Rückblick 12

»Das wird unser Sommer!
Packt euer Badezeug ein und schwingt die Hufe zum Saint Germain Lake.
Wir haben ein ganzes Resort für uns und unsere pure Eskalation!«

FREITAG

Die Einladung zum Klassentreffen war genau das, was ich gebraucht habe, nachdem nicht alles so glatt gelaufen ist, wie ich gerne gehabt hätte. Ich sitze noch immer in Wisconsin fest. Kein vernünftiger Abschluss. Kein New York. Ein Praktikum jagt das nächste.

Klar, werde ich nicht so glänzen können wie der Rest meines Jahrgangs, aber endlich habe ich die Chance, alle mal wieder zusammen zu sehen. Vielleicht ist das die Motivation, die ich brauche, um am Ende doch noch aus dem 'nicht wissen, was ich mit meinem Leben anfangen will' herauszukommen.

Und ich sehe Lauren und Owen wieder
Und Ben.

Ich bin nervös. Verdammt nervös!
Es ist nämlich genau fünf Jahre her, dass wir uns alle das letzte Mal gemeinsam gesehen haben.
Irgendwie hat es das Festkomitee der Highschool geschafft, in Kontakt zu bleiben und ein ganzes Wochenende an einem Camp am See zu organisieren, sodass fast alle Abgänger von damals ein partyreiches Wochenende miteinander verbringen können. Die meisten von uns sind fertig mit dem College, arbeiten schon oder studieren weiter.

Lauren und ich waren zusammen auf dem selben College, danach hat sie ihren Rucksack gepackt und wollte eine Weltreise machen. Sie ist in einer Kommune in Thailand hängen geblieben. Wenn sie herkommt, um ihre Eltern zu besuchen, dann treffen wir uns. Manchmal auch mit Owen.

Owen hat einen grandiosen College-Abschluss geschafft, ein Jahr ein Praktikum in einer großen Immobilienfirma in Milwaukee gemacht und hat vor Kurzem in der Firma seines Vaters angefangen, um irgendwann in seine Fußstapfen zu treten. Gelegentlich treffen wir uns auch mal zu einem Kaffee im Ort, aber das ist selten.

Und Ben? Ben hat seine Schauspielschule beendet und sogar schon kleinere Rollen in Serien ergattert. Zurzeit hält er sich mit Modeljobs über Wasser und kommt viel in der Weltgeschichte rum. Wenn er mal hier ist, haben wir es nicht geschafft, uns zu treffen, aber wir schreiben hin und wieder miteinander.

Tja, und dann bin da ich. Das College habe ich mit Ach und Krach hinter mich gebracht. Ich weiß noch immer nicht, was mal aus mir werden soll und New York hat ohne Perspektive für mich keinen Sinn.

Aufgeregt stehe ich vor dem großen Spiegel im Flur meines Elternhauses und zupfe an dem sommerlichen, weißen Spitzenkleid, das mir gerade mal bis zu den Oberschenkeln geht, es wird nur durch eine große Schleife in meinem Nacken gehalten. Darunter blitzt ein grüner Bikini hervor.
Akribisch ziehe ich ein paar meiner roten Locken aus dem wilden Dutt, der auf meinem Kopf sitzt, es soll nicht gewollt aussehen.
Die Sonne war in den letzten Monaten so intensiv, dass mein ganzer Körper von einer Armada Sommersprossen übersät ist, vor allem mein Gesicht, und weil meine Haut so empfindlich auf Sonne reagiert, habe ich von Natur aus rote Wangen. Oder wie meine Mutter sagt: »Kind, du hast schon wieder einen Sonnenbrand.«

»Willst du im Nachthemd zu eurem Treffen?« witzelt meine Mutter aus der Küche.

»Ach, Mom!« Ich verdrehe die Augen und muss lachen, als ich ihren Blick sehe. »Oder gibt es da jemanden, dem du zeigen möchtest, was für eine wunderschöne Frau du geworden bist?« flötet sie amüsiert und wackelt dabei mit ihren Augenbrauen.
»Nein.« brumme ich und bin erleichtert und dankbar für die Ablenkung, als es draußen vor der Tür hupt.

Vor Freude laut losquietschend reiße ich unsere Tür auf und renne durch den Vorgarten zur Straße. Lauren steht grinsend an das alte Auto ihres Vaters gelehnt und zündet sich eine Zigarette an. Ihre Haare sind zu vielen, kleinen Braids geflochten, ihr Körper ist voller kryptischer Tattoos und sie trägt eine bunte Batik-Tunika.

