Familienbande
Mit leerem Blick starrte ich in den riesigen, mannshohen Spiegel vor mir. Das Brautkleid war am Dekolletébereich und an den Armen mit meisterhafter Spitze verarbeitet worden. Die Seide floss wie Wasser sanft an meinem Körper hinab und betonte die Vorzüge meiner Figur. Es war das alte Hochzeitskleid meiner Mutter. Es passte wie angegossen, aber für mich war es wie das Geleit in eine milchig neblige Zukunft, von der ich nicht wusste, wie sie enden würde. Mit letzten Handgriffen steckte ich eine herausgelöste Strähne in den Knoten in meinem Nacken zurück und schob Severus' Spange anschließend vorsichtig zwischen die dichten, weißblonden Locken. Dann trat ich einen Schritt zurück und erwiderte stumm den Blick meiner eigenen mandelförmigen, sturmgrauen Augen.
Vaters Cruciatus-Flüche waren schmerzvoller und langanhaltender gewesen, als beim ersten Mal, als ich es gewagt hatte, ihm die Stirn zu bieten, auch wenn ich dieses Mal vermutlich nur seine Ehre oder seine Würde verletzt hatte. Letztes Mal war es an dem Tag gewesen, an dem er mich in seinem Studierzimmer erwischt hatte, wie ich in seinen Unterlagen wühlte, um Antworten zu bekommen, die man mir schon immer verwehrt hatte. Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, an dem ich von der Verlobung mit Yaxley erfahren hatte. Heute Morgen aber ertrug ich diese unverzeihlichen Flüche stur.
Die Tür hinter mir ging mit einem leisen Quietschen auf und ich sah durch den Spiegel, wie meine Mutter in mein Zimmer trat, dicht gefolgt von ihrer Schwester –meiner Tante- Bellatrix Lestrange. Bellatrix' dunkle Augen mit den schweren Lidern fassten mich ins Auge, ehe sie plötzlich ein schrilles, hohes Lachen ausstieß. Mit klopfendem Herzen drehte ich mich zu den beiden älteren Hexen um, die sich unterschiedlich waren wie Tag und Nacht. Wo Mutter zart, blond und blauäugig war, war Bellatrix geradezu derb oder rau, mit schwarzer wallender Mähne und dunklen, tiefliegenden Augen.
Bellatrix gackerte und warf ihrer Schwester einen arroganten Blick von oben herab zu. „Salazar, die Kleine sieht ja genauso aus wie du bei deiner Hochzeit mit Lucius, Zissy." Sie musterte mich scharfäugig. „Sag bloß das ist auch noch dein Kleid. Das arme Mädchen, man zwingt sie in diesem scheußlichen abgetragenen, alten Fetzen zu heiraten." Nervös wechselte ich einen Blick mit meiner Mutter. „Isabella, Schätzchen - Das ist deine Tante Bellatrix. Bellatrix - Das ist meine Tochter Isabella", stellte sie uns unnötiger Weise vor. Ich lächelte schüchtern und senkte den Blick. „Freut mich dich kennenzulernen, Bellatrix, oh Verzeihung, ich meinte natürlich Mrs Lestrange", sagte ich, „ich habe schon viel von dir gehört und bin erfreut nach all den Jahren endlich deine Bekanntschaft zu machen."
Wieder stieß meine Tante ein schrilles Gackern aus. „Ihr habt eure Tochter ja echt zu sturem Gehorsam erzogen. Die reagiert ja wie eine Aufziehpuppe. Ich sehe eindeutig Lucius' Handschrift... Und diese unschuldigen, schüchternen Blicke, dieses sanfte, liebenswürdige Lächeln... Das bist du Narcissa. Ganz eindeutig." Bellatrix legte mir einen langen Arm um die Schultern und ich zuckte kaum merklich zusammen. „Wie hast du das nur all die Jahre ausgehalten, Mädchen?", fragte sie und plötzlich lachte sie nicht mehr. „Du bist wahrscheinlich froh, dass heute endlich deine Hochzeit ist, der Tag an dem jede Frau unserer feinen Gesellschaft den goldenen Käfig ihres Elternhauses verlässt, um in einen anderen goldenen Käfig gesperrt zu werden, der vielleicht ein klein wenig größer und geräumiger ist, als der erste, aber dennoch ein Käfig bleibt..."
