12. Kapitel

Jayce

„Ja, danke! Das wäre wirklich wundervoll!", säuselte ich mit meinen allerbesten Manieren, die mir meine Mutter je gelehrt hatte und verdrehte dabei genervt die Augen.
Was für ein Glück, dass mich mein Gesprächspartner nicht sehen konnte, sondern lediglich den Klang meiner höflichen Stimme über die Leitung vernehmen konnte.
„Danke nochmals! Ich freue mich wirklich auf Ihr Kommen!", erwiderte ich freundlich und trommelte ungeduldig mit meinen Fingerknöcheln auf dem lackierten Ebenholz.

„Auf Wiedersehen!"
Mit einem erleichterten Seufzer drückte ich die rote Taste unseres altmodischen Telefons und wandte mich meinem Vater zu, welcher mich mit eisigem Blick beobachtet hatte.
Als ich ihm meine Aufmerksamkeit schenkte, hob er fragend eine buschige Braue und richtete sich zu seiner vollen Größe auf: „Und?"
„Sie werden kommen. Morgen um 14:00 Uhr", erwiderte ich artig und fuhr mir zweifelnd durch die Haare.
Zu gerne würde ich Gwendolyn von dem Kommen ihrer Familie berichten, allerdings müsste ich ihr dann auch den Grund für die kleine Feier äußern und das wollte ich so lange wie möglich geheim halten.

Nicht nur, weil mein Vater der festen Überzeugung war, eine geheime Verlobungsparty würde für Gwendolyn sicher eine angenehme Überraschung sein, sondern weil ich wusste, wie Sturköpfig meine Zukünftige sein konnte.
Ich hatte wirklich Angst, dass sie einfach nicht auftauchen würde, wenn ich ihr von der geplanten Verlobung erzählen würde und diese Blamage konnte ich mir nun wirklich nicht geben.
Außerdem wusste ich, dass sie meinen Antrag bestimmt nicht mit einem verächtlichen Schnauben abwinken würde, wenn ihre Eltern Zeugen von dem Ganzen wurden.
Sie stand genauso unter den Pantoffeln ihrer Mutter, wie ich bei meinem Vater.

Mein Vater nickte zufrieden, kehrte mir den Rücken zu und verließ, ohne ein weiteres Wort den Raum.
Ich unterdrückte einen lauten Seufzer und folgte ihm zum Speisesaal.


Gwendolyn

Unruhig rutschte ich auf dem gepolsterten Stuhl hin und her, den Blick starr auf das Putengeschnetzelte auf meinem Teller gerichtet.
Es war wirklich leise am Tisch. Nur hin und wieder ertönte ein Klirren, wenn das Besteck auf dem Porzellanteller schabte.

Eigentlich sollte ich mich an das schweigsame Essen der Königsfamilie gewöhnt haben, doch je öfter ich zwischen den raren Gesprächsthemen der Familie eingesperrt war, desto mehr vermisste ich die herzliche Art, wie sie bei mir zuhause am Esstisch herrschte.
Wenn einer hier den Mund öffnete, dann nur um einen geistreichen Beitrag in das angeschnittene Thema mit einzuwerfen, welches König Matthew, meist mit sich selbst, laut und offenkundig diskutierte.
Ich war mir nicht sicher, ob das Oberhaupt des Landes überhaupt wollte, dass sich jemand in seine Selbstgespräche einmischte, doch Josey und Rose bemühten sich so sehr um schlaue Bemerkungen, dass es mir scheint, dass dies von den Kindern erwartet wurde.

Jedes Mal, wenn Rose wieder einen ihrer Kommentare abließ, warf König Matthew einen abwartenden Blick zu Jayce hinüber, welcher die Beteiligung seiner Schwester allerdings nur mit einem schwachen Blickkontakt quittierte.
In solchen Situationen wurde dann meist Josey unruhig. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht rutschte sie dann auf ihrem Stuhl herum, stotterte irgendeinen sinnfreien Satz vor sich hin und senkte dann beschämt den Blick, wenn der König sie mit einem enttäuschten Blick strafte. Doch jedes Mal entspannten sich ihre Schultern wieder, wenn ihr Vater von Blondschopf abließ.
Irgendetwas war hier mehr als merkwürdig. In dieser Familie war meine Beziehung zu Jayce nicht die Einzige, welche verkorkst und seltsam war.

Bei mir zuhause war alles ganz anders. Im Gegensatz zu der königlichen Familie wirkte Meine, als sei sie die herzlichste und liebevollste in ganz Koieta – Und das war sie gewiss nicht!
Allein Cookie überstrahlte mit ihrer freundlichen Aura all unsere guten Taten.
Doch wir gingen zivilisierter miteinander um. Meine Eltern schätzten jede Bemerkung meiner Geschwister und mir, egal wie unsinnig sie ist. Hauptsache wir beteiligten uns an dem gemeinsam ausgesuchten Thema. Und auch wenn wir es nicht taten, waren sie zufrieden mit uns.
Unsere Eltern liebten uns einfach so wie wir sind, doch bei König Matthew macht es den Anschein, dass Jayce mit einer einzigen falschen Bewegung seinen ganzen Zorn auf sich ziehen konnte.
Sein Vater war dermaßen fixiert auf ihn, dass Rose und Josey zusammen auf dem Tisch, zwischen den Tellern und Gläsern, Tango tanzen könnten. Der König würde nichts bemerken.

