Rechtschaffung
Hogwarts. Immer wieder fand das Wort Zuflucht in meinem Gedankenfluss und hinterließ tiefe Furchen in meinem bedrückten Gewissen. Ich stütze mich tief luftholend am Waschleckenrand ab. Nach dem Sommer würde, ich also mein sechstes Jahr in Hogwarts und nicht in Durmstrang antreten. Langsam wandte ich mich um, drehte den Wasserhan der Badewanne auf und streifte mir mein Top über die Schultern. Erneutes Zittern kontrollierte meinen Körper und der erdrückte Schwall von Hass und Scham brach auf wie ein Damm und die Flut der verstecken Gefühle maß sich vollkommene Berherrschung über meinen Geiste an. Und dann ging mein Temperament mit mir durch und offenbarte ein anderes Gesicht. Mein Vater war schuld an der Ambivalenz meines Verhaltens. Er maß sich eine vollkommene Macht über meinen Geist an und verhinderte somit, jene Fähigkeiten zu entwickeln, die mich stark und selbstbewusst formen sollten.
Da waren nur Angst, Zerbrochenheit und Verletzlichkeit geblieben und ich ließ es zu, dass mein Vater mich umherstieß und mich behandelte, wie es ihm eben passte. Er wollte ein liebevolles, braves kleines Mädchen? Eine sittsame, wohlerzogene Tochter? So schenkte ich sie ihm. Wieder einmal mehr befand ich mich in dem jahrelangen Zwiespalt, den ich führte, zwischen Gehorsam und Pflichtgefühl und dem Streben meiner eigenen Gedanken. Langsam hob ich meine rechte Hand und betrachtete sie eindringlich...Dann biss ich mir selbst so feste auf den Daumen, wie ich konnte. Ich keuchte auf vor Schmerz als ich den Knochen zwischen meinen Zähnen ganz deutlich spüren konnte. Erst, als ich Blut schmeckte und die blauangelaufene Haut unter den Bissspuren sah, hörte ich auf.
Langsam sank ich auf dem dunkelgrünen Badvorleger vor der Badewanne zusammen und verbarg den Kopf zwischen den Knien, den Wasserhan ließ ich weiterlaufen, damit man meine trockenen Schluchzer von außerhalb des Badezimmers nicht hören konnte. Ich schloss für einen Moment die Augen. Im Hintergrund hörte ich nach einiger Zeit, wie das Badewasser überschwappte, aber es war mir egal. Ich fühlte mich so leer. Alles, was mir jemals wichtig erschienen war, war nun einem Scherbenhaufen gleich: Die Hochachtung und der Respekt meines Vater vor mir, meine Schulleistungen und mein exzellenter Ruf in Durmstrang, mein Stolz und das Ansehen den der Name Malfoy mit sich brachte.
Meine Pyjama-Hose war klitschnass, aber ich bemerkte es kaum, während ich dort auf dem Teppich kauerte und meine Existenz überdachte. Alles, was mich, Isabella Malfoy, ausgemacht hatte, war zu Grunde gerichtet worden. Plötzlich vernahm ich ein Poltern, Schritte und schließlich ein Klopfen an der Tür. Ich kauerte mich weiterhin zusammen und das heiße Badewasser schwappte nun über meine nackten Füße hinweg, während die ausladende Badwanne noch immer überlief und ihren Inhalt auf dem mamornen Boden verteilte. Das wäre es noch, wenn Draco mich in diesem erbärmlichen Zustand vorfinden würde. Dass er mich jetzt noch damit aufzog hätte ich in diesem Moment nicht ertragen. Ich vergrub den Kopf noch tiefer zwischen meinen Knien.
"Alohomora."
