Versäumnisse


„Miss Malfoy?"

Eine dunkle Stimme zerrte an meinem Unterbewusstsein und drohte mich aus der Welt zu entreißen, in die ich gerade abgetaucht war.

„Miss Malfoy!"

Die Stimme wurde immer ungeduldiger. Wo war denn dieser melodische, dunkle Unterton geblieben?

„Isabella!"

Jemand stieß mir mit voller Wucht den Ellenbogen in die Seite und ich riss erschrocken die Augen auf. Ich blickte in das blasse Gesicht von Cho Chang, deren dunkelbraune Augen weit geöffnet waren und etwas anstarrten, dass sich offenbar hinter mir befand, denn ihr Blick fixierte einen Punkt etwa zehn Zentimeter neben meinem Kopf.

Langsam hob ich denk Kopf und musste hart schlucken. Severus funkelnde, rabenschwarze Augen bohrten sich in die meinen. Sein Blick war wachsam und es fühlte sich beinahe so an, als würde er bis in mein Innerstes hineinblicken. Ich blinzelte ihn verlegen an. „Entschuldigung", flüsterte ich und senkte den Blick, auch wenn ich wusste, dass mein Zaubertranklehrer dies überhaupt nicht leiden konnte.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Severus unwillig mit dem Kopf ruckte und mit sich zu hadern schien. „Sehen Sie zu, dass Sie meinem Unterricht den gebührenden Respekt zollen, Miss Malfoy, oder Sie werden es in naher Zukunft noch bereuen." Erleichtert atmete ich aus und dankte Severus im Stillen, dass er mir dieses Verhalten durchgehen ließ. Er schien den winzigen Funken Feingefühl in sich zusammengekratzt zu haben und bemerkt zu haben, dass es mir heute nicht allzu gut ging.

Mit wehendem Umhang und einem letzten, forschen Blick durchquerte er das Klassenzimmer und kam hinter seinem Pult zum Stehen. Langsam zog er den Zauberstab aus seinem Umhangärmel. „Und wo wir gerade über die Zukunft sprechen", er tippte mit der Spitze aus Ebenholz kurz gegen die Vorderseite der leeren Tafel, „kann Ihnen allen wohl kaum entgangen sein, dass die Abschlussprüfungen unmittelbar bevorstehen." Die Worte ‚Leistungsgrad: Unheimlich toller Zauberer (UTZ) - Erweiterter Zaubertrankkurs' erschienen an der dunklen Tafel. Sein lauernder Blick glitt nun jede der Bankreihen entlang und blieb kurz bei dem einen oder anderen Schüler hängen. „Und da ein Teil dieses Kurses wohl immer noch glaubt, dass er ohne Fleiß, Disziplin und harte Arbeit die Prüfungen bestehen wird, sehe ich mich gezwungen, das Niveau des Unterrichtes ein wenig anzuziehen." Diesmal blieb sein Blick an mir kleben. „Da der erheblich größere Teil meines Kurses aus hirnlosen Idioten besteht, blicke ich dem Ende des Schuljahres mit Freude entgegen, da uns dieser Teil zweifelsfrei verlassen wird."

Er durchbohrte nun Cho mit glühenden Augen. „Der entschieden kleinere Part -die wenigen Auserwählten unter euch- werden feststellen, dass die Zaubertrankbrauerei weit tiefreichende Gebiete zu bieten als, als bisher von uns angeschnitten. Im kommenden Schuljahr werden wir diese Gebiete erkunden und erforschen... Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Diejenigen, die die Prüfungen mit den geforderten Ergebnissen absolvieren, werden auch im folgenden Schuljahr noch weiter in die Tiefen und Geheimnisse der Zaubertrankbrauerei eintauchen." Er legte die Fingerkuppen andächtig aneinander. „Die Ergebnisse Ihrer letzten Aufsätze allerdings waren passabel bis unnütz", fügte er mit einem süffisanten Lächeln hinzu. „Daher ermahne ich Sie, ihr Lernpensum enorm zu steigern, wenn Sie mein Missbehagen nicht auf Deutlichste zu spüren bekommen wollen."

Er hob den Zauberstab und auf einen Schwung hin schrumpfte der Stapel mit den Ausätzen vorne auf seinem Pult von Sekunde zu Sekunde und die einzelnen Exemplare flogen benotet zu ihren Verfassern zurück. Mit einem leisen Wusch landete mein Diptam-Aufsatz vor mir auf dem Tisch. Langsam senkte ich den Blick auf das Pergament... In der rechten, oberen Ecke prangte ein großes, rotes-

„E?", stieß Cho atemlos mit einem schrägen Blick auf meinen Aufsatz hervor. „Du hast ein E? Ein ‚Erwartungen übertroffen'?" Mit großen Augen sah sie erst mich und dann Snape an, der mit dem Blick zur Tafel stand und uns den Rücken zugekehrt hatte. „Wieso hast du ein E? Ich habe ein M", keuchte sie ungläubig und hielt mir aussagekräftig ihren verkorksten Aufsatz entgegen, in dessen Ecke tatsächlich ein auslandend spitzes M prangte.

