Reibung und Spaltung

Danke für eure Rückmeldungen :) Viel Spaß mit dem neuen Kapitel!

Der nächste Morgen brach an und mit dem Morgen wurde auch wieder die Sorge um das Schicksal meines kleinen Bruders in mir geweckt. Ich würde mit meinem Vater reden müssen, ob ich wollte oder nicht. Das war ich Draco einfach schuldig. Das war ich mir selbst schuldig. Langsam schwang ich die Beine über die Bettkannte, fuhr mir durch mein wirres Haar und tappte schließlich auf nackten Füßen weiter ins Bad. Nachdem ich mich extra in einen dunkelblauen Rock, den ich einmal von meinem Vater zum Geburtstag bekommen hatte, und eine Bluse gezwängt hatte, die Haare streng gescheitelt und glatt gekämmt, machte ich mich mit zügigen Schritten und zielsicher auf den Weg zum Studierzimmer meines Vaters, wo er meist den gesamten Vormittag verbrachte. Ich wollte um jeden Preis einen guten Eindruck hinterlassen und noch viel wichtiger: ernst genommen werden.

„Hallo Vater." Mit einem schüchternen Lächeln steckte ich den Kopf durch die reichverzierte Holztür des Studierzimmers.

„Ah, guten Morgen, Isabella", sagte mein Vater wohlwollend und nickte mir zu. „Tritt doch ein", fügte er mit einem milden Lächeln hinzu. „Was führt dich zu mir?"

Er winkte mich zu sich und sein Blick glitt kurz über mein Gesicht und wanderte meinen Körper hinab. „Ich wollte... mich bei dir entschuldigen, Vater, wegen der Vergangenheit der Tage und mit dir", ich holte tief Luft, „reden...", erwiderte ich langsam und ließ mich auf den mir angebotenen Chintz-Sessel vor seinem Schreibtisch nieder.

„Nun?" Er sah mich nicht weiter an, sondern widmete seine Aufmerksamkeit wieder seinen Unterlagen.

Als ich nichts erwiderte hob er jedoch den Kopf. Beim Anblick meines ängstlichen Gesichtsausdruckes glitt ein erneutes Lächeln über sein Gesicht. „So sprich doch. Was bedrückt dich, Kind?" Er lehnte sich ein wenig in seinem Stuhl zurück und faltete die Hände auf der Schreibtischplatte zusammen. Ein wissender Ausdruck glitt über sein Gesicht. „Ist es wegen des Zeugnisses?", fragte er mit leicht angehobener Augenbraue. „Nun, das ist kein Grund, dass du mich aufsuchst, um dich zu entschuldigen. Allein das Studieren deiner Bücher, der Respekt vor den Lehrern und die sorgsame Erledigung deiner Hausaufgaben werden dir schulische Erfolge einbringen. Ich sehe jedoch, dass du weit konsequenter bist, als dein Bruder, was das angeht. Seine Noten sind keineswegs akzeptabel." Unwillen zeichnete sich in seinem Blick ab. „Ich habe schon mit ihm geredet, aber ich fürchte, dass erst die Inkraftsetzung seiner Strafe aus Zunder Feuer schüren wird." Sein Blick glitt wieder auf das Pergament vor ihm hinab.

Ich schluckte. „Um ehrlich zu sein, Vater, bin ich nicht wegen meiner Noten zu dir gekommen. Aber wo du das Thema schon indirekt angesprochen hast..." Ich räusperte mich kurz. „Ich muss mit dir über... Draco reden..."

Der Kopf meines Vaters schnellte augenblicklich in die Höhe und sein Blick wurde misstrauisch, der gutgelaunte Ausdruck in seinem Gesicht verschwand. Mit einer Handbewegung bedeutete er mit fortzufahren. Ich holte erneut tief Luft. „Glaubst du nicht, dass es ein wenig zu früh ist, um Draco zum Todesser zu machen?", fragte ich vorsichtig und je länger ich sprach, desto leiser wurde meine Stimme und der Gesichtsausdruck meines Vaters immer zorniger.

„Es ist nicht an dir, solche Themen anzusprechen. Du solltest nicht einmal daran denken, Isabella." Sein Blick war ungehalten. „Zerbrich dir deinen hübschen kleinen Kopf nicht über Dinge, die du nicht verstehst."

„Aber Vater..."

„Genug! Ich will nichts mehr davon hören."

