Rückblick 02
Als der Tag vorbei ist, schultere ich meinen Rucksack, schwinge mich auf mein Fahrrad und mache mich auf den Weg nach Hause.
»Füchschen!« ruft eine wohlbekannte Stimme hinter mir, und ich drehe mich langsam um.
Da steht er wieder mit diesem verbotenen Lächeln, den kleinen Grübchen und diesen geschwungenen Lippen, nach denen die meisten Mädels so verrückt sind, in seinem Gesicht und hält sein Fahrrad lässig mit einer Hand am Lenker fest.
»In welche Richtung musst du?«
Ich zeige die Straße an den Maisfeldern runter, er nickt und schwingt sich auf den Sattel. »Das passt, da muss ich auch lang.« Na toll.
Wir fahren schweigend auf der Landstraße nebeneinander her. Die Sonne steht tief und malt ihr goldenes Licht als Spiegel in den Mais. Solche Farbspiele liebe ich und hätte ich meinen Malkasten dabei würde ich versuchen die Farbtöne zu skizzieren und Zuhause nach zu zeichnen. Zuhause... Ich bin ein absolutes Stadtkind, ich liebe den Trubel, Menschenmassen, den Rhythmus und das Pulsieren New Yorks.
Diese Ruhe hier kenne ich nicht und fühlt sich für mich eher unbehaglich an, meine Ohren rauschen und suchen nach bekannten Geräuschen. Versuche mich daran zu erinnern wie New York gerochen hat und atme nur den Duft von Feldern ein. Ben schweigend neben mir fahren zu haben, gibt mir seltsamer Weise eine innere Ruhe. Ich atme tief ein, schließe die Augen, breite meine Arme aus und fahre ein paar Meter blind und freihändig auf der leeren Straße. So muss sich Freiheit anfühlen.
»Vorsicht!« höre ich Ben noch brüllen, fühle starke Arme, die sich um meine Taille schlingen und mich in den Straßengraben ziehen.
Ich reiße geschockt die Augen auf. Ein Lastwagen fährt laut hupend an uns vorbei, und ich liege auf Ben. Auf dem Grünstreifen neben der Straße. Mein Herz rast.
Wo kam der denn her?
Ben hält mich schwer atmend fest und setzt sich auf. »Himmel, Füchschen. Wo hast du denn Fahrradfahren gelernt?«
Sein Blick aus Honig inspiziert mich, außer einem Kratzer am Knie fehlt mir nichts. Auch er ist unverletzt. Seine Hände lösen sich nicht von meiner Taille und ich frage mich, wie sie sich an meiner Haut anfühlen würden. Innerlich verdrehe ich die Augen über meine Gedanken und schiebe sie schnell zur Seite. Ich atme schwer und kann mich nicht bewegen.
»In New York« fällt mir als einzige Antwort ein. »Da haben wir Ampeln und Fahrradwege und sowas.« Ben fängt an zu lachen und lässt sich in das Gras unter sich fallen. Als sich seine Hände von mir lösen, fühlt es sich an, als hätte ich ein Puzzlestück von mir verloren.
Und ich würde es auch lange nicht mehr wiederbekommen.
Unseren Fahrrädern ist nichts passiert. Er hilft mir auf und schaut mich noch einmal prüfend an. »Alles okay bei dir? Keine Todessehnsucht oder so?«
Ich lächle schief und positioniere mein Fahrrad. »Nein, nur nicht auf Landverkehr eingestellt gewesen« brumme ich und steige wieder aufs Rad.
»Weißt du, mit Augen zu sollte man nicht fahren, Füchschen.« Er radelt hinter mir her und lächelt wieder verboten vor sich hin.
Als wir bei dem Haus meiner Eltern angekommen sind, wartet er, bis ich abgestiegen bin und strubbelt mir durch meine lockigen Haare. »Du brauchst jemanden, der dir das Leben auf dem Land zeigt. Komm morgen mit uns an den See, ich hab Geburtstag.«
Ich wollte ihn anfauchen, dass er die Finger aus meinen Haaren lassen soll. Aber außer einem dankbaren Nicken und der Zustimmung, mit zum See zu kommen, kam nicht viel Sinnvolles aus meinem Mund.
Ben setzt sich wieder auf seinen Sattel, um weiter zu fahren.
Er hat gerade erst in die Pedale getreten, als mir schlagartig etwas einfällt.
»Danke, Ben!« sage ich aufrichtig, etwas leise, aber noch hörbar.
»Wofür, Füchschen?«
»Dass du mir das Leben gerettet hast. Ich heiße übrigens Vianne!« Füge ich hinzu.
Ben mustert mich wieder von oben bis unten. Seine honigfarbenen Augen gleiten über mich hinweg wie das Sonnenlicht und ich verstehe bis heute nicht, wie intensiv ein Mensch einen anderen anblicken kann, ohne dabei unangenehm zu wirken.
»Das wird ab jetzt meine Aufgabe sein. Das Füchschen vor sich selbst retten. Bye, Vianne.« er grinst breit und fährt in die untergehende Sonne.
Wie oft wir uns gegenseitig gerettet haben, weiß ich nicht mehr. Aber am meisten haben wir uns wohl voreinander gerettet.
***
» Wie gefällt es euch bis jetzt?
» Was macht ihr heute noch?
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