Auf der Flucht

Sooo: Endlich darf ich euch nach Abwesenheit mit diesem neuen und langen (!) Kapitel beglücken! Vielen Dank für eure ganzen lieben Nachrichten, das spornt mich echt an, schneller zu schreiben :D Lasst mich auch hier gerne wissen, wie ihr das Kapitel fandet. Ich hoffe, der zweite Teil des Kapitels ist nicht zu hart :/ Viel Spaß beim Lesen! :)


"They slipped briskly into an intimacy from which they never recovered."
― F. Scott Fitzgerald


Stöhnend richtete er sich auf. Von der Decke rieselte noch immer ein wenig Putz und sein dunkler Umhang war mit feinem weißem Staub übersäht. Genervt klopfte Lucius ihn ab und erhob sich zur Gänze. Bei dem Aufprall gegen die steinerne Wand war ihm Abraxas' alte goldene Taschenuhr, die er nach dessen Tod geerbt hatte, aus der Westentasche gerutscht. Er warf einen kurzen Blick darauf und steckte sie dann hastig wieder zurück an ihren ursprünglichen Platz. Lauernd sah er sich in dem schmutzigen Salon um und entdeckte endlich Narcissa, die stumm und gefesselt am Boden lag. Hastig tastete er in seinen Taschen nach seinem Zauberstab, bis ihm zornentbrannt einfiel, dass er ihm von seiner eigenen Tochter, von seinem eigenen Fleisch und Blut, das er mit aller Macht zu schützen suchte, entwendet worden war.

Mit stummen Blicken fand er schließlich Narcissas Zauberstab in ihrem Dekolletee. Sie bewahrte ihn doch tatsächlich dort auf. Ein kurzer, angenehmer Schauer lief durch seine Lenden, als er ihre blasse kalte Haut streifte, um ihn hervorzuholen. Er hätte fast gelacht. Selbst in solch einer herabwürdigenden Situation seines Lebens – nachdem seine beiden Kinder ihn aufs Äußerste enttäuscht und gepeinigt hatten – sehnte er sich noch danach sie zu besitzen.

Narcissa errötete vor Scham, als er mit einem leisen Murmeln erst die Fesseln und dann den Schweigezauber von ihr nahm und nach ihrer Hand griff. „Cissa, Liebes", murmelte er leise und half seiner Gattin auf die Beine. Welche Eleganz sie selbst in einer solch unwürdigen Situation noch beibehielt. Lucius kam nicht umhin, sie liebevoll anzulächeln. So rasend und lodernd hell wie sein Zorn einige Minuten zuvor noch getobt und ihn ausgefüllt hatte, so warm und mild war jetzt Narcissas kühle anteilnehmende Nähe und ihr Jasmin-Duft.

Es war noch immer derselbe Jasmin-Duft wie bei ihrem ersten richtigen Zusammentreffen, das ihn bis heute erschauern ließ. Im Anwesen einer reinblütigen Familie mit langer Ahnengeschichte hatte in den letzten Tagen des damaligen Jahres eine Gesellschaft stattgefunden, welche lange besprochen und vorbereitet worden war und bis spät in die Nacht dauern sollte. Gerade an jenem Abend hatte er sie das erste Mal gesehen, obwohl sie beide Hogwarts besucht hatten; das heißt er hatte sie das erste Mal richtig gesehen, wie ein Junge eben ein Mädchen sieht, und er hatte sie auf Anhieb entzückend gefunden.

Er plauderte lange mit ihr im kleinen, grünen Salon, und hörte voll Freude, wie sie halb ironisch, aber voll kindlicher Naivität das Bild ihrer gemeinsamen Zukunft entwarf, die von ihren beiden Eltern doch so geplant worden war; wie sie all die kleinen Freuden und Leiden mit den buntesten Farben malte, und sich daran erfreute. Ein angenehmes Gefühl der Zufriedenheit durchstrahlte an jenem Abend wie eine wohltuende Wärme seine Brust. Überall, so schien ihm, duftete es nach frühlingseinläutender Jasmin an diesem kalten Wintertag. Überall war ihr Duft. Überall war sie.

