Nachsitzen
Der Oktober hatte sich mittlerweile dem Ende zugeneigt und der Herbst hatte Einzug ins Land gefunden. Die Wipfel des Verbotenen Waldes hatten sich von einem satten Grün in rot-braunes Laub verwandelt und die Sonne schaute immer seltener hinter der grauen Wolkendecke hervor, was einem immer wieder vor Augen führte, dass der Sommer endgültig zu Ende war.
Mit dem tristen Wetter schien sich auch die Stimmung unter den Sechstklässlern zu vermiesen, denn die Tage wurden kürzer und der Unterricht immer härter. Ich hatte es mittlerweile aufgegeben, die Beste in jedem Fach sein zu wollen, da sich dies als schier unmöglich herausgestellt hatte.
Meinen Arithmantikaufsatz hatte ich mit einem großen geschwungenem ‚M' wieder bekommen und auch in Zauberkunst und Kräuterkunde hatten sich meine Leistungen kaum über ein ‚Annehmbar' hinausgesetzt.
Einzig und allein Verwandlung schien mir nach wie vor zu liegen und das ‚Ohnegleichen' in diesem Fach schien der einzige Lichtblick in meiner bisherigen Schullaufbahn der sechsten Klasse in Hogwarts zu sein.
Angesichts meiner schlechten Noten bereitete mir auch das bevorstehende Treffen mit meinen Eltern an Halloween eher Magenschmerzen als Vorfreude.
Das Nachsitzen bei Snape hatte sich als das Schlimmste heraus gestellt, das ich bisher in Hogwarts erlebt hatte. Es war nicht nur so gewesen, dass ich mit bloßen Fingern und ohne jegliche Zauberkraft zwei Dutzend Kessel hatte schrubben müssen. Nein, zu all dem Übel und den geschundenen Fingern hatte ich auch noch Snapes zynische Kommentare über mich ergehen lassen müssen.
Trotz der vergangenen Nacht Anfang September schien sich sein Verhalten mir gegenüber nicht sonderlich verändert zu haben, auch wenn ich mir eingestehen musste, dass seine Blick nicht mehr ganz so frostig und seine Kommentare weniger herablassend waren.
Mein Dickschädel hatte sich aber auch hierbei nicht als Vorteil, sondern wieder mal viel mehr als Nachteil herausgestellt, als ich die Stimme gegen ihn erhoben hatte.
Er hatte mir noch eine weitere Woche Nachsitzen aufs Auge gedrückt. Aber heute war glücklicherweise Freitag und der letzte Tag der Woche und somit auch das letzte Mal Nachsitzen, bevor ich mich am Samstagmorgen auf den Weg nach Malfoy Manor machen würde.
Ich schwang meine Beine über die Bettkante meines Himmelbettes im Slytherin Mädchenschlafsaal, warf mir eine Strickjacke über und trat an eines der magischen Fenster. Der See der Hogwartsländereien lag still und dunkel in der Ferne, während ein Windstoß über das umliegende Gras und die Bäume hinwegfegte und einiges trockenes Laub aufwirbelte, das sich am Fuße des Waldes gesammelt hatte.
Als ich um halb neun die Große Halle betrat spiegelte ihre Decke meine Laune ziemlich gut wieder. Der Himmel war trostlos und von einem tristen dunklen Grau. Ein entferntes Donnergrollen von den Schlossgründen ließ sogar mich zusammenzucken, als ich mir mehr oder weniger lustlos einen Toast mit Marmelade bestrich.
Nach einem kargen Frühstück und einem Blick auf die Titelseite der Zeitung, die wieder einmal Harry Potter abbildete, machte ich mich auf den Weg zu Verteidigung gegen die dunklen Künste.
Umbridge überraschte die Klasse mal wieder mit einer noch zäheren, langweiligeren und theorielastigeren Stunde, als es ohnehin schon der Fall war. In dem Buch Theorie magischer Verteidigung waren wir mittlerweile bei Kapitel 23 angekommen: „Wie man ungesagte Zauber wirken lässt".
