Du Trottel!
"Auf jeden Fall… meine liebe Isa, freue ich mich schon darauf, dich wiederzusehen und deine reizende Schwester kennenzulernen. Wir sehen uns dann in ein paar Stunden. Bis dannimanski!"
Kai's Stimme drang aus dem Lautsprecher meines Smartphones, und ich hatte, wie immer in den letzten Tagen, wenn ich mit Kai geschrieben hatte, ein breites Grinsen im Gesicht. Irgendwie schaffte er es mit allem, was er sagte, mich zum Lachen zu bringen.
Er hatte mir diese fünf Minuten Sprachnachricht erst vor wenigen Augenblicken geschickt, und ich war wie jedes Mal etwas überfordert. Es schien, als hätte Kai den lieben langen Tag nichts besseres zu tun, als mir Sprachnachrichten zu senden. Tatsächlich war er schlimmer als meine Mutter, nachdem ich ihr WhatsApp auf ihrem Smartphone installiert hatte.
Es war erst eine Woche vergangen, seit ich die Männer, mit denen ich diese Expedition durchstehen würde, kennengelernt hatte, doch freute ich mich schon unglaublich darauf, sie alle wiederzusehen, und sie auch meiner Familie vorzustellen. Markus hatte ich dazu überreden können, zusammen mit den anderen Männern, das Wochenende über im Haus meiner Eltern zu verbringen, damit sie keine weiteren Kosten für eine Unterkunft zahlen mussten. Meine Eltern hatten das von sich aus vorgeschlagen, da sie die, Zitat meiner Mutter, "Rabauken" auch gerne einmal zu Gesicht bekommen würden. Mein Sponsor hatte am Telefon vor drei Tagen lediglich gelacht, und mir dann dankend zugesagt. Lediglich Alex, der werte Herr, zog es vor, bei seinem jüngeren Bruder, der ebenfalls in Stuttgart lebte, das Wochenende zu verbringen. Naja, ich konnte ihn verstehen. Hätte ich die Wahl zwischen einem extra Bett in der Wohnung meiner Schwester, oder sich ein Zimmer mit vier anderen Männern, im Haus der Eltern der Person, die ich ziemlich abstoßend fand, zu teilen, würde ich mich für die erste Option entscheiden.
Meine Mutter war, nichtsdestotrotz, neugierig auf alle, und hatte auch gleich noch den Bruder von Alex für heute Abend eingeladen.
In ein paar Stunden würden sie da sein, wie ich es der Sprachnachricht von Kai entnehmen konnte, während ich meiner Mutter in der Küche zur Hand ging.
"Der junge Mann hört sich nett an, wer war das?", wollte meine Mutter neugierig wissen. Sie war gerade dabei, das marinierte Fleisch für den Zwiebelrostbraten in zwei Pfannen zu legen, um es anzubraten, während ich die bereits gekochten Kartoffeln für den Kartoffelsalat schälte.
"Das war Kai…", ging ich kurz und knapp auf ihre Frage ein, und hoffte, dass sie nicht weiter nachfragen würde. Erstaunlicherweise hatte ich dieses Mal Glück, und sie beließ es dabei.
Und so saß ich nun auf dem rosa-weiß farbenen Blümchensofa im Wohnzimmer meiner Eltern, und wartete etwas nervös darauf, dass nach und nach alle eintreffen würden.
Auch meine Schwester schien ziemlich aufgeregt zu sein, sie blieb kaum länger als fünf Minuten am Stück sitzen, bevor sie beim nächsten Geräusch, das an ihre Ohren drang, wie ein aufgeregter Hund wieder aufsprang. Fehlte nur noch, dass sie bellte.
"Gott, Tillie, komm mal wieder runter! Du machst mich ganz nervös!"
"Mensch, du hast mir doch erzählt, dass die alle so wahnsinnig gut aussehen! Wie sollte ich da bitte ruhig bleiben. Falls ich nachher anfangen sollte zu stottern wie Neville Longbottom im ersten Teil von Harry Potter, dann schlag mich bitte!"