Toast folgte auf Toast. Und die Männer redeten bis in die frühen Morgenstunden. Unten auf dem Kies hörte man Plopp um Plopp, wenn die anderen Gäste nach Hause disapparierten. Die wenigen übriggebliebenen Hexen und Zauberer zerstreuten sich bald nach allen Seiten. Er zog an seiner Zigarre, kehrte dem hell erleuchteten Fenster den Rücken zu... Da stand sie vor ihm. Sie stand in einem opalgrünen Wickelkleid dort im blassen Kerzenlicht, schien gar nicht erstaunt und blickte ihn nur unverwandt mit großen, blauen Augen an.

„Kommen Sie." Ihre helle Stimme war die eines Mädchens nicht die einer Frau gewesen. Kein Wunder, sie war ja auch erst siebzehn gewesen. Und wie einer unbekannten Macht folgend hatte er gehorcht. Sie sprach. Er wusste nicht worüber. Dabei saß sie am Rande des Divans. Ganz im Dunkel. Und plötzlich da schmiegte sie sich an seine Brust, und er fühlte ganz nahe ihren glühenden Atem.

„Bitte, versprechen Sie mir, dass Sie mich gut behandeln werden", flüsterte sie, „und ich verspreche Ihnen eine gehorsame Frau zu sein." Er schwieg. „Es ist nur so", murmelte sie weiter ohne, dass er sie fragen musste, „ich fühle mich selbst noch so furchtbar jung und ein wenig grün hinter den Ohren bin ich auch noch, wie mein Vater zu sagen pflegt." Sie schmunzelte und wurde dann doch schnell wieder ernst: „Ich hoffe, ich bin keine Enttäuschung für Sie, Mr Malfoy." Nun war er derjenige, der schmunzeln musste. „Nein, eine Enttäuschung sind Sie sicher nicht, eher ein Gewinn, Miss Black, oder sollte ich lieber sagen: Mrs Malfoy in spe." Ihr glockenhelles Lachen erfüllte den Raum.

Lucius schüttelte unwirsch den Kopf bei jener Erinnerung, die mit einem Mal gestochen scharf in seine Erinnerung getreten war. Einen Moment noch geisterten ihm Narcissas Worte im Kopf herum. Da spürte er einen kleinen zaghaften Kuss auf seiner Hand und blickte auf. „Narcissa", murmelte er, legte eine Hand an ihre Wange und sie schmiegte sich an seine warme Handfläche.

„Habe ich dich je schlecht behandelt?", fragte er nach einer kurzen Pause.

Erstaunt blickte sie auf. „Wie kommst du gerade jetzt darauf, Lucius?", fragte sie sanft.

Er ging nicht darauf ein, sondern fragte nur erneut: „Habe ich dich jemals schlecht behandelt?"

Sie schwieg stumm, strich das weißblonde Haar zurück, wandte die hellblauen Augen ab und ließ den Blick durch den alten Salon wandern, der durch Dracos Impedimenta immer noch in temporärem Bruch dalag.

„Narcissa!"

Sie schluckte, atmete aus und sagte: „Du hast immer das getan, was du für richtig erachtet hast und immer zum Wohle der Familie Malfoy gehandelt."

Er schloss für einen Moment die Augen. Seltsam, sie brannten irgendwie. Das lag wahrscheinlich an dem Staub, der durch Dracos Fluch auf das Bücherregal noch immer in unregelmäßigen Abständen in winzigen Partikeln um sie herumschwebte. Er räusperte sich. Reue flammte kurz in ihm auf. Ja, so war sie, seine kleine Narcissa. So war sie schon immer gewesen. Das Gefühl der Reue erlosch so schnell wie es gekommen war, als er seinen Blick durch den demolierten Saal wandern ließ. Dann blickte er mit ernstem Gesicht wieder zu seiner Frau. Ein kaum merkliches, seltsam trauriges Lächeln umspielte ihre schmalen, geschwungenen Lippen. Er konnte sie nicht länger ansehen. Er küsste ihren Scheitel und erhob sich ächzend. Narcissa sah mit großen Augen zu ihm auf.