Ich zuckte zusammen. Ein Klicken des Schlosses und die Tür wurde aufgerissen. Ich nahm die Gestalten im Türrahmen nur schemenhaft wahr. Durch die Tränen, die scheinbar nicht aufhören wollten zu fließen, war meine Sicht noch immer verschleiert. Eine große männliche Gestalt im schwarzen Umhang und mit schwarzen Schnallenstiefeln und eine kleinere, zierliche Gestalt, in ein Nachthemd gehüllt, krallte ihre Finger schluchzend in den Umhang des Mannes. Oh Gott, das war nicht Draco, das waren meine Eltern. Das Herz sank mir noch weiter in die Hose und ich hielt den Kopf noch fester zwischen meinen Knien. Die Hände meines Vaters hoben mich grob hoch und trugen mich aus dem Bad, ich ließ es einfach geschehen, während ich Sekunden später spürte, wie mein Körper auf etwas Weiches gebettet wurde. Ich konnte niemanden ansehen. Ich kroch unter die Laken des Bettes und vergrub mein Gesicht in den schneeweißen Kissen.
„Isabella, deine Finger und die Badewanne", sagte meine Mutter bestürzt. „Warum...? Hast du denn nicht gehört, dass sie übergelaufen ist, Isabella?" Sie schüttelte mich leicht. "Und warum blutest du überhaupt an deinen Fingern? Isabella! Waren das die Hauselfen?"
„Sie benimmt sich völlig neben der Spur", erwiderte mein Vater barsch. „Der Schulverweis scheint ihr auch nicht wirklich zu bekommen." Er machte eine kurze Pause.
"Du bist es, der mir nicht bekommt", hätte ich ihm am liebsten zugerufen.
Mein Vater drehte sich zu seiner Gattin um. "Ich weiß nur, dass sie morgen Abend nicht so vorzeigbar ist. Bring das in Ordnung, Narzissa." Mit einem letzten Blick auf mich rauschte er aus meinem Zimmer und meine Mutter ließ sich zaghaft auf der Bettkannte nieder. Das Gesicht meines Vaters war von Abscheu gekennzeichnet, als er den Raum verließ, denn für so etwas wie Schwäche oder Mitleid war in seinem Leben kein Platz. Ich glaubte meinen Vater zu lieben, doch er brachte mir oft nur Kälte und Distanz entgegen und heute war dieser Zustand bis zum Höhepunkt getrieben worden. Ich wusste, dass ich mich hätte zusammenreißen sollen, schließlich war ich beinahe sechszehn, doch als meine Mutter mir über das Haar strich fing ich hemmungslos an zu schluchzen.
„Er hasst mich, Mutter", flüsterte ich. „Er hasst mich so sehr."
"Dein Vater liebt dich, Isabella", sagte sie sanft und küsste mich auf die Stirn. "Er kann es nur im Moment nicht zeigen. Es wird sich schon alles wieder fügen, ganz bestimmt. Schlaf jetzt!"
Doch ich glaubte ihr kein Wort.
***
Ich erwachte noch bevor die ersten Strahlen des Sonnenaufganges durch die Wipfel der Bäume brachen, die Malfoy Manor umgaben. Langsam kamen in mir die Ereignisse vom gestrigen Abend wieder hoch. Ich starrte meinen verheilten Daumen an und blickte an mir hinab. Ich trug ein weißes Nachthemd und ich fand auch keine Rückstände der getrockneten Tränen auf meinem Gesicht. Es lohnte sich wohl doch, seine Ausbildung als vollwertige Hexe zu beenden, denn solche Magie konnte ich noch nicht praktizieren. Angewidert überkam mich der Gedanke, dass möglicherweise die Hauselfen dafür verantwortlich waren.
Ich öffnete die Balkontür. Kalt und schneidend schlug mir die Morgenluft des Mittmärzes ins Gesicht. Doch sie war so wohltuend wie ein Kübel kaltes Wasser, den man über mir ausschüttete. Meine Hände umklammerten das eiserne, mit Schnörkeln und Kreisen verzierte, Geländer des Balkons und ich beugte mich so weit vorn über, dass meine nackten Fußspitzen das einzige waren, das noch Kontakt zum Boden hatte. Heute fühlte ich mich um Längen besser Doch in dem Hinterstübchen meines Gehirns kochte die Erinnerung an den heutigen Empfang von Bekannten, Freunden und Gönnern meines Vaters empor wie heißes Öl. Ich umklammerte das eiserne Geländer so fest, dass die Knöchel weiß hervor traten.