Ich sah abwartend in ihre Richtung, doch sie starrte mich nur stumm an – Verwirrt und irgendwie feindselig. Ich konnte deutliches Misstrauen in ihren dunklen Augen lesen und ihr Blick flog zwischen mir und Severus ein paar Mal hin und her, bevor sie sich –ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten- umwandte und im Flüsterton ein Gespräch mit ihrer Freundin Mariette Edgecombe begann, die eine Bankreihe hinter uns saß, welches jedoch sofort von dem Tränkemeister mit einem scharfen, kalten Blick beendet wurde.

Als das Klingeln, das das Ende der Stunde ankündigte, mich aus meinem Gedanken riss, sah ich, dass bereits viele der Schüler ihre Sachen zusammengepackt hatten und ich wieder einmal eine der letzten war, die sich ihre Tasche über die Schulter schwang und aus dem Klassenzimmer eilte. Beim Hinausgehen schenkte ich Severus ein flüchtiges, letztes Lächeln welches er mit dem leichten Anheben seiner Mundwinkel kurzzeitig erwiderte, dann fiel die schwere Eichentür zum Zaubertrankklassenzimmer ins Schloss und ich zuckte heftig zusammen. Enttäuscht und gleichzeitig ernüchtert wandte ich mich zum Gehen. Warum nur war Severus so resigniert?

Gerade, als ich mich mit leichtem Bedauern abwandte wurde hinter mir erneut die Tür aufgerissen und Severus stand da im Türrahmen, raufte sich die Haare und blickte drein, als wenn er nicht recht wüsste, was er da gerade tat. Fragend hob ich eine Augenbraue. Er fuhr sich in einem Anflug von Aufgebrachtheit mit den Händen über das Gesicht. „Komm her", sagte er schließlich kurz und winkte mich zu sich herüber. Verwundert lenkte ich meine Schritte zurück zu ihm. „Wie geht es dir?" Sein Blick ruhte auf mir. Er wirkte müde und ausgelaugt.

Ich faltete meine Hände und wippte kurz auf meinen Fußballen auf und ab, dann sah ich ihn kurz an und blickte wieder zu Boden. „Guut?", sagte ich gedehnt. Es war seltsam und paradox.

„Warum passt du in meinem Unterricht nicht auf, Isabella? Das erwarte ich von allen meinen Schülern... Und von dir ganz besonders." Er musterte mich eindringlich. „Was ist passiert? Und versuche gar nicht erst, eine Ausrede zu erfinden." Er hob warnend eine Augenbraue.

Ich runzelte die Stirn. „Was soll schon sein?", fragte ich tonlos. „Es ist alles wie immer." Severus andere Augenbraue gesellte sich zu der ersten. „Alles wie immer?", bemerkte er spitz und ein maliziöses Grinsen huschte über sein Gesicht.

Wütend sah ich ihn an. „Ja, alles wie immer. Mein Vater hasst mich, Katie geht mir aus dem Weg, meine Noten glänzten auch nicht gerade, Yaxley macht mir das Leben zur Hölle und du..." Ich schniefte. „Du..."

Sein Blick wurde augenblicklich sanfter. „Ich weiß, dass ich im Moment wenig Zeit für dich habe, mein kleines Wintermädchen, aber ich verspreche dir, das wird sich bald ändern. Alles wird sich bald ändern." Seine dunklen Augen glitzerten im Fackelschein. „Nichts wird mehr so sein, wie zuvor... Jeder hat sein Bündel zu tragen..." Er seufzte. „Ich bin immer für dich da, Isabella, das weißt du, aber bestimmte Dinge musst du selber regeln. Du musst die Sache selbst in die Hand nehmen. Das kann kein anderer für dich tun, weder ich, noch dein Vater oder sonst wer, dies obliegt allein bei dir." Schlanke Hände umfassten zärtlich mein Gesicht. „Es gibt keine Gerechtigkeit in dieser Welt, außer wir verschaffen sie uns. Hast du gehört, mein Wintermädchen?"

Ich nickte, so gut es eben ging, denn seine warmen Hände hielten noch immer mein Gesicht umschlungen, und sah ihn an. „Ja, ich weiß", sagte ich fest.

Er ließ mich los. „Du musst endlich wissen, was du willst, Isabella! Entscheide dich endlich."

Wieder nickte ich. Eine Weile lang sah er mich einfach nur an. „Kann ich noch mit zu dir?", fragte ich schließlich leise.

Er seufzte erneut, schloss für einen Moment die Augen, aber hielt mir dann die Tür auf und ich schlüpfte an ihm vorbei.

