25. NIALL
"Niall? Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen!", quiekte ich und fiel meinem ehemaligen Sandkastenfreund um den Hals, welcher mich nur entgeistert anblickte und nach ein paar Sekunden in den Arm kniff.
"Autsch! Wofür war das denn bitte?"
"Ich wollte nur sehen, ob du echt bist."
Wir umarmten uns noch ein zweites Mal. Ich freute mich riesig, ihn endlich mal wieder in die Arme schließen zu können. Das letzte Mal war schon viel zu lange her gewesen.
"Was für ein Zufall! Was machst du denn hier?", fragte ich.
"Dasselbe könnte ich dich fragen. Ich mache hier grade ein Praktikum." Niall lächelte mich an und seine blauen Augen fingen an zu strahlen. "Machst du auch ein Praktikum? Und wie gehts dir und deinen Eltern?"
Ich schluckte hart, fing an zu husten. "Niall... meine Eltern sind tot."
Seine Augen weiteten sich, in meinen Augenwinkeln sammelten sich schon die Tränen.
Niall sah unfassbar schockiert aus. "Das tut mir... Komm her."
Und schon umarmte er mich wieder. Ich musste schon zugeben: er gab einfach umwerfende Umarmungen. Eigentlich hasste ich es Mitleid zu bekommen, aber bei Niall war es einfach was Anderes.
"Setzt euch bitte alle hin, wir werden jetzt die Aufgaben verteilen, die heute erledigt werden müssen", rief eine etwas ältere Frau, bestimmt eine Betreuerin.
Ich gab Niall einen Kuss auf die Wange, murmelte ein 'Bis später' und setzte mich an meinen Platz. Dort guckte ich direkt in das knallrote Gesicht von Tatze. Sie ähnelte einer Tomate mit blonden Haaren. Was war denn jetzt schon wieder los?
"Ist irgendetwas?"
"Woher kennst du Niall?", presste sie hervor.
"Von früher. Wieso?"
"Nur so..."
Das kaufte ich ihr ganz und gar nicht ab. Die eine Erzieherin warf uns einen strengen Blick und ein 'Psst!' zu. Ich verdrehte die Augen.
"Hier ist die Aufgabenverteilung. Chiara und Elisa werden heute die Waschräume saubermachen. Clara, Juliane und Alexandra putzen die Gänge. Tabea, Niall und Serena gehen zum Einkaufen..."
Seit mein Name dran gewesen war, hatte ich nicht mehr zugehört.
Machte Niall nicht eigentlich nur ein Praktikum? Warum musste er dann mit uns mitgehen?
Als alles fertig verteilt war, machten wir drei uns auf den Weg in die Stadt. Wir hatten 100 Pfund für Nahrungsmittel dabei. War das nicht etwas wenig für so viele Leute? Okay, das Heim musste wirklich sehr wenig Geld haben.
Zuerst wusste keiner von uns dreien, was er sagen sollte, doch dann fing ich ein Gespräch mit Niall an.
"Du bist also nur wegen des Praktikums hier? Wie kamst du denn ausgerechnet auf Doncaster?", fragte ich.
Tatze hörte neugierig zu und wartete, so wie ich, auf Nialls Antwort.
"Ich bin nach Doncaster, weil ich mal wieder meine Schwester besuchen wollte. Was hat dich hierher gebracht?"
"Zu lange Geschichte... kommt, wir gehen in den Laden dahinten."
Ich zeigte auf einen kleinen, niedlich aussehenden Laden. Die Gegend, in der wir uns befanden, wirkte, genau wie das Heim, sehr heruntergekommen.
Mir wurde ein bisschen kalt und ich fröstelte, ehe wir den Laden betraten.Er wirkte trotz seines Aussehens von draußen sehr heimisch. Die Nahrungsmittel, die wir brauchten, waren schnell gefunden.
Jemand tippte mir auf die Schulter, während Tatze und Niall bezahlten. Ich drehte mich um und guckte geradewegs in Eleanors wunderschönes Gesicht. Ihr Blick sah allerdings alles andere als freundlich aus.
"Ich möchte dir nur eines sagen. Seitdem Louis dich getroffen hat, hat er sich sehr verändert. Ich will nicht, dass er sich so verändert. Also lass ihn in Ruhe! Hast du das verstanden?"
Was bildete die sich eigentlich ein? Hielt in vollem Ernst mein Handgelenk fest und redete mit mir wie mit einem abgestempelten Stück Papier.
