Kapitel 39
Es vergeht eine Weile in der Stille des Zimmers, ehe ich mich langsam erhebe, mich neben Ben an das Fenster stelle und meine Hand sanft auf seinen Oberarm lege.
Ich spüre, wie er leicht unter meiner Berührung erschaudert, seine Augen schließt und tief einatmet, als hätte er nicht mehr damit gerechnet, dass ich mich ihm zuwende oder ihm Verständnis entgegenbringe.
Wahrscheinlich aus dem Grund, weil er sich selbst noch immer nicht verziehen hat, aber diese Bürde werde ich ihm nicht abnehmen können, und er muss für sich selbst einen Weg finden, mit seinen Entscheidungen Frieden zu schließen.
Dennoch lächle ich ihm aufmunternd entgegen, will ihm vermitteln, dass ich für ihn da bin und er nicht alleine ist.
»Man hätte dich nicht unbeaufsichtigt nach L.A. lassen dürfen... War ja klar, dass da nur Mist bei rumkommt.« Murmle ich leise, aber mit einem Schmunzeln auf den Lippen.
Mit hochgezogenen Augenbrauen dreht er seinen Kopf zu mir und schaut belustigt, aber auch skeptisch zu mir runter, bevor ein Schnauben seine Kehle verlässt, das wohl ein Lachen darstellen soll.
»Ja. Wahrscheinlich«, antwortet er und legt seine Hand auf meine, umfasst sie und verzieht seinen Mund zu einem schiefen Grinsen.
»Die Dramatik ist...«, holt er seufzend Luft, »am Ende habe ich mehr aufgegeben, als ich bekommen habe.«
Während er spricht, dreht er sich zu mir und legt seine freie Hand an meine Wange, fährt mit seinem Daumen über meine Unterlippe und fixiert mit seinen leuchtend braunen Augen meinen Blick.
»Hätte ich gewusst, welchen Preis ich gezahlt habe...«, seine Stimme bricht.
Er lässt meinen Blick nicht los, als er sich langsam zu mir herunterneigt. Ich spüre seinen Atem nahe an meinem Gesicht über meine Lippen streichen, sein sanfter Duft nach Wald und Sommernächten umhüllt mich wie ein Kokon, und unsere Münder schweben übereinander, nur einen Wimpernschlag davon entfernt, aufeinanderzutreffen. Ich schlucke und spüre mein Herz in meiner Brust lospoltern.
»Ich wäre nicht gegangen«, haucht er schwach und presst seine vollen Lippen auf meine, schiebt seine Hand über meine Wange in meinen Nacken, vergräbt seine Finger in meinen Haaren und zieht mich näher an sich.
Haltsuchend umfasse ich mit meinen Fingern seine andere Hand und will mich seinem Kuss hingeben, ihm – uns – damit versichern, dass wir irgendwie aus dieser Situation herauskommen werden, als er scharf zusammenzuckt und das Gesicht leicht vor Schmerzen verzieht.
Ich schrecke zurück und schaue erst ihn, dann seine Hand an, die ich mit meiner halte.
»Deine Hand...«, wispre ich und trete einen Schritt zurück, um mir im Licht des Fensters die Blessuren genauer anzusehen. »Was ist passiert?«, frage ich unvermittelt, hoffe nun eine Antwort zu erhalten und mustere ihn, als er seinen Blick mit zusammengepresstem Kiefer von mir abwendet.
Er antwortet nicht, sondern schaut wieder auf die Straße, löst seine Hand aus meinem Nacken, was mir ein Frösteln beschert, und schiebt sich die kastanienbraunen Locken, die ihm in die Stirn hingen, zurück.
Eine leise Ahnung breitet sich in mir aus, nimmt als Vermutung in meinem Kopf Formen an. Ich lege meinen Kopf schief, um seinen Blick zu fangen, dem er mir weiterhin ausweicht.
»Ben?...«
»Ben, wieso bist du hier, und wieso bist du bei meinen Eltern?«, stoße ich nun fordernder heraus und lege meine Hände auf seine Schultern, um seine Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Aber er brummt nur unzufrieden, stößt sich von der Wand, an der er gelehnt hat, ab und entfernt sich mit großen Schritten von mir, durchwühlt seufzend seine Haare und schaut sich etwas orientierungslos im Gästezimmer um.
»Ach, fuck«, knirscht er und setzt sich wieder auf die Kante vom Bett, seine Hände betrachtend.
Ich folge ihm und hocke mich vor ihn, greife nach seinen Händen und betrachte die roten Schürfwunden, die noch sehr frisch wirken, und fahre vorsichtig mit meinen Fingerspitzen über die wunde Haut.