„Was wirst du jetzt tun?", fragte sie leise. Sein Blick verhärtete sich. „Zuerst werde ich unsere Tochter suchen und sie vermutlich in den Keller sperren, damit sie nicht wieder davonrennt... und dafür sorgen, dass sie endlich ihre Medikamente nimmt..." Narcissa schnappte nach Luft, aber Lucius ignorierte sie. „Und dann, dann bringe ich meinen Sohn zur Vernunft, bei Merlins Barte, und wenn ich mich dafür bei ihm entschuldigen muss, wie er verlangt, dann werde ich es eben tun. Hauptsache er heiratet nicht diese Greengrass."


*


Isabellas rasender Herzschlag pochte mit dem Trommeln ihrer Füße um die Wette, als sie den langen Zufahrtsweg, der Malfoy Manor von den unberührten grasigen Weiten der Grafschaft Wiltshire trennte, hinabjagte. Noch immer hielt sie krampfhaft Lucius Malfoys Zauberstab umklammert und ihre Augen suchten panisch das umliegende Umfeld nach Draco ab. Vergebens! In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wie in Trance suchte ihr Geist einen Ort, an dem sie sich sicher fühle, um sich wenigstens mental von den schrecklichen Geschehnissen, die in der Realität vor sich gingen, zu separieren und das Chaos in ihrem Inneren zu ordnen. Jähe packte sie der herzzerreißende Gedanke an Severus und sie musste sich schweratmend gegen den nächsten Baum lehnen. Vor ihrem geistigen Auge flackerten helle Lichter. Wie Sterne am Firmament.

Mondlicht flutete durch die Äste der Bäume und vermischte sich mit der fernen Lichtquelle der hohen Stichbogenfenster des alten Herrenhauses, dessen Umrisse kaum mehr in der Nacht auszumachen waren. Isabella spähte gen Firmament, in der Hoffnung, den einen oder anderen Stern funkeln zu sehen, doch über ihr türmten sich schwarzblaue Wolken und verhießen viel eher auf den Schauer eines nahenden Sommergewitters, als auf die von ihr erhoffte romantische laue Sommernacht voller silbernem Mondlicht und dem fernen Zirpen vereinzelter Grillen.

Enttäuscht seufzend richtete sie den Blick wieder auf Severus, der stumm neben ihr herging, seit sie die Feierlichkeit des Vorstandes seines Forschungskreises verlassen hatten, wo Severus eine Ehrenauszeichnung für seine Forschungsarbeit zu Gegengiften erhalten hatte. Der Abend war bedeutungsvoll gewesen, für Severus zumindest. Und obwohl Isabella sich für ihn freute, war sie froh gewesen, als sie den Festlichkeiten endlich den Rücken gekehrt hatten. Die noch laue Sommerluft, mit der sich ihre Lungen nun füllten, schien mit jedem Atemzug geradezu befreiend zu sein. Nach Severus' Rede hatte sich dieser im Kreise der Gönner und Spender des Forschungskomitees bewegt und Isabella hatte den Abend damit verbracht, Elfenwein zu trinken und die aufdringlichen Annäherungsversuche des Forschungsdirektors höflich wegzulächeln. Alles in Allem war der Abend für sie eher mäßig verlaufen. Die Kreise, in denen sie sich bewegt hatten, hatten alte Erinnerungen in Isabella geweckt, als sie und Draco noch von ihren Eltern von Ball zu Ball, von Festessen zu Festessen und von Reinblüterversammlung zu Reinblüterversammlung geschleift worden waren.

„Fabelhaft", knurrte Severus angesäuert und als Isabella seinen Augen folgend zum wolkenbedeckten Himmel blickte, traf sie der erste kalte Regentropfen mitten auf die Stirn. Diesem folgte ein zweiter und ein dritter und dann brach der Himmel auf und ein Platzregen eröffnete sich über ihnen.

