Teil8

Alec saß im Flieger zurück nach Island. Er hatte Freyja angerufen und sich dabei mehr schlecht als recht angestellt. Sie wollte wissen, wie es gelaufen war und er antwortete: „Ich komme zurück. Wir reden später, ja?" Mehr konnte er ihr nicht sagen, jedenfalls nicht am Telefon und er war sich nicht mal sicher, ob er die neuen Informationen überhaupt in Worte fassen konnte. Nun war er doch froh, dass Rory mit in Lancing gewesen war. Der erste Zuspruch tat ihm gut. Freyja hatte recht gehabt, er war Isländer. Jetzt blieb nur noch die Frage, ob sie ihn auch nach Husavik begleiten würde. Er dachte an den Sommerblumenduft ihrer Haare und die Küsse in Höfn. Noch ehe er sich versah, setzte der Sinkflug ein und ihm wurde bewusst, dass es kein Zurück mehr gab. Er würde die Insel nicht eher verlassen, als er seine richtige Familie gefunden hatte. Ohne Koffer war er deutlich schneller aus dem Flughafen heraus. Er schaute sich suchend um, ob er nicht vielleicht doch Freyja irgendwo entdecken konnte, aber da war niemand, der ihm bekannt vorkam. Sie hatte ihm gesagt sie sei dann im Keks, dennoch hatte er gehofft, sie schon früher wiederzusehen. Er musste ihr sagen, dass sie Recht hatte und ihr dabei in die Augen schauen. Der Taxifahrer fuhr schnell, aber nicht schnell genug. Als Alec endlich ankam, war das Keks schon relativ voll. Suchend ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, bis ihm jemand die Hand auf die Schulter legte. „Aus London zurück?" Jon lächelte und deutete auf die Bar. „Du siehst mitgenommen aus. Ein Schnaps täte dir gut." Nach einem Augenzwinkern verschwand Jon in die entgegengesetzte Richtung. Warum war Alec da nicht von selbst drauf gekommen? Er bahnte sich seinen Weg und bald erkannte er die Isländerin hinter der Bar und dass sie alle Hände voll zu tun hatte. Gerade als er ankam, wurde ein Platz frei und er setzte sich. Noch bevor er etwas sagen konnte stand ein Tequila vor ihm. „Hallo und danke." „Bitte." Sie lächelte ihr Er- beißt- in- die- Zitrone- Lächeln und musste sich danach schnell um einige durstige Iren kümmern, die sich auf diese Insel verirrt hatten. Das ermöglichte ihm wiederum erst einmal anzukommen, denn obwohl er ständig an Freyja gedacht hatte, war er immer noch nicht ganz mit seinen Gedanken in Island. „Du hattest Recht," sagte er schließlich. Erst schaute sie ihn fragend an, aber dann nickte sie nur. „Warte einen Augenblick." Wenig später stand Jon hinter der Bar und sie tanzten sich durch an einen ruhigeren Ort. „Ich habe Recht gehabt?", fragte sie. „Ja, leider." „Womit hatte ich Recht?" „Mit deiner Idee, dass ich von hier komme. Ich glaube, ich habe mir gewünscht, dass meine Eltern wirklich meine Eltern waren, aber das stimmt nicht." Freyja nickte nachdenklich, das war ganz normal, schließlich musste er lange bei den Leuten gelebt haben. Dennoch blieben die Fakten. Er war Isländer und suchte jetzt seine richtige Familie. „Du fährst also nach Husavik, oder?", wollte sie wissen, nachdem er geendet hatte. Warum nur er? Oh, warum hatte er ihr nicht gesagt, wie schön er ihren Kuss fand?

„Freyja?"

„Hm?"

„Was ist, wenn er nur Isländisch spricht?"

„Wer?"

„Na, mein Bruder."

Sie nahm seine Hand in ihre und antwortete „Hier spricht jeder spätestens in der Schule Englisch."

Sie lächelte und er war sich nicht sicher wie er jetzt weitermachen sollte, entschied sich aber dafür auf einen Punkt zu kommen.

„Würdest du mit nach Husavik kommen? Ich möchte ungern allein fahren."

„Lass mich nachdenken." Sie ließ sich ein bisschen Zeit und tat so, als würde sie abwägen, was interessanter war. Das Keks oder eine Reise zu den Wurzeln des Namenlosen. "Also gut, aber bilde dir ja nichts ein."

„Danke." Ihm fiel ein Stein vom Herzen.

„Wann willst du los?"

„Gleich Morgen, wenn es passt."

„Einverstanden, aber darauf sollten wir anstoßen."

Sie bahnten sich ihren Weg zurück zur Bar, wo Jon mit einem breiten Lächeln genau zu wissen schien, was los war. „Ihr zwei geht also wieder auf Reisen?" Alec und Freyja bejahten gleichzeitig. „Gibst du uns was zu trinken?", scherzte sie.

