Kapitel 45
Zehn Minuten später steigen wir alle in den von Steve bestellten Uber und quetschen uns zu dritt auf die Rückbank.
Steve setzt sich neben den Fahrer und verwickelt ihn innerhalb kürzester Zeit in ein Gespräch über die radikalen Cannabis-Gesetze in Wisconsin und deren Sinnlosigkeit.
Auch wenn ein Teil von mir sich lieber mit Ben in meinem Zimmer eingesperrt hätte, freue ich mich auch darauf, Zeit mit Lauren zu verbringen – und Steve.
»Hast du eigentlich keine Angst, erkannt zu werden?« fragt Lauren Ben leise, der zwischen uns sitzt und meine Finger mit seinen verschlungen hält.
»Quatsch.« Er grinst leicht und legt seinen Kopf schief.
»Die Leute sehen nur das, was und wen sie sehen wollen. Niemand erwartet mich in diesem Kaff, nicht in eurer Begleitung und vor allem nicht...« Er macht eine dramaturgische Pause und eine gleitende Bewegung seiner freien Hand zur Präsentation seiner selbst. »...nicht in diesem Outfit.«
Und er hat recht.
Der Ben aus der Öffentlichkeit trägt zu jedem Anlass gut sitzende, elegante Anzüge oder mindestens teure Hemden und schicke Stoffhosen.
Heute trägt er legere Kleidung: Das schwarze Shirt hängt locker bis zu seinem Hosenbund, die abgetragene Bootcut-Jeans sitzt locker auf der Hüfte, und alte, durchgelaufene Red Wings schauen unter den umgeschlagenen Hosenbeinen hervor. Nichts erinnert an den Red-Carpet-Ben, der im Scheinwerferlicht an Isabels Seite glänzt.
»Ich bin einfach nur ein Typ, der mit seinen Freunden feiern geht. Und wenn mich doch jemand anspricht, werde ich so tun, als kenne ich diesen Schauspieler gar nicht«, schließt er ab und drückt sacht meine Hand. »Das hat schon öfter geklappt.«
Beim Aussteigen sehe ich noch, wie Steve dem Fahrer ein kleines Tütchen zuschiebt und lächelnd zwinkert. »Trinkgeld.«
Ich kann nur den Kopf schütteln und hoffen, dass der Surferboy weiß, was er da tut.
Die Schlange vorm IDOL ist lang, aber lange nicht so lang wie an den angesagten Clubs in New York.
Ich hake mich bei Ben und Lauren ein, während Steve sich eine Zigarette anzündet und langsam neben Lauren herläuft.
Als ich das letzte Mal in Stevens Point war, war das schmale Backsteingebäude noch eine Boutique gewesen mit großen Schaufenstern, in denen elegante Kleider hingen, und einer geschwungenen Glastür im Jugendstil.
Die Schaufenster wurden inzwischen durch geschwärztes Glas ausgetauscht und schwarze Metallgitter davor angebracht. Eine schwere schwarze Tür stellt den Eingang dar, vor dem ein prolliger Typ in schwarzer Kleidung den Einlass kontrolliert.
Das zierliche Schild der Boutique wurde durch vier leuchtend rote Buchstaben in klarer Schrift ausgetauscht, sodass sich das IDOL auch von weiter Ferne noch erkennen lässt.
Die oberen Fenster wurden mit roten Ziegelsteinen zugemauert, und nur der farbliche Unterschied lässt erahnen, dass hier einmal etwas anderes als eine einfache Wand war.
Jedes Mal, wenn die Tür sich öffnet, schallen gedämpfte Beats aus dem Inneren.
Als wir an der Reihe sind, werden wir ohne weitere Beachtung reingelassen. Sofort schlägt mir die Hitze und der Geruch von Parfüm, Kunstnebel, tanzenden Menschen und Alkohol entgegen und hüllt mich in ein altbekanntes Gefühl von Aufregung und Vorfreude ein, endlich wieder auf der Tanzfläche zu stehen und meine Sorgen davonzutanzen.
Wir quetschen uns den anderen Besuchern hinterher, um zur Garderobe zu gelangen, geben unsere Jacken und Mäntel ab und lassen uns vom feierwütigen Strom in das Herz des Clubs treiben.
Es ist dunkel, es ist heiß, und vor allem ist es voll. Nur schwer sind die Konturen der tanzenden Masse auszumachen, aber Steve hat innerhalb kürzester Zeit die Bar ins Visier genommen und steuert diese an – uns aneinander festhaltend folgen wir dem Hünen und bestellen uns nach einer kurzen Wartezeit die ersten Drinks.
Ich habe ganz vergessen, wie laut es in solchen Clubs sein kann, und Zeit miteinander zu verbringen, hat weniger mit witzigen Gesprächen als mit sich gegenseitig Anschreien, Nicken in der Hoffnung, sein Gegenüber richtig verstanden zu haben, und Tanzen zu tun. Ich setze meinen Gin Tonic an und hoffe, dass mich der Drink in dieser Sauna aus menschlicher Hitze erfrischt und den Abend erleichtert.
Es dauert nicht lange, und ich sehe aus den Augenwinkeln, wie sich Steves große Hände um Laurens schlanke Taille legen und sie sich von ihm auf die Tanzfläche schieben lässt, auf der sie in dem Gewühl der Körper eng aneinander geschmiegt verschwinden.