Ich riss meine Hand frei und stolperte nach meinen zwei Freunden aus dem Laden, ohne ihr eine Antwort zu geben. Die beiden amüsierten sich gerade über irgendetwas.
Ich war auf dem Rückweg tief in Gedanken versunken. Wir waren fast zurück im Heim, als wir sie entdeckten. Drei kleine Kinder, die zusammen gekuschelt am Straßenrand kauerten und versuchten sich mit allen möglichen Dingen abzudecken, um nicht zu erfrieren.
Ich riss geschockt die Augen auf; Niall und Tatze reagierten ähnlich.
Wir handelten ziemlich schnell, indem wir alle drei mit zum Heim nahmen; jeder hatte ein Kind auf dem Arm.
Ich hatte sogar meine Jacke ausgezogen und sie dem Kind umgelegt.
Im Heim angekommen gab es erst einmal eine riesige Diskussion, denn es fehlten die nötigen Plätze für drei neue Kinder.
Auch dieses Mal handelte ich schnell und sagte, dass sie meine und Tatzes Betten haben könnten. Zuerst erntete ich einen verärgerten Blick von Tatze, doch das legte sich kurz danach wieder.
Jetzt hatten allerdings wir ein Problem; es gab keinen Platz mehr im Heim, was so viel hieß, wie 'Wir müssen hier weg'.
Immerhin waren die Kinder gut versorgt.
Erwachsene Personen hatten draußen in der Kälte viel mehr Überlebenschancen, als kleine Kinder. Niall wollte uns erst in seine Wohnung mitnehmen, aber wir wollten ihm beide keine Schwierigkeiten einbringen, da nicht sein Vermieter wohl ziemlich streng war, was Übernachtungen und allgemein Besuch anging.
Er gab mir seine Handynummer, für irgendwelche Notfälle mit und einen Horan-Hug.
Und so kam es, dass ich mal wieder draußen schlafen musste. Das letzte Mal war ja dann doch nicht so lange her gewesen. Ich hatte außerdem das Gefühl, dass Tatze sehr sauer auf mich war, sich trotzdem aber total zurückhielt.
Es war unfassbar kalt und ich kauerte mich noch ein bisschen enger an den einen Brückenpfeiler.
"Wir hätten auch einfach auf dem Boden schlafen oder ein anderes Heim aufsuchen können", platzte es aus Tatze heraus.
"Zu spät", gab ich müde von mir.
Ein paar Schneeflocken rieselten auf uns herab.
„Nicht einschlafen! Wenn du jetzt einschläfst, hast du verloren!", rief meine innere Stimme.
So wie immer, versuchte ich sie zu ignorieren. Mir fielen immer wieder die Augen zu. Tatzes Gesicht erschien vor meinem.
"Nicht einschlafen Serena! Wenn du bei so einer Kälte einschläfst, hast du verloren und erfrierst!"
Hatten meine innere Stimme und sie sich etwa abgesprochen?
Meine Lider fielen erneut herunter, woraufhin Tatze mir eine schallende Ohrfeige gab, durch die ich wieder hellwach war und kerzengerade da saß.
Bevor ich mich wie ein Rohrspatz darüber aufregen konnte, nahm mir eine andere Stimme sämtliche Wörter aus dem Mund und ließ mich letztendlich komplett verstummen.
"Serena? Was machst du denn um diese Uhrzeit hier draußen?"
Konnte mein Leben mittlerweile eigentlich noch schlimmer werden?
Ich wollte ihn nicht bemerken lassen, wie schlecht es mir tatsächlich ging. "Feiern, wonach sieht es denn sonst aus? Und du, Louis?"
"Das sieht mir nicht wirklich nach feiern aus. Sag es mir, Serena."
Er ignorierte meine Frage gekonnt und musterte meine Sachen und Tatze. Die ganze Zeit über, hielt ich meine Klappe, die Kälte kroch durch meinen gesamten Körper.
"Wohnst du auf der Straße?"
Wunden Punkt getroffen, Tomlinson. 1:0 für dich.
"Geht dich nichts an."
Tatze verfolgte dem Streit zwischen uns eher desinteressiert.
"Hat Nesrin dich etwa rausgeworfen?"
"Ich komme alleine klar! Verpiss dich endlich aus meinem Leben!", knurrte ich.
In meinem Körper machte sich erneut eine Kälte breit. Ich sah gerade noch Tatzes und Louis' besorgtes Gesicht über mir, ehe alles verschwand und unfassbare Schmerzen die Oberhand übernahmen.
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