Genervt verdrehte ich die Augen, und wandte mich meinem Vater zu, der der ganzen Sache eher misstrauisch gegenüber stand. Und Tilda's Verhalten gab den lodernden Flammen seiner Zweifel nur Nachschub.
"Mach dir keine Sorgen…", sagte ich zu meinem Vater, dessen Haut sich über seine Fingerknöchel bereits weiß färbte, als er wieder einmal mit zu Fäusten geballten Händen vor mir saß. "... die sind alle harmlos. Und spätestens wenn sie sehen, wie Tilda hier wie eine Verrückte durch das Haus streift, rennen die schneller davon, als eine Gazelle vor einem Löwen."
"Dein Wort, Isa… dein Wort in Gottes Ohr!" Mein Vater schenkte mir ein Lächeln, was seine grünen Augen wie immer leuchten ließ, und die kleinen Lachfältchen am Rande seiner Augen zutage brachte.
Nur wenige Minuten später hörte ich das Zuknallen mehrerer Autotüren, und als Tilda dann auch noch begann zu quietschen, wie ein kleines süßes Ferkel, wusste ich, dass das nur die erwarteten Gäste sein konnten.
"Ich mach die Tür auf, du bleibst sitzen Fräulein! Auf… geh ins Wohnzimmer, und bleib da", maßregelte ich Tilda, und hoffte, dass sie dieses eine Mal tatsächlich das machte, was ich ihr sagte.
Nicht zu eilig sprang ich die Treppe nach unten, und holte noch einmal tief Luft, bevor ich die Türklinke aus Messing nach unten drückte, und die Tür öffnete.
Wider Erwarten war das erste, was ich sah, kein bekanntes Gesicht, und trotzdem kam es mir bekannt vor. Die markante Nase, leuchtende, schmale Augen, und dunkelblondes Haar, das in fatzenglatten Strähnen vom Kopf Abstand. Noch bevor ich etwas sagen konnte, erschien im Hintergrund ein mir tatsächlich bekanntes Gesicht. Kai lächelte mir zu, und wollte gerade etwas sagen, als ich hinter mir die fröhliche Stimme meiner Mutter vernahm.
" Hallo ihr Lieben, kommt erst einmal rein, draußen ist es zu kalt…", sprach sie, mit einem deutlich hörbaren Dialekt, der für Stuttgart so typisch war.
Gesagt getan. Ich war gerade zur Seite getreten, als auch schon der Unbekannte das Haus betrat. Erst jetzt fiel mir ein, dass das wohl der Bruder von Alex sein musste.
Ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, als ich stürmisch mit einer Umarmung begrüßt wurde. Kai.
"Hey Isalein… so sieht man sich wieder."
"Ja, früher als mir lieb war…", erwiderte ich mit einem sarkastischen Unterton, den Kai nur zu gut verstand. Er hatte mich noch nicht losgelassen, als ich auf einmal in zwei eiskalte blaue Augen blickte, die sich in meine bohrten.
Für einen Moment, der mir vorkam wie Stunden, schien ich nur diese Augen zu sehen. Im Vergleich zu unserem letzten Treffen, strahlten sie dieses Mal jedoch. Es schien, als würde sich Alex tatsächlich freuen, heute hier zu sein.
Verwirrt blinzelte ich, war ich doch viel zu konsterniert ob der Wirkung seines Blickes. Nur schwer konnte ich meine Augen von ihm abwenden, und begrüßte sogleich den nächsten Gast, Andreas.
Es kam mir vor wie Stunden, bis ich mich endlich dem mir noch fremden Mann vorstellen konnte.
" So, du musst der Bruder von Alex sein… ich bin Isa, freut mich dich kennenzulernen."
Meine Hand ergriff er sofort.
"Jup, genau. Ich bin Erik, und vielen Dank für die Einladung…", erwiderte er mit einem freundlich Lächeln im Gesicht, und in dem Dialekt, den meine Mutter so sehr liebte. Tja, was sollte man dagegen sagen… Stuttgarter war Stuttgarter, und das hörte man auch. Natürlich konnte meine Mutter das nicht unkommentiert lassen, und antwortete Erik mit einer ihrer zahlreichen, schwäbischen Lebensweisheiten.
