Teil9
Es war gerade kurz nach drei, als Alec mit Jons „Schuldenschwanz" vor der grünen Tür anhielt. Er hatte Schlafsäcke besorgt, neue Wanderschuhe und Proviant, auch wenn er gar nicht wusste, wie lange sie überhaupt unterwegs sein würden und ob es da nicht doch Gästehäuser gäbe. Im Grunde hoffte er, es gäbe keine, denn die Nacht im Auto war zwar kalt gewesen, aber was machte das schon? Er hupte kurz, da kam Freyja auch schon aus dem Haus. Sie hatte einen Rucksack dabei, an dem ebenfalls Wanderschuhe baumelten. Er stieg aus, um ihr beim Einladen zu helfen. Sie ließ den Rucksack einfach stehen und begrüßte ihn mit einer Umarmung.
„Bist du bereit?", fragte sie.
„So bereit, wie ich nur sein kann."
Dann lud er ihr Zeug in den Kofferraum und es ging los.
„Jon scheint dich zu mögen, wenn er dir seinen Wagen gibt", bemerkte sie.
„Das will ich auch hoffen, aber ich glaube, er tut das für dich oder seinen Freund."
„Du hast Egill getroffen?"
„Ja. Sehen wir noch mehr von deiner Familie, wenn wir jetzt unterwegs sind?"
„Das kommt darauf an, wo wir lang fahren", scherzte sie und er brauchte einen Moment, um das zu kapieren.
„Wie wär's, wenn du mir einfach den schönsten Weg nach Husavik zeigst? Ich bin schließlich auch wegen meiner Fotos hier."
„Ist das die Herausforderung? Der schönste Weg nach Husavik?", fragte sie nach.
„Wenn du es so siehst. Ja."
„Gut. Du wirst dich wundern. Der schönste Weg geht am Thingvellir vorbei und über das Hochland."
„Das klingt äußerst vielversprechend. Dann mal los."
Sie hatte nicht zu viel versprochen. Kaum hatten sie die Stadt hinter sich gelassen, veränderte sich die Landschaft. Auf dem Weg nach Höfn hatten sie schroffe Lava und Küstengebiete durchfahren. Jetzt näherten sie sich der großen freien Ebene des Thingvellir, wo in der isländischen Vergangenheit die Ratssitzungen der Häuptlinge stattgefunden hatten. Einmal im Jahr kam man dort zusammen und hielt Gericht, trieb Handel oder beratschlagte über wichtige Dinge wie Politik, Religion oder Heirat. Die Kluft zwischen den Kontinentalplatten Amerikas und Eurasiens verlief hier und Freyja schlug vor, dass sie in der Schlucht entlanggehen sollten. Alec war von dem ganzen Areal höchst beeindruckt und machte immer wieder Halt, um ein paar Fotos zu schießen. Freyja erklärte ihm, was sich hier oder dort ereignet hatte. Da war der Öxarafoss, in den man die Köpfe der Enthaupteten warf, damit sie im Fluss an den Menschen im Tal vorbeitrieben und diese sehen konnten, dass die Urteile vollstreckt waren. Da war der Teich, in dem Ehebrecherinnen ertränkt wurden. Da war der Hügel, auf dem Häuptling Thorgeir beschlossen hatte, den alten Göttern abzuschwören. Alec war fasziniert. Von der Landschaft, von dem Ort und von Freyja, die das alles erzählte, als sei sie dabei gewesen.
Alec liebte den Tower in London, was wohl kein so schlechter Vergleich war, aber hier lag die Geschichte des Landes in der freien Natur und nicht hinter meterdicken, normannischen Mauern. Der Nachmittag verflog nur so und das Licht wurde bereits abendlich, als ihnen endlich in den Sinn kam, dass sie wohl weiter müssten. Da es nicht dunkel werden würde, konnten sie noch ein gutes Stück Strecke schaffen. Sie holten eine Karte heraus. „Wenn du mich fragst, haben wir zwei Möglichkeiten. Wir suchen uns hier in der Nähe ein Gästehaus oder wir fahren noch auf's Hochland. In drei bis vier Stunden können wir in Hveravellir sein. Da ist eine Hütte mit einem natürlichen Hot Pot."
„Das klingt für mich nach Hochland."
„Das dachte ich mir."
Bei der Fahrt ins Hochland zeigte sich nun, was Jons Wagen wirklich draufhatte. Die Straßen wurden zu Pisten, die sich immer mehr bergauf zogen. Die Vegetation wurde merklich weniger und immer öfter musste Alec bremsen, weil Schafe dicht an der Fahrbahn oder auf der Fahrbahn liefen. Auf beiden Seiten der Piste sah man in der Ferne die Gletscher in der Abendsonne leuchten und hin und wieder überquerten sie die Gletscherflüsse auf einspurigen Brücken. Als sie auf einer Passhöhe an einem Gasthof vorbeikamen, schüttelte Freyja nur den Kopf.
