Secret {36}

"Ich wusste gar nicht, dass du rauchst", sagte Jimin irgendwann in die Stille hinein. Sein Blick war an die Rauchschwaden geheftet, welche sich gen Abenddämmerung verflüchtigten.
"Manchmal müssen wir in uns etwas töten, um am Leben zu bleiben", entgegnete der Schwarzhaarige an einen Baum gelehnt und ließ eine weitere Wolke aus seinem Mund entweichen. Auf eine verquere Weise empfand Jimin den Wolf attraktiv. Nicht weil er rauchte, sondern, weil er einfach nur da stand und nicht versuchte ihn zu irgendeinem Gesprächen zu zwingen.
"Welchen Teil von dir tötest du diese Nacht?", wollte der Lilahaarige wissen, während er den Größeren im Augenwinkel betrachtete. Jimin fragte sich, warum Jungkook stets schwarz trug. Selbst in der Dunkelheit tat er nichts um irgendwie aufzufallen. Vielleicht ging es ihm auch genau darum, um sich zu verstecken, um seine Ruhe zu haben.
Er konnte es verstehen.
"Angst", war das Einzige, was der Alpha äußerte. Jimin nickte und sah, wie der Schwarzhaarige seinen Zigarettenstummel in ein Taschentuch wickelte und es in seine Hosentasche steckte. Das musste man ihm anrechnen, ein Umweltverschmutzer war Jeon Jungkook nicht.
"Vor was?"
Jungkook blickte zu ihm hinüber und betrachtete den Bachlauf, wie er sich seinen Weg durch den Wald bahnte und dabei nicht aus der Ruhe gebracht wurde. Nach einem kurzen Trip über einen Berg, dessen Aussicht phänomenal gewesen war und in der Jungkook ihm auch die Gebiete der anderen Rudel gezeigt hatte, waren sie an diesen kleinen Bachlauf gekommen, um zu rasten.
"Dem, was bald auf uns zu kommen wird."
Jungkook seufzte und lehnte seinen Kopf zurück, sodass der Baum hinter ihm einen protestierenden Laut von sich gab. Wahrscheinlich lag es daran, dass er die Luft mit seinem Zigarettenrauch verunreinigt hatte. Doch das störte das junge Oberhaupt keineswegs. Jimin war wieder einmal mehr als erstaunt, wie unbekümmert Jeon Jungkook, seiner Zeit jüngster Alpha der Geschichte und obendrein noch mächtig dazu, sein Leben lebte.
"Weißt du, es gab vor dir jemanden, der unsere Gruppe und damit meine ich nicht nur das A Team, sondern auch Jin und Taehyung, komplett machte."
Jimin kehrte dem Bach den Rücken zu und stützte die Arme auf seine Knie, um der Geschichte, die offensichtlich folgte, besser lauschen zu können.
"Wir waren ein großartiges Team, wir sieben. Kim Ji-Hun war anders. Eine Person für sich. Jemand, der lieber alleine war, als sich unter das Volk zu mischen. Freunde hatte er nicht viele, er kam aus bürgerlichem Hause und trug kein Wesen in sich, in welches er sich verwandeln konnte. Und dennoch war er rein. So rein, dass ich manchmal glaubte, er könne alles erreichen. Aber sein Wesen war hingegen seiner Schüchternheit ganz und gar passend. Denn sobald er warm war, konnte ihn niemand stoppen."
Der Lilahaarige verspürte ein unangenehmes Ziehen in seiner Seele, als er Jungkook dabei beobachtete, wie er in seinen Erinnerungen schürfte, um auch ja alles zu Tage zu fördern. Damit Jimin das Wesen von Ji-hun verstand.
Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf seinen Gegenüber, der mittlerweile gedankenverloren etwas Gras aufgehoben hatte und daran herumzupfte.
"Er begeisterte sich schon früh für schnelle Autos. Er mochte es, wenn es heiß herging, wenn er seine Angst, sein Leid und seine Schmerzen darin ertränken konnte. Denn wenn wir ehrlich waren, hatte er sich, trotz unseren Bemühungen, niemals dazugehörig gefühlt. Er würde immer ein Außenseiter bleiben, meinte er stets."
Jungkook seufzte. Und zum ersten Mal seit sie einander kannten, sah Jimin die Last auf den Schultern des jungen Wolfes, sah, dass er niemals so früh Oberhaupt des Rudels werden wollte, dass er nicht so schnell erwachsen werden wollte, dass er einfach gern noch viel länger ein unbekümmertes Leben hätte führen wollen. Und er verstand endlich, warum da diese eisige Kluft zwischen dem A-Team, Jungkook und Team Z war.
"Er ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, ohne das es einen wirklichen Grund gab. Halt, nein. Die Rechtsmedizinerin und die Polizei waren sich sicher, dass er vor der Kurve, welche er passieren wollte, mit Absicht nicht abgebremst hatte."
Jimin stockte der Atem. Für einen Moment war er von dieser Offenbarung so überrascht, dass ihm das Atmen schwerer fiel. Jungkook stattdessen starrte in die Baumkrone der knorrigen alten Eiche, deren Geäst im Gleichklang eine Art Wiegenlied anstimmte. Die umliegenden Bäume taten es ihnen gleich. Keinen Augenblick später untermalte der Klang der Bäume die traurige Erzählung von Jungkook und Jimin kam nicht umhin, den erneuten Druck in seiner Seele zu vernehmen.
Er wollte etwas erwidern, aber ihm entfloh kein Laut.
