14. Kapitel

Jayce

Das aufgeregte Tuscheln am Gartentisch wurde von dem Klirren der Gläser und des Bestecks begleitet.
Ich hatte es geschafft. Ich war einmal in meinem Leben, keine völlige Enttäuschung für meinen Vater gewesen. Er war stolz auf mich und das Einzige was ich dafür machen musste, war es, einem Mädchen einen Heiratsantrag zu machen, welches ich eigentlich kaum kannte.
Ich war noch immer total überrumpelt, das Gwendolyn tatsächlich ‚Ja' gesagt hatte! Sie hatte mich sogar angelächelt – Allerdings war ich mir nicht sicher, ob dieses Lächeln nicht eher der Show gedient hatte.
Aber egal! Sie hatte Ja gesagt und darauf kam es an!

Mit meiner Handfläche schirmte ich das grelle Sonnenlicht ab und blinzelte ein paar Mal, damit ich Josey wieder Form und Kontur bekam.
Meine Schwester saß mir gegenüber am Tisch und grinste schon seit dem Antrag dümmlich vor sich hin.
„Was ist los?", fragte ich amüsiert, unfähig, mein eigenes dämliches Grinsen zu unterbinden.
„Nichts", meinte Josey mit zuckenden Schultern und zwinkerte mir verschwörerisch zu: „Ich bin nur froh, endlich einen normalen Menschen in unserer Familie begrüßen zu dürfen."
Neben mir lachte Gwendolyn laut auf und schlug sich im nächsten Moment die Hand vor den Mund. Der übliche Rotton riss die Kontrolle über ihre Gesichtsfarbe an sich. Mein Grinsen wurde breiter. Süß.

„Ich würde Gwen als vieles bezeichnen, aber nicht als normal", meldete sich plötzlich Lynn zu Worte, welche rechts von ihrer Schwester thronte und mich freundlich anlächelte, ehe ihr Blick zu Josey wanderte.
„Ihr hättet sie mal sehen sollen, als wir noch kleiner waren. Gwen hat kein einziges Fettnäpfchen vergessen und wenn doch, dann ist sie immer umgedreht um mit vollem Enthusiasmus hineinzuspringen."
Gwendolyn wandte den Blick zu ihrer Schwester und verpasste Lynn einen kräftigen Seitenstoß zwischen die Rippen.
„Halt die Klappe!", zischte sie leise, allerdings laut genug, dass ich es noch hören konnte.

„Ich hab schon mitbekommen, dass sie ein kleiner Tollpatsch ist", entgegnete ich mit belustigter Stimme und warf Gwendolyn einen provozierenden Blick zu, woraufhin sie mir, mit erwachsener Manier, die Zunge herausstreckte.
„Dann wünsche ich dir viel Glück mit der Zukunft!", spottete Lynn und wich geschickt einem weiteren Schlag ihrer Schwester aus.
Gwendolyn verschränkte beleidigt ihre Arme vor der Brust: „Danke, Schwesterchen! Ich habe dich auch lieb!", knurrte sie bitter und rollte mit den Augen, ehe sie ihre Aufmerksamkeit Josey widmete.
„Josey wollen wir reiten gehen?"

Du willst reiten?", fragte ich verblüfft, bevor meine Schwester ihr eine Antworte geben konnte.
„Kannst du das überhaupt?", mischte sich nun auch Lynn wieder mit einem spöttischen Lachen ein und zog fragend eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen nach oben.
Gwendolyn antwortete uns Beiden mit einem verächtlichen Schnauben und hielt ihren Blick weiterhin abwartend auf Josey gerichtet, welche nach kurzem Zögern nickte: „Natürlich!"
Augenblicklich schob Gwendolyn ihren Stuhl zurück und marschierte zusammen mit meiner kleinen Schwester, ohne uns eines weiteren Blickes zu würdigen, davon.


Gwendolyn

Egal wie sehr ich meine Familie auch vermisst hatte – Ich hielt es zwischen ihren unehrlichen, verzogenen Gesichtern einfach nicht mehr aus.
Vor allem Lynns spöttisches Geplänkel war mir zuwider! Wie konnte ich meine Schwester nur vermissen? Ich musste vergessen haben, wie nervtötend sie sein konnte. Noch schlimmer als Chris!