Königin Gail hingegen heftete ihre giftigen, feindseligen Augen während des gesamten Essen nur auf mich, weshalb ich meinen Blick auch die vergangene halbe Stunde auf meinem Teller gehalten hatte.
Ich frage mich, was die werte Dame sonst bei dem gemeinsamen Abendessen getan hatte, wie ich noch nicht im Schloss gehaust hatte.
Hatte sie mit ihren perfekt trainierten Augen Fehler im Falten der Serviette gesucht? Oder hatte sie mit kleinen Pfeilen, welche aus ihren Pupillen hervorschossen, unerwünschte Fliegen getötet? Ich traute ihr Beides zu, denn seit meiner täglichen Anwesenheit, schien sie ein neues Hobby gefunden zu haben – Mich mit ihrem kritischen Blick zu taxieren. Jede verdammte Sekunde.
Wenn ich es doch wagte, meine Augen auf ihre verspannten Gesichtszüge zu legen, konnte ich genau ablesen, was sie gerade dachte. Sie starrte mich so konzentriert an, als würde sie sich feinsäuberliche Notizen in ihrem Kopf zusammenschreiben:

1. Gwendolyn sitzt nicht ergonomisch.
2. Gwendolyn hält zu lange Blickkontakt.
3. Gwendolyn hat keine Ahnung, wie man mit dem Besteck umgeht.
4. Gwendolyn wirft unangebrachte Kommentare in die förmliche Unterhaltung ein. Vielleicht ist ihr das Thema zu hoch?
5. Gwendolyn bringt Joselynn und Rosalie zum Lachen! Ungeheuerlich!

Bei der virtuellen Liste in meinem Kopf konnte ich nur die Augen verdrehen, allerdings zweifelt ich nicht eine Sekunde lang daran, dass diese wirren Anschuldigungen in Königin Gails Gedanken herumspukten. Was sonst sollte sie von mir denken?
Das ich ein hinreißendes, perfekt erzogenes Mädchen war und bestimmt eine herzallerliebste Schwiegertochter sein würde? Haha, bestimmt.

Missmutig stemmte ich meinen Ellbogen auf die Tischplatte, damit ich meinen Kopf, welcher sich plötzlich unfassbar träge und schwer anfühlte, in meiner Handfläche betten konnte.
Ein strenges Räuspern ließ mich von dem Fleisch, welches unter meiner Aufsicht zu einem Smoothie verarbeitet wurde, auf und sah geradewegs in Königin Gails stechend blaue Augen, welche wirklich Garnichts mit dem Farbton ihres Sohnes gemein hatten.
Ich weiß zwar nicht, warum mich diese Frage mehr beschäftigte, als die, warum mich diese verbitterte Frau so wütend anstarrte, doch ich konnte sie einfach nicht verdrängen. Wie konnte Königin Gail mit Jayce verwandt sein, auch wenn der Blauton ihrer Augen, im Gegensatz zu Jayces, so furchtbar aussehen?

Jayce blaue Augen strahlten Sicherheit aus, wenn sich nicht von diesem arroganten Funkeln überdeckt wurden, welches die Königsfamilie wohl allgemein eingenommen hatte.
Wie sanfte Wellen, welche von der Meeresbrise über den Ozean getrieben wurden, überrollte mich der intensive Blauton von Blondschopfs Augen.
Zwar überfluteten mich Königin Gails Augen auch, aber auf eine ganz andere Art. Auf eine schlimmere Art.
Während Jayce in mir ein Kribbeln der Geborgenheit auslösen konnte, jagte mir seine Mutter einen Angstschauer nach dem anderen über den Rücken, wenn mich ihr frostiger Blick auch nur streifte.

„Gwendolyn Montgomery!" Königin Gail unterbrach meine Gedanken mit einem erbosten Kopfschütteln und fixierte mich erzürnt.
Was hab ich jetzt schon wieder falsch gemacht?
Fragend hob ich eine Braue, bemüht, mich von den Blicken der Königsfamilie, welche nun allesamt auf mir ruhten, nicht einschüchtern zu lassen.
„Ihr Ellbogen!", presste Jayces Mutter mit zusammengekniffenen Lippen hervor und taxierte mich mit einem verächtlichen Blick. So wie sie sich aufführte könnte man meinen, sie hätte mich gerade dabei erwischt, wie ich heimlich Nacktschnecken in den Gemüsesalat schummeln wollte. Aber das hat sie nicht. Nein. Ihr einziges Problem war mein Ellbogen, welcher mit sicherem Abstand neben meinem Teller auf der weißen Tischdecke ruhte.
Vielleicht sollte ich Madame Leroy wirklich Mal, wie sie es so schön ausdrückte, mein Gehör schenken, wenn sie wieder einen ellenlangen Vortrag von Manieren am Tisch zum Besten gab.

„Entschuldigung, Königin Gail", beeilte ich mich schnell zu sagen und zog mit einem heftigen Ruck meinen Arm vom Tisch.
Die Tischplatte vibrierte, Gläser klirrten und die Suppe von Rose schwappte über den Tellerrand.
Uppsy.
Ich warf einen zerknirschten Blick in die Runde.
Königin Gail starrte mich wütend an, während König Matthew mich mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck musterte. Er wirkte nicht besonders erzürnt, aber auch nicht erfreut.
Josey lächelte mir aufmunternd zu und ihre Schwester deutete demonstrativ auf den nassen Fleck auf dem Tischtuch neben ihrem Teller, wo die heiße Suppe gelandet war. Trotzdem zogen sich ihre Mundwinkel kaum merklich nach oben.
Und Blondschopf? Blondschopf lehnte sich schmunzelnd auf seinem Stuhl nach hinten und streckte mir, unauffällig den erhobenen Daumen entgegen, während das Grinsen auf seinen Lippen immer breiter und breiter wurde, je mehr Blut mir in die Wangen schoss.
Gott, wie ich mein Tomaten-Dasein hasste!

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So, ein etwas kürzeres Kapitel als für gewöhnlich - Ich hoffe trotzdem, dass es euch gefällt! :)


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