hast du deine beiden Schülerinnen dann nicht geweckt? Das war sehr unvorbildlich!', tadelte mich diese altbekannte innere Stimme.
Hatte das eigentlich jeder, oder war ich irgendwie... speziell? Okay aber irgendwie hatte sie ja Recht. Ich hätte sie wecken müssen. Immerhin waren sie deswegen nicht in der Schule gewesen. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als es an der Tür klopfte. Ich rief ein erwartungsvolles 'Herein'. Es quietschte kurz und die schwere Tür ging auf. Eleanor kam mit kleinen Schritten durch die Tür herein. Sofort bekam ich Serena gegenüber ein sehr schlechtes Gewissen, da ich immer noch nicht mit El Schluss gemacht hatte.
"Hey, Lou. Du hast dich ja ewig nicht mehr gemeldet. Ich habe dich vermisst", säuselte sie los. Sie drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Noch mehr schlechtes Gewissen keimte in mir auf.
"El... Hör mir bitte kurz zu."
"Wenn du mit mir Schluss machen willst, dann spar dir das ganze drum herum!", rief sie verzweifelt und versuchte dabei vergeblich, theatralisch zu wirken.
"Eleanor. Hör mir bitte zu. Du warst meine erste richtige Liebe. Ich werde dich immer auf irgendeine Weise lieben, das musst du mir glauben...", fing ich an.
Ich stoppte kurz und sah sie an. Ein paar Tränen hatten sich in ihren Augen angesammelt.
"...aber ich habe mich neu verliebt. Deswegen bitte ich dich darum, dass wir nur gute Freunde bleiben."
So, jetzt hatte ich es gesagt. El's Blick wurde hart.
"Es ist wegen ihr, nicht wahr? Louis ich weiß nicht ob dir das klar ist, aber du machst dich strafbar! Außerdem hast du was Besseres und wesentlich reiferes als diese Göre verdient! Ich werde zur Polizei gehen, und ihnen alles erzählen", meinte meine Ex - Freundin fest entschlossen.
"El! Wenn du mich wirklich liebst, dann tust du das nicht!", rief ich ihr hinterher, sie war gerade dabei zu gehen. Sie verharrte auf der Stelle, hatte mir jedoch den Rücken zugekehrt. Ich hörte sie einmal kurz aufschluchzen und dann trat sie nach draußen. Ich wollte ihr gerade hinterherlaufen, aber da klingelte es, und mir fiel auf dass ich in den Unterricht musste.
S E R E N A
Mir hatte noch nie jemand so unerträglich weh getan. Aber es gab ja für alles ein erstes Mal. Und genau jetzt hätte ich meine Mutter wieder richtig stark gebraucht. Sie hätte mich aufgebaut, und mir gesagt wie toll ich war, und dass ich etwas sehr viel Besseres verdient hatte. Genau solche aufmunternden Worte hätte ich nun gebraucht.
Mein Weg führte mich ins Starbucks. Ich würde mich ja jetzt ganz sicher nicht mehr in den Unterricht setzen und so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Zum Glück war morgen Samstag, so musste ich nicht in die Schule und dieses blöde Date konnte ich ja auch einfach absagen. Meine ehemalige Arbeitsstelle wurde vor mir sichtbar. Mir fiel auf, dass ich grade ja irgendwie vor einem sehr tiefen Abgrund stand.
Wollte ich da jetzt wirklich reingehen und mir noch mehr Trauer hinzufügen?
Ich brauchte jetzt aber einen sehr sehr starken Kaffee, weshalb die Frage schnell beantwortet war. Jason stand am Tresen und als er mich sah, weiteten sich seine Augen.
"Serena, wo warst du die ganze Zeit nur? Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Der Chef ist total sauer." Ein paar Tränen stiegen mir erneut in die Augen. Innerlich hoffte ich darauf, dass ich bald keine Tränen mehr übrig hatte, die ich ausheulen könnte.
"Was ist los?"
"Es ist alles in Ordnung. Kannst du mir bitte einen starken Kaffee machen?", krächzte ich hervor. Der Kloß in meinem Hals ließ sich nicht beirren und nahm ziemlich viel Platz ein.
Er nickte etwas bedrückt und wendete sich der Kaffeemaschine zu. Währenddessen ließ ich mich auf der Bank vor dem Fenster nieder. Es fing an zu regnen und ich lehnte meinen Kopf gegen die kalte Fensterscheibe. Ich fühlte mich wie in einem schlechten Film. Doncasters graue Ambiente machte es nicht wirklich besser, im Gegenteil, es zog meine Laune noch weiter nach unten. Ich war einfach so schrecklich enttäuscht. Gegenüber von mir, ließ sich jetzt Jason auf einem Stuhl nieder. Er stellte mir den Kaffee vor die Nase.