Doch keinem von uns war es erlaubt worden den Zauberstab hervorzuholen, geschweige denn die ungesagten Zauber tatsächlich auszuüben.
Nach einer Doppelstunde voll Theorie zu Verteidigung gegen die dunklen Künste folgte eine nicht minder langweilige Stunde Geschichte der Zauberei.
Der ewig geleierte, niemals endende Vortrag über die Riesenkriege von 1389 wurde fortgesetzt, ohne dass Professor Binns auch nur bemerkte, dass niemand auch nur so tat, als ob er zuhörte. Das einzige worauf ich mich an diesem Schultag halbwegs freuen konnte war, dass es kein langer war.
Nur noch eine Doppelstunde Zaubertränke und ich hatte ihn überlebt. Nicht, dass danach der spaßigere Teil gefolgt wäre. Ich hätte mir lieber das ganze Wochenende Professor Binns Geleier über die Riesen aus dem Mittelalter angehört, als auch nur einen Fuß über die Schwelle meines Elternhauses zu setzten. Doch all das Winden half nichts.
Als es endlich läutete schien die halbe Klasse aus einer Art Trance zu erwachen und Marietta Edgecombe zuckte derartig heftig zusammen, sodass sich ihre Bücher auf dem Boden des Klassenzimmers verteilten. Ich beeilte mich, zu Zaubertränke zu kommen. Ich war diese Woche zwar kein weiteres Mal zu spät, zu Snapes Unterricht erschienen, aber ich wollte ihm auch keine Gelegenheit bieten, wenn es diesmal geschah.
Somit war ich eine der Ersten, die sich in die Schlange vor Snapes Klassenzimmer einreihte. Der letzte Unterricht vor dem Halloween-Wochenende schien einige der bereits anwesenden Schüler in Euphorie zu versetzen, denn sie kicherten und giggelten unentwegt.
Der Trank des Erwachens, den die Klasse braute, erwies sich als schwerer und kniffliger, als alles, was wir bisher gebraut hatten.
Snape schritt an meinem Tisch vorbei und spähte in den Kessel. Sein schwarzes Haar fiel ihm wie ein Vorhang ins Gesicht und als er sich zu mir herunterbeugte nahm ich den leichten Geruch von Kräutern und Pergamentpapier war. Ich hielt automatisch die Luft an. Der Geruch war betörend, doch es behagte mir ganz und gar nicht, dass er von Snape ausging.
„Miss Malfoy", schnarrte Snape.
Nun atmete ich doch geräuschvoll ein, ballte meine Hand zur Faust und schloss die Augen für einen Moment.
„Sir?"
„Sagen Sie mir, was wir hier brauen", sagte Snape mit öliger Stimme und er legte den Kopf leicht schief.
Ich öffnete meine Hand wieder, setzte ein Lächeln auf und blickte zu Snape empor."
„Den Trank des Erwachens, Professor", sagte ich freundlich. „So ist es doch oder?"
Snapes dunkle Brauen zogen sich zusammen. „Lassen Sie diese Mätzchen, Miss Malfoy, und fahren Sie mit dem Brauen Ihres Trankes fort."
Zufrieden wandte ich mich wieder meinem Gebräu zu. Ging doch.
Um kurz vor sieben klopfte ich an die schwere Holztüre von Snapes Büro.
„Herein", vernahm ich seine dunkle Stimme hinter der Tür.
Zögernd stieß ich die Tür auf und schloss sie gleich darauf wieder hinter mir.
„Ahh, Miss Malfoy", sagte Snape samtig. „Letztes Mal für diese Woche, nicht wahr?"
„Jaah", sagte ich mit zusammengepressten Lippen.
„Nun, Sie können gleich mit dem Schrubben der Kessel beginnen", sagte er ohne mich anzusehen. Er nahm wieder hinter dem gewaltigen Eichenschreibtisch Platz und beugte sich wieder über den Stapel Aufsätze, die er gerade korrigierte.