„Vater, ich wollte, doch nur-"

„Es reicht!", zischte er. „Wenn du wieder nur gekommen bist, um dich über Dinge auszulassen, die dich nichts angehen, solltest du besser wieder gehen, ehe ich mich vergesse."

Es war zwecklos. „Du enttäuschst deine Familie immer wieder", flüsterte ich. „Lass Draco nicht dasselbe durchleiden wie mich. Er ist noch nicht einmal sechzehn..."

Etwas in seinen Augen flammte auf. „DU BIST DIE ENTTÄUSCHUNG HIER!", schrie er.

„Wieso?", flüsterte ich. „Weil ich kein kleines Mädchen mehr bin? Weil ich Fehler mache? Weil ich meinen kleinen Bruder davor bewahren möchte, den größten Fehler seines Lebens zu machen?"

Sein Gesichtsausdruck war gleichgültig. „Wer bist du nur?", sagte er mit unverhohlener Kälte in der Stimme. „Ich erkenne dich gar nicht wieder."

„Es tut mir leid, dass ich nicht das bin, was du dir erhofft hast", erwiderte ich nüchtern. Es entstand eine kurze Pause, in der er mich wortlos anstarrte. „...Aber ich bin deine Tochter", hauchte ich und sah mit Tränen in den Augen zu ihm empor. „Ich bin gefallen, wieder aufgestanden, habe Fehler gemacht... Doch das ist menschlich. Ich bin nicht perfekt, aber ich bin dankbar... Ich bin deine Tochter, die dich lieb hat, obwohl ich nicht weiß, ob dies jemals genug sein wird und ich weiß auch, dass dir das schwer fallen muss, aber ich brauche jetzt meinen Vater, der mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles wieder gut wird."

Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und seufzte. Dann erhob er sich und trat einen Schritt auf mich zu.

„Bitte, hilf Draco", flehte ich.

Er sah mich an, einfach nur an. Diese sturmgrauen Augen, so intensiv, so dunkel, so unendlich kalt. Meine Augen. Einen Moment glaubte ich, dass er mich in den Arm nehmen wollte, aber dann wandte er sich ab. Er ließ mich innerlich allein. Wie schon so viele Male zuvor.

„Ich verlange von dir, dass du dich unter keinen Umständen mehr in meine Angelegenheiten einmischt. Du untergräbst damit nicht nur meine Autorität und meinen Respekt, sondern auch den Respekt vor dem Dunklen Lord. Und glaube ja nicht, dass die Sache für dich schon gegessen ist. Ich werde zusehen, dass du zur Vernunft kommst. Du brauchst eine feste Hand, jemand der dir zeigt, wo es langgeht, der dir beibringt, dass du zu gehorchen hast. Und du wirst auch mir nun gehorchen, Isabella", donnerte er mir nun mit erhobener, tiefer Stimme entgegen. „Ich dulde keine Widerworte mehr. Verstanden?"

„Ja", zischte ich.

„Ja, wer?"

„Ja, Vater." Wütend wirbelte ich auf dem Absatz herum und rauschte aus dem Studierzimmer. Dumpf hörte ich, wie mein Vater die gewaltige Treppe, die in die unteren Stockwerke führte hinter mir heruntergepoltert kam, so rasch, dass ich kaum einen Vorsprung hatte.

Ich riss meinen Mantel vom Haken in der Kleiderkammer auf der linken Seite der marmornen Eingangshalle.

„Wo willst du hin?" Mit zwei langen Schritten war mein Vater bei mir.

„Weg", erwiderte ich nur und steckte einen Arm durch den grauen Mantelärmel.

„Du wirst bleiben", zischte mein Vater und schlug die Tür der Kleiderkammer mit solcher Wucht zu, dass einer der Hauselfen am Eingangsbereich heftig zusammenzuckte.

„Rede nicht mit mir, als wenn ich ein Kind wäre", schleuderte ich ihm entgegen, schob mich an meinem Vater vorbei und schlüpfte in einen meiner Winterstiefel.

„Wo willst du hin?", wiederholte mein Vater ruhig, jedoch ohne mich aus den Augen zu lassen.

„Spazieren", sagte ich und hatte nun auch den zweiten Stiefel angezogen. Ich rauschte ohne meinen Vater eines Blickes zu würdigen Richtung Eingangstür.

