Rückblick 01
HIGHSCHOOL | 17 Jahre zuvor
***
»Hey, Füchschen!« brüllt es von der Bank unter der alten Linde auf dem Schulhof.
Wir sind gerade erst hergezogen, und heute war mein zweiter Tag an der neuen Highschool. Hier würde ich nun die nächsten zwei Jahre fristen. Ich hatte keine Lust, Kontakte zu knüpfen. Sobald ich fertig war, wollte ich zurück nach New York ziehen, eine WG mit meinen besten Freundinnen gründen und ein Künstlerinnen-Kollektiv aufziehen. Jung, feministisch und kreativ.
Dass mein Vater hierher versetzt wurde, ist zwar eine tolle Möglichkeit für ihn und seine Karriere, aber er hat mir mein Leben geklaut, und das würde ich ihm ewig übel nehmen.
Ich drehe mich zu der dunklen Stimme, die nach mir gerufen hat, und sehe eine Gruppe sitzen, die teilweise aus Leuten aus meiner Klasse besteht. Vor allem dieser Typ, der in der Klasse vor mir sitzt, fällt direkt auf.
Ben. Er grinst breit.
Seine kastanienbraunen Locken stehen in alle Richtungen ab. Er hat eine schiefe Nase mit Sommersprossen und ein Lächeln, das verboten werden sollte – ich bekomme eine Gänsehaut.
Die Mädchen der Gruppe stehen wahrscheinlich nur wegen ihm dort. Eine, ich glaube, sie heißt Lauren, steht eng an ihn gelehnt bei der Bank. Dabei sitzt noch Owen, er hat mir gestern das Schulgelände gezeigt. Er ist ein bisschen zu groß geraten, jedenfalls bewegt er sich so, als sei er gestern erst so lang geworden. Seine blonden Haare sind ordentlich frisiert, er ist sonnengebräunt und trägt eine von diesen weißen, gestreiften Sonnenbrillen, die gerade alle tragen.
Ich winke etwas verhalten rüber.
Ja, danke. Jetzt habe ich an Tag zwei schon einen Spitznamen. Meine roten Haare und Sommersprossen rufen ja auch danach.
»Komm rüber, wir haben noch Platz hier, und wir fressen keine Neuzugänge!« Owen rutscht von der Bank runter und macht mir Platz.
»Danke, nein! Meine Mama hat gesagt, ich darf nicht mit Fremden sprechen!« rufe ich grinsend zurück. Ich kann das gut, mich direkt unbeliebt machen, wenn ich keine Lust auf Kontakte habe. Ich habe mein Leben in New York und hier will ich nichts.
Ben springt von der Bank und schlendert in einer sehr selbstgefälligen Art und Weise auf mich zu. Er trägt ein weißes T-Shirt und eine ausgewaschene Jeans. Klischeehafter "Master of Disaster" und, wie ich innerhalb der nächsten paar Sekunden auch realisiere, der Mädchenschwarm der Schule.
Wenige Zentimeter vor mir bleibt er stehen und schaut zu mir runter, ich fühle mich plötzlich klein wie ein Zwerg.
»Ben Baker, 16, ich werde 17, meine Hobbys sind Schauspiel, Schwimmen und Musik hören. Meine Kumpel und ich hängen meistens auf dem Schulhof rum, machen nichts und warten, bis der Tag vorbei ist. Blutgruppe A und Sternzeichen irgendwas mit harten Hörnern und Humor.«
Er streckt mir lächelnd seine Hand entgegen, und dabei funkeln nicht nur seine Augen, die in Honig getränkt zu sein scheinen, sondern er zeigt auch eine Reihe perfekt weißer Zähne hinter diesen weich aussehenden, geschwungenen Lippen von denen ich einen Moment meine Augen nicht nehmen kann.
Weil ich just in diesem Moment vergessen habe, dass ich keine Kontakte schließen wollte, greife ich zu und erwidere seinen Handschlag, der unwillkürlich zu einer Gänsehaut auf meiner Haut führt. Wie weich und stark zu gleich dürfen Hände sein?
»So, damit bist du jetzt die Fremde, und ich lade dich herzlich ein, dich zu uns zu setzen.«
Verdammt. Macht der das immer so? Ich ziehe meinen Rucksack enger an mich und seufze genervt, während ich ihm folge. Er dreht sich lächelnd zu mir um, fährt sich mit einer Hand durch seine wilden Locken und lässt sich von Lauren in die Arme nehmen. Ganz klare "Aber das ist meiner"-Haltung. Keine Sorge, den nehme ich dir nicht weg.
Ich bleibe unschlüssig bei der Gruppe stehen und winke. »Hi!«
Ich werde herzlich begrüßt, und nach der Pause stelle ich fest, dass die Clique gar nicht so unsympathisch ist. Weder versuchen sie, die Coolsten auf dem Gelände zu sein, noch irgendwie anders hervorzustechen – sie hängen einfach nur gerne zusammen ab ohne Geltungsdrang oder -druck.
Lauren ist die aktuelle Freundin von Ben, das kann sich aber (soweit habe ich das herausgehört) jederzeit ändern, und die meisten Mädels hoffen, dass es bei ihnen etwas anderes, Besonderes ist.
Lauren nimmt weder die Schule noch Ben noch jemand anderen ernst, Hauptsache, es macht ihr Spaß. Owen ist wahrscheinlich der Zielstrebigste von allen. Er möchte irgendwann das Maklerbüro seines Vaters übernehmen und daraus eine Goldgrube machen.
Als ich ihnen erzählt habe, dass ich eines Tages Künstlerin werden möchte, hat sich Ben mein Skizzenbuch geschnappt, und ihm sind fast die Augen aus dem Kopf gefallen.
»Du musst mich malen, Füchschen! Sobald ich den Durchbruch in Hollywood habe, werde ich dich als meine persönliche Künstlerin einstellen, und überall sollen deine Gemälde von mir hängen!«
Ben stellt sich heroisch auf die Lehne der Bank und versucht, einen griechischen Gott nachzuahmen und ich komme nicht umhin ihn mir genauer anzusehen. Seine sommerbraunen Haut liegt perfekt über seinen Muskeln und Sehnen, die sich bei jeder Bewegung spielerisch bewegen. Er ist definiert und an seiner Körperhaltung erkennt man, dass er nicht nur einfach Sport macht sondern sehr auf seine Haltung achtet. Er schaut ernst theatralisch in die Ferne, seine dunklen Augenbrauen bilden eine kleine Falte zwischen sich. Alles ist definiert und schreit danach gezeichnet zu werden. Er steht den griechischen Göttern und Helden um nichts nach.
»Was soll ich denn da malen? Eine Kastanie mit Beinen?« Ich ziehe eine Augenbraue hoch und versuche, seinem Blick standzuhalten. Lauren hat meinen Blick gesehen und schmunzelt in sich hinein.
Ben fängt an zu lachen. »Aber bitte mit hübschen Beinen,« schmollt er spielerisch und lässt sich wieder neben Lauren fallen.
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