Kapitel 43
Die Matratze meines Bettes senkt sich, und ich schrecke aus einem traumlosen Schlaf.
Kaum hatte ich mich hingelegt, riss die Müdigkeit der letzten Tage mich in die Tiefe. Keine Zeit zum Verarbeiten, zum Begreifen. Mein Körper wollte den Schlaf und hat ihn sich ohne Kompromiss geholt.
Flimmernd öffne ich bei der sich absenkenden Bewegung unter meinem Körper die Augen – anscheinend habe ich den ganzen Mittag verschlafen, denn die einsetzende Dämmerung taucht mein Zimmer in ein düsteres Zwielicht. Der Geruch von Essen flutet durch den Spalt der leicht geöffneten Tür und leise Gespräche und sanftes Gelächter dringt an meine Ohren.
Es braucht ein paar Momente, ehe ich realisiere, wo ich mich befinde, und noch ein paar Wimpernschläge, bevor mein Körper sich entscheidet, unter die Lebenden zurückzukommen.
Sanft streichen warme Fingerspitzen meine Haare aus dem Gesicht, und als ich meine Augen vollständig öffne, erkenne ich Ben auf der Bettkante sitzen und mich beobachten.
Mein Herz setzt einen Schlag aus, bevor es sich stolpernd beschleunigt.
»Hey, na du?« wispert er mit tiefer Stimme in die sich nähernde Dunkelheit, und ein schiefes Grinsen ziert seine Lippen.
Ich erwidere sein Lächeln, meine Stimme ist noch vom Schlaf belegt, als ich versuche zu antworten.
Die Gedanken in meinem Kopf sortieren sich.
Ben, der nach meinem Ultimatum, ohne ein Wort zu sagen, in unsere alte Heimat geflogen ist, um seine Wut an Owen auszulassen – nicht, dass ich es Owen nicht gönne – aber die Reaktion überrascht mich immer noch.
Und dann ist da die unglückliche Verbindung mit Isabel. Diese Ehe, die nicht sein hätte dürfen, so wie dieses Leben, für das er sich entschieden hat – wenn auch nicht ganz freiwillig.
Ich seufze und richte mich langsam auf.
Er umfasst vorsichtig mein Kinn mit seiner kräftigen Hand, streichelt sanft mit dem Daumen über meine Kieferlinie. Ein leichter Schauer durchfährt mich bei dieser Berührung und seiner Wärme, die sich auf mich überträgt.
Er beobachtet mich, sein Blick gleitet über mein Gesicht, dann schließt er für einen kurzen Moment seine Augen, verschließt sie kurz vor mir, bevor er sie wieder öffnet und sich das goldene Funkeln seiner honigbraunen Augen in meine bohrt.
»Ich habe mit Steve gesprochen«, räuspert er sich, lässt mein Kinn los und fährt sich mit seinen Händen durch seine unsortierten Haare. »Ich glaube, wir haben eine Lösung gefunden.«
»Oh!« hauche ich, setze mich nun vollständig neben ihn auf die Bettkante.
Unsere Oberschenkel berühren sich. Ihn wieder so nah bei mir zu wissen, beruhigt die innere Unruhe, die sich die letzten Monate immer wieder aufgetürmt hat, wenn er nicht bei mir war und ich im Ungewissen über uns geblieben bin.
»Inwiefern?« Ich versuche beiläufig zu klingen, obwohl mein Herzschlag sich weiter beschleunigt.
Ich wünschte, ich wüsste, wie die Dynamik zwischen Steve und Ben ist. Ich kannte ihn nicht mal 24 Stunden und bisher habe ich ihm gegenüber eher das Gefühl, Mittel zum Zweck gewesen zu sein, Ben zu finden – er wird Ben wohl nicht davon überzeugen, sich für mich von Isabel zu trennen, wenn es heißt, dass Ben fast all sein Vermögen und seinen Ruf verliert und somit auch er einen sicheren Arbeitsplatz und seine Vorteile.
Wobei? Hatte er nicht erwähnt, dass er schon längst weitergezogen wäre, hätte er nicht diese andauernde Sorge um Ben?
Meine Hände liegen, sich knetend, in meinem Schoß, und ich beobachte Bens Mimik, während er zu einer Antwort ansetzt und dabei schwer ausatmet.
»Ich werde die Scheidung durchziehen.« Die Worte schweben im Raum, und ehe ich reagieren kann, fährt er mit einem entschuldigenden Lächeln fort, so als würde die nachfolgende Information weder ihn noch mich erfreuen.