Apropos Chris! Mein kleiner Casanova hatte es sich nicht nehmen lassen, Josey und mich zu begleiten.
Auf unseren Weg zu den Stallungen hing er förmlich an den Lippen der Blondine und warf mir jedes Mal einen finsteren Blick zu, wenn ich es auch nur wagte, meinen Mund zu öffnen.
War das hier eigentlich nicht meine Verlobungsparty? Wieso ließ es sich dann niemand nehmen, mich zu verspotten oder auszugrenzen? Das war doch eigentlich mein Tag! Der zweitwichtigste nach der Hochzeit! Und meine Geschwister hatten nichts Besseres zu tun, als mich von Oben herab zu behandeln. Was auch nicht besonders schwer war.
Zwar war ich die älteste von uns Dreien, doch Chris war mit seinen dreizehn Jahren bereists einen halben Kopf größer als ich und während ich eigentlich schon in meiner völligen Größe erstrahlte, würde der Kerl einfach noch weiterwachsen!
Ich würde meinen linken Fuß darauf verwetten, dass er vor seinem sechzehnten Geburtstag noch die zwei Meter knacken würde. Immerhin maß er bereits jetzt einen Meter und fünfundachtzig Zentimeter.
Und ich? Ich war ganze zwanzig Zentimeter kleiner, obwohl ich ganze fünf Jahre vor ihm die Welt erblickt hatte.
Man sollte meinen, fünf Jahre wären lang genug, um einen Größenvorsprung einzubauen. Falsch gedacht!

Etwas wackelig schwang ich mich auf Scarletts Rücken und tätschelte der Stute kurz den kräftigen Hals, ehe ich mit meinen Füßen in die Steigbügel schlüpfte.
Mittlerweile hatte ich mich an das Pony gewöhnt und die Unsicherheit, welche ich zuvor in der Nähe des mausgrauen Tieres empfunden hatte, war verschwunden.
Zwar hatte ich meine Freizeit hier im Schloss nicht unbedingt mit Reiten verbracht, doch ich hatte es mir nicht Nehmen lassen, Scarlett ab und zu, zu besuchen und sie mit Karotten und Äpfel zu verwöhnen. Immerhin musste ich ihr meine Dankbarkeit, dass sie mich nicht mit böckelnden Sprüngen von ihrem Rücken befördert hatte, damit sie mit ihren kräftigen Hufen auf mich einprügeln konnte, zeigen.

„Wohin reiten wir denn?", erkundigte sich Chris, welcher auf dem Rücken eines braun, weiß gescheckten Pferdes saß, als hätte er in seinem Leben noch nie etwas anderes getan.
Das war so typisch! Egal was für eine neue Tätigkeit Chris auch ausprobierte – Sie gelang ihm sofort perfekt. Er war wie Mozart, mit dem Unterschied, dass seine Leidenschaft im sportlichen Bereich lag, während er keinen einzigen, musikalischen Ton traf.
„Wir könnten um den See herumreiten", schlug Josey vor und zog an den Zügeln, woraufhin sich das dunkelbraune Tier unter ihr sich in die besagte Richtung drehte.
„Das ist eine wunderbare Idee!", stimmte Chris ihr augenblicklich zu und schenkte ihr sein charmantestes Lächeln.
Ich rollte mit den Augen. Bestimmt wusste mein kleiner Bruder nicht einmal, ob es sich bei dem Mädchen um Josey oder Rose handelte. Vermutlich interessierte ihn das nicht Mal.

„Was meinst du, Gwen?"
Fragend schoss Joseys Blick in meine Richtung, während sie sich eine ihrer blonden Strähnen hinters Ohr strich.
„Ich hab nichts dagegen", meinte ich mit zuckenden Schultern und trieb Scarlett mit einem zaghaften Schenkeldruck vorwärts. Die gut erzogene Stute reagierte sofort und setzte sich mit trägen Schritten in Bewegung.

„Bist du schon einmal geritten, Chris?", fragte Josey und trieb den Wallach unter ihr ebenfalls an. Dieser setzte sich euphorischer in Bewegung als Scarlett es getan hatte. Vermutlich war er auch noch jünger als die Stute.
Mit einem schnalzenden Geräusch trieb Chris sein Pferd an und lenkte es geschickt neben Josey her.
„Nein, noch nie", antwortete er ihr und streckte seinen Rücken durch.