Isabella stieß einen kurzen spitzen Schrei aus, als das kalte Wasser sich einen Weg unter ihr Kleid bahnte und ihre erhitzte Haut zum ersten Mal seit Tagen wirklich abkühlte. Sie festigte ihren Griff um Severus' Arm und dirigierte ihn unter eine nahestehende Kastanie, um Schutz zu suchen. Isabellas enges Seidenkleid sog sich mit Regenwasser voll und zeichnete die Konturen ihres Körpers wie eine zweite Haut nach. Ihre Brustwarzen reagierten auf die Kälte, drückten sich gut sichtbar durch den schimmernden Stoff, rieben leicht dagegen und sandten ein leises Kribbeln durch ihre Nervenbahnen und Severus' Augen huschten beiläufig über das reizvolle Bild.

Isabella schmiegte sich an ihn, musste allerdings sehr zu ihrem Bedauern feststellen, dass es anscheinend keinerlei Wirkung auf ihn auszuüben schien. Sie genoss den auffrischenden Wind, der hörbar durch das dichte Blätterdach über ihnen rauschte, angenehm über ihre regenfeuchte Haut blies und den einen oder anderen Tropfen unter ihren Unterschlupf wehte. Sie hörte, wie sich die Äste der umliegenden kleineren Bäume bogen und gegeneinanderschlugen und wie die Grashalme raschelten, welche der Regen plattzudrücken suchte.

So wichtig wie die Feier gewesen war, so sterbenslangweilig war sie auch. Die Atmosphäre war vielmehr einem Geschäftsessen gleichgekommen; die Männer hatten sich vornehmlich über den aktuellen Forschungsstand unterhalten, die Damen über belanglose Nichtigkeiten. Isabella hatte gute Miene zum bösen Spiel gemacht, was sie glücklicherweise perfektioniert hatte, denn eigentlich konnte sie derartigen Festivitäten nichts abgewinnen, doch sie wusste um die Macht der Prestige in diesem Bereich – notwendig, aber lästig; gerade für Severus, seit er die Stelle in Hogwarts als Zaubertrankprofessor auf eine Teilezeitanstellung begrenzt hatte, um sich mehr der Forschung zu widmen. Viel lieber stand sie jedoch unter diesem Baum, inmitten des prasselnden Platzregens und drängte sich gegen Severus' warmen Oberkörper, den sie für ihren Geschmack schon viel zu lange nicht mehr unbekleidet gesehen hatte, seit er in seiner Arbeit gerade zu versank. Sein Geruch stieg ihr in die Nase, ein wunderbares Duftgemisch seines Aftershaves, das er nur zu besonderen Anlässen auftrug, verschiedener Kräuter und aufgewühlter, feuchter, warmer Erde.

Genießerisch schloss sie die Augen, als er die breiten Arme um ihre schmale Taille legte und sie zeitgleich mit sich in den schwarzen, schweren Stoff seines Festumhanges einwickelte. Sein Herz schlug regelmäßig gegen ihre Handflächen und sie grinste in sich hinein, als sich ihre Finger langsam einen Weg unter sein Hemd bahnten. Wollte sie doch mal sehen, ob sie seinen Puls nicht ein wenig auf Trab bringen konnte.

Severus seufzte leise, als er ihre Finger auf seiner Haut spürte. Er stand stocksteif da, das Augenmerk auf das Manor in der Ferne gerichtet. Isabella wandte sich enttäuscht ab. Sie verübelte es ihm nicht, doch am liebsten hätte sie ihn gleich hier und jetzt geliebt. Er steckte mit all seinen Gedanken in der Arbeit fest, seit Wochen, und hatte kaum Zeit für sie. Zudem kam der Druck von Kingsley Shaklebolt, der Severus Position, sein Wissen und seine ehemalige Rolle als Doppelagent für das Ministerium nutzen wollte, um die verbleibenden, Todesser, die nach der Schlacht um Hogwarts entwischt waren, zusammenzutreiben. Isabella schüttelte benommen den Kopf, sie wollte nicht daran denken, nicht an diesem Abend, nicht jetzt hier unter dieser Kastanie.

