5. Kapitel
Gwendolyn
„Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!", jammerte Maxime neben mir und knallte meine Spindtür zu.
Ich konnte gerade noch rechtzeitig meine Finger aus dem Fache ziehen, ehe sie Max' Ungeduld zum Opfer gefallen wären.
Genervt rollte ich mit den Augen.
Max war eine Person, auf die ich gerne in meinem Leben verzichten konnte.
Sie war laut, rechthaberisch und konnte nie ihren Mund halten. Keine besonders angenehme Mischung. Der einzige Vorteil: Sie erwartete unter normalen Umständen niemals eine Antwort von mir. Unter normalen Umständen.
Leider war die Tatsache, dass ich bald mit einem Prinzen verlobt werde und ihn in naher Zukunft heiraten muss, ein Grund für Max, mich einmal zu Wort kommen zu lassen.
„Es war eben nicht so interessant, wie du dir das vorstellst, Max", knurrte ich genervt und wagte es, meinen Spind erneut zu öffnen, doch Maxime legte ihr Hand davor und sah mich eindringlich an: „Verarsch mich nicht, Gwen!"
Warum nochmal war ich mit diesem Mädchen befreundet? Achja, weil sie sich nach ihrem Umzug an mich geklammert hat, als gäbe es keinen Morgen mehr.
Dabei gab es genug Schüler an dieser Schule, welche sie viel netter behandelt hätten als ich.
„Max!", fuhr ich sie an und sah sie mahnend an: „Reiz mich nicht!"
Maxime verdrehte die Augen und strich sich eine dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht, ehe sie schmollend ihre Unterlippe vorschob: „Du bist gemein! Und alles andere als unterhaltsam!"
„Und ich interessiert mich das?", fragte ich genervt, schob ihre Hand beiseite, welche immer noch meine Spindtür blockierte und öffnete erneut das Fach, damit ich endlich mein Geschichtsbuch hervorholen konnte.
„Es sollte dich interessieren! Sonst hast bald keine Freunde mehr!", meinte Max und wippte neben mir auf und ab.
Hatte dieses Mädchen irgendwelche Aufmerksamkeitsstörungen?
„Ich wollte auch nie Freunde", murmelte ich schulterzuckend, knallte meine Spindtür zu und machte mich auf den Weg zu meinem Klassenzimmer.
„Das meinst du nicht so", kam es von Max, welche mir unaufgefordert hinterherdackelte.
Ich rollte mit den Augen und gab ihr keine Antwort darauf.
Ich hatte schon oft genug versucht, Maxime zu erklären, dass mir an solchen Mädchenfreundschaften nicht viel lag.
Mädchen waren hinterhältig und intelligent und würden meist nie eine Freundschaft eingehen, ohne einen Vorteil darin zusehen.
Zumindest die Mädchen an unserer Schule.
Jungs waren da viel unkomplizierter.
Sie lästerten nicht hinter deinem Rücken, sondern konfrontierten dich mit deinen Macken, anstatt sich mit anderen darüber lustig zu machen.
Aber zurück zu meinem Problem mit Maxime.
Seit zwei Jahren lief sie mir nun schon hinterher, ohne die Bedeutung hinter meinen Worten wirklich zu verstehen.
Ich hatte ihr schon mehr als einmal erklärt, dass ich sie nicht als meine Freundin ansah und sie mich verdammt nochmal in Ruhe lassen sollte, doch Max quittierte meine Ansprachen jedes Mal mit einem lächelnden ‚Das meinst du nicht so' und folgte mir weiterhin auf Schritt und Tritt.
Vielleicht würde Maxime mir nicht so dermaßen auf die Nerven gehen, wenn sie nicht so krankhaft eifersüchtig war. Oder wenn sie nicht auf jede Bewegung, die so vollführte, eine Reaktion meinerseits erhoffte.
Wenn sie mich nicht jedes Mal dämlich angrinsen würde, wenn sie, in ihren Augen, etwas besonders Cleveres gesagt hatte oder einen witzigen Kommentar losgelassen hatte.
Kurz zusammengefasst: Max hatte einfach einen Charakter, der mich fürchterlich aufregte.
„Was ich alles geben würde, damit ich mich auch mit dem Prinzen verloben könnte", schwärmte Max in diesem Moment los und warf mir einen neugierigen Blick von der Seite zu, um sicherzugehen, dass ich ihr auch wirklich zuhörte.
„Mach doch", erwiderte ich trocken und setzte unbeirrt meinen Weg zum Klassenzimmer fort.