Zwei Stunden und ein ellenlanges Gespräch zwischen Chris und Josey später, hatten wir den See endlich umrundet.
Es war unfassbar schön gewesen! Wie die Sonne die Wasseroberfläche zum glitzern brachte und die sanften Wellen das Nass in schlanke Kristalle verwandelte.
Das Einzige, was den Ausflug noch perfekt gemacht hätte, wäre gewesen, wenn Chris endlich Mal seine Klappe gehalten hätte. Stattdessen hatte mein kleiner Bruder ununterbrochen irgendwelche sinnlosen Fragen auf Josey hinabregnen lassen.
Wie alt sie sei. Was ihre Lieblingsfarbe ist. Was ihr Lieblingstier war. Ob sie einen Freund hatte. Ob sie, ebenfalls wie Jayce, bereits wem versprochen war.
Irgendwann war ich mit Scarlett ein Stück zurückgefallen, damit ich mir das ganze Geplapper nicht mehr anhören musste. Josey hatte mir lediglich einen hilfesuchenden Blick zugeworfen, während Chris gar nicht realisiert hatte, dass ich nicht mehr neben ihm war. Seine volle Aufmerksamkeit hatte nur Josey gegolten, welche dies mit einem gequälten Lächeln zur Kenntnis genommen hatte.

Nachdem wir die Pferde den Stallburschen übergeben hatten, waren wir zurück zu den Anderen gegangen, welche unsere Ankunft bereits sehnsüchtig erwartet hatten. Naja, zumindest meine Mutter.
Während König Matthew und seine Frau sich in das Schloss zurückgezogen hatten, um sich um irgendwelche wichtigen Angelegenheiten zu kümmern, hatte meine Mutter versucht meinen Vater mit albernen Themen bei Laune zu halten. Seine Geduld war auch dementsprechend an Ende.
„Da seid ihr ja endlich!", begrüßte uns meine Mutter, befeuchtete ihren Finger und wischte Chris eifrig einen imaginären Fleck aus dem Gesicht.
„Mama!", protestierte dieser peinlich berührt und wich augenblicklich von ihr zurück, ehe er einen beschämten Seitenblick zu Josey hinüberwarf. Diese war ganz amüsiert von dem Spektakel und konnte nur mit Mühe ihr Grinsen verbergen.
Schmollend schob Chris seine Unterlippe vor und schenkte unserer Mutter einen giftigen Blick.

„Tut mir furchtbar leid, mein Schatz. Aber dein Vater will unbedingt wieder nachhause. Naja, du kennst ihn ja", überspielte meine Mutter die Situation geschickt und schenkte mir ein müdes Lächeln.
„Ihr wollt also nachhause fahren?", fasste ich ihre Worte zusammen und neigte mit einem Lächeln den Kopf schief. Sie nickte.
„Also, kommst du Chris? Wir müssen nur noch Lynn holen und dann können wir gehen."
Auffordernd sah meine Mutter meinen kleinen Bruder an, ehe sie mich in eine kurze Umarmung zog und mir einen kleinen Abschiedskuss auf die Wange hauchte.
„Wo ist denn Lynn?", erkundigte ich mich und sah mich im Obstgarten um.
Hmmm... Jayce fehlt auch. Merkwürdig.

„Ach, Lynn, unser kleiner Tollpatsch, hat sich mit Traubensaft bekleckert und Prinz Jayce war so nett, sie in dein Zimmer zu führen, damit sie sich etwas Frisches zum Anziehen nehmen kann", winkte meine Mutter ab. „Du könntest sie doch holen, oder nicht? Ich würde mich in den zahllosen Fluren nur verlaufen!"
Lynn und Tollpatsch? Das waren zwei Worte, die definitiv nicht zusammenpassten. Ich hatte in den vergangenen sechzehn Jahren niemals mitbekommen, dass Lynn sich in irgendeiner Weise bekleckert hätte. Selbst als kleines Kind hatte sie den Baby-Brei niemals verschüttet.

Misstrauisch runzelte ich die Stirn und warf einen Seitenblick zu Chris, welcher wohl dasselbe dachte. Denn auch mein kleiner Bruder hatte die Brauen zusammengezogen und starrte unsere Mutter irritiert an, als würde sie eine fremde Sprache sprechen, die er noch nie in seinem Leben gehört hatte.
„Lynn hat sich bekleckert?", wiederholte er fassungslos und ließ seine Augenbrauen ein paar Zentimeter nach oben wandern, als unsere Mutter nickte.
„Ja, es war ihr selbst furchtbar peinlich", bestätigte sie und sah mich wieder an. „Also, Gwen-Schätzchen? Wärst du so lieb?"

„Ja, natürlich", murmelte ich immer noch völlig perplex und wandte mich zum Gehen.
Egal wie sehr ich es verhindern wollte, in meinem Kopf bildeten sich merkwürdige Bilder. Bilder, auf denen Jayce und Lynn zu sehen waren. Eng umschlungen, die Lippen aufeinandergepresst.
Aber warum taten diese Gedanken so unfassbar weh?

____________

Mal wieder ein kürzeres Kapitel - Ging sich nicht anders aus :D

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top