„Willst du dich wieder beim ihm verkriechen? Bei Snape?" Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. „Glaubst du etwa, dass du bei ihm willkommen bist? Er macht sich nichts aus dir, du bist ihm ein Dorn im Auge. Er kann dich nicht mal leiden, hat dich sechzehn Jahre ignoriert..."

„Dann seid ihr euch in diesem Punkt ja erstaunlich ähnlich", sagte ich kühl. „Und nein, ich werde mich nicht bei ihm verkriechen", zischte ich. „Darf man dieses Haus nun nicht einmal mehr ohne deine Genehmigung verlassen, um ein bisschen im Park spazieren zu gehen?" Die Worte meines Vaters über Severus versetzten mir einen Stich, aber ich riss dennoch die Haustür auf und eilte die eingeschneite Steintreppe, die zu dem mit Kies ausgelegtem Zufahrtsweg führte, hinab.

„Isabella", rief mein Vater, „Komm auf der Stelle zurück, oder du wirst mich kennenlernen!"

Dichte Schneeflocken trieben durch die graue Dezemberluft und ich konnte kaum erkennen, wohin ich lief. Ich hatte noch nicht die Hälfte des Weges hinter mich gebracht, als ich plötzlich spürte, wie sich die langen Finger meines Vaters um meinen Unterarm schlossen und er mich mit unerbittlicher Gewalt zurück durch das Schneegestöber und ins Haus schleifte.

„Du gehst sofort auf dein Zimmer", befahl er und mit einem Schwung seines Zauberstabes flogen Mantel und Stiefel zurück an ihren ursprünglichen Platz. „Und wenn du glaubst, dass du mit sowas bei mir durchkommst, dann hast du dich aber gewaltig geschnitten." Er wies mit ausgestrecktem Arm auf die Treppe. „Abmarsch, in dein Zimmer, junges Fräulein."

Ich fluchte. „Handelst du jetzt schon wie ein elender Muggelvater, dem die Sanktionen ausgehen?", schrie ich erzürnt. „Ich kann den Strom von schmierigen Worten, der deinen Mund verlässt einfach nicht mehr ertragen. Ich fühl mich wie eine Gefangene in diesem verfluchten Haus. Nichts darf ich. Immerzu muss ich mich dir beugen. Ich hasse es. Ich hasse es wie die Pest, hier eingesperrt zu sein, ohne jegliche Freiheiten. Steck mich doch gleich ins Familienverließ, das uns unsere ehrwürdigen Vorfahren unten im Keller hinterlassen haben. Ist doch sowieso einerlei, ob ich-"

Ich schnappte keuchend nach Luft, als mein Vater zum Schlag gegen mich ausholte. Heiß und beißend breitete sich der Schmerz langsam auf meiner linken Wange aus. Mein Vater war weiß vor Zorn und sein Blick ungehalten. „Pass auf, dass ich deine Worte nicht Wahrheit werden lasse", zischte er.

Wir hatten den ersten Stock erreicht. Er stieß mich in mein Zimmer und schlug die Tür mit einem Knall hinter mir zu. Ich hörte, wie der Schlüssel im Schlüsselloch herumgedreht wurde. Dann... Stille.

„Das kannst du nicht machen, Vater", schrie ich und hämmerte mit den Fäusten gegen die dunkle Zimmertür. „Schließ mich nicht ein", schluchzte ich.

„Du bleibst da drinnen, bis du zur Vernunft gekommen bist. Ich habe Angelegenheiten zu regeln, die ihrer Sache längst überflüssig sind", zischte mein Vater wutentbrannt und ich hörte, wie sich seine dumpfen Schritte allmählich entfernten.

„Vater", schrie ich und schlug nun mit aller Kraft auf die festverschlossene Tür ein. „Lass mich nicht allein. Lass mich raus." Unsichtbare Bänder schienen sich um meine Lunge zu schließen und mein Atem ging immer schwerer. „Komm zurück", rief ich mit tränenerstickter Stimme. „Bitte..." Aber die Schritte auf dem Korridor waren längst verklungen.

Panik machte sich in mir breit. Ich fühlte mich automatisch mehrere Jahre zurückgesetzt. Wie oft war ich schon eingesperrt worden. Als Erziehungsmaßnahme. Als Strafe. Als Grund, damit ich aushörte zu schreien und um mich zu treten...

„Ich hasse dich", schrie ich aus voller Seele und war doch froh, dass er mich nicht hören konnte.

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