„Alles was du willst."

„Dann gib uns doch zwei goldene Tequila."

Alec musste lächeln. „Wie lange weißt du das schon, dass ich eigentlich auf die Sorte stehe?"

„Das weiß ich schon die ganze Zeit. Ich wollte dich testen."

„Du wolltest mich testen?"

Jon stellte ihnen jetzt zwei Gläser mit dem Goldenen hin und dazu einen Zimtstreuer und ein paar Orangenstückchen.

„Oh ja", gab sie dann nochmals zu.

„Und habe ich den Test bestanden?"

Er streute sich den Zimt auf die Faust. Dann nahm er ihre Hand und tat das Gleiche bei ihr und schaute ihr dabei in die Augen. Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Dann leckte er den Zimt von seiner Hand, stürzte den Tequila herunter und biss in die Orange. Er wartete noch immer. Nun leckte sie den Zimt, trank und nahm die Orange. Sie schaute ihm in die Augen. „Aber ja, sonst wäre ich nicht mit dir gefahren."

„Und was machen wir jetzt?", fragte er schlicht.

„Wir könnten tanzen", schlug sie vor.

„Das können wir." Alec stand auf und zog sie mit sich auf die Tanzfläche. Er tanzte wirklich gut und das wusste er. Und Freyja wusste das auch, denn es war ihr schon am ersten Abend aufgefallen. Aber diesmal war es anders. Jetzt tanzte Alec nicht nur so für sich, jetzt tanzte er für sie. Und sie für ihn. Die Band spielte mal wieder die Stones.

Als die Band zusammenpackte war es schon nach drei Uhr morgens. Alec und Freyja tanzten inzwischen eng umschlungen und irgendwie hatte es den Anschein, als ob keiner von beiden irgendwo anders hingehen wollte. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter und er hielt sie fest im Arm. Als die Musik aufhörte, hob sie den Kopf. „Die hören auf, schade", flüsterte sie. „Wirklich schade", gab er zurück, „Wie kommst du jetzt nachhause?"

„Wie immer, ich laufe," sagte sie, klang aber sehr müde.

„So spät noch?"

„Das ist Island. Draußen ist es hell."

„Ich komme mit, ich meine, ich bringe dich nachhause."

„Bist du immer so...", sie überlegte kurz und wollte gerade anhänglich sagen, doch dann fiel ihr ein, dass es das wohl nicht war. Alec war ehrlich, ernsthaft, klug und fürsorglich. Das war das Wort. „...so nett", rutschte ihr dann heraus. So ein dummes Allerweltswort.

„Hmmm, nein, nicht immer," er blickte sie mit seinen seltsamen Augen an, „nur jetzt gerade für dich."

„Na dann ist das okay", fand sie.

Sie gab Jon nur ein Zeichen und dann machten die beiden sich auf den Weg durch die frühmorgendliche Hauptstadt. Noch immer war jede Menge Partyvolk unterwegs, in den Gärten saßen Leute zusammen und feierten, auf einem Spielplatz spielten tatsächlich ein paar Teenager und kickten mit Dosen. Sie und Alec schlenderten langsam durch die Gassen und redeten nur, um sich gegenseitig zu vergewissern, dass sie dasselbe sahen. „Schau mal, da sitzt eine Möwe im Fenster", sagte er. „Schön, wie da das Wasser glitzert", fand sie. „Schau, eine Katze." Schließlich erreichten sie das Haus, in dem sie wohnte. Sie hatten länger gebraucht als üblich, weil sie sich teils bewusst, teils unbewusst Zeit gelassen hatten. Jetzt war es schon nach vier. Sie schloss die grüne Holztür auf und drehte sich auf dem kleinen Treppenabsatz um. Er war dicht hinter ihr. Sollte sie ihn hereinbitten? Sie wollte es. Doch dann schien es ihr besser noch zu zögern. Warum sollte sie sich jetzt beeilen? Es gab wohl keinen Grund. Die Frau aus England hatte ihn verloren und Freyja hatte ihn gefunden. Und sie würde besser auf ihn aufpassen und es würde besser werden, als alles andere zuvor. Sie zog ihn für einen Kuss zu sich heran. Er war kein bisschen überrascht und küsste sie, wie an dem Morgen in Höfn. Nur diesmal wusste er gleich, dass sie es auch wollte und wie sie es mochte. Sie musste es beenden, solange sie noch konnte. Sie zog sich zurück und sagte „Gute Nacht", dann gab sie ihm noch einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht", sagte er. Dann ging sie hinein. Hinter der Tür brauchte sie einen Augenblick, um sich zu sammeln. Dann ging sie und schaute hinter der Gardine aus dem Fenster. Er ging ein paar Schritte rückwärts vom Haus weg, wie um zu schauen, ob sie es sich anders überlegte, dann drehte er sich um und ging zügig fort. Sie blickte ihm noch nach, bis er um die nächste Straßenecke verschwunden war. Dann ging sie in ihr Zimmer und schlief bald ein.

