Fritillaria meleagris {9}

Jimin wurde von einer Regenwolke verfolgt.
Natürlich nicht im wortwörtlichen Sinne, aber die trübe Stimmung, welche man mit einem Regenguss verband, ähnelte dem.
Der Drang der Antriebslosigkeit war an diesem Morgen besonders schwer zu überwinden gewesen. Dieses Gefühl zog ihn oft in eine Höhle, aus der er nur schwer wieder herausfand.
Wie ein Labyrinth ohne Anfang und Ende.
Früher hingegen war es einfacher mit seinen Gefühlen umzugehen.
Zumindest dachte er das.
Dort konnte man sie in die Welt hinausschreien, wie ein Neugeborenes, dass seinen Hunger stillen wollte oder ein Kleinkind, dass im Supermarkt eine Szene machte.
Damals war es in Ordnung.
Doch je älter man wurde, desto besser musste man seine Mimik und Gestik kontrollieren, musste zeigen, dass einem das Leben nicht zu Kopf stieg. Oder die Gefühle.
Jimin hatte im Waisenhaus gelernt diese zu verdrängen.
Sie hinunterzuschlucken, zu vergraben und wegzusperren.
Zu den Sternen er machte das heute noch. Was definitiv ein Fehler war. Er wusste das.
Dennoch fürchtete er sich, was andere, vor allem die Gesellschaft, von ihm dachte.
Eine Psychologin hatte die dunklen Erlebnisse mit ihm verarbeiten können, zumindest so weit, dass er fähig war, wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden.
Es gab noch immer Momente, in denen er in alte Muster verfiel und für die er sich schämte.
Unweigerlich musste an jenen Tag zurückdenken, als er gefunden wurde. Ein Zittern durchfuhr seinen Körper, als er sich, zwischen all den Leichen, dem Gestank der Verwesung und dem Tod wiederfand. Tatsächlich erinnerte er sich nur an wenige Bruchstücke. Jimin war bis heute der festen Überzeugung, er habe im Wald gespielt, als das Unheil über sein Dorf zog. Doch die Frau, welche ihn aus dem Massengrab gezogen und anschließend in einem Waisenhaus untergebracht hatte, war der Meinung, dass er sich im Garten aufgehalten haben musste. Denn eine Platzwunde an seiner Schläfe, worin Plasterückstände, passend der Schaukel neben seinem Haus, gefunden wurden, zeugten davon. Und diese Wunde, sowie die Tatsache, dass er zum Zeitpunkt des Massakers ohnmächtig war, retteten im letztlich das Leben.
So ganz glauben tat er Ihr nicht.
Aber zu der Zeit klang es für ihn plausibel. Zumal sein ganzer Kopf voller Nebel war und er eine ganze Menge traumatischer Erlebnisse verarbeiten musste.
Er seufzte. Versuchte die Gedanken und die Regenwolke abzuschütteln. Vielleicht sollte er lernen auf die Gesellschaft zu scheißen und erst recht auf ihre Meinung. Andererseits war dies ein Unterfangen, welches weder leicht noch auf Akzeptanz stoßen würde.