»Vianne, du Schöne!« raunt sie fröhlich mit ihrer warmen Stimme und schließt mich in ihre Arme. Ich nehme ihren Duft von Sandelholz und Tabak wahr und finde, es passt zu ihr.
»Selbst, du Schöne!« jauchze ich freudig und drücke sie noch einmal eng an mich. Ich habe meine Freundin so sehr vermisst und werde jede Sekunde mit ihr inhalieren.

»Bist du bereit für ein Wochenende voller Peinlichkeiten?« fragt sie lachend und drückt ihre Zigarette in einem kleinen silbernen Aschenbecher aus. Ich stimme in ihr Lachen ein und deute ihr an, einen Moment zu warten. Mit hüpfenden Schritten tänzele ich noch einmal ins Haus, schultere meinen Rucksack voller Getränke und Snacks, verabschiede mich von meiner Mutter und schmeiße mich zu Lauren ins Auto.
»Ich bin bereit!« kichere ich und deute ihr mit einer ausladenden Geste an, loszufahren.

Als wir ankommen, hängt die Sonne bereits tief am Himmel, und die warmen, goldenen Strahlen tauchen das ganze Gelände in ein sanftes Licht. Eine bunte Mischung aus sommermüden Eichen und Birken säumt das Ufer des großen Sees, an dem es einen kleinen, privaten Strand mit Steg gibt und sich ein paar Blockhütten aneinanderreihen. Mitten auf dem Gelände tummeln sich schon viele altbekannte Gesichter. Ein Lagerfeuer streckt sich funkenschlagend dem Himmel entgegen und es riecht nach Rauch, Alkohol und BBQ – ein letzter sommerlicher Atemzug bevor die Nacht hereinbricht.

Lauren fährt langsam auf den Parkplatz, auf dem uns ein ehemaliger Mitschüler, den ich nur vage wiedererkenne, entgegenkommt. Er überprüft unsere Namen auf einer langen Liste, nickt uns lächelnd zu und drückt uns den Schlüssel zu einer der kleinen Blockhütten in die Hand, die für uns reserviert ist.

Wir parken zügig ein, schleppen im Anschluss unsere Taschen in die kleine Hütte, in der gerade mal ein Doppelstockbett und eine Kommode mit Spiegel Platz haben – aber mehr brauchen wir auch nicht, schließlich werden wir den ganzen Tag entweder im oder am See verbringen.

Lauren und ich diskutieren lautstark aus, wer von uns nun oben oder unten schläft, verräumen den Inhalt unserer Taschen, öffnen das erste Bier und machen uns frisch, ehe wir uns aus der Hütte wagen, um uns den ersten Überblick zu verschaffen.

Wir laufen barfuß über das weiche Gras des Geländes, lauschen der Musik, die über den Platz weht, und ich nehme einen tiefen Atemzug der sommerlichen Abendluft, während Lauren sich die nächste Zigarette anzündet.

Die Schulband von damals hat sich zusammengefunden und jammt auf einer improvisierten Bühne. Einige rennen jauchzend in den See oder springen vom Steg, und die Stimmung ist jetzt schon ausgelassen. Ich schaue mich um, grüße alte Bekannte, hole mir was zu essen und entdecke Owen in einer Gruppe stehen.

»Owen!« rufen Lauren und ich zeitgleich. Er hebt den Kopf und beginnt breit zu grinsen, als er uns sieht. Mit schnellen Schritten kommt er auf uns zu und umarmt uns herzlich.

Den Abend über sitzen wir am Lagerfeuer, wärmen alte Geschichten auf, trinken Bier und Tequila und auch wenn es eine gelöste Atmosphäre ist, werde ich langsam unruhig und kann kaum noch den Gesprächen folgen.
Wo bleibt Ben?

Es wird immer später, ich bin nicht mehr ganz nüchtern und dass er nicht hier ist, verdirbt mir die Laune. Resigniert trinke ich den letzten Schluck meines Bieres, erhebe mich leicht wankend und verabschiede mich Richtung Bett. Ich will nicht mehr warten, außerdem wird morgen ein langer Tag und da will ich nicht jetzt schon alle Reserven aufbrauchen.

Ich liege noch lange wach, unschlüssig, ob ich Ben schreiben soll, wo er bleibt, oder nicht. Ich frage mich, ob er sich, jetzt wo seine Karriere losgeht, überhaupt noch mit dem Fußvolk abgeben will.

Nach einiger Zeit fallen mir doch die Augen zu, und ich schlafe ein.


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