Melina - Die richtige Entscheidung?
"Wir setzten in Kürze zur Landung in Berlin an und wollen Sie bitten, Ihre Sicherheitsgurte wieder an zu legen.", tönte die furchtbare säuselnde Stimme aus den Lautsprechern.
Leicht genervt packte ich meine Sachen zurück in den Rucksack und stellte mit einem schnellen Blick auf mein Handy fest, dass wir ausnahmsweise mal pünktlich waren.
Ich hatte das Wochenende bei meinem Vater in London verbracht und war vom Flug total kaputt.
Morgen müsste ich wieder zur Arbeit gehen, doch meine Motivation befand sich dies bezüglich so ziemlich im Keller.
Ich hatte einen kleinen Job als Kellnerin in einem Kaffee mitten in Berlin.
Doch das nicht mehr lange, denn in einem Monat würde ich endgültig nach London ziehen, um dort eine der besten Universitäten zu besuchen.
Mein Vater war erfolgreicher Geschäftsmann und hatte mir dort einen Platz organisiert.
Ich wollte gar nicht wissen, wie viel ihn das kostete. Noch dazu bezahlte er mir eine WG in der Stadt-Mitte, da ich nicht sehr angetan von dem Gedanken gewesen war, mit ihm und seiner eingebildeten Freundin, die noch hinzu zehn Jahre jünger war als er, in der Panthous-Wohnung zu leben.
Die Wohnung war ja an sich ganz cool, doch ich hielt es nicht länger als ein paar Tage mit Annebeth in einem Haus aus, da konnte es noch so luxoriös sein. Mein Dad wusste und akzeptierte das inzwischen auch.
Nachdem er und Mum sich getrennt hatten, war er immer sehr bemüht gewesen, den Kontakt zu mir aufrecht zu erhalten.
Vorher und auch kurz nach der Trennung hatten Mum, er und ich noch in London gewohnt, doch als Mum dann ihren neuen Mann kennen lernte, sind wir mit ihm in Mums Heimatland Deutschland zurück gezogen.
Ich konnte mich an all dies nur noch sehr schlecht bis gar nicht erinnern.
Immerhin war ich da erst zwei Jahre alt gewesen. Zwei Jahre später wurde dann meine kleine Halbschwester Grace geboren.
Damals konnte ich nie verstehen, warum sie so dunkle Haut hatte.
Ich dachte immer, sie hätte in Mums Bauch zu viel Sonne abbekommen.
Doch nachdem Mum mir erklärt hatte, dass das etwas ganz natürliches war und es daran liegen würde, dass Bruce ja auch dunkelhäutig war, wunderte ich mich auch bei meinem kleinen Bruder nicht mehr.
Mich hatte es nur immer genervt, wenn ich in der Schule gefragt wurde, ob ich adoptiert war, weil ich als einzige von uns Kindern helle Haut hatte.
Doch ich hatte nie das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Ich liebte Grace und Nick über alles und um nichts auf der Welt würde ich die beiden eintauschen.
Um so schwieriger war die Entscheidung für mich gewesen, Deutschland zu verlassen, zumal ich auch Mum und Bruce dann nicht mehr so häufig sehen würde.
Andererseits hatte ich mich schon immer in England zu Hause gefühlt und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ich zu meinem Vater ziehen würde.
Lange Abende hatte ich mit Mum und meinem Stiefvater am Tisch gesessen und die Vor- und Nachteile ausdiskutiert.
Und dann an einem warmen Sommertag bin ich von der Arbeit zurück gekommen, zu Mum in die Küche gegangen, wo sie gerade das Abendessen zubereitet hatte und hatte gesagt: "Ich mache es. Ich ziehe nach London."
Mum hatte mich angesehen und mich dann ganz fest in die Arme genommen.
Niemals würde ich diesen Moment vergessen.
Und dann ging es ganz schnell. Dad telefonierte mit Mum und besorgte mir einen College-Platz und eine Wohnung.
Und diese hatte ich mir an diesem Wochendende angesehen. Sie war modern eingerichtet, ziemlich geräumig. Das absoloute Highlight bildete jedoch der Kamin, der im Wohnbreich stand. Ich liebte das. Das gab im Winter so ein unglaublich gemütliches Gefühl.
Oft lag ich Abends wach in meinem Bett und fragte mich, ob es denn auch die richtige Entscheidung gewesen war.
Doch dann redete ich mir immer wieder ein, dass ich mit meinen 19 Jahren wohl alt genug war, um von zu Hause auszuziehen.
Und bis dahin kostete ich jede freie Minute mit meiner Familie aus.
Langsam schob ich mich durch die Menschenmassen am Flughafen und hielt nach meiner Mum Ausschau. So langsam bekam ich von der stickigen Luft in der überfüllten Halle Kopfschmerzen und Kopfschmerzen konnte ich überhaubt nicht abhaben.