Zuerst nahm ich nur einen kleinen Schluck, um zu testen ob er sehr heiß war, und danach leerte ich fast die ganze Tasse. Jason beobachtete mich die ganze Zeit. "Was ist passiert? Du bist total bleich, Serena. Und ich mache mir immer noch totale Sorgen."
"Es ist alles in Ordnung, du musst dich nicht um mich kümmern, ich bin schon volljährig."
Und genau als ich es aussprach, wusste ich, dass ich meinen Geburtstag komplett vergessen hatte. Oder hatte ich ihn verdrängt. Ich wusste es nicht mehr genau. Auf jeden Fall hatte niemand etwas bemerkt, da es ja zu der Zeit gewesen war, als ich mit Nesrin gestritten hate. Und bei ihrer Verpeiltheit war das nichts neues, dass sie etwas vergessen hatte.
"Ich mache es aber trotzdem, Serena."
Darauf wusste ich nicht was ich sagen oder widersprechen sollte. Ich lächelte ihn nur an und schüttelte leicht den Kopf. Dann schob ich ihm meine leere Tasse hin und stand auf. Gerade wollte ich mich zum Gehen wenden, aber seine Stimme hielt mich zurück.
"Du hast nicht vor hierher zurück zu kommen oder?"
Da ich mit dem Rücken zu ihm stand musste ich mich umdrehen, um ihn anzusehen. Wieder schüttelte ich leicht den Kopf und guckte auf die Fliesen am Boden vor mir. Jason nahm einen Notizblock heraus und kritzelte seine Nummer darauf. Diesen reichte er mir dann mit den Worten, dass ich mich melden sollte, wenn es mal ein Problem gab. Zum Schluss umarmte er mich und mir kamen schon wieder fast die Tränen.
Aus irgendeinem Grund vertraute ich ihm mehr als jedem anderen in diesem Moment. Und dann verließ ich den Laden. Es nieselte immer noch, aber das war mir total egal. Ich wollte jetzt nur noch nach Hause. Der Tag heute war einfach schrecklich gewesen und mir wurde gerade mal wieder bewusst, dass Lou, mein Lou, Eleanor immer noch liebte. Mein Herz schmerzte wieder. Beim Haus angekommen, setzte ich mich in die Küche und starrte aus dem Fenster.
Ich hörte ein Geräusch aus dem Flur, und kurz darauf kam meine beste Freundin herein.
"Was machst du denn hier wolltest du nicht eigentlich in die Schu... Du meine Güte was ist denn mit dir passiert?", unterbrach sie sich selbst. Ich guckte sie mit meinen verheulten Augen an, und winkte nur ab. So wie ich meine Nes kannte, würde sie nicht lockerlassen bis sie herausgefunden hatte was passiert war. Meine beste Freundin schnappte sich einen Hocker und setzte sich darauf, dann blickte sie mich abwartend an.
"Louis... Lou ist immer noch in Eleanor verliebt... Er hat mich angelogen..."
Eigentlich hätte ich fest damit gerechnet, dass ich wieder wie ein kleines Kind losheulen würde, aber es kamen keine Tränen mehr aus meinen Augen. Sie waren alle schon verbraucht, was damit meine vorherige Frage beantwortete. Nes rückte den Hocker ganz nah an mich heran, und streichelte mir beruhigend über den Rücken.
"Er hat dich nicht verdient. Du verdienst etwas viel Besseres. Außerdem ist er ein Idiot, wenn er dich gehen lässt", versuchte sie mich aufzumuntern.
Und genau das waren die Worte, die ich gebraucht hatte. Es will vielleicht sehr hart klingen, aber wirklich genau das brauchte ich einfach jetzt. Eine klitzekleine Träne stahl sich aus meinem Augenwinkel, mehr brachten meine Augen aber nicht mehr zu Stande.
"Leg dich ins Bett und schlaf erstmal ein bisschen, das tut dir bestimmt gut. Ich mach dir einen Tee und stell ihn dann hoch in dein Zimmer okay?"
Ich nickte, weil meine Stimme so oder so versagt hätte. Und dann ging ich hoch in mein Zimmer und tat genau das, was Nes mir gesagt hatte. Ich ließ den Blick durchs Zimmer schweifen und er blieb an dem Kalender hängen. Wir hatten den ersten November. Der Unfall war jetzt genau zwei Wochen her, und ich hatte das Grab noch kein einziges Mal besucht. Ein weiterer sehr guter Grund, weshalb ich zurück nach Glasgow kehren sollte. Wenigstens für ein Wochenende, und da eignete es sich doch prima dass ich morgen und übermorgen nichts Wichtiges mehr vorhatte.
Dies waren meine letzten Gedanken, bevor ich einschlief und wenigstens für diese kurze Zeit alles vergessen konnte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top