Verschlüsselte Eulenpost


Wenige Augenblicke später kehrte Snape mit zwei dampfenden Tassen Tee zurück und ich nahm sofort einen hastigen Schluck von dem heißen Gebräu, denn die Gänsehaut kroch mir bis in den letzten Teil meiner Knochen.

Snape schien nicht zu bemerken, dass ich möglicherweise fror. Er hatte es sich in dem breiten schwarzen Ledersessel mir gegenüber gemütlich gemacht und die Beine übereinander geschlagen. Er wippe mit seinem linken Fuß auf und ab, während er mich eindringlich musterte und ab und an einen tiefen Schluck aus seiner Teetasse nahm.

Das heiße Getränk durchflutete meinen Körper mit willkommener Wärme und ich schmiegte mich in die Sofakissen. Noch nie kam mir eine Tasse Pfefferminztee so wärmend vor, wie an jenem Abend in Snapes Gemächern, auch wenn ich mir sicher war, dass nicht der Tee alleine für dieses Gefühl der Wärme verantwortlich war, sondern eine gewisse Person mit ihrer Anwesenheit dazu beitrug.

Als wir eine ganze Weile schweigend dagesessen und den Tee längst ausgetrunken hatten, erhob sich Snape schließlich, straffte die Schultern und fasste mein Profil ins Auge.

„Ich denke, es wird an der Zeit sein, für Sie in Ihren Schlafsaal zurückzukehren, schließlich können Sie nicht die ganze Nacht auf meinem Sofa sitzen und an die Wand starren."

Ich starrte ihn entgeistert an. Er war doch derjenige gewesen, der mich trotz meiner Proteste in seine Räume bugsiert hatte, obwohl ich deutlich darum gebeten hatte, gehen zu dürfen. Doch zu meiner Erleichterung bemerkte sich, wie sich sein Mund verzog.

„Ja, Sir", sagte ich und nickte.

„Ich werde Sie zum Gemeinschaftsraum begleiten", sagte er mit strengem Blick auf meine nackten Füße. Ich hatte meine Schuhe ausgezogen, nachdem mich Snape mit seinen Blicken malträtiert hatte, als ich Anstalten gemacht hatte, die Füße anzuziehen, um meinen Kopf auf meine Knie zu betten.

Meine Füße waren eiskalt, als ich mit steifen Zehen wieder in die Chucks schlüpfte und die Schnürsenkel zusammenband.

Beim nächsten Mal war es wohl ratsamer, Winterstiefel und
eine Strickjacke anzuziehen, sonst holte man sich in diesem Kellerloch noch den Tod. Ich stockte kurz, bei meinen eigenen Überlegungen. Beim nächsten Mal? Wer sagte, dass es ein nächstes Mal gab? Ich stieß gut hörbar Luft aus, als mir Snape die schwere Eichentür aufhielt, damit ich an ihm vorbei hinaus auf den Gang schreiten konnte.

Ich trat hinaus auf den Korridor. „Professor, Sie können versichert sein, dass ich den Weg zurück zum Gemeinschaftsraum auch alleine finde", sagte ich und strich mir durch mein wirres Haar.

Seine schwarzen, kalten Augen wanderten über meinen Körper, angefangen bei meinem blonden, zerbrubbelten Haar, dem dünnen Nachthemd, über die mit Gänsehaut übersäten Beine bis hin zu meinen leicht ausgefranzten Chucks. Er hob eine Braue.

„Ihr Mundwerk scheint mir manchmal unangebracht lose zu
sein, wenngleich sie in Situationen, in denen es angebracht wäre, den Mund aufzumachen, lieber zögern und Stillschweigen bewahren."

Er fuhr sich mit dem Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand über den Nasenrücken und seine dunklen Augen blitzen zu mir herüber.
„Professor?"

„Sie hätten ruhig sagen können, dass Sie frieren, Miss Malfoy!", sagte er leise und ein maliziöses Grinsen zupfte an seinen Mundwinkeln.

„Oh", begann ich. Ich fühlte mich ertappt und verschränkte die Arme in einer leicht trotzigen Position vor der Brust.

„Nun gut zu wissen, dass Sie mein körperliches Befinden offenbar besser zu kennen scheinen, als ich, obwohl ich ja offensichtlich Herr dieses Körpers bin."

Seine Nasenflügel blähten sich auf und er legte die Kuppen seiner Fingerspitzen bedächtig aneinander.

„Sie sollten besser nicht so frech sein, Miss Malfoy, das bekommt Ihnen gar nicht gut. Sie erinnern mich im Moment eher an eine dieser dreisten Gryffindors, als an jemanden aus meinem Haus. Ich warne Sie, halten Sie mich nicht erneut zu Narren, sonst werde ich Ihnen noch mehr Nachsitzen aufhalsen und Sie dürfen sich dreimal die Woche in meinem Büro dazu einfinden."