"In einem Kreis von Freunden.....ist der Erste der stirbt, der, den du niemals vergessen wirst. Das ist der Tod, der dich aus den Fängen des Alltages herausreißt. Und er macht dich -plötzlich- dankbar für jeden neuen Atem, den du holen kannst!"
Jungkook ließ das Gras fallen.
"Das ist der Tod, der dich auseinanderbrechen wird. In jeder erdenklichen Weise, die dich überzeugt. Und zwar in dem Gedenken an diesen einen Freund. Du wirst dich von allem, was deinem Herz nicht zusagt, lösen. Du wirst dich von allem, was deiner Seele drohen sollte, abwenden. Du wirst dich von allem, was im Tode schwelgt, befreien. Doch es ist dieser Freund, den du an deiner Seite brauchst, um zu verstehen, was kostbar am Dasein in dieser Welt ist."
Jimin überkam ein überwältigendes Gefühl der Trauer, die nicht seine eigene war.
Er fragte sich, was mit ihm los war.
"Glaub mir, er fordert dich stumm auf:
Lebe dein Leben. Und das, Jimin, ist das Einzige, was wir für die Verstorbenen tun können. Leben!"
Sie schwiegen für einen Moment und auch wenn die Beileidsbekundung auf seiner Zunge tanzte, so verbiss sich Jimin diese Aussage. Denn Jungkook wirkte so, als hätte er seinen Frieden geschlossen, als hätte er verstanden, dass es eine Notwendigkeit des Lebens und die eigene Entscheidung von Ji-Hun war. Wahrscheinlich die, die er für richtig hielt. Also sagte er stattdessen:
"Du hast etwas an dir, dass mich schon seit unserer ersten Begegnung fasziniert. So wie du die Welt betrachtest. Du hast stets tiefgründige Gedanken über das Leben, den Tod, die Existenz und all die anderen Dinge. Wie jetzt gerade. Du starrst in diesen atemberaubenden Nachthimmel, während du aussiehst wie jemand mit einer dunklen Vergangenheit, dessen Geschichte du mir gerade erzählen möchtest. Du bist wahrlich der intensivste und mysteriöseste Mann, dem ich jemals begegnet bin."
Jimin blickte auf und sah dem Wolf in seine fantastischen silbernen Iriden, dessen Farbe ihn stets an Gin oder fließenden Stahl erinnerte, welche von der Sonne in ihrer ganzen Intensität angestrahlt wurde. Und er fand es anziehend und attraktiv und heiß. Doch so schnell die Gedanken auch kamen, so flink entglitten sie dem Lilahaarigen wieder.
"Lass mich dir ein Geheimnis verraten", flüsterte Jimin und blickte auf den Bach, der im Mondlicht den schönsten Türkiston annahm und so kraftvoll schimmerte, dass der Mann nicht umhin kam seine Hand hindurch fahren zu lassen. Jungkook beobachtete den Kleineren mit einem Lächeln, als wäre er ein Planet, der um die Gunst seiner Sonne kämpfte.
"Manchmal denke ich, dass all das hier ein schlechter Traum ist. Hin und wieder, wenn die Welt endlich einmal still steht, wenn das gelbe Licht der Sonne genau richtig auf die Decke in meiner Hütte trifft, stelle ich mir vor, wieder ein Kind zu sein."
Jimin schnaubte kurz und schüttelte den Kopf. Wie, um seine Gedanken beiseite zu schieben.
"Ab und zu wünsche ich mir, ich könnte die Stelle finden, an der die Zeit am schwächsten ist, da, wo eine Lücke entsteht, um sie zu berühren, um sie auseinander zu zerren, um genau dann aufzuwachen. Auf dem Sofa, hinter meiner Mum, zu der ich, nach einem Alptraum gekrabbelt bin, weil ich nicht mehr alleine sein wollte."
Jetzt kicherte der Lilahaarige und blickte hinauf zu den Sternen.
Jungkook trat zu ihm, fuhr mit den Fingern durch sein weiches Haar, ehe er sich neben ihn hockte. 
Er konnte nicht anders.
"Ich tue so, als würde ich schlafen. Es ist Sommer. Siehst du, der Balkon ist offen. Siehst du, wie ein Moskito den Weg in unsere behagliche Behausung findet."
Das altbekannte Kribbeln in Jimins Nase setzte ein.
Der Vorbote der Tränen.
Ein Zucken durchfuhr ihn keine zwei Sekunden später und er unterdrückte ein Schluchzen. Er wischte sich über die Augen, doch die Tränen flossen bereits unaufhörlich über sein Gesicht.
"Siehst du, mein Herz schmerzt nicht, siehst du, wie stark ich bin?"
Seine Stimme versagte unter dem Damm, der endlich gebrochen schien.
Jungkook strich mit dem Daumen über das Gesicht des Älteren.
"Ich sehe dich, Jimin, ich sehe dich und deine Tränen. Und sie sind keine Schande, keine Schwäche, keine Schmach. Sie zeigen uns, wie stark du bist und wie stark du all die Jahre warst. Also weine, weine so viel du musst. Es ist okay, ich bin hier, ich bin an deiner Seite", hauchte der Wolf und küsste Jimins Scheitel.
"Und wenn du fertig bist, sieh zurück. Sieh und merke, dass du stark genug warst, all das Leid zu überstehen, von dem du dachtest, du würdest es niemals schaffen."

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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen!

Weiter geht's! Dieses Kapitel ist eins meiner liebsten und stand schon sehr früh fest beziehungsweise war schon fertig geschrieben. Es halt also nur noch auf sein GO gewartet xD

Ich hoffe, es gefällt Euch so sehr wie mir!

Feel free to comment!
Flair🌸🌿

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