Sie schloss die Augen und lauschte dem prasselnden Regen. Sie genoss es, Severus warmen Atem neben sich zu hören und seine Nähe zu spüren, die sie schon lange nicht mehr so intensiv wie an diesem Abend gespürt hatte. Plötzlich legte sich seine Hand zwischen ihre Beine, die Berührung war so zaghaft, als hätte er sich nur zufällig verirrt, doch sie sog zischend Luft ein. Er lachte rau auf. Sie wollte ihn spüren, wollte, dass er sie berührte an diesem Sommerabend... Noch ehe sie einen weiteren Atemzug ausgestoßen hatte, schmeckte sie ihn auch schon zwischen ihren Lippen. Es war viel zu intensiv. Sehnsüchtig presste sich ihr Körper ihm entgegen. Alles in ihr schrie vor Verlangen nach ihm. Ihr ganzer Unterleib zog sich lustvoll zusammen und in ihrer Magengegend explodierten mehrere kleine Ladungen Flohpulver, so sehr sehnte sie sich nach ihm.

„Er ist nicht tot", flüsterte sie in die Dunkelheit. Und plötzlich traf sie ein scharfer Gedankenblitz. Was tat man nur inmitten von Wiltshires grasigen Weiten ohne die Fähigkeit, von diesem Ort disapparieren zu können? Richtig, man suchte sich ein Zaubererhaus in welches man sich mit Hilfe des Desillusionierungszaubers schleichen konnte, um einen Kamin mit Anschluss zum Flohnetzwerk zu finden. In einem kurzen Moment kam ihr die Idee, den Fahrenden Ritter zu rufen, doch dann entschied sie sich aber für die weniger aufmerksamkeitserregende Variante des Flohnetzwerkes. Irgendwann musste doch das nächste Hexen- oder Zaubererhaus kommen.

Nachdem sie eine Weile gelaufen war und endlich eine Wegbiegung hinter sich gelassen hatte, tauchten vor ihr in der Dunkelheit zwischen den dichtstehenden Fichten plötzlich die Umrisse eines Zeltes auf. Es war mehr ein Lager von Zelten wie ihr schnell klar wurde. Abrupt blieb sie stehen und wirbelte auf dem Absatz herum, den Zauberstab gezückt und blind in die Schwärze der Nacht zielend. Greifer, schoss es ihr erst durch den Kopf, aber dann erinnerte sie sich, dass sich diese Gruppierungen nach dem Fall Voldemorts aufgelöst hatten. Mit einem mulmigen Gefühl ließ sie ihren Blick über die Zelte schweifen. Um sie herum war es mucks-mäuschen still. Zu still...

Isabella wagte kaum zu atmen. Wenn sie die Situation richtig einordnete befand sie sich inmitten eines Gebietes, der mit Schutzzaubern belegt worden war, um sich vor Muggeln und unerwünschten Besuchern zu schützen. Sie war sich sicher, inmitten eines Imperturbatio-Zauber-Feldes zu stehen, denn es war so unnatürlich still um sie herum, dass diese Stille zweifelsfrei nur magischer Quelle sein konnte. Die alarmierendste Frage, die durch ihren leergefegten Schädel jagte, war, warum sie den Bann aus Schutzzaubern überhaupt hatte überwinden können. Warum war es ihr möglich, sich hier frei zu bewegen, zwischen Schutzmauern aus Salvio-Hexia- und Repello-Muggeltum-Sprüchen und einem Sammelsurium aus verschiedensten Desillusionierungs-Zaubern?

Die einzige logische Erklärung dafür war, dass wer auch immer diese Zauberbände um sie herum hier errichtet hatte, sie gezielt aus dem Bann herausgehalten hatte. Jemand wollte, dass sie ihn fand. Jemand wusste, dass Malfoy Manor nicht weit entfernt lag und hatte deshalb sein Lager hier aufgeschlagen. Jemand wollte, dass sie hier war... Ihr Herz begann wie wild zu schlagen. War es möglich, dass Severus nach ihr suchte? War er wohlmöglich nur wenige Meter entfernt und versteckte sich zwischen den dunklen Bäumen? Aufgeregt versuchte sie in der Dunkelheit um sich herum irgendwas zu erkennen, doch außer der Umrisse der vier Zelte sowie der Bäume und Büsche um sich herum, war nichts auszumachen.