Spätestens nach zwei Minuten mit dir alleine, würde er die Flucht ergreifen, wie es jeder anständige Mensch mit gesundem Verstand tat.
„Ich eigne mich auch viel besser als Königin", fuhr Max eifrig fort und lächelte mich unverschämt an: „Nichts gegen dich."
Warum wollte Maxime eigentlich unbedingt mit mir befreundet sein, wenn es ihr sowieso nur um Konkurrenz ging?
Sie wollte keine Freundschaft mit mir, sie wollte eine Konkurrentin, mit der sie sich messen konnte.
Noch ein Grund, warum ich sie nicht ausstehen konnte.
Normalerweise lag Max, in ihren Augen, bei diesen unausgesprochenen Wettkämpfen vorne, doch da ich nun bald mit Prinz Jayce verlobt sein würde, fühlte sie sich bedroht und meinte, mich verunsichern zu müssen, damit sie sich besser fühlte.
„Max, kannst du endlich Mal dein Schandmaul halten?", fuhr ich sie gereizt an, was das Mädchen mit einem triumphierenden Lächeln entgegennahm.
Na toll. Jetzt denkt sie auch noch, sie hätte gewonnen.
Ich rollte nochmal mit den Augen und stolzierte geradewegs in mein Klassenzimmer hinein, welches bereits zur Hälfte gefüllt war.
Leider folgte mir Maxime unbeeindruckt.
„Was ist denn noch?", stöhnte ich und ließ mich auf einer Bank im vorderen Bereich, nahe am Fenster, fallen.
Maxime stellte sich vor meinen Tisch und legte den Kopf schief: „Ein Detail", verlangte sie mit einem milden Lächeln: „Mag er dich überhaupt?"
Ich seufzte laut und war ziemlich stolz auf meine Selbstkontrolle, da ich Max am liebsten an beiden Schultern packen wollte, um sie so kräftig zu rütteln, dass ihr Hören und Sehen verging.
Aber ich tat es nicht und in meinen Augen hätte ich wirklich einen Preis dafür verdient.
Immerhin hatte ich es geschafft, das Mädchen in den letzten zwei Jahren nicht zu ermorden, was Andere an meiner Stelle bestimmt wenigsten einmal probiert hätten.
„Hau ab, Max", knurrte ich genervt und schlug mein Geschichtebuch auf, während Maxime meine schlechte Laune mit übermotiviertem Grinsen billigte: „Das ist alles, was ich wissen muss", neckte sie mich, wirbelte auf ihren Absätzen herum und verließ endlich das Klassenzimmer.
„Du könntest einem schon fast leidtun", murmelte eine Stimme hinter mir und als ich mich umdrehte, lächelte mich eine Brünette mit blauen Augen an.
„Hi, Jess", begrüßte ich sie mit einem tiefen Seufzer und nickte zustimmend: „Max ist wohl das Schlimmste, was mir jemals passiert ist."
Jessica legte den Kopf etwas schief und ihre Augen funkelten mich Mitleidig an: „Ich meine nicht Max, Gwen."
Noch ehe ich nachfragen konnte, was genau sie meinte, stolzierte unsere Geschichtslehrerin Miss Steel in den Raum.
Euphorisch ließ sie ihre Mappen auf den Tisch fallen und strahlte uns an: „Guten Morgen meine Lieben! Heute werden wir uns mit der Entdeckung von Indien auseinandersetzen!", meinte sie motiviert und zog ihre Mundwinkel dabei so weit nach oben, dass ich schon Angst hatte, ihr Gesicht würde sich bald teilen.
Ein leises Stöhnen ging durch die Klasse, was Miss Steel mit einem munteren Augenrollen quittierte: „Ihr werdet schon noch lernen, wie wichtig die Vergangenheit ist", klärte sie uns auf und begann, in ihrer Mappe herumzublättern.
„Denn wie pflege ich stets zu sagen?", fragte die Frau und starrte auffordernd in die Menge: „Miss Smith?"
„Wissen ist Macht. Je mehr wir über unsere Vergangenheit wissen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sich die Geschichten wiederholen", leierte Jessica den Lieblingssatz unserer Geschichtslehrerin herunter.
„Gilt das auch für Literatur?", meldete sich ein Junge mit strohblonden Haaren, welcher in der Reihe neben mir saß.
„Wie meinen Sie das?", fragte Miss Steel lächelnd nach und versuchte, ihre Verwirrung zu verbergen.