"Was i hergeb, han i nemme… und etzt kommet au no nei. 's ziagt."*
Normalerweise war ich darauf bedacht, die Sätze meiner Mutter für die Außenstehenden zu übersetzen, doch zu diesem Zeitpunkt war ich zu sehr auf den Vergleich zwischen den zwei Brüdern fixiert. Auf den ersten Blick konnte man die Ähnlichkeit zu Alex kaum übersehen, jedoch stachen einem beim zweiten Blick vor allem die Unterschiede ins Auge. Erik war tatsächlich einige Zentimeter größer als sein älterer Bruder, seine Augen waren hellgrün, nicht wie die von Alex blau, sein Lächeln beschlagnahmte fast sein ganzes Gesicht, mit lauter kleinen Falten um seine Augen herum, die Nase war einen Ticken größer als die von Alex, und auch seine Wangenknochen waren nicht so auffällig wie die seines älteren Bruders. Blieben noch die Haare, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Während sich auf Alex' Kopf eine wahre Lockenpracht darbot, standen die etwas dunkleren von Erik, glatt wie sie waren, in alle Richtungen ab.
Zu beschäftigt mit dem Vergleich der zwei Brüder, hatte ich es völlig versäumt, meine Mutter unseren Gästen vorzustellen. Doch konnte sie das auch ohne meine Hilfe.
"Ich bin übrigens Dagmar, Isa's Mutter", redete sie weiter, ohne dabei jedoch zu sehr ins Schwäbische zu verfallen.
Auch sie reichte jedem die Hand, und strahlte dabei übers ganze Gesicht.
Nachdem sich alle ihrer Jacken und Mäntel entledigt, und die Schuhe fein säuberlich in einer Reihe auf dem Schuhregal ihren Platz gefunden hatten, machten wir uns auf den Weg nach oben ins Wohnzimmer.
Eigentlich hatte ich schon damit gerechnet, dass meine Schwester, wie ein aufgeregtes Kind am Weihnachtsabend, am Ende der Treppe lauern würde, um einen Blick auf die Männer zu erhaschen. Doch zu meinem Überraschen saß sie, wohl erzogen wie sie war, auf dem Sofa, und hatte ihren Blick auf ihr Smartphone gerichtet. Sie war ja so beschäftigt. Wer's glaubt wird selig.
Belustigt von ihrem Versuch desinteressiert auszusehen, lachte ich auf, so dass sie ihre Aufmerksamkeit nun auf mich lenkte.
Mein Vater war bereits aufgestanden, um ebenfalls die Neuankömmlinge zu begrüßen, während Tillie wie versteinert da saß, und ihr Blick immer größer und größer wurde. Jedoch war dieser Blick starr auf die Person neben mir gerichtet. Erik. Och bitte nicht.
Meiner Schwester konnte man so gut wie jedes Gefühl und jeden Gedanken im Gesicht ablesen, so auch jetzt.
Sie überlegte, und war sichtlich verwirrt, und auf einmal sprang sie auf, und bleib direkt vor Erik stehen.
"Wie klein die Welt ist… du warst doch in meiner Parallelklasse bis in die 10 Klasse. Erik Walter. Das bist du doch?"
Oh man. Ohne es zu wollen, war mein Blick zu Alex gehuscht, der seine Augenbrauen zusammengezogen hatte, und nachdenklich zu seinem Bruder schaute.
"Exakt der bin ich. Du heißt Mathilda, stimmt's? Ich glaube, wir hatten zusammen Sport bei der Manke, oder?"
Meine Schwester nickte, und hatte nun ein fettes Grinsen im Gesicht. Wenigstens war Erik nicht so ein Idiot wie sein Bruder letzte Woche.
"Nenn mich Tilda. Du hast dich nicht verändert… naja, bis auf die breiten Schultern, die hattest du vor sechs Jahren noch nicht."
Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand gegen meine Stirn. So etwas konnte auch nur Tillie von sich geben. Offensichtlich schien Erik den Kommentar jedoch ziemlich lustig zu finden, was ich Sherlock-Holmes-mäßig seinem Lachen entnahm.
