Kapitel 50

Dracos Sicht

Trotz der kalten Jahreszeit ist der Schnee in Hogwarts schon wieder verschwunden. Feuchte Nebelschwaden liegen über dem Schloss. Gedankenverloren schaue ich hinauf in den grauen Himmel. Ab und zu fliegt eine Eule an mir vorbei, mal mit einem Brief im Schnabel, mal mit einem kleinen Päckchen.

Ich bin gerne hier oben. Niemand sonst kommt hier rauf. Hier oben kann ich sein, wie ich will und nicht wie es mein Vater will. Ich habe nichts dagegen Draco Malfoy zu sein, denn das verschafft mir einen gewissen Stand und ein hoher Stand bedeutet Macht.

Manche bezeichnen es als Arroganz. Ich würde mich aber eher als selbstbewusst und zielstrebig beschreiben. Das Problem ist nur, dass starkes Selbstbewusstsein schnell arrogant wirken kann. Aber was soll's – die Menschen, die mir wichtig sind, wissen wie ich bin und die anderen sollen denken was sie wollen.

Keiner von denen dürfte sich darüber beschweren, dass ich sie beleidige, oder schlecht über ihre Familien rede, denn sie sind nicht besser. Jeder Einzelne von denen hat Vorurteile über meine Familie. Jeder denkt schlecht von mir. Wieso sollte ich es also anders machen? Irgendwann lernt man Beleidigungen umzudrehen und nicht mehr an sich heran zu lassen. Ich musste mir oft genug anhören, wie schlecht meine Familie doch ist und wie verzogen ich bin. Aber da das nicht der Wahrheit entspricht, kann ich es gut ignorieren. Es stört mich nicht, wenn jemand schlecht über mich und meine Familie redet – das dachte ich zumindest bis vor kurzem.

Die Sache am Bahnhof letzte Woche geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Sowas habe ich zuvor noch nie getan. Als ich gesehen habe, dass diese Ravenclaws auf Bella zu gelaufen sind, hatte ich eine Kurzschlussreaktion. Normalerweise denke ich erst nach, bevor ich handle und achte sehr darauf, dass mein Ruf nicht beschädigt wird. Aber als es um Bella ging, war es anders – ich war anders. In dem Moment war mir mein Ruf egal. Es war mir egal, wer alles zugesehen hat. Wichtig war nur, dass es Bella gut ging. Im Nachhinein durfte ich mir zwar noch einige dumme Kommentare anhören, aber niemand hat sich so wirklich getraut, mich auf das Thema anzusprechen. Und das ist auch gut so. Die anderen können denken was sie wollen, sie sollen mich bloß mit ihren Gedanken in Ruhe lassen.

Aber irgendwas muss ich machen, denn auch wenn mich die hässlichen Kommentare über meine Familie nicht stören, Bella nimmt sie sich zu Herzen. Und ich will nicht, dass Bella sich deshalb verändert. Und sie wird sich verändern, wenn es so weiter geht. Die anderen werden sie verändern. Sie wird kalt werden, und ihre Gefühle immer mehr unter Kontrolle bekommen, sie wird weniger lachen. Aber ihr Lachen ist so wunderschön. Wenn Bella lacht, dann erhellt sie die Gesichter aller, die um sie herumstehen. Sogar die Herzen der meisten Slytherins hat sie erobert, und das muss man erstmal schaffen. Aber der Ruf unserer Familie wird sie verändern – so wie er mich verändert hat. Ich muss dringend mit ihr darüber sprechen.

Sie darf nicht so werden. Nicht so kalt und emotionslos wie unser Vater. Sie kommt sehr nach unserem Vater. Sie hat viel von ihm: den aufrechten schwungvollen Gang, den Ich-habe-recht-blick, die Sturheit, das Talent alles in Worte fassen zu können, die Gabe in andere Menschen hineinzuschauen und die Neigung dazu überall im Mittelpunkt zu stehen und gehört zu werden. Zwar nutzen beide ihre Eigenschaften auf ihre eigene Art und Weise, aber die Gemeinsamkeiten sind kaum zu übersehen.