»Ach, fuck, was?!« Ich ziehe meine Augenbrauen in die Höhe. »Jetzt sag schon! Die Geschichte von Isabel und dir hättest du mir auch woanders erzählen können – wieso sitzen wir in meinem Elternhaus?«
Wieso bin ich in der Stadt, in der ich gebrochen wurde? Denn jetzt, wo ich weiß, dass Ben tatsächlich hier ist und es ihm soweit gut geht, spüre ich die alten Erinnerungen sich langsam über meine Wirbelsäule in mein Gehirn fressen.
Kalt und schwarz breitet sich das Gefühl in mir aus, fliehen zu wollen.
Hier weg zu müssen.
Wenn dieser verdammte Ausflug nach Hause nur dazu diente, mit mir ins Gespräch zu kommen, dann hat Ben nicht verstanden, wie sehr ich an diesem Ort gelitten habe und am Ende keine Hilfe erwarten konnte.
Eine hilflose, nicht greifbare Wut breitet sich in mir aus, quälend langsam setzt sie sich in meiner Brust fest. Ich starre ihn an und erwarte eine Antwort, mit der ich arbeiten kann.
»Wenn ich keine Antwort bekomme, Ben ... ich schwöre dir, ich fliege noch heute zurück nach New York. Mit oder ohne dich«, presse ich kontrolliert zwischen meinen Lippen hervor und funkle ihn herausfordernd an.
Ich muss hier weg.
Ben reibt sich mit seinen Händen durch das Gesicht. Er tut sich schwer, mit mir zu sprechen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass er der Meinung ist, mir heute schon genug erzählt zu haben, oder weil er nicht weiß, wie.
Ich mache es ihm einfach und stehe ohne weitere Umschweife auf, um den Raum wieder zu verlassen. Dieser Ort raubt mir die Luft zum Atmen.
Unvermittelt schließen sich seine warmen Finger um mein Handgelenk, und mit festem Blick bittet er mich zu bleiben. Seine Mundwinkel zucken entschuldigend.
»Ich musste ...«, er räuspert sich, »ich hatte schon vor einiger Zeit meinen Assistenten gebeten, eine Adresse herauszufinden...und weitere Sachen.«
»Owens Adresse. Ich weiß«, bringe ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ben steht auf, zieht mich näher zu sich und umfasst mit seinen Händen mein Gesicht, während er forschend in meine Augen blickt und sich sein Blick verdüstert. Er nickt.
»Nicht nur deine Nachricht hat mich an dem Tag aus der Bahn geworfen. Noch im Auto auf dem Weg zurück trafen Mails ein – Zeitungsartikel, die Steve mir weitergeleitet hat...« Er löst sich nicht von mir, streichelt mit seinem Daumen meine Wangen und atmet tief ein.
»Füchschen... du hast mir gesagt, ich soll das Thema ruhen lassen.« Er leckt sich über seine Lippen, ehe er weiterspricht.
»...Aber wie konnte ich, mit dem Wissen, was dieser Bastard dir angetan hat?«
Meine Augen verziehen sich zu Schlitzen, und ich öffne meinen Mund um ihn zurechtzuweisen, wie er mich so übergehen konnte. Aber er deutet mir mit einem Kopfschütteln an, erst einmal nichts zu sagen, zieht sein Handy aus seiner Hosentasche und öffnet einen Artikel.
Auf dem Foto ist eine junge Frau zu sehen. Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen, als ich das Gesicht erkenne:
Sie war damals Owens Praktikantin.
Das Mädchen, mit dem er mich damals betrogen hat. Meine Kehle schnürt sich zu, und mein Blick verschwimmt.
Ben dreht das Handy zu mir, und obwohl ich zurückweichen will, zwinge ich mich den Bericht zu lesen:
Stadtrat Owen Cooper unter Beschuss
Paula M. (31) erhebt schwere Vorwürfe gegen Stadtrat Owen Cooper (34). Sie beschuldigt ihn mehrfacher sexueller Übergriffe und Gewalt. Laut der jungen Frau habe sich ihre zunächst einvernehmliche Beziehung schnell in eine gewaltgeprägte Dynamik verwandelt.
Cooper weist die Anschuldigungen entschieden zurück und spricht von einer „gezielten Hetzkampagne". Er betont, glücklich verheiratet zu sein, ein harmonisches Familienleben mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zu führen und niemals einer Frau geschadet zu haben.
Frauen, die ähnliche Vorwürfe erhoben, zogen ihre Aussagen zurück und gaben an, von Paula M. beeinflusst worden zu sein. Die Debatte um die Glaubwürdigkeit der Vorwürfe und die Rolle des Stadtrats gewinnt an Brisanz.
Die Anwältin von Paula M. sucht weiterhin nach Zeugen oder Betroffenen, um die Vorwürfe zu untermauern.
***
» Und weiter geht's.
» Seid ihr eigentlich schon im Weihnachtsmodus?
♥️
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