„Der ist für Touristen. Wir wollen nach Hveravellir", sagte sie und lächelte dabei beinahe unmerklich. Alec fragte sich nur, woran er diesen Ort erkennen sollte, doch schließlich näherten sie sich auf einer weiten Ebene einer Hütte, die von Qualm und Dampf umgeben war. Das musste es sein, weswegen Freyja mit ihm hierher wollte. Als sie ankamen, war außer ihnen niemand da, was geradezu unglaublich war, denn die Hütte und das umliegende Solfataren- Feld hoben sich wunderschön und einladend aus der Landschaft hervor.
„Wo sind denn alle anderen?", fragte er.
„Die sind längst fort mit ihren Reisegruppen. Das wissen nur wir Isländer, dass man hier die Nacht verbringen kann."
„Das wusstest du?"
„Das habe ich gehofft."
Sie schlenderte jetzt lässig auf die heißen Quellen und dampfenden Solfataren zu und er holte seine Kamera, um alles festzuhalten. Die Farben, das Licht, die Isländerin. Als sie alles gesehen und er alles fotografiert hatte, entdeckte er hinter der Hütte das Beste überhaupt. Den natürlichen Hot Pot. Das heiße Wasser lief in einem kleinen Strom von den heißen Quellen in eine Felskuhle, die offenbar tief genug und groß genug für ein ordentliches, heißes Bad war.
Alec überlegte gar nicht. Sowas hatte er noch nie gesehen und natürlich musste er da hinein. Er legte die Kamera in sicherer Entfernung ab, streifte sich seine Kleider vom Leib und ging hinein. Es war einfach nur fantastisch. Das Wasser war angenehm heiß und ganz weich und beinahe türkis blau. Er legte sich hinein und horchte dem Plätschern des Wassers und dem Zischen der Solfataren in einiger Entfernung.
„Ach hier bist du."
Sie hatte ihn gefunden.
„Ja hier. Komm rein, es ist großartig."
Sie schaute sich kurz um und sah all seine Sachen verstreut am Rand liegen.
„Dreh dich um und bilde dir bloß nichts ein."
Er tat, was sie sagte, auch wenn er sich gerade mit einem Lächeln fragte, ob das immer noch ihr Ernst sei. Dann hörte er, wie ihre Kleider zu Boden fielen und sie endlich ins Wasser stieg. Noch immer drehte er sich nicht um und er hatte auch, wie befohlen, die Augen geschlossen. Da war sie mit einem Mal hinter ihm.
„Du kannst dich jetzt umdrehen", flüsterte sie an seinem Ohr und legte ihm von hinten einen Arm um die Schulter. Er legte den Kopf zurück, sodass sie ihn am Hals küssen konnte.
„Du hast wirklich die Augen zu", bemerkte sie etwas ungläubig.
„Hmm ja, ich bilde mir gerade was ein."
„Das ist keine Einbildung", sagte sie nur und kam jetzt nach vorn, um ihn wieder zu küssen, aber diesmal auf den Mund, wie sie es schon getan hatten. Er hatte gehofft, dass es so kommen würde und jetzt war es so. Er zog sie zu sich heran und in der Schwerelosigkeit des Wassers konnte sie ihre Beine um seine Mitte schlingen, während er sie hielt und sie sich weiter küssten. Ihre Finger glitten durch sein nasses Haar und er hatte seine Arme um sie gebreitet.
Bald war klar, dass es für sie beide diesmal nicht bei Küssen allein bleiben sollte. Freyja deutete auf eine flachere Stelle am Rand des Wassers. Alec verstand und trug sie dorthin, dann zog sie ihn zu sich und flüsterte ihm etwas auf Isländisch ins Ohr, was er nicht verstand, aber das musste er auch nicht. Sie wollte ihn unmissverständlich jetzt und hier und er wollte sie. Er suchte ihren Blick und als er ihn fand, machte er sich bereit. Sie küsste ihn wieder, leidenschaftlich und so drang er nun in sie ein. Sogleich stöhnte sie lustvoll auf, was ihn dazu veranlasste, ihren Mund mit seinem zu schließen. Ihre Hände suchten Halt hinten in seinem Nacken, er legte ihr eine Hand unter den Kopf, die andere suchte Halt am Felsenrand, dann begann er mit sanften, rhythmischen Bewegungen. Sie stöhnte wieder und er merkte, wie ihn das nur noch mehr erregte. Ein Gefühl wie Kälte und Hitze zugleich breitete sich in seinem Körper aus und ließ ihn schauern. Das heiße Wasser umspielte ihren Körper, der im Licht der Mitternachtssonne glitzerte, als sei er nicht von dieser Welt.
