Teil6

Freyja hatte Alec mit dem Jeep direkt zum Flughafen gefahren und ihm viel Glück gewünscht. Zum Abschied gab sie ihm einen flüchtigen Kuss, der ihn überraschte. Auch hatte er ihre letzten Worte, bevor er hinter der Passkontrolle verschwand, nicht mehr richtig verstanden, aber er glaubte so etwas wie „bleib nicht so lange weg", gehört zu haben. Er nickte und winkte noch einmal, dann musste er sich beeilen. In der Maschine bestellte er sich einen Tequila, immerhin schlief er danach den Rest des Fluges.

Die Maschine aus Keflavik landete schließlich in Heathrow und unten in der U-Bahn-Station des Flughafens war alles wie immer. Alec hatte Gwen kurz vor dem Abflug doch endlich mit dem Handy erreicht und sie hatte so getan, als hätte sie seine Nachrichten nicht abgehört, allerdings hielt er das für sowas wie ihre Strategie und er ließ es so gut sein, weil er nicht schon wieder streiten wollte. So teilte er ihr mit, dass er einen wichtigen Grund hatte, sofort nachhause zu kommen. Er würde ihr dort erklären, was eigentlich los sei. Sie war natürlich froh, dass er kam. Als sie das sagte, meinte er, dass er sich auf sie freue und verabschiedete sich mit einem „hab dich lieb", was sie am anderen Ende der Leitung wiederholte. Seltsam nur, dass Alec es ihr nicht wirklich glauben konnte. Und noch seltsamer, dass ihm auch seine eigenen Worte im Nachhinein nur wie leere Worthülsen vorkamen. Konnten sich seine Gefühle, ohne dass er es bemerkt hatte, so sehr verändert haben? Oder hatte er sich verändert? Er schob die Gedanken beiseite. Er war gerade in einer emotionalen Krise und konnte deshalb seine Gefühle nicht richtig einschätzen. Das musste es sein. Und bestimmt wüsste er wieder, was ihn und Gwen verband, sobald er sie wiedersah.

Als er dann in der Bahn saß, musste er daran denken, wie eilig er sich von Freyja verabschiedet hatte. Er hätte sie richtig küssen sollen, ihr sagen sollen, dass er den Trip nach Höfn mit ihr trotz allem sehr schön fand. Er sollte sich eigentlich weniger Gedanken darüber machen. Wichtiger war es nun herauszufinden, ob seine Eltern ihm etwas verheimlicht hatten. Um das herauszufinden, brauchte er erst einmal hundertprozentige Gewissheit, ob seine Eltern auch seine leiblichen Eltern waren. Er überlegte einen Freund anzurufen, der Arzt war. Sicherlich wüsste der, wie sich das nach dem Tod seiner Eltern noch feststellen ließe. Es mussten ja irgendwo Unterlagen existieren über ihre Blutgruppen oder ähnliche Dinge. Es müsste eine Geburtsurkunde geben.

Er schickte dem Arzt eine Sms, mit der Bitte, ihn anzurufen, sobald er könne. Es sei dringend. Dann rief er bei Gwen an. „Hallo Precious, ich bin gut gelandet. In einer Stunde bin ich bei dir." Na, hoffentlich kam jetzt nicht wieder eines dieser Funklöcher. Obwohl er schon einige Jahre in London lebte, konnte er immer noch kein System für den Handyempfang unter der Erde erkennen. Als er endlich in der Innenstadt ankam, konnte er am zunehmenden Verkehr feststellen, dass es viertel vor sieben war. Heute würde er bei keiner Behörde mehr etwas erreichen.

Gwens Wohnung lag in Kensington und war von der U-Bahn-Station in wenigen Minuten zu erreichen. Er machte noch bei ihrem Lieblings-Chinesen Halt und holte das Takeaway, das sie sich immer holten, wenn er bei ihr war. Der Chinese bestaunte den Islandpullover und wünschte augenzwinkernd einen schönen Abend. Oben im dritten Stock des großen Wohnkomplexes mit dem typischen rötlichen Backstein, stand die Wohnungstür nur angelehnt. Gwen hatte seine Nachricht also bekommen. Er ging hinein.