Ihre dunkel überschatteten Augen schweiften kurz zu ihrer Schwester herüber. „Genau wie bei mir und Zissy. Oh, wie froh war unser hoher Vater doch, als er erfuhr, dass Rodolphus Lestrange beschlossen hatte, mich zu ehelichen. Mich, die erstgeborene Tochter von Cygnus und Druella Black. Da hatte Vater eine gute Partie gemacht. Ich war nicht abgeneigt gegen ihn, solltest du wissen, Mädchen", sagte sie und ihre langen Fingernägel krallten sich in meine Schulter. Ich mochte die Art nicht, wie sie mich Mädchen nannte. Es klang abwertend, so als sähe sie von oben auf mich herab, als wäre ich naiv und wüsste nicht, wie es in der Welt draußen zuging. „Ich kannte ihn noch aus der Schulzeit. Er sah gut aus damals... An unserer Hochzeit, da trug er diesen albernen Schnauzbart, na schön, aber darüber ließ sich hinwegsehen und Salazar sei Dank ist er ihn heute los. Er hatte kräftige Arme, ein breites Kreuz und wunderbar funkelnde, braune Augen. Aber kaum hatten wir die Zeremonie hinter uns gebracht, da zeigte er ein anderes Gesicht."
Meine Mutter erhob sich. „Lass es jetzt gut sein, Bella", sagte sie fest und machte einen Schritt auf ihre Schwester zu, die sich jetzt in lässiger Manier gegen meine Kommode gelehnt hatte. „Immer langsam mit den jungen Hippogreifen, Zissy... Schon gut." Sie warf mir einen hinlänglichen Blick zu. „Schon gut... Ich erspar dir die Details, Mädchen", sagte sie angesichts meiner verängstigten Miene. „Was in meiner Hochzeitsnacht geschehen ist, ist auch unwichtig und nicht von Belangen... Trotzdem erinnere ich mich noch gut an diese Tage nach der Hochzeit, denn das war die Zeit, in der ich das erste Mal meinem Herrn begegnen durfte." Ihre Augen bekamen wieder diesen fanatischen, wahnsinnigen Glanz. „Er nahm mich auf, wie einen seiner treuen Freunde aus der Schulzeit und schon bald war ich diejenige, deren Rat der Dunkle Lord einforderte, nicht den von meinem nichtsnutzigen Ehemann oder dem Angeber, der sich Zissys Ehemann nennt..."
„Es reicht, Bellatrix", sagte meine Mutter entschieden. „Wir sind gekommen, um zu gucken ob Isabella bereit für die Zeremonie ist und nicht, um ihr Lügengeschichten aus deiner Jugend zu erzählen."
„Das sind keine Lügen", fauchte Bellatrix ihre jüngere Schwester an. „Du weißt, dass es die Wahrheit ist. Willst du dein kleines Mädchen vor der dunklen Seite dieser Welt beschützen? Dann hast du dir die falsche Familie und garantiert den falschen Ehemann ausgesucht, Narcissa!"
„Sei still", schrie meine Mutter und packte ihre Schwester mit einer schlanken, weißen Hand am Arm. Entgeistert starrte ich meine Mutter an. Ich hatte sie noch nie derartig reden gehört oder sie gar so reagieren sehen. Bellatrix grinste. „Diese kratzbürstige aufmüpfige Ausgabe von dir gefällt mir deutlich besser, kleines Schwesterchen, als diese willenlose nichtdenkende Version, die Lucius erschaffen hat." Meine Mutter schlug ihrer Schwester mit voller Wucht gegen den Arm, doch ihre schmale, schwache Faust erzielte nicht den gewünschten Effekt. Wieder gackerte Bellatrix los, schrill und hoch und ich hätte ihr am liebsten den Mund zugehalten.
Erneut wurde die Tür aufgerissen und überrascht starrte ich den großen, schwarzhaarigen Mann, dessen Haar an den Schläfen längst ergraut war, an, der dort in meinem Türrahmen lehnte. Augenblicklich ließ meine Mutter von meiner Tante ab und strich ihr helles Kleid glatt.
„Rodolphus", sagte sie ein wenig außer Atem. „Was machst du denn hier?" Rodolphus Lestranges dunkle markante Augenbrauen zogen sich zusammen. Flüchtig schweifte mich sein unterkühlter Blick. „Komm Bellatrix", blaffte er ohne meine Mutter eines Blickes zu würdigen oder gar auf ihre Frage einzugehen. „Die Zeremonie beginnt in Kürze." Bellatrix warf ihrem Ehegatten einen arrogant lasziven Blick zu, den er mürrisch zur Kenntnis nahm, sich aber angesichts ihrer anmaßenden Miene keineswegs beeindrucken ließ.
Vermessen trat Bellatrix einen Schritt nach vorn. „Mir düngt, als wäre meine Anwesenheit anderorts erwünscht", sagte sie sarkastisch, warf ihr dickes, schwarzes Haar über die Schulter und musterte ihren Mann selbstgefällig. Dann wandte sie sich ihrer Schwester zu, die schweigend an meiner Seite stand und mir jetzt eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. „Komm Zissy, das Mädchen wird den Weg in die Eingangshalle schon alleine finden. Das ist schließlich ihr großer Tag." Meine Mutter nickte langsam und ließ meine Schulter los.
