Teil30

Jon kam nicht allein, sondern brachte Egill mir, der sich um nichts in der Welt entgehen lassen wollte, was die englische Gewitterziege denn auf den Tisch bringen wollte. „Wenn wir zu zweit sind, dann kriegen wir mehr mit", fand er, „und wenn einer von uns den Kleinen hat, kann der andere die Ohren spitzen." Jon grinste vor sich hin, während sie durch Freyas Vorgarten kamen. „Dir ist schon klar, dass wir hauptsächlich mit Eythor draußen spielen sollen, damit die beiden drinnen in Ruhe mit der Engländerin reden können?" Sein Freund nickte. „Ja schon, aber wir sind auch die Verstärkung, wenn's drauf ankommt", erklärte er, schon beinahe kampfeslustig, „und außerdem bin ich neugierig auf diesen Bruder von Alec." Das ging Jon nicht anders. „Er heißt Asgeir und der andere heißt Brynjar."

„Ich weiß, ich weiß. Das ist alles so aufregend."

Noch bevor die zwei die Klingel betätigten, öffnete Freya mit Asgeir die Tür. Sie umarmten sich zur Begrüßumg und Freya ließ sie eintreten. „Gut, dass ihr da seid", fand sie.

„Na, wir wollen doch nichts verpassen", gab Egill direkt zu.

Asgeir schaute ein wenig kritisch. Was immer da kam, er würde es lieber verpassen. „Sie müssten gleich hier sein", erklärte er dann, „mein Bruder hat vor zwanzig Minuten nochmal eine Nachricht geschickt. Sie ist gestern aufgetaucht, fährt schon den ganzen Tag mit ihm im Wagen, aber verrät nichts."

„Weil sie nichts in der Hand hat", vermutete Jon.

„Und wenn doch?", fragte Egill.

„Wir werden es schon erfahren", gab Asgeir zurück. Der junge Mann fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut, obwohl es nichts gäbe, was ihn von seiner Entscheidung, sich von Gwen zu trennen abbringen könnte. Was wollte sie bloß? Ihm eine tränenreiche Szene machen? Ein lukratives Jobangebot, für den Fall, dass er ihr zurück nach England folgte?

Zusammen gingen alle vier ins Wohnzimmer, wo Freya und Asgeir schon fast alles in Umzugskartons verpackt hatten und jetzt nur noch die Möbel, die zur Ausstattung gehörten, standen. Typsch für Island, hatten sie Kaffee und Kekse bereit gestellt. Freya hatte darauf bestanden, auch wenn keiner von einer friedlichen Zusammenkunft ausgehen konnte. Eythor saß mit ein paar Wachsmalern in einem der Kartons und malte sich und den Karton von innen bunt an. „Komm, kleiner Mann, wir gehen raus in den Garten und zum Spielplatz", verkündete Jon ohne große Umschweife und hob den Bengel auf seine Schultern. Ihm war es lieber, wenn sie schon mal draußen wären, bevor der Rabatz losging. Egill grinste, packte sich ein paar Kekse ein und folgte seinem Freund mit dem Kleinen durch die Hintertür des Hauses. „Wir sind nicht weit", sagte er noch, „wenn's Stress gibt, kommen wir."

„Es gibt keinen Stress", versicherte der rothaarige Ex-Engländer und hoffte, dass es so wäre.

Keine zehn Minuten später hielt der Landrover mit Brynjar und Gwen vor dem Haus. Als Asgeir die Engländerin sah, bekam er direkt ein ungutes Gefühl. Seinen Bruder zu sehen jedoch tat gut, auch wenn der einen echt genervten Eindruck machte. Er öffnete die Tür und begrüßte Gwen lediglich höflich mit einem Handschlag und einem schlichten „Hallo". Sie sagte gar nichts und schnaufte nur, als sie das Haus betrat. Brynjar nahm Asgeir direkt einmal in den Arm und drückte ihn als bestärkende Geste. „Hier wohnst du also jetzt?", begann Gwen, die ihre Worte wiedergefunden, aber alles andere als gut gewählt hatte. Ihr Blick sprach Bände über die zu Unrecht als unzulänglich betrachtete Wohnung.