»Ich weiß nicht, auf welche Art und Weise... ob ein normales Gespräch mit Isabel und Roger alles wie durch ein Wunder regelt oder ob Roger auf die Tilgung der Schulden bis zum letzten Krümel besteht. Und Isabel?« Wieder seufzt er.
»Sie ist so berechenbar wie ein Kompass im Bermuda-Dreieck, und Roger würde alles tun, um ihre Nadel einzunorden... selbst das Bermuda-Dreieck trockenlegen.«
Meine Mundwinkel zucken unwillkürlich nach oben.
Unbeholfen, was die richtige Reaktion auf die Eröffnung ist, beginne ich, an meinen Fingerspitzen zu knibbeln.
Soll ich ihn beglückwünschen? Wünscht man viel Erfolg oder Bedauern?
Am liebsten würde ich ihn wohl an mich ziehen, ihm sagen, wie froh ich darüber bin, dass er sich dieser Sache stellen will. Dass ich für ihn da bin und mit ihm die Erleichterung teilen, dass wir uns nicht mehr verstecken müssen.
Aber ein Blick in seine Augen lässt mich keine passenden Worte finden.
Bedauern ist in ihnen zu lesen, aber er wendet sich nicht von mir ab, eher sucht er selbst nach einer Möglichkeit, weiterzusprechen und in mir seinen Anker – ich lasse ihm den Raum.
»Ich darf den beiden keine Angriffsfläche bieten.« Seine Mine verzieht sich vor Bedauern, und noch ist mir nicht klar, was er damit meint.
Fragend lege ich meinen Kopf schief.
Immer nervöser zupfe ich mit meinen Fingerspitzen an meinen Nägeln, bevor sich seine Hände um meine schließen und er seine Stirn an meine lehnt.
»Ich will, dass das mit dir... mit uns... eine echte Chance hat.« flüstert er mir zu, und sein Atem streicht über meine Wange.
»Eine echte und saubere Chance«, fügt er hinzu.
»Füchschen... Diese Chance haben wir nicht, wenn unsere Beziehung vor der Scheidung irgendwo publik wird.« Seine Hände umfassen meine noch fester, als suche er selbst einen Halt.
»Sie würden sich auf die stürzen. Die Presse, Isabel und Roger... Du wärst für immer die andere Frau.«
Es ergibt Sinn, aber dennoch wird mir kalt ums Herz als ich begreife, was er versucht mir zu sagen.
Wir müssten weiterhin Versteck spielen, solange bis die Scheidung durch ist...
Meine Lippen öffnen sich, ich will mich dazu äußern, aber Ben schüttelt nur den Kopf.
»Hör mir zu... bitte.«
Seine Stimme ist nur noch ein dunkles Wispern im Zwielicht meines Zimmers.
Ein sanftes Raunen, aber das, was er mir eröffnet, ertönt in meinem Herzen wie das schrille Bremsen eines Zuges auf alten Gleisen.
»Es wäre klüger, wenn wir uns in dieser Zeit voneinander fernhalten.« Aus seinem sanften Raunen wird ein schwerfälliges Beben, als wäre es auch eine Qual für ihn, diese Worte auszusprechen, während sich in meinem Kopf ein dumpfer Nebel ausbreitet und jegliche Gefühle versucht zu unterdrücken.
Ich höre, was er sagt, dennoch blicke ich verständnislos in sein Gesicht, das inzwischen vollständig im Schatten liegt.
Seine Hände umfassen meine Wangen, und mit seinen warmen, bebenden Lippen streift er über meine Wange.
»Hör mir zu, Vianne.« Bricht seine Stimme fast tonlos.
»Es ist die einzige Möglichkeit, die Steve und ich sehen...« Schweigen, während mein Herz nicht weiß, ob es stehen bleiben oder weiter stolpern soll.
»Ich werde das mit Isabel beenden. Roger wird mich zermalmen, bis nur noch ein Sandkorn übrig ist – aber ich will nicht, dass sie dich in die Finger bekommen. Dass das, was wir haben, in den Dreck gezogen wird...« Seine Stimme wird kräftiger.
»Ich sehne mich nicht all die Jahre nach dir, um dich wie durch Fügung wiederzufinden, damit sie das mit uns wieder zerstören...«
Seine Hände gleiten in meinen Nacken.
»Ich will dich, Füchschen. Und zwar schon immer, und ich will dich überall offiziell vorstellen, als das Mädchen aus meiner Jugend, die mir den Kopf verdreht hat, ohne es zu ahnen.
Ich will nicht, dass dich irgendjemand als die Frau sieht, mit der ich Isabel betrogen habe – ich will, dass sie dich als die Frau sehen, die du schon immer für mich gewesen bist:
Die Frau, die ich mit jeder Faser meines Seins liebe.«
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