06. LÜGEN UND EINE SCHRECKLICHE ENTHÜLLUNG
"Okay. Jetzt noch einmal von vorne, damit ich auch alles richtig verstanden habe. Sie sind aus Glasgow hierhergezogen und wollen nun den Abschluss machen und ihre beste Freundin, ebenfalls Schülerin dieser Schule, hat sie beim Schulleiter angemeldet? Ohne irgendwelche Unterlagen?", wiederholte die Lehrerin das, was ich ihr nach meinem kurzen, aber intensiven, emotionalen Anfall erzählt hatte.
"Der Schuldirektor hat zu mir gesagt, dass das alles kein Problem sei und sie ihre alten Zeugnisse nachreichen kann!", wurde ich von Nesrin verteidigt.
"Das kann ich mir nicht vorstellen", meinte die Frau spöttisch.
Sie stampfte zum Lehrerpult und füllte einen Zettel aus, welchen sie mir sogleich mit einer strengen Miene in die Hand drückte. Ohne auch nur einen Blick auf das Stück Papier zu werfen, ließ ich meine Hand sinken.
"Damit gehst du jetzt zum Schulleiter. Danach kannst du wiederkommen, falls er dich wirklich für dieses Schuljahr zulässt und diese Geschichte nicht frei erfunden war." Für ihre - nicht wirklich - ermutigenden Worte bekam sie noch einen verwirrten Blick, ehe ich nickte und eilig das Klassenzimmer verließ.
Nesrin sah mir mitleidig hinterher.
Vor der Klassenzimmertür bemerkte ich, dass ich aufgrund der Aufregung und auch wegen meiner emotionalen Verwirrung vergessen hatte zu fragen, wo ich eigentlich hingehen musste.
"Verflucht nochmal", schimpfte ich in Gedanken. Zurück in die Klasse wollte ich aber nicht, denn das hätte die ganze Situation noch peinlicher gemacht.
"Na dann such mal schön, Serena", murmelte ich missmutig. Schlimmer konnte es eigentlich kaum noch werden... sogar meine innere Stimme hatte nichts zu allem beizutragen.
Ich rümpfte die Nase. So schwer konnte es doch nicht sein das Sekretariat und somit auch das Büro des Schulleiters zu finden. Aufmerksam ließ ich meinen Blick durch die Gänge gleiten und folgte den Wegweisungen, die auf kleinen Schildern an den Wänden vermerkt waren.
Was stand eigentlich auf diesem Zettel? Nun war ich doch ein wenig neugierig geworden.
"Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte eine tiefe, raue Stimme unmittelbar hinter mir, weshalb ich zuerst zusammenzuckte und mich dann kurz darauf umdrehte.
Stechend grüne Augen, lockige braune Haare und gut gebaut; bestimmt ein totaler Womanizer.
"Ähm...", meinte ich und überlegte, was ich sagen sollte. Mir stockte der Atem bei genauerem Betrachten des jungen Mannes. "Ich muss zum Direktor...", flüsterte ich kleinlaut und noch dazu peinlich berührt.
"Einfach den Gang runter und dann links", sagte der Kerl gut gelaunt; meiner Meinung nach schien er sogar ein wenig zu gut gelaunt.
"Danke", sagte ich und zog das A dabei etwas in die Länge.
"Dafür musst du mir nicht danken, Serena." Ich wollte gerade fragen, woher er meinen Namen wusste, als auf einmal eine weitere Stimme erklang.
"Mr. Styles, würden sie bitte einmal kurz kommen?", fragte eine ältere Dame, vermutlich eine weitere Lehrerin. Er nickte mir zu und lief davon. Ein wenig schockiert von dieser äußerst seltsamen Begegnung stand ich im Flur und glotzte ihm hinterher. Der Typ war hier Lehrer? Hoffentlich hatte ich den nicht, denn irgendetwas an ihm gefiel mir ganz und gar nicht.
Fünf Minuten später stand ich letztendlich vor der riesigen Tür des Direktorats. Ich klopfte an und wurde mit einem gerufenen "Herein" nach drinnen gebeten. Ein braunhaariger Typ, ebenfalls gar nicht so alt, saß hinter dem Schreibtisch.
Waren hier eigentlich alle Lehrer so verdammt jung?
"Was kann ich für dich tun?", verlangte er zu erfahren und sah mich durch dringlich an. Ich schluckte meinen Kloß herunter und bemerkte wie sich ein ekliger Geschmack in meinem Mund verbreitete.
