Rückblick 14
Ich sitze noch eine Weile auf einem Baumstumpf und höre bei einer improvisierten Karaoke-Session zu, ehe ich mir eine Flasche Bier schnappe und Richtung See laufe.
Etwas abseits, in einer kleinen Bucht, hat jemand seine Decke liegen lassen. Ich setze mich darauf, hebe meinen Kopf und schaue in die hell leuchtende Milchstraße und in Milliarden von Sternen, die um die Wette funkeln und sich im ruhigen Wasser des Sees spiegeln.
Hier, hinter den Bäumen, dröhnt die Musik nur noch dumpf ans Ufer, und die lauten Gespräche und Lacher wehen nur vereinzelt zu mir. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, denn so entspannt wie heute war ich schon ewig nicht mehr.
»Darf ich mich setzen?«
Ich schrecke kurz zusammen, wende meinen Blick und sehe Ben neben der Decke stehen.
Ich nicke langsam. Er lässt sich neben mir nieder und öffnet zufrieden seufzend sein Bier. Ich beobachte ihn, wie er die Flasche an seine Lippen legt, und verfluche mich dafür, das mein Herz lospoltert – es ist so still um uns, dass ich Angst habe, er könne es hören.
Wir sitzen eine Weile schweigend nebeneinander – nur ist das Schweigen anders als früher. Es liegt schwer zwischen uns, als würden sich unausgesprochene Gedanken anschreien und wir versuchen zu verstehen, was sie uns zu sagen haben.
»Lust, schwimmen zu gehen?« fragt er unvermittelt aus dem Nichts, vielleicht um das Schweigen zu brechen, und ich starre ihn verwirrt an. Jetzt? Mitten in der Nacht?
»Äh? Was? Nein. Ich habe mein Badezeug gar nicht hier.« Winke ich lachend ab und nehme noch einen tiefen Schluck von meinem Bier.
Ben schnaubt belustigt, steht auf und zieht sich aus, bis er komplett nackt vor mir steht, und ich versuche krampfhaft, einen großen Stein dort vor der Decke zu fixieren, um nicht auf Bens wunderschönen, trainierten Körper zu starren.
Er lacht feixend. »Ist doch egal, dann gehen wir halt nackt! Komm, lass dir das nicht entgehen!« Ben grinst breit wie ein kleiner Junge, der für jeden Spaß zu haben ist. »Hast du schon mal nachts nackt in einem See gebadet? Nein? Es ist der Wahnsinn, vor allem wenn alles so voller Sterne ist. Komm schon! Wer ist jetzt ein feiges Huhn?« Ungeniert läuft er Richtung Wasser und versucht, mich weiterhin zu überreden.
Ich seufze, erhebe mich und beginne, mir meine Sachen auszuziehen, überlege einen Moment, meine Unterwäsche anzulassen, aber auch diese lasse ich auf den kleinen Wäschestapel fallen. Ein sanfter Luftzug umweht mich, und die kleinen Härchen auf meiner Haut stellen sich auf.
Als ich neben ihm erscheine, flackern seine Augen kurz auf, und ein schiefes Grinsen erscheint auf seinem Mund. Nebeneinander laufen wir langsam in das kalte, schwarze Wasser des Sees. Ich japse erschrocken auf, aber als ich bis zum Bauchnabel drin bin, gleite ich komplett hinein. Ben tut es mir gleich, und wir schwimmen still durch das dunkle Nass. Nur die leisen Bewegungen des Wassers um uns sind zu hören.
Er hat recht, es fühlt sich unglaublich an. Als sei man alleine auf der Welt. Die Stille der Natur umfängt uns, und ich drehe mich auf den Rücken, halte meinen Blick auf die Sterne über uns gerichtet und tauche langsam unter die Oberfläche. Die Stille, die mich umgibt, rauscht dröhnend durch meine Ohren, und ich lasse mich treiben, bis sich plötzlich warme Arme um meine Hüften schlingen und mich wieder hochziehen. Ich schnappe nach Luft, und mein Blick trifft Bens strahlende Augen. »Tauch doch nicht einfach ab«, raunt er mit heiserer, leiser Stimme und streicht mir sanft nasse Haarsträhnen von meiner Stirn – er lässt seine Hand an meiner Wange ruhen.
»Ben?« wisper ich außer Atem. Sein Gesicht ist so nah an meinem. Auch zwischen unseren nackten Körpern unter Wasser gibt es kaum noch einen Abstand.
»Was machst du?« hauche ich zitternd.
Er streicht mir sanft mit seinem Daumen über meine Lippen, sein Blick folgt der Bewegung, während seine andere Hand sich auf meinen unteren Rücken legt und mich enger an sich zieht.
»Was meinst du?« fragt er rau und nähert sich meinen Lippen, die beim Sprechen schon fast seine berühren.