„Naja, zum Beispiel die Geschichten von Shakespeare."
„Aber Shakespeares Werke entsprechen doch nicht der Wahrheit! Sie stammen aus seiner Fantasie!", mischte sich nun ein Mädchen mit rot gefärbten Haaren ein.
Ich verdrehte die Augen und stütze meinen Kopf in meinen Händen ab.
Irgendetwas sagte mir, dass diese 60 Minuten sehr langsam vorüberziehen werden.
Ein lautes Klopfen an der Tür unterbrach die hitzige Diskussion und Miss Steel hob mahnend den Finger, ehe sie ein lautes: „Herein!", von sich gab.
Die Tür öffnete sich und die Sekretärin streckte den Kopf herein: „Entschuldigung für die Störung, Miss Steel", wandte sie sich an die Lehrerin, ehe ihr Blick zu uns Schülern schweifte: „Aber der Direktor wünscht Miss Montgomery zu sehen."
Ihre hellen Augen fixierten mich und sie lächelte mich auffordernd an.
„Was hast du angestellt?", wisperte Jessica hinter mir, während ich meine Sachen zusammenpackte und aufstand.
Sämtliche Augenpaare in der Klasse waren auf mich gerichtet.
„Keine Ahnung", flüsterte ich zurück und folgte der Sekretärin aus dem Klassenzimmer.
Jayce
Laut kläffend sauste Toffee, wie eine Rennmaus auf Speed, durch unseren Garten.
Sein Ziel: Roses Kater Crimo, welcher vor dem fliegenden Windbeutel zu fliehen versuchte.
„Josey! Sag deinem bescheuerten Köter, dass er meinen Crimo in Ruhe lassen soll!", jammerte meine kleine Schwester neben mir und warf Josey einen finsteren Blick zu.
„Er ist nicht bescheuert!", verteidigte Josey ihren Liebling sofort, ehe sie in die Hocke ging: „Toffee!", lockte sie den Terrier.
Unbeeindruckt setzte der Rüde seine Verfolgungsjagd fort.
„Wow. Er ist nicht nur bescheuert, sondern auch unerzogen", kommentierte Rose den Versuch ihrer Schwester trocken und verschränkte die Arme vor der Brust: „Wenn er Crimo auch nur ein Haar krümmt, dann sorg ich dafür, dass er seine Mahlzeiten nur mehr trinken kann!", drohte sie.
In diesem Moment legte die weiße Angorakatze eine Vollbremsung hin und wirbelte zu dem erschrockenen Toffee herum.
Der kleine Hund schlitterte unkontrolliert auf den Kater zu, welcher seine riesige Pranke hob und dem Yorkshire-Terrier eine ordentliche Ohrfeige verpasste.
„Toffee!", kreischte Josey erschrocken auf, als der Hund fiepend von dem Kater zurückwich und mit eingezogenem Schwanz zu seiner Besitzerin zurückkehrte.
„Deine Katze ist gemeingefährlich!", zischte Josey ihre Schwester an und streichelte dem Terrier besorgt über den Kopf, welcher immer noch so erbärmlich wimmerte, dass man meinen könnte, Crimo hätte ihm die Augen ausgekratzt.
„Und dein Hund ist einfach nur bescheuert!", feuerte Rose zurück und streckte ihrer Schwester die Zunge raus, ehe sie zu ihrem Kater hinübereilte.
„Und du bist einfach nur nutzlos!", fuhr Josey plötzlich mich an.
Sofort verschwand das Grinsen von meinen Lippen, welches sich gebildet hatte, als ich das amüsante Szenario zwischen Crimo und Toffee beobachtet hatte.
„Wie kannst du nur so mit deinem Lieblingsbruder reden?", fragte ich gespielt erschüttert und fasste mir mit traurigem Gesicht an die Brust.
Ein kurzes Lächeln umspielte Joseys Lippen, ehe sie sich wieder ihrem Hund zuwandte.
„Wann kommt Gwen eigentlich wieder?"
„Was?"
„Wann Gwen wieder kommt?", wiederholte meine Schwester ihre Frage und sah zu mir hoch.
„Wieso willst du das wissen?", fragte ich verblüfft.
Josey zuckte mit den Schultern und richtete sich wieder auf: „Darf ich nicht fragen? Immerhin wird sie uns nächster Zeit wohl öfter besuchen, oder nicht?", meinte sie amüsiert und wackelte albern mit den Augenbrauen.