"Ich soll Ihnen diesen Zettel geben", sagte ich leise und reichte ihm das Blatt Papier. Er nahm ihn neugierig entgegen. Bevor er ihn jedoch in die Mangel nehmen und lesen konnte, klopfte es erneut an.
"Herein", meinte er wieder, diesmal klang es aber deutlich genervter, als zuvor bei mir.
Die Tür ging auf.
"Sie wollten mich sprechen?", fragte jemand hinter mir und ich erstarrte. Diese Stimme... mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Ich wandte mich ein kleines Stückchen in die Richtung, aus der die Stimme gerade erklungen war und als ich ihn erblickte, stockte mir der Atem. Nein! Ich hatte mich tatsächlich nicht getäuscht!
"Louis? Was machst du denn hier?", fragte ich total verblüfft und freute mich fast ein wenig zu sehr darüber, dass wir uns tatsächlich ein zweites Mal begegnet waren.
Erst jetzt schien ihm ein Licht aufzugehen, denn seine Miene veränderte sich augenblicklich.
"Serena?", fragte er ebenso ungläubig.
"Sind Sie beide jetzt fertig damit, sich gegenseitig zu begrüßen?", mischte sich die Schulleitung wieder ein. Ich nickte beschämt und starrte auf die Tischkante des Schreibtisches. Dort lagen unzählige Bögen und Papiere gestapelt, die Stifte unordentlich über die Fläche verteilt.
Die ordentlichste Person war der Kerl ja nicht gerade.
"Einen Moment noch bitte, Mr. Tomlinson", bat der Direktor und konzentrierte sich wieder auf meinen Zettel. Ich spürte Louis' Blick auf mir ruhen und bekam aus einem unerklärlichen Grund eine starke Gänsehaut. Moment mal! Hatte er gerade Mr. Tomlinson gesagt? Okay, mich nannte er ja auch Ms. Stone.
Ich musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren.
'Nicht durchdrehen, Serena!', versuchte mich mein Gewissen zu beruhigen. Genau wie meine innere Stimme musste es immer seinen Senf dazu geben. Um ein Haar hätte ich jedoch fast angefangen zu hyperventilieren.
"So... Was haben wir denn hier? Sie haben sich ohne Anmeldung in den Unterricht gesetzt?"
"Das stimmt überhaupt nicht. Meine Freundin, Nesrin Sasar, hat mich für das neue Schuljahr angemeldet. Zwar ohne irgendwelche Unterlagen, aber die Zeugnisse aus meiner alten Schule habe ich dabei, falls Sie sich diese ansehen möchten."
Ich holte tief Luft, nachdem ich meine Aussage getätigt hatte und versuchte mich ein wenig zu beruhigen. Was hatte diese Frau für ein Problem mit mir gehabt?! In mir kochte alles vor Wut.
Louis räusperte sich, während der Schuldirektor zu überlegen schien.
"Einmal Nachsitzen. Zusätzlich müssen Sie die Anmeldung ausfüllen und ich möchte einen Blick in auf die Zeugnisse werfen", gab er mir zu verstehen, reichte mir einen neuen Zettel und deutete auf den Stuhl.
Ich versuchte so entspannt wie möglich zu bleiben, zumindest äußerlich. In mir drinnen hatte ich diese Lehrerin schon drei ganze Male zerfetzt und wieder zusammengebaut.
Jetzt wandte er sich Louis zu.
Unauffällig spitzte ich die Ohren, ich war einfach so neugierig, was die beiden zu bereden hatten. Dabei beschrieb ich diesen dämlichen Zettel, ohne wirklich zu wissen, was genau ich da gerade eigentlich ausfüllte.
"Mr. Tomlinson, sie müssten Mr. Styles in der dritten Stunde heute vertreten", begann der Schuldirektor und kramte in seiner Zettelwirtschaft herum.
"Welche Klasse?", fragte der Angesprochene und wartete auf seine Antwort.
"Q12", antwortete der Gefragte wie aus der Pistole geschossen und ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke.
Oh mein Gott! Meine Vermutung hatte gestimmt. Um Gottes willen. Mir wurde schlecht; sogar richtig schlecht.
Louis war ein Lehrer.
Und das nicht nur irgendein beliebiger, der hier unterrichtete.
Nein.
Mein Lehrer.
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