„Nein, ich habe hier gewohnt", kam Freya dazu und funkelte Gwen geringschätzig an. Sie hielt es nicht für angebracht, der unhöflichen Ex-Freundin die Hand zu reichen, wenn die auf Kampf aus war, aber sie begrüßte den isländischen Bruder mit einer Umarmung. „Gut, dass du da bist", sagte sie zu ihm und mit „Setz dich, willst du Kaffee und Kekse", wandte sie sich an den schlecht gelaunten weiblichen Gast. Gwen pflanzte sich auf das Sofa und machte nicht mal den Versuch, höflich drein zu blicken. Die anderen setzten sich dazu. „Du bist doch sicher nicht so weit gekommen, nur um mich und sie zu beleidigen, oder?", eröffnete Asgeir nun das Gespräch, während er allen Kaffee einschenkte.

„Nein, ganz und gar nicht", antwortete sie. „Ich bin gekommen, um dich zur Vernunft zu bringen."

Brynjar unterdrückte ein glucksendes Lachen, Asgeir und Freya schauten zu Gwen, als hätte die einen schlechten Witz gemacht.

„Wie kommst du darauf, dass ich nicht bei Vernunft bin? Ich habe hier meine Familie gefunden, wie du schon weißt und ich gehöre hierher."

Seine Ex- Freundin schaute ihn jetzt an, als sei er tatsächlich nicht ganz dicht. „Das kann doch alles nicht dein Ernst sein. Du hast ein Leben in London. Willst du das alles wegwerfen: einen gut bezahlten Job, dein Freundeskreis, das Erbe deiner Eltern, mich? Und wofür? Für einen Urlaubsflirt und eine Bauernfamilie, deren Sprache du nicht mal sprichst? Die dich nicht mal richtig gesucht hat?"

Brynjar schnappte jetzt nach Luft. „So war das, nein, so ist das ganz und gar nicht. Dass wir ihn nicht gefunden haben, heißt nicht, dass wir ihn nicht die ganze Zeit gesucht und vermisst haben!"

Asgeir reagierte nicht weniger gereizt, obwohl er sich vorgenommen hatte, sich nicht von der Engländerin provozieren zu lassen. „Was immer sie sind, er ist mein Bruder und ich liebe ihn, mein Vater lebt und ich gehöre hierher. Und Freya ist kein Urlaubsflirt. Sie gehört zu mir, weil wir uns lieben."

Gwen schaute missbilligend, denn natürlich gefiel ihr das alles gar nicht. Jemand wie sie konnte nicht verstehen, dass man sich Gefühle nicht aussuchen oder beliebig zurechtbiegen und manipulieren konnte. Auf ihre Art hielt sie das, was sie tat und sagte wirklich für einen Liebesbeweis. Sie war auf diese kalte, kahle Insel gekommen, um Alec vor dem schlimmsten Fehler seines Lebens zu bewahren: auf sie zu verzichten und ein Leben auf dem Land der Großstadt vorzuziehen. Sie beschloss, schwerere Geschütze aufzufahren: „Hat sie dir eigentlich erzählt, dass sie eine ledige Mutter ist, die ihr Kind nicht mal bei sich hat? Welche Mutter lässt denn bitte ihr Kind im Stich?"

An diesem Punkt mischte sich Freya als Erste ein, noch bevor Asgeir antworten konnte. „Was weißt du schon von meinem Leben oder meinen Entscheidungen? Was ich getan habe, war zum Besten meines Sohnes. Und was du hier abziehst ist absolut lächerlich."