Unwillkürlich musste ich bei ihrem Anblick lächeln, ehe meine Gedanken zu Gwendolyn wanderten.
Stimmt, ihr würde meine Zeit wohl oder übel öfter mit ihr verbringen müssen. Mein Vater plante immerhin schon fleißig die Hochzeit, während meine Mutter alles versuchte, um unsere Verlobung vor uns herzuschieben.
Sie war nicht wirklich von Gwendolyn überzeugt und ich muss sagen, ich teilte ihre Bedenken, ob Gwendolyn wirklich eine gute Königin abgegeben würde.
Sie würde sich bestimmt super mit dem Volk verstehen und ihre Herzen relativ schnell für sich gewinnen, aber das wars auch schon.
Sie wusste nicht, wie man ein Königreich zu führen hatte. In ihrer Schule hatte sie lediglich eine Fremdsprache gelernt – Englisch. Und diese hatte sie nicht Mal perfektioniert.
„Magst du sie nicht?", fragte Josey und riss mich somit aus meinen Gedanken.
Ich blinzelte ein paar Mal und sah meine kleine Schwester verwirrt an: „Wie kommst du denn darauf?"
„Das war nur eine Frage."
„Sie ist okay", meinte ich ausweichend und starrte auf den kleinen Yorkshire-Terrier zu Joseys Füßen, welcher hechelnd zu Rose und Crimo hinüberblickte.
„Okay wie?", hakte Josey nach.
„Josey du nervst."
„Darf ich unterbrechen?"
Die Stimme unseres Vaters ließ uns Beide zusammenfahren.
„Natürlich!", erwiderte ich schnell und drehte mich zu ihm um, während Josey es mir gleichtat.
„Joselynn, sei bitte so lieb und gesell dich zu deiner Schwester, ja?", wandte sich mein Vater mit einem milden Lächeln an meine Schwester, welche schnell nickte und im nächsten Moment auch schon an Roses Seite stand.
„Was ist denn los?", fragte ich, sobald Josey nicht mehr in Hörweite war und runzelte verwirrt die Stirn.
„Gwendolyn wird ab heute bei uns wohnen. Übers Wochenende schläft sie dann wieder bei sich zuhause", offenbarte mein Vater mir monoton, als wäre das nichts besonders. Als wäre es völlig normal, dass ein wildfremdes Mädchen bei uns einzog.
„Was?"
„Du hast mich schon richtig verstanden, Jayce. Gwendolyn braucht ab sofort einen Unterricht, welcher sie auf ihre zukünftigen Pflichten vorbereitet, deshalb wird sie die öffentliche Schule nicht mehr besuchen."
„Und muss gleich bei uns einziehen?"
„Ja!", antwortete mein Vater kühl und bedachte mich eines kurzen Blickes, ehe seine Augen zu Josey und Rose hinüberwanderten.
„Ich will außerdem, dass du dich in den nächsten Wochen intensiv mit ihr beschäftigst. Lerne sie besser kennen. Führ sie in unserer Welt herum. Am Freitag werden ihr euch dann verloben!"
„Aber, Va-"
„Nichts Aber!", fiel mir mein Vater scharf ins Wort und warf mir einen mahnenden Blick zu: „Je schneller wir diese Hochzeit über die Bühne bringen, desto besser!"
Ich schluckte meinen Ärger hinunter und starrte ihn einfach nur an.
Wie konnte er mir das nur antun? Waren ihm meine Gefühle denn egal? Schätze er den Wunsch meines Großvaters mehr, als den Meinen?
Ich spürte wie der Zorn in mir entflammte, doch ich hatte oft genug gelernt, dass es besser war, meinem Vater nicht zu zeigen, wie ich mich fühlte.
Es interessierte ihn nicht.
Gefühle machten schwach. Gefühle riefen deine verletzlichen Seiten hervor und das sollte man am besten vermeiden.
„Kümmere dich um sie. Ich will, dass sie sich wohl fühlt. Verstanden?!", herrschte mein Vater mich plötzlich an, ehe er sich umdrehte und wieder im Schloss verschwand.
Ich konnte die Blicke meiner Schwestern auf mich spüren, doch ich wollte gerade mit keinem reden. Und vor allem wollte ich mich nicht mit Gwendolyn beschäftigen!
Gwendolyn
„Sie schmeißen mich von der Schule?", rief ich fassungslos aus und blinzelte meinen Direktor verwirrt an: „Wieso?!"