Das maliziöse Grinsen wich einem noch zynischerem und er schritt mir voran den dunklen Gang entlang. Das galt als klares Zeichen, dass diese Unterhaltung für ihn als beendet galt, wenngleich ich noch einige Kommentare auf Lager gehabt hätte, aber ich schwieg und entzündete stattdessen die Spitze meines Zauberstabs mit einem Lumos-Zauber, während Snape vor mir durch die Kerker rauschte, um mich zurück in den Schlafsaal zu geleiten.


Am nächsten Morgen machten sich die fünf Stunden Schlaf, die ich hinter mir hatte, durchaus bemerkbar, denn schon beim Frühstück in der Halle erwartete mich die erste böse Überraschung des Tages. Und von diesem Moment an ging es bergab.

Meine Eule Nitzsche brachte mir an diesem Dienstagmorgen den ersten Brief von zu Hause, doch anstatt mich zu freuen vergrößerte sich der Stein im meinem Magen um das Dreifache.

Nitzsche verspeiste eine Ecke von meinem Toast und machte sich dann mit den anderen Eulen auf den Weg in die Eulerei, um sich von der Reise zu erholen. Mit der Spitze meines Zauberstabes schlitze ich den Briefumschlag auf und entfaltete das schwere und teure Briefpapier, von dem ich wusste, dass es meinem Vater gehörte.

Sein Siegel prangte nur allzu offensichtlich auf dem edlen Pergament und seine ordentliche und geschwungene Handschrift verteilte sich Zeile für Zeile in grüner Tinte auf dem Briefpapier.

Meine geliebte Isabella,
Unsere herzlichen Glückwünsche, dass du in Slytherin gelandet bist. Nichts anderes haben wir natürlich von dir erwartet, wenngleich wir etwas enttäuscht sind, dass wir diese Nachricht von Draco und nicht von dir erfahren haben. Auch deine Großeltern sind sehr zufrieden mit dir. Doch ich schreibe dir nicht nur aus dem Grund, um dir die Glückwünsche unserer Familie zu überbringen. Isabella, ich muss dich bitten über das Halloween-Wochenende nach Malfoy Manor zurückzukehren, denn ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen, was wir nicht durch Briefe oder das Flohnetzwerk bereden können. Es geht um deine Zukunft, doch ich bitte dich, keine weiteren Fragen, in einem Brief zu stellen, da ich sie dir nicht beantworten werde. Du wirst sehen, dass ich für dich die richtige Entscheidung treffen werde, so wie ich es immer getan habe. Ich hoffe sehr, dass du deine Unterrichtsstunden mit derselben Hingabe bewältigst, wie zuvor. Ich erwarte, dass du nicht weniger zufriedenstellende Ergebnisse nach Hause bringst, als im letzten Jahr. Ein Brief von Professor McGonagall hat mich in eine peinliche Situation gebracht, in dem es heißt, dass du dich sogenannten Leistungsüberprüfungen unterziehen musst. Ich halte nicht viel davon, aber wenn Dumbledore meint, es wäre notwendig, müssen wir uns dem Willen dieses alten Narren wohl beugen. Doch ich kann dir mit Zuversicht mitteilen, dass Dumbledore wohlmöglich nicht mehr lange Schulleiter von Hogwarts sein wird und dass an seine Stelle eine weitaus kompetentere Person treten wird. Ich erwarte deine Antwort unverzüglich, damit ich die Vorbereitungen für Ende Oktober treffen kann und ermahne dich erneut, nicht noch eine Schande durch dein Verhalten über unsere ehrwürdige Familie zu bringen.
Es grüßt dich,
Dein Vater

Ich ließ den Brief sinken. Ich musste das Geschriebene noch ein weiteres Mal durchlesen, bis ich überhaupt verstand, was darinstand. Meine Augen brannten. Das passierte in letzter Zeit viel zu häufig, aber ich konnte nichts dagegen tun.

Schon bei der Anrede hätte ich würgen können. Und warum wollte mein Vater, dass ich an Halloween zurück nach Hause kehrte? Hatte ich mich falsch verhalten? Hatte ich mich ihm in irgendeiner Weise widersetzte? Oder hatte Snape ihm wohlmöglich von meinem Fehlverhalten und meinem nächtlichen Ausflug berichtet?

Nein, das konnte unmöglich sein. Auch nicht jemand wie Snape konnte eine Nachricht derart schnell verbreiten. Ich sann noch einige Minuten über diesen Abschnitt des Briefes nach, doch kam dann zu dem ernüchternden Schluss, dass ich wohl oder übel bis zum 31. Oktober warten musste, ehe ich erfuhr, was dieses rätselhafte Verhalten zu bedeuten hatte.