Viel hat sie aber auch von unserer Mutter: das Einfühlungsvermögen, die beruhigende Art, den Drang alle zu beschützen die sie liebt, die Weitsicht, das Talent andere zu überzeugen und die Gabe zu lieben.

Auch wenn Bella es nie zugeben würde, aber sie ist unseren Eltern ähnlicher als sie denkt – sie ist auch mir ähnlicher als alle denken. Der Unterschied ist nur, dass ich all das nicht offen zeige.

Vermutlich ist Bella die Einzige, die weiß wie ich wirklich bin. Deshalb ist sie auch die Einzige, die keine Vorurteile mir gegenüber hat und mich einfach behandelt wie ihren Zwillingsbruder. Und das obwohl sie all die Geschichten über mich kennt. Und dafür liebe ich sie. Das wird sie wohl nie aus meinem Mund hören, aber ich gebe mir Mühe ihr das wenigstens zu zeigen.

Meine Gedanken schweifen zu einem anderen wunderschönen Mädchen – Rosalie. Das mit uns hat sich zwar erledigt, aber ich wusste von Anfang an, dass zwischen uns nichts werden kann. Ich habe den Abend mit ihr auf dem Ball sehr genossen, und auch einige Tage danach haben wir uns noch öfter getroffen. Aber nach den Ferien kam sie zu mir und meinte, dass zwischen uns nie mehr als Freundschaft sein könne. Für mich ist das okay. Ich vermute, dass ihr Vater da genauso dagegen ist, wie meiner. Aber Rose ist ein großartiges Mädchen. Sie ähnelt Bella sehr – vermutlich war das auch der Grund, weshalb ich sie so mochte. Aber ich gehöre zur Familie Malfoy und muss später einmal eine reinblütige Hexe heiraten – bisher stört mich diese Tatsache nicht. Bella wird damit wohl mehr zu kämpfen haben. Auch wenn die Weasleys reinblütig sind, sind sie in den Augen meiner Eltern Blutsverräter. Aber Bella ist ja sowieso in allem eine Ausnahme.

***

Alle Schüler laufen aufgeregt zum Schwarzen See und drängen sich auf die kleinen Boote, die sie zu den großen Zuschauertürmen mitten im See bringen. Genervt werfe ich ein paar Zweitklässlern einen wütenden Blick zu, weil sie mir im Weg herumstehen. Zu der Prüfung gehe ich eigentlich nur, weil ich mit Bella reden will, und sie auf jeden Fall dort sein wird. Im Prinzip ist es mir egal, was die Champions dort machen.

Auf dem Steg angekommen halte ich Ausschau nach meiner Schwester. Ob sie schon auf einer der Tribünen ist? Ich will sie gerade über Telepathie fragen, als ich sie sehe. Die kleine Weasley im Schlepptau rennt sie auf den See zu. Ihre langen weißblonden Haare haben sich aus der Mütze gelöst. Mit roten Wangen kommt sie am Steg an, irgendwas scheint sie aufzuregen, denn sie ist sogar an den Weasley-Zwillingen vorbei gehuscht, ohne sie zu bemerken. "Bella!" Zerstreut dreht sie sich um und schaut mich fragend an. "Kann ich dich kurz sprechen?" Noch während ich rede, ist sie schon in eines der Boote gesprungen. "Später, ja? Hermine und Ron sind seit heute Morgen verschwunden. Ich muss mit Harry reden, oder mit Professor McGonagall.", hektisch sucht sie sich einen Sitzplatz, und wenige Sekunden später legt das kleine Boot vom Ufer ab, und bringt sie zu den Türmen.

Verwundert schaue ich dem Boot hinterher. So aufgebracht habe ich Bella schon lange nicht mehr erlebt. Ich schubse ein paar aufgeregte Hufflepuffs zur Seite, und springe in eines der Boote. Gut, dann warte ich eben bis später. Ich kenne meine Schwester gut genug, um zu wissen, dass sie sich große Sorgen um das Wohlergehen ihrer Freunde macht. Und da würde sie mir sowieso nicht richtig zuhören, weil sie mit ihren Gedanken woanders wäre.