„Das haben sie jetzt falsch verstanden, Miss Montgomery", wimmelte der Direktor mich ab und bedeutete mir mit ein paar albernen Gästen, mich wieder zu beruhigen.
„Sie werden nicht der Schule verwiesen, sie wurden abgemeldet", erklärte er mir geduldig und schenkte mir ein wissendes Lächeln.
„Ich wurde abgemeldet?", fragte ich verblüfft und lehnte mich auf den Holzstuhl zurück.
„Ja, zwar nicht von deinen Eltern, aber mir wurde versichert, dass sie informiert wurden", meinte der Direktor und schob sich seine Brille wieder nach oben, nachdem sie ein paar Zentimeter nach unten gerutscht war, ehe er mir ein ausgefülltes Dokument reichte.
Ich strich das Papier glatt und versuchte, die ausgefüllten Felder zu entziffern.
Es stimmt, irgendjemand hatte mich von der Schule abgemeldet und als ich meinen Blick tiefer wandern ließ, wurde mir auch klar, wer dieser Jemand war.
Bei dem Feld Unterschrift, zeichnete sich die geschwungene Handschrift von Königin Gail ab.
„Die Königin hat mich von der Schule abgemeldet?", fragte ich fassungslos und blinzelte den Direktor verwirrt an: „Warum?"
„Sie war der Annahme, dass Sie ab sofort von einem Privatlehrer im Schloss unterrichtet werden sollten, damit Sie sich besser auf Ihre zukünftigen Pflichten vorbereiten können", erklärte er mir mit einem zurückhaltenden Lächeln, als hätte er Angst, dass sich ein Fehler, denn er sich jetzt erlaubte, auf seine spätere Zukunft auswirken könnte.
Vielleicht gar nicht Mal so abwegig.
„Sie erwartet Sie übrigens."
„Was?"
„Sie warten vor der Schule auf Sie", wiederholte der Direktor seine Aussage etwas konkreter, woraufhin mir ungeniert der Mund aufklappte.
Der Direktor hatte Recht.
Nachdem ich meinen Spind ausgeräumt hatte und die Tür der Schule hinter mir ins Schloss fiel, entdeckte ich eine riesige Limousine, welche zwischen all den schäbigen Schrottkarrenm ziemlich fehl am Platz wirkte.
Unsicher musterte ich den schwarzglänzenden Lack, ehe ich einen Schritt in die Richtung riskierte.
Synchron zu meiner Bewegung, fuhr die Fensterscheibe vom hinteren Teil herunter und das mürrische Gesicht von Königin Gail blitzte mir entgegen.
Ihre blonden Haare hatte sie zu einem strengen Dutt geflochten. Kein einziges Härchen wagte es, sich dem Willen der Königin zu widersetzten und klebte geradezu perfekt an ihrer Kopfhaut.
Generell wirkte alles an dieser Frau unerträglich konsequent.
„Miss Montgomery!", empfing sie mich mit eiserner Stimme und musterte mich von oben bis unten: „Steigen Sie doch ein."
Widerwillig befolgte ich den Wunsch der Königin, öffnete die Autotür und stieg in die Limousine ein.
Wow!
Der Wagen war von ihnen noch viel geräumiger, als man von außen denken mag.
Königin Gail saß auf einer cremefarbenen Eckbank und blickte mir mit düsterer Miene entgegen.
Ohne mich aus den Augen zu lassen, deutete sie auf einen Platz ihr gegenüber, während ihre andere Hand ein Sektglas umfasste.
Zögernd befolgte ich ihren Befehl und ließ mich auf der Sitzbank nieder, ehe ich meinen Blick weiter durch die Limousine schweifen ließ.
Ich weiß gar nicht recht, wie ich das beschreiben soll. Die Wände der Innenseite erinnerten mich an ein stinknormales Auto, doch der Rest glich einem Wohnzimmer.
Neben Königin Gails Sitzbank war eine kleine Minibar aufgestellt worden, während links von mir ein kleiner Flachbildfernseher montiert war.
Der Boden des Wagens war von einem flauschigen Teppich bedeckt, der dem von meinem Zimmer im Schloss, ziemlich ähnlich war.
„Hat Ihnen Direktor Wesh mitgeteilt, dass sie ab sofort seine Schule nicht mehr besuchen werden?", verlangte sie zu wissen, während ihre Augen weiterhin ruhelos über mein Outfit wanderten und sie unmerklich das Gesicht verzog.
Unwillkürlich blickte ich an mir hinunter.