Als Alec zurück ins Hostel kam, machte Jon gerade Feierabend. Er winkte ihm zu und wünschte eine gute Nacht. Alec wünschte das Gleiche und war kaum auf seinem Zimmer, als er auch schon so wie er war auf das Bett fiel und einschlief. Diesmal schlief er tatsächlich beinahe sieben Stunden und offenbar hatte er keine bösen Träume, denn als er erwachte, fühlte er sich ausgeruht und stark, wie schon seit längerem nicht mehr. Es war bereits Mittag und vor dem frühen Nachmittag würde er wohl kaum mit Freyja aufbrechen können. Würden sie diesmal einen Mietwagen brauchen? Mussten sie Proviant mitnehmen? Plötzlich kamen ihm alle möglichen Fragen in den Sinn und so beschloss er, sofort aufzustehen, zu duschen und sich gleich nach dem Frühstück um die Organisation zu kümmern. Zuerst checkte er seine e-mails und Anrufe. Rory wollte wissen, wie er angekommen war. Er machte ein Selfie mit breitem Lächeln und sandte es zurück. Da war eine Nachricht vom National Geographic. Der Fotoredakteur ließ anfragen, ob Alec schon Fotos zur Ansicht hätte. Er rief zurück und versprach, ein paar erste Fotos zu senden. Bestimmt hätte er nachher noch Gelegenheit, ein paar Impressionen vom ersten Tag in Reykjavik zu schicken. Dann ging er in die Lounge, wo bereits reges Treiben herrschte. Ein paar Touristen organisierten Tagesausflüge und ein Typ mit dunklem Pferdeschwanz, den Alec noch nicht kannte, machte die Waffeln an der Bar. „Hi", grüßte der ihn, „du musst Alec sein." 

„Hi, das stimmt. Und du bist?" 

Der Typ reichte ihm die Hand über den Tresen. „Egill, Freyjas Cousin und Jons Freund." 

Alec schlug ein. „Schön, dich kennenzulernen. Jon schläft wohl noch?"

„Wie ein Eisbär. Aber er hat mir den Wagen für dich und Freyja mitgegeben. Er sagt, es gebe keine Widerrede."

„Alles klar. Das ist echt nett von ihm. Sag ihm danke von mir."

Egill nickte. „Gerne doch. Du weißt, dass wir dir trauen, weil Freyja es tut?"

„Ja das weiß ich. Macht euch keine Sorgen."

„Dann ist ja alles klar. Hier, deine Waffeln."

Für Alec war jetzt in der Tat einiges klarer als zuvor. Freyja hatte wohl längst mit Jon und vielleicht auch mit ihrem Cousin über ihn oder Höfn oder Husavik oder alles davon geredet.

„Kann ich sonst noch was für dich tun?" wollte Egill wissen.

„Ja. Sag mal, wo krieg ich hier Schlafsäcke?"

Egill gab ihm die Beschreibung von einem Laden nicht weit vom Hostel und den Tipp, sich auch Wanderschuhe zu besorgen, dann ließ er Alec in Ruhe frühstücken. Zwischendurch kam eine Nachricht von Freyja. Good morning. Bin jetzt wach und freu mich auf die Fahrt. Hol mich ab 3. Er textete zurück. Freu mich auf dich. Als er den Text absandte, musste er lächeln. Das war eindeutig zweideutig. Dann ging er zurück in sein Zimmer, checkte die Fotos vom ersten Tag und sandte ein paar gute Bilder an die Redaktion. Er würde bestimmt die Gelegenheit haben, noch mehr gute Bilder zu machen, wenn sie erstmal unterwegs waren. Husavik lag im Norden der Insel und man musste praktisch die halbe Insel durchqueren, um dorthin zu gelangen. Wenn er ganz ehrlich mit sich war, dann wusste er nicht, ob er sich beeilen wollte oder nicht. Natürlich wollte er seinen Bruder und seine Familie endlich kennenlernen. Aber er wusste rein gar nichts über sie. Wie sollte er ihnen bloß gegenübertreten? Würden sie ihn überhaupt erkennen? Ihm glauben, dass er nichts wusste? Ihn aufnehmen? Was, wenn sie nichts mit ihm zu tun haben wollten. Er sah sich das Foto von Brynjar nochmal an. Sie waren zum Verwechseln ähnlich, aber wären sie sich auch sonst ähnlich oder nahe? „Wer bist du? Wie bist du? Bist du wie ich?", flüsterte er. Dann steckte er das Foto ein, packte seine Tasche und machte sich auf zum Outdoor-Laden. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top