Leichter Nieselregen verfing sich wie feinperlige Tautropfen in einem silbrigen Spinnennetz in ihrem offenen Haar. Isabella hörte noch immer nichts, außer ihrem eigenen leisen Atem, der zunehmend kleine weiße Wölkchen vor ihr in der dunklen Luft verursachte. Ein Zweig knackte unter ihren Füßen, als sie sich nach links drehte, und es klang an diesem Ort wie ein gespenstischer Gewehrschuss in der einsamen Nacht. „Severus?", fragte sie leise in die Dunkelheit hinein, denn laut nach ihm zu rufen traute sie sich nicht.

„Sev­" KNALL! Weißes Licht zuckte auf, und Isabella brach zusammen und konnte nichts mehr sehen. Unbekannte Hände sie brutal vom Boden hoch. Ehe sie etwas dagegen unternehmen konnte, hatte jemand ihre Taschen durchwühlt und ihr den Zauberstab ihres Vaters entwendet.

„Lass michlos!", schrie sie. Das unverkennbare Geräusch von Knöcheln, die auf einen Körper trafen, war zu hören und im selben Moment registrierte sie, dass es ihr eigener war und sich stechende Schmerzen von ihrer linken Rippeseite an bis hoch in ihr Zwerchfell zogen. Sie fiel zu Boden. Isabella stülpe sich der Magen um. Dann wurde sie auf den Rücken gedreht. Der Lichtstrahl von einem Zauberstab fiel ihr ins Gesicht und ein dunkles Lachen erfüllte die kalte Luft. Isabella lief es eiskalt den Rücken hinab. Dieses Lachen hatte sie schon einmal gehört, damals in ihrem sechsten Jahr in Hogwarts, nachdem ihr Vater von Lord Voldemorts Auftrag aus der Mysteriums-Abteilung zurückkehrt war und sich alle Todesser in seinem Haus versammelt hatten. Es gehörte dem Bruder ihres angeheirateten Onkels: Rabastan Lestrange.

Und plötzlich drang eine fürchterlich vertraute, gedehnte Stimme an ihre Ohren. „Bring sie hierhin, Lestrange!"

Rabastan lachte erneut auf, aber diesmal klang seine Lache kalt und abfällig. „Denkst du, ich lasse mir von dir Befehle erteilen, Junge?" zischte er.

Nun war es Besitzer der gedehnten Stimme, der ein kaltes Lachen ausstieß. „Meine Befehle sind die Befehle meines Vaters. Darf ich dich erinnern, wer dafür gesorgt hat, dass du nicht in Askaban gelandet bist?" Eine kurze Stille trat ein in der Rabastan verächtlich schnaubte. „Richtig, mein Vater hat dafür gesorgt, also wirst du tun, wie dir geheißen", sagte die gedehnte Stimme kalt.

Zwei eiskalte meergrüne Augen blitzen aus der Dunkelheit zu ihr herüber. „Hallo, meine Schöne, endlich bist du hier", sagte Yaxley lächelnd. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich auf diesen Moment gewartet habe." Seine Haut war weiß wie ein Totenschädel und seine Augen wirkten wie zwei kalte Smaragde, die man in die toten, leeren Augenhöhlen gesetzt hatte. Isabella konnte nicht atmen. Sie war vor Angst wie gelähmt. „Ich habe dich gesucht, hübsche Isabella... überall... und ich habe dich gefunden. Weißt du, nachdem du meinen Ruf zerstört hattest, war da nur noch ein Gedanke in meinem Kopf, nachdem unser Herr von uns gegangen war und mir neben meinem Ruf auch noch meine Mission im Leben fehlte..." Er lächelte erneut, doch es war ein kaltes, wahnsinniges Grinsen. Er hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem einst arroganten, durchaus hübschen, jungen Mann; er wirkte ausgezerrt und ein seltsam wahnsinniger Glanz erfüllte seine kalten grünen Augen. „Ich habe mir geschworen, dich zurückzuholen und mir zu nehmen, was rechtmäßig mir gehört."

Er schob eine Hand unter seinen dunklen, schweren Reiseumhang, von dem der Regen perlte, und machte einen Schritt auf sie zu, sodass er ganz dich vor ihr stand. Er nahm zärtlich ihre Hand. Isabella erschauderte. „Wo waren wir stehengeblieben?" Er lachte und einige der Umstehenden, die Gesichter unter den Kapuzen in der Dunkelheit verborgen, stimmten in das Lachen ein. Isabella konnte sich nicht bewegen. Verschwommen nahm sie die Umrisse ihres Onkels Rodolphus Lestrange, Rabastans großem Bruder, wahr, der an eine mächtige Eiche gelehnt einen ungewöhnlich krummen Zauberstab durch seine groben, rissigen Finger gleiten ließ.