Ich hatte eine gewöhnliche, dunkelblaue Jeans an und dazu ein dunkelrotes T-Shirt mit einem süßen Ausschnitt.
Was war ihr Problem?
„Nun?", unterbrach die Königin meine Gedanken und kniff die Augen zusammen.
„Ja, hat er", beantwortete ich ihr ihre vorherige Frage und lehnte mich etwas unsicher auf der Sitzbank zurück.
Warum holte mich Königin Gail ab? Sie konnte mich ja noch weniger leiden als Jayce.
„Für eine zukünftige Königin gehört sich so etwas nicht", bemerkte sie plötzlich spitz, woraufhin ich nur verwirrt mit der Stirn runzeln konnte: „Was?"
„Das heißt nicht was, dass heißt wie bitte!", belehrte mich die griesgrämige Frau, ehe sich ihr Blick auf mein Dekolletee richtete.
Wie unverschämt war diese Frau bitte? Konnte sie aufhören, auf meine Brüste zu starren?!
„Du bist jemanden versprochen und zeigst soviel Haut!", tadelte sie mich, als meine Augenbraue weitere Zentimeter nach oben wanderte.
„Viel Haut?", wiederholte ich fassungslos und sah nochmal kurz an mir herab.
Das sind gerade Mal 2 cm Hautstreifen!
„Ja, viel Haut", wiederholte Königin Gail und betonte die Worte dabei so deutlich, als wäre sie der Annahme, dass ich einer geistigen Behinderung unterliege, welche es mir nicht erlaubt, die Sätze anderer Leute schnell zu verstehen.
Wer weiß, vielleicht tat ich das auch.
„Es tut mir leid wenn Sie sich durch meine... Offenheit belästigt fühlen", murmelte ich sarkastisch und rollte mit den Augen: „Aber Sie sind heute die Erste, welche sich über meinen Kleidungsstil beschwert."
„Denken Sie wirklich, dass pubertierende junge Männer Ihnen sagen würden, wann sie zu viel Blöße zeigen?", fragte mich Jayces Mutter mit einem mitleidigen Lächeln und schüttelte den Kopf etwas: „Wie naiv."
Ich quittierte ihre missbilligenden Worte mit einem gequälten Lächeln und rutschte unbehaglich von meinem Sitz herum.
Wie lange dauert eigentlich die Fahrt von meiner Schule bis zum Schloss?
„Ihr werdet zusammen mit Joselynn und Rosalie den Stoff gehen, da Jayce mit seinen schulischen Leistungen deutlich vorne liegt", fuhr Königin Gail unbeirrt fort und nahm einen Schluck von ihrem Champagner, ehe sie mich wieder mit verächtlichem Blick musterte: „Hoffentlich kommst du wenigstens bei dem Stoff der Beiden mit, sonst müssten wir einen Grundschullehrer organisieren."
War das ihr Ernst? Oder probierte sie gerade lustig zu sein, ohne ein Lächeln auf den Lippen?
Unsicher begegnete ich ihren blauen, kalten Augen und war mir ziemlicher sicher, dass sie es verdammt Ernst meinte.
„Ich werde mit dem Stoff der Zwillinge zurechtkommen!", beeilte ich mich zu sagen und schenkte ihr ein missmutiges Lächeln, was sie mit einer hochgezogenen Augenbraue entgegennahm: „Wenn Sie das meinen."
Die restliche Fahrt verlief ziemlich still.
Jayce
„Was wollt Ihr denn machen?", fragte ich gedehnt, als Gwendolyn nach meinem Schachzug einen genervten Seufzer ausstieß.
„Nein, schon okay. Schach ist super", murmelte sie sarkastisch und fuhr wahllos mit dem Turm drei Felder nach vorne, womit sie für meinen Läufer den Weg zu ihrem König freigab.
Ich zog eine Augenbraue nach oben und warf ihr einen kurzen Blick zu: „Ihr habt noch nie in Ihrem Leben Schach gespielt, oder?"
„Natürlich! Ich bin Schachprofi!", motzte Gwendolyn mich an und starrte eine Weile auf das Brett zwischen uns: „Sieht doch gut aus für mich."
Ich runzelte die Stirn und tippte mit meiner Fingerspitze gegen meinen Läufer, um ihr einen Tipp zu geben, doch Gwendolyn starrte mich nur abwartend an: „Ihr seid dran."
Schmunzelnd fasste ich meine Figur und brachte Gwendolyns schwarzen König zum Fallen: „Schachmatt."