Denn schließlich hatte mein Vater mehr als deutlich gemacht, dass er in einem Brief keine weiteren Fragen beantworten würde.

„Du wirst sehen, dass ich für dich die richtige Entscheidung treffen werde, so wie ich es immer getan habe."

Tss, mehr Ironie konnte ich für diesen Morgen wirklich nicht ertragen, doch mir war durchaus bewusst, dass diese Worte meines Vaters sein voller Ernst waren. Warum nur schien er weiterhin zu glauben, er müsse für mich entscheiden?

Ich war alt genug und wenn es so weit war, würde ich meinem Vater meine Meinung dazu verkünden und dafür sorgen, dass künftige Entscheidungen, die meine Zukunft betrafen, von mir entschieden wurden. Irgendwann lief es noch darauf hinaus, dass er den Ehemann für mich bestimmte. Doch so etwas traute ich beim besten Willen selbst jemandem wie meinem Vater nicht zu.

Er ließ sich mal wieder über Dumbledore aus. Das war nichts Neues, aber allmählich ging es mir ziemlich auf die Nerven. Ich wusste, dass Dumbledore ein Narr war, aber ein genialer Narr, das musste man ihm lassen.

Ich zog ein frisches Pergament aus der Tasche und füllte meine Feder mit dunkelblauer Tinte.

Lieber Vater,
Ich bedanke mich recht herzlich für eure Aufmerksamkeit und freue mich über eure Glückwünsche. Grüß doch bitte die Großeltern von mir und spreche ihnen meinen Dank aus. Ich werde selbstverständlich am Halloween-Wochenende nach Hause zurückkehren, wenn du es so wünschst, wenngleich mir die Gründe schleierhaft sind, wie du mit Sicherheit verstehst. Die Anreise dürfte wohl mit dem Flohnetzwerk verbunden sein, da ich weder apparieren kann, noch ein registrierter Portschlüssel in die Wege geleitet werden wird, wie ich vermute. Du kannst dir zudem verssichert sein, dass ich in den schulischen Leistungen nicht nachlassen werde, denn ich habe keineswegs vor, dich ein weiteres Mal die Schmach einer ungehorsamen Tochter tragen zu lassen. Da ich weiß, dass du mir meine Fragen nicht eulenwendend beantworten wirst, warte ich gespannt auf die Antworten, wenn ich Ende Oktober zu euch zurückkehre. Ich freue mich schon jetzt auf ein baldiges Wiedersehen mit dir und Mutter.
In Liebe,
Isabella

Ich verabscheute die Zeilen, die ich soeben zu Papier gebracht hatte. Ich meinte nichts davon auch nur so, wie es dort stand, doch ich hatte nicht die geringste Absicht, bei meinem Vater in Missgunst zu fallen.

Somit faltete ich meinen eigenen Brief zusammen und verstaute ihn in meiner Tasche, während der Brief meines Vaters nach wie vor offen vor mir auf dem Tisch lag und ich ihn weiterhin anstarrte. Denn etwas in dem Brief meines Vaters beunruhigte mich noch mehr, als die Tatsache, dass ich an Halloween zurück nach Malfoy Manor kehren sollte.

Warum meinte mein Vater, dass Dumbledore das Amt des Schulleiters bald nicht mehr lange innehaben würde? Was meinte er damit?

„Alles in Ordnung bei dir?", fragte eine freundliche, unbeschwert klingende Stimme.

„Wa-? Oh, ja", murmelte ich, ohne aufzublicken.

„Bist du sicher? Du bist so blass um die Nase herum. Hat es etwas somit zu tun, was in dem Brief steht?"

Ich sah auf und mein Blick traf auf ein paar große rehbraune Augen, die von flammendrotem Haar umrahmt wurden. Es war Ginny Weasley. Sie beugte sich über den Slytherin-Tisch, griff nach dem Brötchenkorb und grinste breit.

„Nein", rief ich und stopfte den Brief eilig in meine Tasche. „Ich glaube, der Joghurt ist schlecht", schwindelte ich und deutete auf den offenen Becher Pfirsichjoghurt auf meinem Teller. „Was machst du überhaupt am Slytherintisch?", lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung.

„Die Brötchen bei uns sind leer", sagte sie und hob ungläubig eine Braue. „Tut mir leid für mein Interesse an deinem Wohlbefinden", fügte sie schnippisch hinzu und wirbelte auf dem Absatz herum.

„Der Joghurt ist wirklich schlecht", sagte ich lahm und merkte doch sogleich, wie mir warm wurde.

„Wenn du meinst... Ich glaube ja, dass es an dem Brief liegt. Du bist eine wirklich schlechte Lügnerin, weißt du", sagte sie kalt, warf ihr langes Haar nach hinten und stolzierte zum Gryffindortisch zurück.

Heute war wirklich nicht mein Glückstag.

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