„Gwen, hallo, ich bin zurück!", rief er. Sie kam aus dem Wohnzimmer.

„Hey, Alec, endlich, ich habe dich so vermisst!" Sie fiel ihm direkt ungewohnt stürmisch um den Hals, sodass er die Tüte vom Chinesen gerade noch abstellen konnte.

„Ich dich auch."

„Na das will ich auch hoffen", sagte sie und legte dieses Lächeln auf, dass ganz klar darauf hindeutete, dass ihr nicht nach einem Essen sondern nach was anderem zumute war. Dann küsste sie ihn. Er schob mit einem Fuß die Tür hinter sich zu und stieg auf ihre Küsse ein. Warum auch nicht? Sie legte ihre Arme um seinen Hals und er roch ihr Parfüm, und stellte sich vor, dass es nach Sommerblumen roch, was es nicht tat. Sie küsste ihn weiter, während sie ihn mit sich zog.

„Wo willst du hin?"

„Na wohin wohl, ins Schlafzimmer."

Er hatte damit gerechnet, dass sie noch sauer war, aber offensichtlich war das nicht der Fall. Das hier wurde ganz offenkundig eine Versöhnung.

„Du siehst müde aus, los leg dich auf's Bett", scherzte sie und machte sich daran, ihm den Isländer auszuziehen. „Der geht gar nicht", fand sie, „lässt dich wie'n Farmer aussehen."

Alec ließ sie weitermachen und zog sie mit auf das Bett. Überall im Schlafzimmer waren bereits Kerzen angezündet, offenbar hatte sie es so geplant.

„Ist schön hier", bemerkte er und begann damit, sie auszuziehen. Als er ihre Bluse abstreifte bemerkte er sofort, dass sie einen neuen BH trug, der so teuer aussah, dass er ihn nur vorsichtig öffnete.

„Hmm, du warst einkaufen", murmelte er, und küsste ihren Hals und hinunter zu ihren Brüsten. Wenn sie so war, war sie zum Niederknien.

„Nur für dich", hauchte sie und führte ihn weiter. Als er mit seinen Küssen an ihrem Nabel angelangt war, musste sie lachen.

„Du kitzelst."

„Hmmm, ich bin nicht rasiert", gab er zu und begann, ihr die Jeans auszuziehen. Sie machte sich auch an seiner zu schaffen.

„Scheint, als wärst du unter das Bauernvolk gegangen", hauchte sie ihm ins Ohr.

„Und, gefällt's dir?"

Sie antwortete nicht und küsste ihn und zog ihn zu sich. War das die Antwort? Er suchte ihren Blick und sah sein Spiegelbild und ihre Lust in ihren Augen und noch etwas, was er nicht recht verstand.

„Ich will ein Kind von dir", flüsterte sie und ihr Atem verriet, dass sie es so meinte, sie wollte ihn, jetzt, hier.

Aber: Ein Kind ... von ihm ... echt? Alec zögerte. Hatte er richtig verstanden? Sie bemerkte sein Zögern.

„Was ist, komm schon, mach, lass uns ..."

„Ist das ... dein Ernst?", murmelte er.

„Ja doch, komm."

Er zögerte noch immer. Schon zu lange, für ihren Geschmack.

Ein Kind, jetzt? Das konnte nicht ihr Ernst sein. Nein. „Gwen, nein, das ... geht so nicht. Nicht ... jetzt, nicht so..."

Sie fuhr plötzlich auf. „Was soll das heißen? Heißt das, du willst nicht?!"

Alec kämpfte um Fassung und suchte nach passenden Worten.

„Gwen, Prescious, nein, natürlich will ich dich, aber ich ... ich will jetzt kein Kind."

Sie versetzte ihm einen Schubs und setzte sich auf. Er stieß einen Seufzer aus. Er wollte sie nicht zurückweisen oder verärgern, doch jetzt war es so. Er setzte sich auch auf. Sie stürmte beleidigt ins Bad und schloss die Tür. Er stand auf, wickelte sich in eine Decke und ging ihr nach. Vor der Tür begann er, auf sie einzureden.