Gwendolyn blinzelte verwirrt. Einmal. Zweimal. Dreimal.
„Ou...", murmelte sie zerknirscht und ließ sich in den Sessel zurückfallen: „Noch eine Runde?"
„Ich denke nicht, dass Ihnen das Spiel Freude bereitet", bemerkte ich und begann, die Figuren vom Brett in eine Schachtel zu räumen.
„Was bereitet Ihnen denn Freude?"
Fragend zog Gwendolyn eine Augenbraue nach oben und musterte mich misstrauisch: „Warum wollen Sie das wissen?"
„Vielleicht gibt es ja Möglichkeiten, Ihnen den Aufenthalt hier im Schloss angenehmer zu gestalten."
Das schien Gwendolyn nur noch mehr zu verunsichern, denn sie warf mir einen argwöhnischen Blick zu: „Und das interessiert Sie, weil...?"
Ich verdrehte meine Augen und seufzte leise: „Weil mein Vater mir befohlen hat, dafür zu sorgen, dass es Ihnen hier gefällt."
„Das erklärt natürlich einiges", murmelte Gwendolyn leise und rollte mit den Augen.
„Was meint Ihr?"
„Das es Ihnen unter normalen Umständen scheiß egal wäre, wie es mir geht!", zischte Gwendolyn mich an und kniff die Augen zusammen: „Und wagt es nicht, das zu leugnen!"
Verblüfft starre ich sie an.
Irgendwie hatte sie ja Recht. Mich interessierte es wirklich nicht sosehr, wie es ihr ging oder ob sie Gefallen am Leben im Schloss hatte, aber zeigte ich ihr das so deutlich, dass sie es bemerkte?
So unfreundlich wollte ich eigentlich gar nicht rüberkommen.
„Jetzt sagt schon, was Ihr gerne machen würdet", meinte ich knapp, immer noch in Gedanken versunken.
Sollte ich Gwendolyn mehr Rücksicht entgegenbringen? Immerhin wird sie bald meine Frau sein und ich will ja nicht, dass sie totunglücklich mit mir ist.
„Was Normales", antwortete mir Gwendolyn und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Was Normales?", fragte ich verwirrt nach und legte den Kopf schief: „Was genau meinst du damit?"
„Kein Schach. Kein Reiten und vor allem keine weiteren Brettspiele!", meinte Gwendolyn schulterzuckend, während sie einen vielsagenden Blick auf die ganzen Schachteln warf, welche neben mir auf dem Boden standen.
Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen: „Was wäre denn für Sie normal?"
Nachdenklich legte Gwendolyn den Kopf in den Nacken, ohne mein Lächeln zu erwidern und runzelte die Stirn: „Ich weiß nicht", murmelte sie nachdenklich, ehe ihr Blick wieder dem Meinen begegnete: „Ein Lagerfeuer wäre ganz cool."
„Ein Lagerfeuer?", fragte ich verblüfft und hob fragend eine Augenbraue.
Natürlich hatte ich, zusammen mit meinen Schwestern und unserer ehemaligen Nanny, schon ein paar Würstchen über einer offenen Feuerstelle gebraten, aber das war doch was für kleine Kinder.
Seit meinem zwölften Geburtstag hatte es mir mein Vater nicht mehr erlaubt, bei den Grillpartys meiner Schwestern mitzuwirken.
„Ja! Ein paar Freunde von mir fahren heute an einen See und machen ein Lagerfeuer. Wir könnten ja hin", überlegte Gwendolyn laut und warf mir einen flüchtigen Blick zu.
Sie wirkte verunsichert, als wäre sie davon überzeugt, dass ich in Kombination mit ihren Freunden keine gute Figur machen würde.
„Ich hätte nichts dagegen einzuwenden!", antwortete ich ihr schnell, bevor sie ihre Einladung zurückziehen konnte.
Zwar war mir nicht wohl bei dem Gedanken, Zeit mit irgendwelchen Teenagern, welche nur Unsinn im Kopf hatten, zu verbringen, doch ich wollte vor Gwendolyn auf keinen Fall Schwäche zeigen.
Meine Mutter hatte gut darauf geachtet, dass mein sozialer Kontakt lediglich zwischen meiner Familie und Autoritätspersonen stattfand.
„Seid Ihr sicher?", fragte Gwendolyn erstaunt nach und hob überrascht eine Augenbraue.