Ohne einem anderen weiter Beachtung zu schenken, hatten es sich die zwei gleich auf dem Sofa bequem gemacht, und acht Augenpaare waren verwirrt auf die beiden gerichtet. Das konnte ja mal was werden.
Eineinhalb Stunden später saßen wir, geplättet vom Essen meiner Mutter, zu zehnt am Esstisch im Wintergarten. Der Zwiebelrostbraten, eine typische, schwäbische Spezialität, war komplett gegessen, keine Spätzle waren mehr übrig, und sogar die Soße hatte Erik, sehr zur Freude meiner Mutter, noch genüsslich mit etwas Brot aus dem Topf gegessen. Die Stimmung war ruhig und ausgelassen, und ich war froh, dass sich tatsächlich alle so gut miteinander verstanden. Selbst Alex war heute gut gelaunt, wir hatten uns noch nicht gestritten, was vermutlich aber auch daran lag, dass wir bis jetzt noch nicht mehr als drei Wörter miteinander gesprochen hatten. Nun saß er gleich zu meiner Linken, und unterhielt sich mit seinem Onkel und meinem Vater über ihr gemeinsames Interesse - das Klettern. Tatsächlich war mein Vater früher ein guter Kletterer gewesen, das wusste ich. Laut meiner Mutter war der sogar ziemlich gut gewesen. Als ich gerade zwei Jahre alt gewesen war, hatte er jedoch einen schweren Unfall gehabt. Es war zum Glück nichts Lebensgefährliches gewesen, doch war das im Nachhinein mehr Glück gewesen, dass er sich bei dem Sturz nur das rechte Bein und sein Schlüsselbein gebrochen hatte. Seit dem war er nie wieder seinem Hobby nachgegangen, da er es nicht hätte verantworten können, wäre ihm etwas passiert, und er hätte meine Mutter alleine mit einem kleinen Kind zurückgelassen. Die Begeisterung fürs Klettern hatte er keinem von uns vererbt. Ich hatte furchtbare Höhenangst, und Tillie… naja sie hatte so kräftige Arme wie eine gekochte Spaghetti.
"I dag er han venligere end den sidste uge…",** flüsterte Hendrik mir zu, der zu meiner rechten Seite saß, und zu Alex schaute. Sein Kommentar ließ mich kurz auflachen.
"Det stemmer!",*** antwortete ich und erwiderte sein Lächeln.
Wir unterhielten uns weiter auf dänisch, sprachen hauptsächlich über seine Arbeit als Archäologe und mein Studium, und mussten immer wieder lachen.
"Wisst ihr, es ist unhöflich in einer fremden Sprache zu sprechen, wenn sie der Rest am Tisch hier auch nicht versteht."
Alex musste sich natürlich zu Wort melden, wer hätte es gedacht? Doch ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen.
"Ach Alex, wenn du willst, bring ich dir ein paar Brocken dänisch bei?" Verschmitzt grinste ich ihn an, und hörte rechts von mir Hendrik lachen.
"Nur wenn ich dir im Gegenzug dafür Manieren beibringen darf?"
Pure Sticheleien waren das, pure Sticheleien. Das wusste er, doch tat er geflissentlich so, als würde er es nicht merken.
"Fangt bitte nicht schon wieder damit an, ihr zwei furchtbaren Menschen", ging Kai dazwischen, bevor einer von uns zwei 'furchtbaren Menschen' noch irgendetwas hatte sagen können. Mein Blick war dennoch starr auf meinen Sitznachbarn gerichtet, der mich seinerseits mit Missachtung strafte.
Das konnte ich auch. Doch nicht ohne ihn wenigstens noch einmal zu provozieren.
"Snylter!"****
Immerhin hatte Hendrik lachen müssen.
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*Was i hergeb, han i nemme… und etzt kommet au no nei. 's ziagt. = Was ich gebe, habe ich nicht mehr… und jetzt kommt rein, es zieht.
**I dag er han venligere end den sidste uge…= Heute ist er freundlicher als letzte Woche.
***Det stemmer! = Das stimmt!
****Snylter = Trottel
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