Bei dem Turm angekommen, gehe ich zu den anderen Slytherins aus meinem Jahrgang, da sie sich die besten Plätze gesichert haben. Von dort aus lasse ich meinen Blick schweifen und merke zu spät, dass ich gerade tatsächlich Ausschau nach Granger und Weasley gehalten habe. Schnell verbanne ich die beiden aus meinem Kopf und wende ich den anderen zu, die sich in einer heftigen Diskussion befinden. "Meint ihr, sie werden von den Seebewohnern gefressen?" "Sicher, Crabbe!", sarkastisch verdreht Zach die Augen. "Die Lehrer schicken 4 Schüler in den See, damit sie dort gefressen werden ..." Schmunzelnd schüttle ich den Kopf.

Isabellas Sicht

„Harry!", ich springe aus dem kleinen Boot und laufe zu Harry, der sich angespannt zu mir umdreht. „Hast du Ron und Hermine gesehen?", aufgeregt schaut er hinter mich. Verwundert schüttle ich den Kopf: „Ich habe gehofft, dass sie bei dir sind." Wo sind die beiden nur. Die verpassen doch Harrys zweite Prüfung nicht einfach so. Hoffentlich ist nichts passiert. Um Harry nicht weiter zu verunsichern, sage ich: „Wahrscheinlich sind sie auf einem der anderen Türme ... Habt ihr gestern noch was gefunden?" Harry hat den ganzen Tag mit uns in der Bibliothek verbracht und wir haben nach Zaubersprüchen gesucht, die ihm dabei helfen, eine Stunde unter Wasser zu überleben. Abends musste ich allerdings weg, weil ich Rosalie versprochen hatte, ihr in Zaubertränke zu helfen. „Ja, Neville hat mir Dianthuskraut gegeben." Skeptisch schaue ich erst auf Harrys Hand mit dem Kraut und dann zu Neville, der nicht besonders überzeugend aussieht, und mich nur hilflos anlächelt. Na hoffentlich wirkt das Kraut wirklich. „Viel Glück Harry! Ich schau mal, ob ich Hermine und Ron irgendwo finden kann." Ich schenke Harry noch ein aufmunterndes Lächeln, bevor ich die Treppen nach oben laufe.

Fred und George stehen an der Brüstung und schließen noch letzte Wetten ab. Ich dränge mich zwischen den anderen hindurch, als Dumbledore die zweite Prüfung ankündigt.

„Willkommen zur zweiten Aufgabe! Letzte Nacht wurde jedem unserer Champions etwas gestohlen. Gewissermaßen ein Schatz! Diese vier Schätze, einer für jeden Champion, liegen nun am Grunde des schwarzen Sees. Um zu gewinnen, muss jeder Champion nur seinen Schatz finden und zur Oberfläche zurückbringen."

Da geht mir ein Licht auf und ich lehne mich über die Brüstung und schaue in den See. „Ron! Ron ist Harrys Schatz!" „Was?", zwei verdatterte Weasleys schauen mich an. „Ron und Hermine, sie sind da unten im See! Sie sind die Schätze von Harry und Krum!" „Voll krass!" Verärgert schlage ich Fred gegen den Arm. „Das ist gefährlich! Wer weiß, was die Seebewohner mit eurem Bruder machen, wenn Harry ihn nicht rechtzeitig findet!" „Ach, Harry schafft das schon!", aufmunternd legt George mir einen Arm um die Schulter. Mürrisch murmle ich: „Ich hasse dieses Turnier." „Aber für die Geschäfte ist es super!", grinsend deutet Fred auf ihre Wetteinnahmen. „Kein Wunder, wenn ihr die Gewinne nicht zurückzahlt. Ich bekomme noch 10 Galleonen für meinen Wetteinsatz bei der ersten Aufgabe!", fordernd halte ich ihm meine geöffnete Hand hin. Lachend greift Fred in den Koffer und drückt mir meinen Gewinn in die Hand. Bevor ich ihm noch einen frechen Kommentar zuwerfen kann, redet Dumbledore weiter. „Das mag einfach klingen, aber der Haken ist, sie haben dafür nur eine Stunde Zeit! Eine Stunde, nicht mehr! Danach sind sie auf sich gestellt! Kein Zauber rettet sie! Ihr könnt beginnen, wenn die Kanone ertönt!"