„Gwen, bitte. Versteh doch. Ich ... mir ist da in Island was passiert, dem muss ich erst nachgehen. Das ist gerade nicht so einfach."

Er horchte, ob sich hinter der Tür etwas tat. Sie schien jedenfalls nicht zu weinen. Gut.

„Bitte mach auf, lass uns vernünftig reden ..."

„Vernünftig?", rief sie jetzt mit sowas wie Spott in ihrer Stimme, „vernünftig? Ist es vernünftig, seinen Job aufzugeben, um auf irgendeiner gottverlassenen Insel Steine und Hinterwäldler zu fotografieren? Hast du dabei mal an mich gedacht?"

Er holte tief Luft. „Ja das habe ich. Ich verstehe nicht, wieso diese sechs Wochen so ein Problem für dich sind. Ich ... kann nicht ewig nur für die Zeitung arbeiten. Ich langweile mich da." Die Debatte hatten sie doch schon ...

„Du würdest dich nicht langweilen, wenn du einen geregelten Job hättest und ein Baby, um das du dich kümmern kannst!", rief sie und klang nun beinahe hysterisch. Alec begriff nun, worum es hier ging.

„War das der Plan, ja? Wenn ich wiederkomme mache ich dir ein Kind und dann habe ich keine Wahl mehr und muss zu der Zeitung zurück? Sag schon, war das der Plan?"

Alec wollte nicht, aber jetzt wurde er zornig. Natürlich war es das. Sie hatte mit irgendeiner ihrer Freundinnen geredet oder es sich selbst so ausgedacht.

„Das ist doch nicht dein Ernst", begann er nochmals, „du glaubst, wenn wir ein Kind hätten, käme ich nicht mehr auf die Idee, was Anderes zu machen? Hast du eine Ahnung, wie sehr ich mir wünsche, als Fotograf wirklich gut zu sein?"

„Das bildest du dir nur ein. Wenn wir ein Kind hätten, dann wärst du zufrieden."

Alec ließ sich zu Boden sinken und saß mit dem Rücken zur Tür. Er war wie vom Donner gerührt. „Was ist?", rief Gwen von drinnen. „Sagst du nichts mehr?"

Er bekam sich wieder etwas im Griff.

„Gwen, es tut mir leid, aber ich will nicht nur zufrieden sein. Ich will glücklich sein. Und wir beide wollen, so scheint's, völlig unterschiedliche Sachen."

Sie öffnete jetzt mit einem Mal die Tür und kam im Bademantel heraus.

„Ich habe keine Lust, darauf zu warten, dass du irgendwann vernünftig wirst", sagte sie mit einem Ton, den er bei ihr inzwischen erkannte. Dies war der Versuch, ihn unter Druck zu setzten. Entweder du machst, wie ich will oder du machst weiter ohne mich. Er stand auf und sah ihr direkt in die Augen. Da war der Ausdruck von vorhin und diesmal so deutlich, dass er ihn erkannte. Sie glaubte, alles fest im Griff zu haben, auch ihn.

„Es ist mir egal", sagte er dann leise aber bestimmt, „du kannst mich so nicht zwingen. Wenn es okay ist, schlafe ich auf der Couch, morgen früh bin ich weg."

Der Ausdruck in ihren Augen wurde noch härter.

„Wenn du es so willst, dann hau gleich ab", zischte sie.

Er nickte. „Ist gut. Ich brauche nur zwei Minuten."

Und so war es auch. Nach zwei Minuten stand Alec angezogen vor der Tür und rief sich ein Taxi.



Rückblende, auf Island:

„Wo hast du deinen Lavakopf, den Engländer gelassen?"

„Keflavik, er musste nach London."

„Der kommt wieder."

„Das hoffe ich."

„Wenn nicht, ist es sein Pech."

Jon schob Freyja etwas über den Tresen. „Hier, ein Glückskeks für dich."

Sie lächelte.








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