„Um Himmels Willen, Isabella!" Meine Mutter kam auf mich zugeeilt. Ich seufzte. Ihr Übereifer und ihre Sorge um mich waren während der letzten Tage noch weiter gestiegen, sofern das überhaupt möglich war. „Willst du dich denn erkälten? Hast du vergessen, was heute Abend ist?" Sie zog mich zurück in das warme Zimmer. Die Luft hier drinnen war stickig von der Falschheit und Verlogenheit, die dieses Anwesen zu erdrücken drohten.
Die Wände des Zimmers schienen mich nähernd zu umdrängen und ich fühlte, wie die Wände meines Käfigs mich wieder eingeholt hatten. Als meine Mutter die Balkontür schloss, schien der letzte Luftzug Hoffnung auf einen guten heutigen Tag verschwunden zu sein. „Wir empfangen deine Großeltern schon in einer Stunde, und du bist noch immer nicht angezogen. Und du weißt doch, dass Abraxas immer früher erscheint, als angekündigt, Isabella."
Ihr Geplapper tropfte an mir ab wie der Morgentau draußen am eisernen Geländer. Merkte sie nicht, dass sie Selbstgespräche führte? Ich stieß ein eiskaltes Lachen hervor, da diese Frage mehr als rhetorisch war. Ihr Blick hätte kaum mitleidiger sein können.
„Ich weiß, dass das im Moment schwer sein muss für dich."
Sie zog mich in eine steife Umarmung. Nichts wusste sie. Seit dem Treffen mit dem muggelstämmigen Siebtklässler aus Durmstrang nach der Sperrstunde, und es war ein einmaliges Treffen gewesen, war nicht nur der Schulverweis eingetreten, sondern auch meine Familie hatte sich zunehmend von mir distanziert und Regeln aufgestellt, die lächerlicher waren, als erlaubt war.
„Ich schicke einen Hauselfen zu dir hoch, damit er dir beim Ankleiden helfen kann."
„Das wird nicht nötig sein, Mutter", presste ich hervor. Es war das erste Mal, dass ich gesprochen hatte, seit sie meine Räumlichkeiten betreten hatte.
„Was nötig ist und was nicht entscheiden immer noch deine Eltern, Isabella. Vor allem in der Hinsicht darauf, dass sich wieder einmal dein unreifes Verhalten bestätigt hat. Deine Großeltern sind gleich hier, sieh zu, dass du fertig wirst", vernahm ich eine tiefe kalte Stimme und zuckte zusammen.
„Ja, Sir."
Ich drehte mich zur Tür, doch mein Vater hatte sich schon wieder umgedreht und war den Korridor entlang gerauscht. Widerwillig fügte ich mich und ließ mich in eines der Kleider einbinden, welches meine Mutter zurechtgelegt hatte. Die Hauselfen zogen die Schnüre an meinem Rücken so eng zusammen, dass es mir schwerfiel Luft zu holen, doch es half mir, Haltung zu bewahren.
Das blaue Kleid ließ mich unschuldig wirken. Welch sarkastischer Gedanke in Erinnerung an die letzten Stunden. Ich setzte ein Lächeln auf, so falsch, dass es schon wieder echt wirkte und welches niemand durchschaute. Im Grunde scherte sich eh keiner der Anwesenden darum, wie ich mich fühlte, oder was in mir vorging.Die Gespräche mit solchen Leuten wie meinen Großeltern hatten weder Tiefgang noch zeugten ihre Sprecher von solchen Intellekt, als dass sie mich hätten beeindrucken können. Ich war auf mein Äußeres beschränkt. Bei einem Mädchen zeugten nur Aussehen, Benehmen und Noten von Interesse, der Rest war Nebensache. Ich betrat die ausladende Eingangshalle, bereit das falsche Spiel, dessen Regeln mein Vater aufgestellt hatte, mitzuspielen.
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