Kapitel 46
Ich weiß nicht, wann ich Ben wiedersehen werde.
Er und Steve sind am frühen Vormittag in den Mietwagen gestiegen und zum Flughafen gefahren, und zum ersten Mal seit ich gestern hier angekommen bin, bin ich mit meinen Gedanken allein.
Lasse mir die Gespräche noch einmal Revue passieren und sacke erschlagen auf der ausgeblichenen, grünen Couch in dem kleinen Wohnzimmer meiner Eltern zusammen.
Ich verstehe zwar nur ansatzweise, dass die Ehe von Ben und Isabel mehr ein Geschäft und ein Druckmittel gegenüber Ben ist als eine romantische Liebesheirat, aber vor allem wird mir gerade der Zusammenhang seiner Worte bewusst:
Trennt er sich nicht einvernehmlich von Isabel, wird sein Manager und Schwiegervater ihm seine Karriere zerstören. Er hat genug gegen ihn in der Hand, und Ben eine Menge Schulden bei ihm.
Es reicht nur eine Meldung über ihn und die minderjährige Isabel, und er wird nie wieder einen Fuß nach Hollywood setzen können.
Und ich wette, dass er nicht auf Unschuld plädieren wird und seine Anwälte kämpfen lässt, da er sich bis heute schuldig fühlt – nicht wie diese anderen Größen, die sich unmenschlich an jungen Schauspielerinnen vergingen, vor Gericht die Geschichte zu ihren Gunsten umgedreht haben und nun in Freiheit ihren Luxus genießen können.
Ich seufze und fahre mir mit meinen Händen durchs Gesicht.
Wenn Isabel nicht nachgibt, wird er alles verlieren ...
Wegen mir?
Für mich?
Für uns?
Will ich das?!
Meine Hände werden schwitzig, und in meiner Brust schnürt sich ein Knoten zusammen.
Seit ich Ben das erste Mal gesehen habe, konnte ich mir eine Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Wir waren Freunde, konnten stundenlang über alles reden. Wir haben uns unsere Träume und Geheimnisse anvertraut – und dennoch haben wir es nie geschafft, einander festzuhalten.
Immer wieder driften wir auseinander, so auch jetzt.
Ich spüre die kalte Hand der Angst, der falschen Hoffnung, sich in meine Gedanken graben.
Die Gedanken an die Oberfläche hebend, die ich, solange ich nicht allein bin, nicht höre – aber jetzt werden sie lauter.
Will ich, dass er seinen Traum für mich aufgibt?Will ich die Person sein, die Schuld ist, dass Roger ihn zerstört?
Schaffe ich es, diese Verantwortung zu tragen?
Meine Augen füllen sich mit Tränen, und die Umgebung verschwimmt.
Nur das leise Brummen der Spülmaschine und das Ticken der Uhr ist zu hören, während ich immer tiefer in die weichen Polster der Couch versinke und versuche, meine Gedanken in eine produktive Bahn zu lenken.
Mit kalten, klebrigen und zitternden Händen taste ich nach meinem Handy und wähle seine Nummer.
Es klingelt kaum, als seine warme, raue Stimme an mein Ohr dringt.
»Vermisst du mich schon?«
Natürlich! denke ich und sage es ihm auch.
Ich schließe seufzend meine Augen.
Es gab nie einen Moment in meinem Leben, in dem ich ihn nicht vermisst habe. Er war und wird immer ein Teil von mir sein.
»Ben? Was machst du, wenn sie dir alles nehmen?« flüstere ich in die monotone Stille des Wohnzimmers.
Ich höre das Auto durch die Landschaft fahren. Das Rauschen der Reifen auf nassem Asphalt, und ich höre die nachdenkliche Stille, die auf meine Frage folgt.
»Dann ist das so, Füchschen.«
Fast unsicher antwortet er mit einem fragenden Unterton.
»Und was ist, wenn das mit uns nichts wird? Dann hast du alles verloren, Ben ...«
»Hey! Mal langsam, wer sagt denn, dass das mit uns nichts wird?« knurrt er irritiert in den Hörer, und ich kann vor meinem inneren Auge fast sehen, wie er seine Augenbrauen zusammenzieht.
»Hör mal –« setzt er an.
»Ich will mich doch schon länger aus dieser Farce befreien, als dass wir uns wieder getroffen haben – erinnerst du dich noch an den Abend? Das war ja nicht mein erster Versuch.«
Die Worte sprudeln aus ihm heraus, als er mir versucht zu erklären, dass das mit mir nur die Kirsche auf dem Eis ist, dass ich mir keine Sorgen machen soll und er sicherlich nichts überstürzt.