***

Komm schon Harry! Seit einer dreiviertel Stunde starre ich nun schon auf die Wasseroberfläche. Fleur musste aufgeben, weil sie von irgendwelchen Wasserbewohnern angegriffen wurde. Seitdem steht sie besorgt unten, weil ihre kleine Schwester scheinbar im Wasser ist.

Plötzlich taucht Cedric auf. Sein Schatz war Cho, seine Ballbegleitung. Sie haben den Turm noch nicht ganz erreicht, als auch Victor Krum mit Hermine auftaucht. Erleichtert atme ich aus und laufe die Treppen nach unten. Ich schnappe mir ein Handtuch und helfe Hermine aus dem Wasser. „Geht es dir gut?", besorgt sehe ich sie an. Völlig aus der Puste nickt sie mir nur zu, bevor sie von einigen Schülern von mir fortgezogen wurde.

Mein Blick wandert wieder zum See. Nur noch zwei Minuten ... Der Sekundenzeiger wandert immer weiter. Nach genau einer Stunde tauchen endlich Ron und Fleurs kleine Schwester auf. Kurz schließe ich erleichtert die Augen, bis mir bewusst wird, dass Harry nicht mit aufgetaucht ist. Alle jubeln los, da so auch Harry die Prüfung bestanden hat, aber wo ist Harry? Professor Dumbledore ist neben mir aufgetaucht und sieht ebenfalls besorgt auf die Wasseroberfläche.

Plötzlich, und vermutlich durch einen Zauber, wird Harry aus dem Wasser herausgeschossen und landet genau vor meinen Füßen. Unser Schulleiter prüft seine Gesundheit, bevor er laut verkündet, dass es ihm gut geht. Erleichtert falle ich Harry um den Hals. Seamus legt ihm ein Handtuch über. Fleur Delacour bedankt sich überschwänglich bei Harry und drückt auch Ron einen dicken Schmatzer auf die Wange.

„Harry!", Hermine drängelt sich zu uns durch. „Geht's dir gut? Ich fand dein Verhalten bewundernswert!" Sie legt ihm ein weiteres Handtuch über. „Ich bin letzter geworden ..." Erleichtert drückt Hermine ihrem besten Freund einen Schmatzer auf die Stirn, bevor sie ihm entgegnet: „Nein Vorletzter! Fleur wurde von den Grindelohs aufgehalten!"

Dumbledore tritt wieder nach vorne und verkündet die Platzierung. Cedric hat diese Prüfung gewonnen. „Da Harry eigentlich gewonnen hätte, wenn er nicht versucht hätte, auch die anderen beiden zu retten, haben wir uns dazu entschieden, ihm für diese Leistung den zweiten Platz zu geben!" Was?! Überrascht und glücklich falle ich Seamus, der gerade neben mir steht, um den Hals. Zweiter Platz ... Damit ist er jetzt gleichauf mit Cedric! „Für sein Handeln als moralisches Vorbild!" Ich muss mich stark zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Sogar wenn er was falsch macht, wird er noch dafür belohnt. Trotzdem freue ich mich für ihn!

Gemeinsam mit Fred und George fahren wir wieder ans Ufer zurück, um Harry in die Krankenstation zu bringen, da er doch einiges abbekommen hat. George hilft mir gerade aus dem Boot, als Fred dem Champion einen Arm umlegt und sagt: „Gut gemacht! So ein moralisches Vorbild!" Schmunzelnd laufe ich neben George her. Ron ergänzt: „Moralisches Vorbild? Selbst wenn du was falsch machst, machst du noch alles richtig." Lachend stimme ich ihm zu. Das gleiche habe ich vorhin auch gedacht. Mit einem „Weiter so, moralisches Vorbild" und einem anerkennenden Schlag auf die Schulter verabschieden wir uns von Harry, da Mr Crouch noch mit ihm sprechen möchte. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top