Ich war schon länger nicht mehr in seinen Privaträumen gewesen, aber es sah alles aus wie immer. Hinter den magischen Fenstern schimmerte der frühe Abend zu uns hindurch und die Bücher an den Wänden schickten ihren Duft zu mir herüber. Ein Bund frischer Minze lag auf dem dunklen Schreibtisch und dieser Geruch vermischte sich mit dem der Bücher und es war wie Balsam für meine Seele. Die alte Couch, der dunkelgrüne Teppich, der lodernde Kamin, dessen Licht Severus' Augen funkeln ließ... Es war wie an jenem Abend im März. Funkelndes, dunkles Gestein. Obsidian.

Ich ließ mich vorsichtig auf der vertrauten Couch nieder und sah ihn auffordernd an. Er lächelte leicht und ließ sich langsam neben mich sinken. Sein warmer, großer Körper drückte das Polster der Couch nach unten und ich versank in einem Meer aus schwarzen Roben, Sofakissen und dem Duft verschiedener Kräuter. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter und starrte in die tanzenden Kaminflammen hinein. Genau das hier hatte ich vermisst. Einfach nur dazusitzen, seine Wärme zu spüren, seinen Geruch wahrzunehmen...

„Du erinnerst mich an sie", sagte Severus plötzlich leise und es klang als würde er mehr zu sich selbst sprechen. Seine Stimme war mit einem Mal ganz brüchig.

„An wen?" Ich suchte seinen Blick, er jedoch wich meinem aus.

„Deine Art, bestimmte Dinge zu sehen...", murmelte er scheinbar ganz in Gedanken. „Deine Zuversicht, immer das Beste in den Menschen zu sehen, dein Mut, dein unendliches Vertrauen, deine Fähigkeit, Reue zu zeigen und gleichzeitig keine Angst davor zu haben, dich so zu geben, wie du bist, natürlich, ehrlich, zu einhundert Prozent, pur, echt, vollkommen und unverfälscht..."

Und zum ersten Mal verstand ich richtig, dass es mein Charakter war, der ihn anzuziehen schien, nicht mein Äußeres. Er war so anders. So viel echter. So lebendig.
„Du bist wie sie", flüsterte er. „Tief in deinem Innern... Ich weiß es. Wenn du nur zulassen würdest..."

Ich wagte kaum zu atmen. „Was zulassen?"

„Wenn du nur zulassen würdest, dich so zu geben, wie du in Wirklichkeit bist..." Er fuhr sich mit der Hand durch sein Haar – schwarz und glänzend wie Rabengefieder. „Die Jahre haben dich kalt gemacht und dich verändert, Isabella. Ich weiß, dass du in Wahrheit... anders bist. Du bist etwas Besonderes, du bist... einzigartig." Mit einem Mal spiegelte sich wieder dieser unleugbare Schmerz der Vergangenheit, den ich nicht verstand, in seinen dunklen Augen wider. Doch mit zwei schlanken Fingern strich er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Lass es zu. Sei du. Sei du selbst."

Ich sah ihn an und diesmal sah er nicht weg.

„Vertraust du mir?", fragte er mir heiserer Stimme. Zaghaft fuhr er mit seinen Fingerspitzen die Kontur meines Schlüsselbeins nach.

Ich nickte. „Mehr als jedem anderen", wisperte ich.

Sanft nahm er meine Hand und betrachtete sie. Meine kleine, weiße Hand in der seinen. So verloren. Meine schlanken Finger verwoben sich mit den seinen. Meine jungen Handflächen streiften seine warme, raue Haut. Die Finger seiner freien Hand wanderten weiter, schoben mein Haar über die Schulter. Vorsichtig nahm er eine Haarsträhne zwischen zwei Finger.

„Severus-"

„Shh, sag nichts..."

Langsam beugte er sich zu mir hinab, sah mir in die Augen und dann... küsste er mich. Erstaunt riss ich die Augen auf, doch keine Sekunde später verlor ich mich auch schon in ihm. Er schob eine Hand in mein Haar und es war kaum zum Aushalten. Es war besser als lodernder Feuerwhiskey, sprühender Champagner und Besenreiten zusammen. Hundertmal besser. Und so anders. Noch nie in meinem Leben hatte ich derartiges verspürt. Etwas in meinen ganzen Unterleib zog und kribbelte und ich glaubte fast, ich müsste explodieren, wenn er mir nicht endlich Erlösung verschaffte. Fordernd schlang ich meine Arme um seinen Hals und unterbrach den Kuss dabei nicht einen Moment. Mein Kopf war wie leergefegt. Das einzig Wichtige war Severus, wie ich ihn jetzt spürte...


Tjaaaaaa... :D Unsere Geschichte nähert sich so langsam dem Ende, es werden noch so um die acht Kapitel kommen, dann ist sie auch schon zu Ende :( Ich hoffe aber, dass euch das Kapitel gefallen hat!

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