Sollte ich mich beleidigt fühlen, dass sie mir einen Abend mit ihren Freunden nicht zutraute?
Ich nickte ihr entschlossen zu, woraufhin sich ein zögerliches, aber ehrliches Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete: „Super!"
Sie erhob sich von dem Sessel, hielt kurz inne und sah mich vorsichtig an: „Könnten wir dann das Siezen für einen Abend abstellen? Ihr würdet wie ein Freak rüberkommen, wenn Ihr all meine Freunde siezt."
„Ihr siezt euch nicht?", fragte ich überrascht und stemmte mich ebenfalls aus dem Sessel nach oben.
„Natürlich nicht! Das ist abartig!", tadelte Gwendolyn mich mit einem amüsierten Funkeln in den Augen und schüttelte kurz den Kopf, als hätte ich soeben das Dümmste von mir gegeben, was sie jemals in ihrem Leben gehört hat.
Vielleicht hatte ich das ja auch, aber bis auf meine Familie musste ich jeden hier im Schloss siezen – So wurde mir das seit meiner Geburt gelehrt.
Mit einem belustigten Lächeln auf den Gesicht folgte ich Gwendolyn aus dem Raum, damit sie sich umziehen und ich meinem Vater Bescheid geben konnte.
Gwendolyn
Aufgeregt hopste ich auf dem Kies herum, welcher auf in der Zufahrt des Schlosses herumgestreut lag.
Ich würde mich heute zum ersten Mal mit Jayce in der Öffentlichkeit zeigen. In der richtigen Öffentlichkeit. Nicht auf so einen dämlichen Ball mit versnobten Leuten.
Auch wenn Jayce sich entschlossen und ruhig zeigte, hatte ich die Vermutung, dass er noch nervöser war als ich.
Irgendetwas sagte mir, dass es das erste Mal in seinem Leben sein würde, dass er sich unter gleichaltrige, normale Teenager wagt.
Irgendwie sah er ja ganz süß aus, wenn er versuchte, seine Unsicherheit zu verstecken.
Schnell schüttelte ich diesen Gedanken ab – Jayce war alles andere als süß. Er war ein widerlicher Mistkerl!
„Bist du soweit?", unterbrach Blondschopf meine Gedanken und ich drehte mich zu ihm um.
Holy shit! Er sieht... gut aus...
Verblüfft blinzelte ich Jayce an und schüttelte den Kopf, um ihn nicht unkontrolliert anzustarren.
„Ist das zu overdressed, für ein Lagerfeuer?", fragte Jayce kleinlaut, welcher durch mein ungeniertes Gaffen scheinbar verunsichert wurde.
„Nein, dass... sieht gut aus", meinte ich schnell. Vielleicht ein bisschen zu schnell.
Aber Jayce sah wirklich unglaublich attraktiv aus! Attraktiver als sonst.
Ich bin kein besonderer Fan von blonden Typen, aber mit diesen Klamotten hatte Blondschopf sein versnobtes Aussehen durchaus abgelegt.
Jayce hatte sich regelrecht ein graues T-Shirt übergestreift, was jedoch von seinen breiten Schultern und dem straffen Bauch dominiert wurde.
Der Rest seines Körpers steckte in einer einfachen, verwaschenen Jeans, von welcher ich niemals gedacht hätte, dass sie sich in dem Inventar eines Prinzen befinden könnte.
Wie zum Fick kommt Jayce auf die Idee, er sei overdressed? Er sieht endlich normal aus!
Sein Anblick zauberte mir unwillkürlich ein Lächeln ins Gesicht und es war das erste Mal, das mein Körper eine Reaktion auf Blondschopfs Anwesenheit zeigte – Von den Würgereizen Mal abgesehen.
Er sah so normal aus. So nett und charmant, wie er es wahrscheinlich niemals zu mir sein wird, aber für diesen einen Moment konnte ich mir vorstellen, mit Jayce an meiner Seite glücklich zu werden.
„Soll ich dir ein Bild machen, damit wir endlich fahren können?", neckte Jayce mich mit einem provokanten Grinsen und augenblicklich war der Moment vorbei.
Das Lächeln auf meinen Lippen erlosch und ließ meinen Mund mit zusammengekniffenen Lippen zurück.
„Ja, fahren wir."
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Also ich muss sagen, so ganz zufrieden bin ich mit diesem Kapitel nicht - Zumindest an ein paar Stellen. Vielleicht werde ich das nochmal überarbeiten, aber ich bin mir nicht sicher :D
Meinungen?
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