Ich schiele zu Ben hoch, der seine Mundwinkel ebenso amüsiert verzieht wie ich – und wenn Lauren noch ansatzweise so tickt wie früher, werden wir weder sie noch Steve bis morgen wiedersehen.
»Das war so klar«, frotzelt er und setzt die braune Bierflasche an die Lippen, nimmt einen tiefen Zug, ehe er sich zu mir dreht und seinen freien Arm um mich legt.
»Dann waren es nur noch zwei.« murmelt er, und auch wenn es schummerig ist, erkenne ich in seinen Augen den Schalk aufblitzen.
Eine Wolke nervöser Schmetterlinge erhebt sich in mir und flattert aufgeregt um mein Herz. Es ist das erste Mal, seit Ben und ich wieder aufeinandergetroffen sind, dass wir alleine in der Öffentlichkeit sind. So richtig.
Kein heimliches Treffen bei mir zu Hause oder in einem Hotel.
Sondern er und ich – unter Menschen.
Auch er scheint es zu realisieren, zieht mich an seinen warmen Körper, beginnt sich langsam zur Musik zu bewegen und legt seine Lippen an mein Ohr. »Trink aus, ich will mit dir tanzen.« Seine tiefe Stimme dringt an mein Ohr, und ich muss mich zurückhalten, mein Getränk nicht in einem Zug herunterzuschütten.
Der dunkle, langsame Technobeat schwerer Bässe, der durch den Club wabert, findet Platz in unseren Beinen, und Ben bewegt uns in sanften, gleitenden Bewegungen auf die volle Tanzfläche, nachdem wir unsere Getränke geleert haben.
Seine Arme legen sich enger um meine Hüfte, und seine Hände finden ihren Platz oberhalb meines Hinterns. Die Schmetterlinge in mir haben sich inzwischen zu einem sagenhaften Tornado zusammengefunden und fliegen wild durch meine Adern – füllen mich bis ans letzte Nervenende aus.
Ich spüre seinen Herzschlag an meinem, als ich mich näher an ihn schmiege, seine Nähe mehr wahrnehme als die Menschen um uns herum.
Sein Duft nach Wald und Sommer, der so präsent ist, dass mir schwindelig wird.
Sein warmer Atem auf meinem Scheitel.
Sanfte Küsse, die sich an meiner Schläfe verirren.
Wir finden schnell einen gemeinsamen Rhythmus. Bewegen unsere Körper aneinander im Takt des schwerfälligen Sets des DJs, dessen Klänge einem das Gefühl von schwerem Stoff und nackter Haut an Haut geben – ein Beat, der einem schon beim Zuhören Schweißperlen auf die Stirn treibt und jegliches Gefühl in die unteren Regionen des Körpers leitet. Und auch ich kann mich schwer davon freisprechen.
Schon allein, wenn Bens starke Hände über meinen Rücken gleiten, sich in meinen Hintern festkrallen und er mich mit einem Brummen, das tief aus seiner Brust zu kommen scheint, an seinen Unterleib drückt.
Ich kann mir ein Keuchen kaum verkneifen, schmiege meinen Kopf an seinen Hals und kämpfe gegen die Versuchung an, mich mit ihm in die nächste dunkle Ecke zu verkriechen. Dafür genieße ich diesen Ausflug in dieses »So könnte es sein« viel zu sehr mit ihm.
Wir verweilen ewig auf der Tanzfläche, die sich in Wellen immer wieder füllt oder leert – als würde sie ihren eigenen Gezeiten folgen. Die Menschen um uns herum geben sich völlig der Musik oder ihren Partnern hin.
Gespräche über Nichtigkeiten, die aber in diesem Moment alles für uns bedeuten.
Sanfte Küsse.
Zärtliche Berührungen.
Tiefe Liebesgeständnisse.
Auch im Uber auf dem Weg zurück nach Hause können wir kaum voneinander ablassen.
Seine Hände, die sich unter meine Jacke verirren.
Mein Mund, der sanft an seiner vollen Unterlippe saugt.
Sein hungriges Knurren nach mehr.
Lautlos schleichen wir Hand in Hand die Stufen in mein altes Kinderzimmer, das vom Mond hell erleuchtet vor uns liegt. Mit einem leisen Klicken schließe ich die Tür hinter uns ab, ehe seine kräftigen Arme nach mir greifen und mich mit einer fließenden Bewegung von meinem Kleid befreien.
Mit einem leisen Kichern schmiege ich mich an ihn, entledige ihn ebenfalls von seiner Kleidung, und wir fallen mit einem Rascheln in das weiche Bett meiner Kindheit und Jugend. Wir schieben uns unter die Decke, vergraben uns zwischen den Kissen und den dicken Stoffen.
Klammern unsere nackten, noch von der Tanzfläche verschwitzten Körper aneinander und versuchen, keinen Laut von uns zu geben, als er mit seiner vollständigen Härte in mich stößt, bis wir uns völlig ineinander verlieren und vor Erschöpfung, noch miteinander verbunden, in tiefen Schlaf fallen.
Ohne einen Gedanken an morgen zu verschwenden.
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