Red {23}
Eine rote Explosion vernebelte die Luft.
Wie eine Fontäne spritze das Blut aus Jimins Wunde an der rechten Schulter. Warme, zähflüssige Schlieren legten sich über sein Gesicht, besprühten Jin seitlich am Hals, der ihm am nächsten stand. Taehyungs Kreischen in seinem Ohr verwandelte sich in ein dröhnendes Trommeln. Der Schwarzhaarige nahm wahr, wie auch sein Mund sich öffnete, aber der Laut blieb in seinem Hals stecken. Er war jetzt vollkommen starr. Er merkte, wie er beinahe zeitlupenartig zur Seite fiel. Die Schreie und Rufe der umliegenden Personen gingen in entfernte Echos über.
Alle Farben verblassten.
Stattdessen wurden sie in eine Schwarz-Weiß-Szenerie verschoben. Dunkles Blut hatte sich auf dem Boden verteilt. Kleine, vereinzelte Tropfen sprenkelten seine Hose und ergaben ein ästhetisches, abstraktes Bild, dessen Schönheit in ein Museum gehören sollte. Über ihm erstrahlte der Himmel in einem anthrazitgrau, dass Trübsal und Trauer verkündete. Jimin hob die Hand und fasste sich an seinen Hals. Mitten in der Bewegung hielt er inne und bemerkte, dass sie blutverschmiert war.
Lag er schon am Boden?
Verspürte er gerade Schmerz?
Sand. Knochen. Blut.
Noch mehr Blut.
Alles war voller Blut.
Er spürte seinen eigenen Pulsschlag.
Die Stimmen schwollen zu einer durchdringenden Sirene heran. Das schwarze Blut an seinen Fingern wurde tiefrot. Die graue Umgebung erblühte wieder in lebhaften, grellen, wütenden Farben.
"Du dummer, dummer Junge! Wie konntest du das tun, obwohl wir besprochen hatten, dass du deine Kräfte nicht einsetzen solltest!", hörte er Hyuna zettern, während Jungkook neben ihm kniete und seine Wunde abdrückte, sodass er nicht noch mehr Blut verlor. Seine silbernen Iriden versprühten Besorgnis und....und Angst.
Angst um ihn.
Er wollte sprechen, er wollte sich verteidigen, aber eine tiefe, unendliche Müdigkeit ergriff ihn.
"Hey!", schrie Taehyung neben ihm.
"Hey! Nicht einschlafen, schön wachbleiben!"
Doch so sehr sich der Schwarzhaarige auch anstrengte, sich auf Jungkook oder Tae zu fokussieren, ein lieblicher Gesang zerrte ihn in die Dunkelheit, säuselte mit einer melodischen Stimme, er solle zu ihm kommen. Jimin blickte zu Jungkook, direkt in seine Seele und lächelte, ehe er die Augen schloss und der Weite des Nichts folgte.
Jimin erwachte in einem Keller.
Die steinige, unprofessionell bebaute Decke, erklärte ihm dies. Dann stieg ein fauliger Geruch in seine Nasenflügel, spielte eine Runde russisches Roulette und verflüchtigte sich sofort wieder, nachdem er sich daran gewöhnt hatte. Was zum Henker machte er hier? Was war hier los?
Das Knirschen seiner Schuhe, als er sich aufrichtete, erstickte jegliche Stille im Keim. Die Vertrautheit, welche er verspürte, vollführte einen Tanz über seinen Körper. Und dann verstand er, wo er sich befand.
Das laute Aufschlagen einer Tür ließ ihn zusammenzucken. Etwas kam eine quitschende, morsche Treppe hinunter getrampelt. Anhand der Lautstärke erkannte Jimin, dass es sich um ein Kind handelte. Im nächsten Moment, er stand noch immer an Ort und Stelle, wo er aufgewacht war, rannte ein Junge in den Raum.
Und zwar er selbst.
In klein, viel jünger, sorglos und glücklich. Sein Kleinkind-Ich hüpfte pfeifend an ihm vorbei, schnappte sich ein Glas Gurken aus dem Regal und verschwand wieder. Er schien Jimin nicht zu bemerken. Oder er konnte ihn gar nicht sehen. Jimins Mund war mit einem Mal wie ausgetrocknet. Als hätte jemand ihn in der Wüste von Gobi abgesetzt und zum Sterben verurteilt. Wie von selbst setzten sich seine Beine in Bewegung. Ein zittriger Schritt nach dem anderen erklomm er die abgewetzte, alte Treppe, dessen Erinnerungen über ihn hereinprasselten wie Regen bei einem Monsun. Wie er damals immer schnellstmöglich nach unten rannte, um ja keinem Monster zu begegnen. Oder wie er einmal, weil er zu hastig war, hinunterfiel und sich beide Arme brach. Jimin musste bei diesem Gedanken lächeln. Mit zwei gebrochenen Armen auf Toilette zu gehen, war ein Kampf gewesen.
Sehr zum Leidwesen seiner Mum.