"Wenn du eine Blume wärst, wärst du eine Fritillia meleagris", tönte eine dunkle seidige Stimme hinter ihm, weswegen Jimin die Gartenschere fallen ließ und sie im Boden stecken blieb. Direkt neben seinem Schuh, wo nicht mal zwei Zentimeter fehlten, um seinen kleinen Zeh zu treffen. Ihm gegenüber stand ein junger Mann von maximal zwanzig Jahren. Sein kantiges Gesicht hatte etwas rebellisches an sich, wohingegen die dazugehörigen Sommersprossen auf seinen Wangen wie Sterne funkelten und einen krassen Kontrast zu seiner Stimme bildeten. Die blondierten Haare lagen in einem perfekten Scheitel über der Stirn und die weiten Klamotten, ein bedrucktes Shirt von einer Band und der passenden Jeanshose, boten ihr übriges, wodurch seine ganze Erscheinung noch einmal mehr das Gefühl von Freundlichkeit vermittelten.
"Du trägst in dir eine unendliche Traurigkeit, die einem hängenden Blütenkopf der Schachblume ähnelt", meinte eine weitere Person erklärend, wodurch Jimin seinen Kopf nach rechts wandte.
Der Mann mit dem braunen, zurückgekämmten Haaren war größer als er, trug ein weißes Hemd und darüber einen Pullunder in schwarz. Sein Blick war aufrichtig neugierig, als er ihn musterte und er versprühte ein Art Geborgenheit, die einen sofort entspannen ließ.
Magie, säuselte die Stimme in seinem Kopf.
Jimin nickte kaum merklich.
Die beiden Neuankömmlinge besannen sich ihrer Aufmachung und lächelten verlegen.
"Manchmal überkommt mich der Gedanke Menschen bestimmte Blumenarten zuzuordnen. Ich bin übrigens Lee Felix! Freut mich sehr. Kenzo müsste dich informiert haben, dass Seungmin und ich wegen der Grippe das Bett gehütet haben."
Der Blonde hielt ihm die Hand hin, welche Jimin entgegennahm.
Seungmin schien anders gefächert zu sein, denn von seiner Diskretion war nichts zu sehen, nachdem er den Schwarzhaarigen in eine feste Umarmung zog.
Körperkontakt lieben alle hier.
Etwas überrumpelt, legte Jimin ebenfalls die Arme um den Größeren.
Und fühlte sich mit einem Mal belebter, freier, leichter. Die Regenwolke schien verschwunden. Überraschung zierte sein Gesicht, wobei Seungmin nur geheimsvoll schmunzelte.
Definitiv Magie.
"Gut, da wir ja jetzt vollzählig sind, können wir den Tag starten!", schlug Felix bestimmend vor und betrat den Laden dicht gefolgt von Seungmin, dessen Aura zurückblieb. Jimin derweil folgte Ihnen mit seinen Augen, während er sich bückte, um die Gartenschere aufzuheben. Schließlich war er noch nicht fertig die kleinen Rosenbüsche, welche die meiste Zeit vor dem Laden warteten, zu stutzen.
Er war versucht nicht über das Ereignis von eben nachzudenken, doch seine Gedanken schweiften augenblicklich zu jenem Moment zurück, an dem seine Mum das erste Mal von Magie erzählte.
Es war ein lauer Sommerabend gewesen, als sie gemeinsam draußen aßen. Das Zirpen der Grillen erklang noch heute in seinen Ohren. Schrill und voller Leben. Das Knistern eines Lagerfeuers tönte im Hintergrund, wobei er sich selbst auf einem kleinen Holzstuhl sitzen sah.
Gebannt auf das Flackern das Feuers starrend. Sie hatte begonnen zu erzählen. Von ihrer Gabe, von dem Geschenk, welches Jimin auch besaß, welches er trainieren musste, damit er später klarkommen würde.
Und für eine kleine Weile konnte sein Kleinkind-Ich das Rauschen der Magie durch seinen Körper vernehmen.
Wie ein Bach, der stets seiner Strömung folgte.
Den Tag danach war sie gestorben.
Und mit ihm sein Wille Magie zu praktizieren.
Jimin wusste, dass die Siedlung, in der er nun lebte, einer Werwesen-Gemeinschaft angehörte.
Die meiste Zeit verdrängte er dennoch seine Zugehörigkeit zu diesen Wesen. Zum einen, weil der Tod seiner Mutter und des ganzen Dorfes noch immer ungeklärt war und zum anderen, weil er seitdem keinen Kontakt mehr zu irgendwelchen Werwesen hatte.
Manchmal fühlte er sich niemanden zugehörig. Es war wie ein Krater, der sich niemals schloss. Und mit jedem vergangenen Tag größer wurde.
Aber Flucht war ebenfalls keine Lösung gewesen.
Er hatte es versucht.
Er hatte versucht ein normales Leben in der menschlichen Welt zu führen, doch das Band, welches ihn zu dieser magischen Welt hinzog.....
Wohl eher zurückforderte, schnurrte die Stimme.
Okay, forderte.
Das Band, das ihn hinter den Schleier verlangte, konnte man beinahe mit psychischen Schmerzen verbinden.
Eine Art Leine, die sich stärker anspannte, umso größer die Entfernung zu ihr war.
Also hatte Jimin kleinbeigegeben.
Mit der klaren Aussicht nicht aufzufallen.
Einfach wie ein Mensch zu leben.
Jede Person auf Abstand zu halten.
Denn Park Jimin, der Junge, der sein halbes Leben in einer Werwesen-Gemeinschaft gelebt hatte und Eltern mit magischen Fähigkeiten besaß, konnte sich nicht in einen Werwolf verwandeln.
Er gehörte demnach nirgendwo hin.
Er war ein Niemand.
Ein Nichts.

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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen! Ich finde, da ich schon dieses Flower Shop AU Bild beim letzten Kapitel eingearbeitet haben, sollten wir auch bei Blumen bleiben, findet Ihr nicht auch?

Habt ihr eine Lieblingsblume?

Ich liebe Lilien, jeglicher Art🌸
Meine Mama meckert immer, dass das eigentlich Grabesblumen sind und nichts auf einem Geburtstag oder in meiner Wohnung zu suchen haben xD
Stört mich nicht sonderlich, da ich sie wunderschön finde!
Und es ist ein perfekter Übergang, denn die Schachbrettblume gehört zu der Familie der Liliengewächse!

Fritillaria meleagris

Lee Felix

Kim Seungmin

Feel free to comment!

Flair🌸🌿

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