Hinter Rodolphus' mächtigen Vollbart verzog sich sein Mund zu einem hämischen Grinsen. „Incarcerus", sagte er beinahe beiläufig und richtete den Zauberstab lässig auf Isabellas Hände. Schwarze Seile schossen aus der Spitze seines Zauberstab und schlangen sich um Isabellas Handgelenke. In seinen bernsteinfarbenen Augen spiegelte sich das Licht der entzündeten Zauberstabspitzen seiner umstehenden Gefolgsleute.

„Lucius Malfoys geliebtes Töchterchen..." Er lachte rau. „Dein Vater ist ein Schwein, Malfoy-Tochter! Macht sich nicht gerne die Hände schmutzig, weißt du. Aber du, du machst doch als Entschädigung für das unsägliche Verhalten von deinem Vater sicher die Beine breit, oder? Den Gefallen musst du uns schon tun." Die Menge um ihn herum johlte. „Ich habe ja jetzt keine Frau mehr, die mir das Bett wärmt." Er schwieg kurz und Isabella meinte einen Schatten über sein Gesicht huschen zu sehen. „Du siehst deiner Mutter erstaunlich ähnlich, aber ihr Malfoys habt nichts von dem Temperament der Blacks geerbt. Ihr seid nichts gegen Bellatrix. Eine Schande, Narcissa Black an einen Schlappschwanz wie Lucius vergeudet zu haben." Er lachte laut und sah sich Beifall heischend in der Menge um. „Unverheiratet ist sie, Narcissas Tochter. Das heißt in Malfoy-Manier praktisch, dass sie noch Jungfrau ist..." Er warf Yaxley einen genüsslichen Blick zu, doch dieser presste nur die Lippen zusammen und schwieg. Offenbar traute er sich nicht, das Wort gegen Rodolphus Lestrange zu erheben, anders als noch Augenblicke zuvor bei dessen Bruder.

„In der Familie Malfoy plant man wie bei uns Lestranges Hochzeiten schon vor der Geburt der eigenen Kinder, um die Erb-Linie auch ja rein zu halten", fuhr Rodolphus fort. „Was würde Lucius Malfoy nur sagen, wenn seine geliebte und einzige Tochter in neun Monaten einen Bastard zur Welt bringt? Würde er sie verstoßen? Und wie kann es eigentlich sein, dass Lucius Malfoy nicht in Askaban sitzen musste, nachdem der Dunkle Lord nicht mehr war, während wir dort oben fast krepiert sind wie dreckige Squibs ohne Zauberstab und immer in der Nähe der Dementoren, die dir jeden Lebenswillen aussagen?" Zustimmendes Gemurmel war zu hören. „Während wir in Askaban festgehalten wurden, in Zellen gesperrt wie wildes Getier, saß Lucius zu Hause in seinem Manor und hat sich den Arsch von Frau und Tochter warmhalten lassen! Und als wir unseren Auftrag zusammen erledigen sollten, hat er mich die Drecksarbeit machen lassen und ist einfach disappariert." Er spuckte aus.

Rodolphus war während er gesprochen hatte immer nähergekommen, sodass er jetzt nur noch wenige Zentimeter von Isabella entfernt war. Langsam schob er ihr Haar über die Schulter und legte ihren Hals frei. Sein raues Lachen hallte in ihren Ohren nach. Er griff nach ihrem Arm und drehte ihn mitsamt der Fesseln in einem unnatürlichen Winkel nach hinten. Sie wimmerte auf vor Schmerz und registrierte noch im selben Moment unterbewusst, wie durch eine Wand aus dichtem Nebel, in einem Aufschwall lähmender Panik, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben panische Todesangst verspürte. Und plötzlich bereute sie es, Malfoy Manor an diesem Abend jemals verlassen zu haben.

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