„Du bist wunderschön", hauchte er in ihr Ohr, küsste ihren Hals, ihre Schultern und schließlich ihre Brüste. Nach und nach steigerte er den Rhythmus und die Intensität seiner Stöße, wie sich auch seine Lust steigerte. Freyja schien nicht in der Lage irgendwas zu sagen und küsste ihn stattdessen immer wilder und fordernder. Er suchte wieder ihren Blick, der verriet, dass sie sich ihrer Ekstase näherte. Auch Alec war schon bald soweit und trieb sie beide gleichermaßen zum Höhepunkt. Kurz verlor er jede Orientierung, aber sie hatte ihre Beine noch immer um ihn geschlungen und er merkte, wie sie sich erst aufbäumte, sodann entspannte und sich ihm völlig hingab. Sie warf die Arme hinter sich und streckte sich, was ihn dazu veranlasste, sie über und über mit Küssen zu bedecken. Schließlich wollte sie wieder seinen Mund küssen und zog ihn zu sich hoch. Er ließ sie nur zu gern, während sich sein Puls langsam wieder beruhigte. Dann ließen sie sich beide wieder ins tiefere Wasser gleiten, wo er sie noch eine Weile hielt und ihr über den Rücken strich. Irgendwann fiel ihm ein, dass sie sich mitten im Hochland Islands unter freiem Himmel befanden. Er musste kichern.
„Was ist?", fragte sie leise.
„Ach nichts, naja doch... ich hab's noch nie in einer heißen Quelle getan und schon gar nicht im Freien."
Sie kicherte jetzt auch.
„Na dann wurde es aber Zeit."
Am nächsten Morgen fühlte sich Alec wie neu geboren. Er schaute aus dem leicht beschlagenen Wagenfenster hinaus und draußen liefen ein paar Schafe mit violettem Farbstreifen im Fell über die Ebene. Als er sich in seinem kuschelig warmen Schlafsack umdrehte, sah er, dass Freyja noch schlief. Nur ihr Raben- Haar schaute aus dem Schlafsack heraus. Schade eigentlich, dass sie beide einen eigenen hatten. Er stand leise auf, aber nicht leise genug, denn sie hob den Kopf.
„Bleib ruhig liegen, ich mache noch ein paar Bilder", flüsterte er, gab ihr einen Kuss und suchte seine Sachen zusammen. Das Licht war gerade ideal und er wollte die Farben der heißen Quellen unbedingt nochmal festhalten. Er wanderte ein wenig um die Quellen herum und fotografierte sie von allen Seiten. In einer warmen Pfütze lag ein Schaf und döste. Der Wind bewegte das Wollgras in den kleinen Rinnsalen da, wo das Wasser sich abgekühlt hatte. Nach etwa einer Stunde war er zufrieden und kehrte zum Wagen zurück, wo Freyja inzwischen auch aufgestanden war und die Tasche mit dem Proviant nach brauchbarem Frühstück durchsucht hatte.
„Hey, Sunshine, du hast nicht zufällig was Anderes eingekauft, außer Keksen und Milch?"
Alec gab zu, dass er das nicht hatte.
„Ich wusste nicht, was du magst und ich dachte, Kekse gehen immer."
Sie fand das lustig und wählte die Vanillecremekekse.
„Hast du gut geschlafen?"
„Ja, beinahe zu gut. Ich habe geträumt ich hätte mit einem sexy Typen heißen Sex im Hochland gehabt."
Alec küsste sie, wie um die Erinnerung zu wecken.
„Ich glaube, ich habe da auch sowas geträumt", hauchte er und klaute sich ein paar Kekse.
„Wie weit sollen wir heute fahren?", fragte sie dann. Er schaute in die Ferne und schien zu überlegen.
„Lass uns noch nicht heute in Husavik ankommen. Ich ... brauche noch etwas Zeit. Keine Ahnung wofür, aber ich will nichts überstürzen."
„Ist gut, dann fahren wir und suchen uns eine Bleibe in Akureyri. Wir schauen uns den Godafoss an. Das wird schön."
Alec lächelte. „Ja bestimmt." Foss bedeutete auf Isländisch Wasserfall. Soviel hatte er inzwischen begriffen. Jökull war der Gletscher. Raun war Lava. Bless bless war danke. Na, er könnte nicht erst dann in Husavik aufschlagen, wenn er genug Isländisch konnte, soviel stand fest.