»Nur ... solange das mit der Scheidung läuft, wird Roger mit Argusaugen darauf achten, dass da keine andere Frau eine Rolle spielt. Sollte der Betrug an Isabel nämlich rauskommen, dann habe ich gar keine Chance mehr, auf irgendeine Milde zu hoffen.« Die letzten Worte bringt er bitter lächelnd hervor.
Ich höre ihn seufzen und umfasse das Handy fester mit meinen schwitzigen, kalten Fingern.
Das Plastik des Telefons ächzt unter meinem Griff.
»Das habe ich schon verstanden ...« nuschele ich leise und ziehe meine Knie enger an mich heran, um meine Stirn dort abzulegen.
»Aber wie geht es dann weiter?«
Ich weiß, dass wir auch heute Morgen hätten reden können.
Aber da klang alles noch so logisch.
So einfach.
Während der frische Kaffee die Leichtigkeit der letzten Nacht unterstrichen hat, Steve und Lauren uns ineinander verhakt Frühstück brachten und sich alles wie ein ein »Dann machen wir das einfach so« angefühlt hat.
Und wie immer türmen sich die Fragen, die Sorge und die Skepsis erst in meinem Kopf und meinem Herzen auf, wenn es eigentlich schon beschlossene Sache ist.
»Dann beginnt unsere Zeit«, antwortet er ebenso leise, und vielleicht bilde ich es mir ein, aber eventuell höre ich auch eine Unsicherheit aus seiner Stimme heraus.
»Sollten wir der Öffentlichkeit nicht auch Zeit geben, das Ende eurer Ära auszuschlachten?« Ich räuspere mich, denn mein Mund ist inzwischen staubtrocken.
»Der Rotschopf hat recht, Bro«, höre ich Steves kräftige Stimme aus dem Hintergrund.
»Wenn ihr direkt danach einen auf Big Love und so macht ... nee, die schlachten dein Mädel aus und dich und Isabel und – shit, Alter! Denk doch mal nach, was im Netz abgeht, wenn sich irgendein Promi-Paar trennt. Uff. Das ist so sus.«
Ich höre Ben frustriert schnauben.
»Ich treffe mich morgen mit Paula«, sage ich in die aufgetretene Stille hinein, die wir eh nicht gelöst bekommen.
Ich meine, das Unglauben von der anderen Seite des Hörers zu fühlen.
»Du wirst diesen Wichser anzeigen?« fragen beide hoffnungsvoll, und ich nicke, bis mir auffällt, dass sie mich nicht sehen können.
»Ja ... naja. Also ich werde mir nachher erstmal alles von Lauren erklären lassen und dann mit Paula sprechen und dann mal gucken ...«
Ich schwanke immer zwischen den Momenten, in denen ich voller Mut bin, und mich danach dann doch wieder verkrieche, weil ich nicht weiß, ob ich bereit bin.
Aber wenn Ben es schafft, sich von seiner erzwungenen und toxischen Ehe zu Isabel zu lösen und diesen Teil seiner Vergangenheit hinter sich lässt, dann werde ich diesen Schritt ebenso wagen in der Hoffnung, dass wir beide uns dann losgelöst von alten Fesseln neu finden können.
»Ben?«
»Vianne?«
»Wirst du dann noch Schauspieler sein?«
Er atmet geräuschvoll aus.
»Ich weiß gar nicht, ob ich das noch will.«
Das 'Wieso', das mir auf der Zunge liegt, spare ich mir.
Schon seit Jahren hat Roger ihn als Mannequin neben seiner Tochter positioniert, statt ihn in dem zu fördern und fordern, was immer sein größter Traum war.
Und ohne Roger, und je nachdem, welche Strippen dieser zieht, wird er es wahrscheinlich nicht so leicht haben, wieder Fuß zu fassen.
Ich schlucke schwer, und hinter mir öffnet sich leise knarrend die Tür. Als ich mich umdrehe, sehe ich Lauren mit einer türkisen Klappkiste voller Zeitungen und Ordner im Türrahmen stehen und mich erwartungsvoll anstrahlen.
»Ich muss auflegen«, unterbreche ich die gedankenschwere Stille zwischen uns.
»Ich liebe dich, vergiss das nicht«, beendet Ben fast flüsternd unser Telefonat.
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