Neugierig versuchte ich einen Blick auf die Aufsätze zu erhaschen. Doch ich konnte kaum mehr als die Überschrift lesen, da wischte Snape schon mit dem Ärmel darüber und verbarg mir somit die Sicht auf das Geschriebene. Wütend blitzen seine Augen zu mir herüber. Doch ich hatte genug gesehen. Es war mein Nieswurz-Aufsatz.
Ich drehte mich um und schritt zu dem Waschbecken in der linken hinteren Ecke des Zimmers herüber und begann mit dem Schrubben der Kessel. Als ich das monotone und gleichmäßige Schrubbgeräusch jedoch für eine Minute einstellte, hob Snape den Kopf und seine Mundwinkel zogen sich in einem Anflug von Häme und Belustigung nach oben.
„Sind wir schon müde?", fragte er mit seidiger Stimme und legte die Feder für einen Moment zur Seite.
Ich schüttelte den Kopf und begann mit energischen Bewegungen erneut mit dem Säubern der Kessel. Ich wischte mir die nassen Hände an meinem Rock ab und spähte zu Snape herüber, das Gesicht hinter meinem dichten blonden Haar verborgen, das mir wie ein schützender Vorhang über die Schulter fiel.
Snape hatte die Stirn leicht gerunzelt und mit der Feder strich er mit einem leichten Kopfschütteln mehrere Zeilen des Aufsatzes durch. Schließlich erhob er sich und ich zuckte kurz zusammen, bei der plötzlichen Bewegung. Schnell heftete ich meinen Blick wieder auf meine Hände, die vom Schrubben schon ganz rot waren und zwang mich nicht zum Schreibtisch hinüber zu blicken.
Plötzlich spürte ich seinen heißen Atem in meinem Nacken und ich fuhr derartig heftig zusammen, dass mir die Bürste aus der Hand fiel und Wasser aufspritzend im Spülbecken landete.
„Ich wollte nur sehen, wie Sie vorankommen", raunte Snape an meinem Ohr.
„Fast fertig", hauchte ich und versuchte, mich nicht zu bewegen. Wie versteinert stand ich da, während mir Snape über die Schulter blickte und mir der Geruch von Kräutern in die Nase stieg. Verängstigt wagte ich einen Schritt nach vorn.
Snape grinste. „Doch so schreckhaft, Miss Malfoy. Doch nicht so stark wie man vielleicht meinen mag. Ich durchschaue Sie, Isabella. Seien Sie sich dessen gewiss."
Seine langen schlanken Finger schlossen sich um meinen Oberarm.
Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter und ich hielt erneut die Luft an. „Ich weiß n-nicht w-was Sie meinen, Professor", sagte ich mit zittriger Stimme.
„Oh, ich glaube doch, Miss Malfoy", sagte Snape ernst und ließ von mir ab. „Probieren Sie nicht, jemand zu sein, der Sie nicht sein wollen. Man ist dort, wo die eigenen Gedanken sind und nun sehen Sie zu, dass Ihre Gedanken auch dort sind, wo Sie selbst sein möchten. Verleugnen Sie nicht sich selbst, aber verleugnen Sie jene, die Sie zu etwas machen wollen, das Sie nicht sind."
Ich starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Mir wurde kalt.
„Ich sagte ja, dass ich Sie schon lange durchschaut habe, Miss Malfoy. Und nun beenden Sie endlich Ihre Strafarbeit, sonst stehen Sie noch die ganze Nacht hier und schrubben Kessel", sagte er barsch.
Ich schreckte zusammen. Mit diesen Worten wirbelte Snape auf dem Absatz herum und rauschte in einen der angrenzenden Räume. Ich starrte nach wie vor die Tür an, durch die Snape gerade eben verschwunden war.
Woher wusste er, wie ich dachte. Diese Gedanken waren geheim, verborgen und gut verschlossen von mir behütet, dass niemand sie entdeckte. Und doch hatte Snape genau das ausgedrückt, womit ich jeden Tag zu kämpfen hatte – Gefangen zwischen Pflichtgefühl und dem Drang nach Selbstverwirklichung und dem Ausbrechen aus den Schranken der Vernunft...
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