In meinem Kopf rauscht es immer lauter, mein Körper ist im Aufruhr. Ich rieche ihn, seinen unverwechselbaren Geruch nach Wald und Sommernächten, seine Berührungen, die wie kleine Blitze durch meinen Körper jagen, und unsere Haut, die sich im Wasser aneinander schmiegt.
Ich hole tief Luft, um mich von ihm zu lösen. Was soll das werden?
Nicht einmal zwei Schritte schaffe ich, ehe er nach meinem Handgelenk greift.
»Warte!« Seine Haare hängen ihm nass in die Stirn, seine Lippen sind leicht geöffnet, und die Augen liegen in tiefen Schatten, als er mich wieder zu sich zieht.
»Was denkst du, was ich mache, Füchschen?« Er atmet schwer, legt seine freie Hand unter mein Kinn und vertieft seinen Blick mit meinem.
Ich würde untergehen, würde er mich nicht halten.
»Ich will bei dir sein. Denkst du, ich bin hier, um die anderen zu sehen?« Er schnaubt abfällig, und ich spüre seinen Atem an meinem Gesicht, spüre seinen Herzschlag unter meinen Fingern, die sich abstandhaltend an seine Brust gelegt haben.
»Fuck. Ich habe dich so vermisst, und ich wollte wissen, ob es dir genauso ging.« Seine Stimme ist ein heiseres Kratzen.
Unsere Lippen nur noch einen Hauch voneinander entfernt. »Lass mich dich küssen«, flüstert er, sodass sich bei jedem Wort, das er spricht, unsere Münder fast berühren. Als ich leicht nicke, nimmt er voller Hunger die Einladung an, umschlingt mein Gesicht mit seinen Händen, stößt mit seinen Lippen auf meine, und in diesem Moment entweicht jegliche Kontrolle meinem Körper. Ich atme scharf ein, seufze, als hätte sich der Stein, der mich am Atmen gehindert hat, von meiner Brust entfernt.
Ich passe mich dem Rhythmus seines Kusses an, öffne meine Lippen, gewähre ihm Einlass und schmecke ihn zum ersten Mal.
Sein Kuss ist ein wildes Versprechen an meine geheimsten Vorstellungen. Sein Duft, sein Geschmack. Ich drehe fast durch.
Ich schlinge meine Arme um ihn, grabe meine Hände in seine nassen Haare, und seine von mir beseitzergreifende Nähe durchflutet mich vollständig, als wäre das Puzzleteil, das ich damals verloren habe, wieder da.
Seine Hände schieben sich unter meinen Hintern, greifen beherzt in mein Fleisch, kneten ihn und heben mich auf seine Hüfte. Ich spüre seine Härte, als ich meine Beine um seine Hüften schlinge, und er trägt mich aus dem Wasser, ohne den Kuss zu lösen.
Vorsichtig lässt er mich auf der Decke nieder. Ich fühle den harten, kratzigen Stoff unter meinem Hintern, kribbeligen Sand und ihn als Kontrast dazu so nah, warm und weich bei mir.
Wir schauen uns atemlos an. Ich liege auf meinen Ellenbogen abgestützt auf der Decke, während er auf seinen Knien zu mir gebeugt ist. Die Spannung zwischen uns ist kaum auszuhalten. Sein Blick wandert sehnsüchtig über meinen Körper, folgt Wassertropfen, die von meinen Schultern über meine Brüste und meinen Bauch laufen und schiebt sich über mich.
»Ich will dich. Ich wollte dich schon vom ersten Tag, aber ich wollte auch das, was da zwischen uns war, nicht verlieren«, flüstert er und leckt mit seiner Zunge einen Wassertropfen von meinem Schlüsselbein. »Ich hatte Angst, dass es zwischen uns genauso zerbricht wie all die sinnlosen Beziehungen, die ich geführt habe, um Spaß zu haben...« Ein wehmütiger Ausdruck liegt in seinen Augen.
»Als ich erfahren habe, dass du hier bist, habe ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um herzukommen.«
Schwer atmend hält er sich über mich gebeugt, verteilt kleine Küsse auf meiner Kieferlinie zu meinen Mundwinkeln. »Sag mir, dass es dir auch so geht, Vianne.«
Mein Herz klopft bis zum Hals, und ich suche nach Worten, die mir nicht richtig über die Lippen kommen wollen.
»Bitte, Füchschen.« Seine Worte klingen flehend, er will nicht alleine mit seinen Gefühlen sein. Bens Atem geht schwer, ich spüre seinen Herzschlag, denn es rast ebenso schnell wie meins in meiner Brust.
Über uns funkeln Milliarden von Sternen, die dumpfen Rhythmen vom Festgelände habe ich ausgeblendet, und auch die Gespräche, die durch die Luft wehen, kommen nicht mehr bei uns an. Nur das leise Plätschern kleiner Wellen am Ufer und das leise Rascheln von Blättern aus den Bäumen finden noch einen Weg.
Ich bekomme kaum noch Luft, versuche Worte zu finden die Formulieren können was ich fühle.
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