Die restliche halbe Packung Kekse und einen Liter Milch später machten sie sich auf die Weiterfahrt. Ein bisschen schade, fand er, der Platz war wirklich sehr schön gewesen und auch, was sie dort getan hatten.
Diesmal fuhr Freyja und schon bald ging die Fahrt zwischen Geröll, Gletscherflüssen und vereinzelten, verkarsteten Schneefeldern wieder merklich bergab. Es gab irgendwann wieder mehr Vegetation. Ab und zu machten sie kurz Halt, um Fotos zu schießen, dann ging es weiter und so dauerte es eine ganze Weile, bis sie die Ringstraße erreichten. Das war gut, denn es fuhr sich auf Asphalt deutlich besser als auf Schotter. Sie redeten nicht besonders viel, vielleicht, weil es für ihn so viel Neues zu sehen gab und sie sein Staunen nicht stören wollte. Vielleicht dachte sie auch über irgendetwas nach. Was konnte das sein?
Bald tauchte das Städtchen auf, von dem sie gesprochen hatte. Es lag am Ufer eines dunklen Fjords, wo sich die Ringstraße auf der anderen Seite wieder merklich zu einem Pass bergauf zog. Als sie nach Akureyri hineinkamen, suchten sie sich ein Zimmer in einem kleinen Gästehaus in der Innenstadt. Die Frau an der Rezeption verwickelte Freyja gleich in irgendein Gespräch, während Alec ihre Sachen ins Zimmer brachte. Aus Gewohnheit checkte er seine Nachrichten. Der Redakteur vom Geographic war von den Fotos begeistert. Cillian fragte neugierig nach der Isländerin und wollte wissen, ob er seinen Bruder schon gefunden hatte. Alec ließ ihn wissen, dass er mit der Isländerin gemeinsam unterwegs war und setzte ein Herzchen hinzu, aber sie ließen sich etwas Zeit, bis er sich bereit fühlte, seinem Bruder gegenüber zu treten. Die Mail von Gwen schob er gleich in den Mülleimer. Was wollte die noch? Er packte dann ein paar Sachen aus und als Freyja kam, schlug sie vor, etwas essen zu gehen.
„Die Frau unten hat gesagt, wir sollten das Bautinn ausprobieren. Das Essen soll da total lecker sein." Alec war mehr als einverstanden. Sie konnten nicht nur von Liebe und Vanillecremekeksen leben.
„Müssen wir uns dafür umziehen?"
„Hey Sunshine, das ist Island, wir gehen, so wie wir sind. Bis auf die Wanderschuhe natürlich."
Er lächelte. „Natürlich. Seit wann nennst du mich so?"
„Wenn du es genau wissen willst, seit gestern. Und deinen richtigen Namen müssen wir ja noch herausfinden." Sie zwinkerte ihm zu.
So hatte ihn noch nie eine Frau genannt. Überhaupt war sie die erste, die ihm einen Kosenamen gab und dann auch noch einen so schönen. Er würde sich für sie auch einen überlegen oder abwarten, bis sich einer ergab, der mindestens so schön war wie sie.
Etwa eine halbe Stunde später waren sie im Bautinn, einer Mischung aus traditionellem Familien-Gasthaus und Fischbude. Das Haus war groß und mehrfach vergrößert, mit zwei gemütlichen Wintergärten als Anbau. Drinnen war es verwinkelt und urig. Sie bekamen einen Platz in einer Nische hinter einem Aquarium mit Korallen und Clownfischen.
„Was möchtest du?" fragte sie und hielt ihm die Karte hin.
Er schaute nicht darauf, sondern nur zu ihr.
„Ich nehme was du nimmst."
„Das ist praktisch. Dann nimmst du auch viel davon?"
„Aber sicher doch."
In London:
„Mistkerl, er denkt nicht dran, sich zu melden."
„Er hat Schluss gemacht. Akzeptier das doch."
„Ich denke gar nicht dran."
„Du hast selbst gesagt, er wäre dir in letzter Zeit fremd geworden. Menschen verändern sich..."
„Und wenn schon. Das heißt doch nicht, dass er einfach so gehen kann, wenn es ihm passt!"
„Was soll das denn, was hast du vor?"
„Weiß ich noch nicht. Aber es wird ihm noch leid tun, dass er mich so verlassen hat."
„Beruhig dich doch und lass es sein..."
„Ich werde mich nicht beruhigen, das könnte ihm so passen..."
„Gwen, das ist doch nicht normal!"
„Und wenn schon!"
>>>> Hier mal ein paar Worte über den Realitätsgehalt dieser Fiction: Die Besucherzahlen auf Island sind drastisch gestiegen. Also bildet euch nicht ein, dass da irgendwer der Hot Pot am Hveravellir allein hätte ;)
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