Und eben diese erblickte er, als er in das Wohnzimmer trat. Sie stand in der angrenzenden Küche, mit dem Rücken zu ihm, Hüften schwingend zur Musik im Radio. Und dieser Moment fing sie perfekt ein. Es war genauso, wie er sie in Erinnerung hatte. Mit Energie geladen, voller Schwung und grenzenloser Lebensfreude. Optimismus stand ganz oben bei ihr. Das, was der Ältere Jimin nie für sich gewinnen konnte.
Ein Gefühl der Ohnmacht überkam ihn. Er begann zu Zittern. Ein plötzlich aufkommender Druck in seinem Brustkorb ließ ihn steif werden. Er wollte etwas sagen. Sich irgendwie bemerkbar machen. Anderseits flüchten. So schnell und so weit es ging. Er konnte es nicht ertragen. Nicht die Vergangenheit noch einmal erleben. Nicht den Tod, das Grauen und die Schmerzen. Das Ziehen in seiner Nase kündigte Tränen an. Er schluckte. Einmal, zweimal, fünfmal. Er drohte zu ersticken. Hilfe...
"Manchmal möchten wir nicht heilen, weil der Schmerz, der letzte Halt zu dem ist, was wir verloren haben."
Seine Mum drehte sich um. Im ersten Moment dachte er, sie spreche mit jemand anderem. Doch nachdem er sich umgesehen hatte, bemerkte er, dass sie allein waren. Sein Kleinkind-Ich schien nach draußen gegangen zu sein. Für einen Augenblick betrachtete Jimin sie stumm und er fragte sich, was sie wohl sah. Einen müden, jungen Mann? Ein sinkendes Schiff mit Löchern überall?
Er jedenfalls blickte einer Frau in die Augen, deren blühende Zeit gerade begann. Sie sah weder jung noch alt aus. Ihr langes, braunes Haar war offen und glatt gekämmt. Ihre Haut makellos, die Lachfalten um ihre Augen strahlten. Sie war glücklich.
"Ich hänge an der Vergangenheit", gab er ehrlich zu. Er träumte viel von früher. Von der Zeit, bevor er in ein Heim kam. Von der Zeit, in der es Würstchen vom Grill gab, lange Nächte am Lagerfeuer und kuschelige Zeiten vor dem Fernseher, wenn der Wintereinbruch nahte.
Sie lächelte ihr schönstes Lächeln.
"Das ist in Ordnung, Schätzchen, aber du musst lernen mit dem zu leben, was jetzt ist. Und jetzt ist nicht hier, sondern in deinem Dorf, in deiner Siedlung. Bei deinen Freunden."
Er nickte, obwohl es leichter gesagt als getan war. Er dachte an Tae und an Hoseok, wie sie gemeinsam tanzten, an Yoongi und Namjoon, deren ernste Themen einen zum Nachdenken brachten, an Jin, der immer einen Rat wusste. Und an Jungkook, dessen Grinsen ihn zur Weißglut brachte und irgendwie auch glücklich.
"Das ist es, was dich ausmacht, Liebling.
Du überlebst, immer. Egal, ob Kugeln deine Lunge durchlöchern, oder dir Messerstiche in den Rücken geätzt werden."
Seine Mum trat näher an ihn heran. Ihre von Güte strahlenden Augen blickten ihn an. Augenblicklich durchzog ihn eine wohlbekannte Wärme, die er nur bei Ihr spürte. Es war wie....wie nach Hause kommen. Und mit einem Mal war der Fluchttrieb in seinem Inneren versiegt. Er atmete zittrig aus und versuchte sich ein Lächeln abzuringen, doch er scheiterte. So sehr er sich freuen wollte, dieses Wiedersehen zu genießen, so wurde es doch von einem Schatten überzogen. Ihm war klar, dass diese Situation nur ein Gespinnst seines Gehirns war. Eine Illusion. Er würde seine Mutter niemals wieder in den Arm nehmen können, sie niemals wieder in ihrem Garten sehen.
"Du hast dich niemals davon abbringen lassen, du zu sein. Robust, ein Kämpfer, nicht, weil du es sein wolltest, sondern weil dein Herz es so verlangte."
Jimin wollte sie so gern berühren. Ihre Arme um sich spüren, ihren Optimismus, ihre Energie.
"Du bist mehr, als du denkst, Jimin! Denk immer daran. Ich liebe dich, ich werde dich immer lieben. Und ich bin unendlich stolz auf dich. Dein Leben war bisher nicht leicht, zu den Sternen, es wird auch in Zukunft nicht leichter, aber du bist du, und du wirst es schaffen."
Sie führte Ihren linken Zeigefinger zu ihrer Stirn.
"Cinis et umbras sumus."
Er lächelte, als er die Geste sah und ihren letzten Satz hörte.
Es war ein Leitspruch, der seit Jahrhunderten in ihrer Familie weilte.
Ein Versprechen für die Ewigkeit.
"Wir sind Asche und Schatten."
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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen! Vorab möchte ich mich entschuldigen. Eigentlich wollte ich gestern ein Kapitel hochladen, aber mein Internet versagte!
Bitte verzeiht mir!
Dafür kommt heute das Kapitel! Und es ist, glaube ich, eines meiner Lieblinge. Dieses Kapitel war das Erste in dieser Fanfiktion, wo ich die Story drumherum aufgebaut habe!
Wie fandet Ihr es?
Feel free to comment!
Flair🌸🌿
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