Es gab nichts schlimmeres als Kopfschmerzen.
Meine Stimmung sank noch weiter in den Keller und es machte nicht den Anschein, dass sie sich sobald wieder heben würde, denn ich stellte fest, dass Mum oder wer auch immer mich abholen wollte bereits eine viertel Stunde zu spät war.
Frustriert kaufte ich mir eine Cola und ließ mich auf eine Bank am Rande der Halle nieder, während ich verzweifelt versuchte nicht an Ort und Stelle ein zu nicken.
Also beobachtete ich mit schweren Augen das geschäftige Treiben.
Bei den Passanten handelte es sich überwiegend um Geschäftsmänner, deren Deo- oder Rasierwassergeruch man schon auf zehn Metern Entfernung riechen konnte.
Zum gefühlten hundertsten Mal sah ich auf mein Handy.
21.34 Uhr.
Draußen war es bereits dunkel und so langsam wurde ich hibbelig.
Warteten sie vielleicht draußen am Wagen?
Ich beschloss meine Mum an zu rufen, bis mir auffiel, dass ich hier kein Netz hatte.
Genervt schnaufte ich auf und lief also zu einer kleinen Telefonzelle am anderen Ende der Halle.Ich warf ein paar Münzen ein, kramte die Nummer meiner Mum heraus und schon erklang das bekannte Tuten.
"Elena Wendover?", erklang die Stimme meinter Mutter am anderen Ende der Leitung.
"Hi Mum! Wo seit ihr? Ich bin schon seit einer halben Stunde am Flughafen!"
"Melina Schatz! Wir suchen dich die ganze Zeit, wo bist du denn?", rief Mum aufgeregt.
"In der Einganshalle.", sagte ich schmunzelnd. Das war wieder typisch Mum.
Sie war noch nie gut darin gewesen, irgendjemanden unter vielen Menschen ausfindig zu machen.
"Melina?", hörte ich es plötzlich von draußen rufen.
Ich drehte mich um und sah meinen kleinen Bruder, der Mama antippte und freudig auf mich zeigte.
"Ich glaube Nick hat mich gefunden!", sagte ich grinsend und winkte den beiden zu.
Dann verließ ich die Telefonzelle und lief mitsamt meines Gepäcks auf die beiden zu.
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"Guten Morgen, Schlafmütze! Unser Chef ist schon richtig angenervt, dass du immer zu spät kommst.", begrüßte Nathalie mich am nächsten Morgen mit ihrer typisch herzlichen Art.
Ich verdrehte bloß die Augen, band mir meine "Kellner-Schürze" um, auf die ein großer pink blauer Muffin mitsamt Gesicht, das Wappen unserers Kaffes, drauf gestickt war und grummelte mit vom Schlaf noch belegter Stimme: "Macht ja nichts, bin eh nicht mehr lange da..."
"Sag das nicht! Ich werde dich furchtbar vermissen!", sagte Nathalie und sah mich wehleidig an.
Ich grinste.
"Keine Sorge, ich werde so oft wie möglich nach Deutschland kommen, aber bild dir bloß nicht ein, dass das wegen dir ist!"
Nathalie musste lachen und zog mich dann in eine feste Umarmung.
Wir zwei kannten uns schon seit Anfang der weiter führenden Schule und sie war in unserer Clique von sechs Mädels eindeutig meine beste Freundin. Ich seufzte.
Es fiel mir nicht leicht, dass alles hier zurück zu lassen...
Nach einem zu meinem Erstaunen sehr ruhigen Arbeitstag, was wohl vor allen daran lag, dass mein Chef gute Laune zu haben schien, machte ich mich dann mit Nathalie auf in unseren Lieblingsclub.
Dort trafen wir uns mit unserer Clique und es tat richtig gut, mal wieder Zeit mit den fünf zu verbringen.
Doch je weiter der Abend voran schritt, desto mehr wurde mir bewusst, dass dies eins der letzten Treffen für lange Zeit sein könnte. Und wieder geisterte diese eine störende Frage durch meinen Kopf: War es die richtige Entscheidung?
"Alles gut bei dir?", fragte Emma mich, die wohl bemerkt zu haben schien, dass ich auf einmal still und nachdenklich geworden war.
Doch ich lächelte bloß. "Ich werde euch nur alle so schrecklich vermissen!"
"Noch ist es ja noch nicht so weit. Lass uns einfach die Zeit genießen!", sagte sie und stieß mir neckisch in die Seite.
Sie schien wirklich inmer gut gelaunt zu sein. Zumindest wirkte es so auf andere, doch ich wusste, dass auch Emma ihre Tiefpunkte im Leben hatte. Ich nickte und dann taten wir das, was wir am besten konnten: Feiern bis der Arzt kommt!
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