„Das stimmt, Gwen", kam es jetzt von Asgeir, „es kann unmöglich dein Ernst sein, mich hier fort zu holen, indem du alles, was ich tue in Frage stellst und meine Familie und Freya beleidigst. Ich denke, wir haben nichts mehr gemeinsam und du solltest besser gehen, bevor hier alle die Geduld verlieren." Er warf ihr einen ernsten Blick zu, der seine Worte zusätzlich unterstrich. Gwen jedoch schien noch immer unbeeindruckt und legte nun ein seltsames Lächeln auf, so als käme in diesem Moment ein Joker aus ihrem Ärmel gefallen. „Du hast mich nie gefragt, warum ich dich nicht hierher begleitet habe. Du hast einfach angenommen, dass es mit meiner Laune zu tun hat und damit, dass ich es völlig unvernünftig fand, dass du deinen sicheren Job aufgibst, um hier Fuchs und Hase beim Gute Nacht sagen in den Arsch zu fotografieren. Aber du hast dich getäuscht", sprach sie in einem verächtlichen Ton, der nichts Gutes verhieß, „die Wahrheit ist, dass es nicht gut ist, in den ersten Schwangerschaftswochen zu fliegen..." Asgeir schüttelte den Kopf, so als wollte er nicht hören, was sie weiter sprach. „Und du wirst sicher verstehen, dass mir deine unvernünftigen Pläne mitten in der Familienplanung nicht gerade sinnvoll erschienen." Sie sah ihn an, als erwarte sie Applaus. Brynjar hatte jetzt die Hand von Freya genommen, die aussah, als wolle sie Gwen in Stücke reißen, doch er hielt sie zurück. Es wäre Asgeirs Aufgabe, nun als Erster zu reagieren.

„Gwen", begann er und nahm all seinen Mut zusammen, „Gwen, wenn das so ist, dass du ein Kind von mir erwartest, dann versichere ich dir all meine Unterstützung und es soll dir und dem Baby an nichts fehlen, aber deswegen komme ich nicht zu dir zurück."

„Was sagst du? Spinnst du?", fuhr sie ihn an. Wie konnte er so reagieren? Er musste doch einsehen, dass sie nur aus Rücksicht und im Sinne des Ungeborenen gehandelt hatte. Sie war eine Märtyrerin und er sollte froh sein, wenn sie ihn noch immer wollte.

„Nein, Gwen, ich spinne nicht", fuhr er ruhig und ernsthaft fort. " Was ein Kind braucht, ist ganz sicher nicht, dass beide Eltern ständig zanken und einer von ihnen komplett unglücklich ist. Und ein Ziehvater, der dich liebt ist allemal sicher besser. Ich bin zwar nicht bei meinen richtigen Eltern aufgewachsen, aber bei einem Paar, dass sich und mich geliebt hat. Mich mit einem Kind an dich zu binden ist keine Lösung. Wir müssen eine andere finden."

„Das glaub ich jetzt nicht!", setzte sie empört an.

„Doch, das solltest du glauben."

Freya ließ jetzt Brynjars Hand los und setzte sich so aufrecht hin, dass alle sofort wussten, sie würde nun etwas zu all dem sagen. Und das tat sie dann. „Engländerin, du kannst es nicht wissen, weil du von diesem Land und seinen Menschen keine Ahnung hast. Aber jetzt sei dir gesagt, dass ich eine Gabe besitze, die dir gerade einen Strich durch die Rechnung macht. Du bist nicht schwanger. Du lügst und ich weiß es." Sie schaute auf Gwen, die nun wirklich sprachlos war. Wie konnte die Isländerin wissen, dass das alles nur ein Bluff war?

Asgeir fand die nächsten Worte in dieser Situation. „Das war also dein Plan? Eine vorgeschobene Schwangerschaft? Geh bitte einfach, bevor ich Lust kriege, dich aus dem Haus zu jagen."

„Du kannst mich doch nicht einfach so wegschicken?!", protestierte sie, so als könnte das noch einen Unterschied machen. Im gleichen Moment kam schon Egill zur Hintertür herein, der dort gelauscht und offenbar das Wesentliche mitbekommen hatte. Gwen sagte darum nichts weiter, denn sie erkannte ihn und konnte sich erinnern, dass sie ihm Dinge gesagt hatte über Alec und Freya. Gemeine Dinge.

„Egill, würdest du die Engländerin zum Flughafen fahren?", fragte die Isländerin und ging zu Asgeir. Der stand auf und sie nahmen sich bei den Händen.

„Klar, mach ich", antwortete Egill.

„Nimm meinen Wagen", bot Brynjar an. In dem war sowieso noch Gwens Gepäck.

„Gwen?!", begann Asgeir und man sah ihm an, dass es ihn einige Mühe kostete, sie anzusprechen. „Ich wünsche dir trotz allem eine gute Reise."

Sie sagte nichts mehr und ging hinaus. 

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