Rodolphus riss die Tür auf und schritt energisch aus dem Zimmer, dicht gefolgt von Bellatrix, die sich nicht einmal mehr verabschiedete oder mich ansah, sondern nur davonrauschte, in ihrem nachtschwarzen Umhang. Ihre lauten, selbstbewussten Schritte verhallten auf dem Korridor und dann war es still.
Meine Mutter wandte sich zum Gehen. Ein letztes Mal drehte sie sich zu mir herum. Ihre himmelblauen Augen waren an diesem Tage fern wie die Abendsterne und in ihren Tiefen lag – als riefen sie mir zu: Versteh! –eine Welt von dunkelgrauem Schmerz. Ich schloss sie in die Arme. Es war wie ein brennender Reflex. Zu lange unterdrückt. Und ich roch ihr Haar und atmete ihr frisches Kleid. „Oh Mutter, wie konntest du das nur zulassen? Wieso ließest du es geschehen?" Nur ein Windhauchflüstern, das sie nicht verstand oder nicht verstehen wollte. Ich wusste es in diesem Moment nicht. Sie drückte mich an sich und ich spürte plötzlich ihre heißen Tränen auf meinem Haar. Wie ein kleiner Trauerregen aus Schmerz und Salz. Und in ihrem warmen Herzen -nicht kalt wie seins- waren mehr als tausend ungeweinte Tränen und in jeder spiegelte sich mein Bild.
***
Langsam schloss ich meine Zimmertür hinter mir und betrat den großen dunklen Flur. Meine Kindheit ließ ich nun zurück und trat mit ihr in neue Schmerzenwelten. War das wirklich die richtige Entscheidung?
Zögernd stieg ich die lange Wendeltreppe ins Erdgeschoss hinab. Das Kleid raschelte leise und meine Hände zitterten, als sich meine Finger um das Mahagoni-Geländer schlossen. Ich sah meinen Vater unten in der Eingangshalle stehen- wartend. Er hatte mir den Rücken zugewandt und betrachtete scheinbar in Gedanken versunken die riesige, dunkelbraune Standuhr, deren goldener Sekundenzeiger sich kaum merklich immer weiter der Zwölf näherte. Die Hände hatte er hinter dem Rücken verschränkt und der lange Saum seines sündhaft teuren Festumhangs berührte beinahe den Boden.
Staubiges Sonnenlicht brach durch die hohen Bogenfenster. Es war früher Nachmittag und der Sonnenschein sah aus, wie gepudertes Gold auf den grasigen Hügeln in der Ferne. Der Wind durchkämmte die langen Gräser der Wiese.
Lautlos stieg ich die letzte Stufe hinab. Langsam drehte er sich zu mir herum. Seine sturmgrauen Augen strahlten mir das erste Mal, seit ich denken konnte, entgegen. Ich blinzelte die Tränen davon.
„Der Himmel hat mir das schönste Elfenwesen der Welt geschenkt", sagte er heiser. „Lass dich ansehen..." Zaghaft ergriff er meine Hand. Ich zwang mich zu einem letzten Lächeln vor dem Schafott. Ein letztes Lächeln für ihn. „Du bist wunderschön, Isabella." Ich senkte demütig den Kopf. „Nicht doch, Vater, du machst mich ganz verlegen." Sein dunkles Lachen erfüllte den Saal.
Der dicke, süßliche Geruch der durch Magie versilberten Rosen beim Eingangstor stieg in mir auf. Es war jene Rosenart, die einen träge werden lässt. Nicht jene, die einen an Kindheit erinnerte, zwischen weißen Rosenbüschen und Dornen im Beet, mit aufgeschlagenen Knien und dem Lächeln der Jugend im Gesicht. Es waren Yaxley-Rosen. Je älter ich wurde, desto durcheinander kam mir mein Leben vor. Als ich klein war, sah alles so einfach aus. Es lag augenscheinlich alles vor mir ausgebreitet, wie ein Spiel, bereit, gespielt zu werden. Ich dachte, ich wüsste genau, wie alles aussehen würde. Aber dann passierten gewisse Dinge...
„Bereit?"
Seine dunkle Stimme riss mich jähe aus meinen Gedanken.
Ich schluckte und rückte ein letztes Mal die silberne Feder-Haarspange in meinen mondhellen Locken zurecht. „Nein", sagte ich klanglos, aber trat dennoch einen Schritt nach vorn, um seinen mir dargebotenen Arm zu ergreifen. „Ich fürchte mich vor dem, was kommt, Vater."
Danke für eure bisherigen Kommentare und eure Unterstützung. Es freut mich ungemein, dass immer mehr Leser dazukommen :) Noch vier Kapitel dann ist die Story zu Ende... Dass es so schnell geht ist dann doch immer überraschend :D
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