Kapitel 07
»Alles okay bei dir?« Ben steht schneller neben mir, als mir lieb ist. »Du zitterst ja total!«
Er realisiert erst jetzt, dass ich keine Schuhe trage, setzt sich im Schneidersitz vor mich und nimmt meine kalten Füße in die Hand, um sie warm zu massieren.
Im ersten Augenblick wollte ich sie wegziehen. Aber Ben ist nun mal Ben und schafft es jedes Mal, mir unangenehme Situationen in etwas völlig Normales zu verwandeln.
Tatsächlich habe ich kalte Füße. Mein Zittern hat aber einen anderen Ursprung.
‚Posttraumatische Belastungsstörung' nannte meine Therapeutin es. Und auch wenn ich inzwischen gut durch den Alltag komme, hilft Verdrängung immer noch am besten. Bisher hatte ich auch eine selbstgewählte Ruhe vor Owen.
Und heute über ihn zu reden, als sei er noch der Kumpel von damals, nimmt mir auf vielen Ebenen die Luft.
Atme, Vianne.
Es ist acht Jahre her. Du stehst drüber.
Du lebst.
Ben massiert weiter meine Füße, während ich gedankenverloren an meinem Wein nippe.
»Wie meinst du das mit Owen?« fragt Ben, und inzwischen ist aus dem Massieren ein sanftes Streicheln geworden.
Ich zucke die Schultern, und als Antwort krampft sich mein Magen zusammen. Wieso konnte ich nicht den Mund halten?
Ben beobachtet mich, hebt seinen Becher mit Wein und nimmt noch einen Schluck.
»Der Abend ist jung, die Flaschen noch voll und wir sind in deiner Galerie gefangen, während draußen ein Hurrikan tobt. Ist es nicht der perfekte Moment und Ort, sich einmal so richtig auszuquatschen?«
Ben fährt sanft mit seinen Fingerspitzen über meinen Fußrücken, und ich versuche mich anzustrengen, das nicht zu genießen.
»Ich meine, Vianne! Wie zufällig kann ein Moment sein? Wir treffen uns genau heute in New York an einem von Tausenden von Taxiständen mitten in einem Unwetter, das alles lahmlegt, und sind gefangen in einer alten Bibliothek.« Ben raunt es zwar gespielt mysteriös, aber ganz unrecht hat er nicht.
»Wenn wir uns mit dem Wein und dem Tequila den Kopf wegschießen, erinnern wir uns morgen vielleicht noch nicht einmal dran. Dann ist es weniger peinlich.« Lache ich und hebe zur Verdeutlichung meinen Weinbecher.
»Mit Vergesslichkeit bei Tequila hast du ja so deine Erfahrungen.« Lacht Ben amüsiert und zwickt vorsichtig meinen Fuß, um danach seine Hände um meine Knöchel gleiten zu lassen. Ich glaube sogar, er realisiert gar nicht, was er da tut, aber was er tut, ist höchst gefährlich.
Ich schaue ihn fragend an, da ich wirklich keine Ahnung habe, was er meint.
»Der Abend vor dem Schulabschluss? Du, ich, der Parkplatz? Vianne! Ich dachte immer, du hast absichtlich nie was gesagt!« Er zieht seine Augenbrauen hoch.
Ich starre Ben an und habe wirklich keine Ahnung, wovon er spricht. Wir haben getrunken, getanzt und irgendwann bin ich wohl nach Hause – ich bin in meinem Bett aufgewacht.
»Du hast mich angefleht, dich auf der Stelle zu vernaschen!« Ben lacht, und ich werfe den Deckel vom Wein nach ihm. »Niemals! Wieso sollte ich sowas tun?!« Ich werde rot, und aus meiner Brust quält sich ein verschämtes Lachen.
»Angeblich, weil du mich liebst.«
Stille.
Das Gebäude knarzt.
Atme, Vianne.
»Du hast gesagt, du liebst mich, und ich soll dich anfassen.« Sein Lächeln ist mehr als anzüglich.
Ich starre ihn fassungslos an und hoffe inständig, dass er das nicht getan hat.
»Ach, Teenies sagen viel, wenn sie trinken.« Winke ich ab, unterdrücke meine aufkommende Nervosität und fülle meinen Weinbecher nach.
»Genau deshalb habe ich dich umgehend zu Hause abgeliefert, dich in dein Bett gebracht und bin sofort gegangen.« Seine warmen Finger brennen sich auf die Haut an meinen Fußknöcheln, die er immer noch hypnotisierend gut streichelt.
Ich atme erleichtert aus. Aber warum eigentlich?
Ben hat sich zwar nie eine Gelegenheit entgehen lassen, willige Mädels flachzulegen, aber er hätte nie meinen Zustand ausgenutzt.
»Und du glaubst gar nicht, wie schwer es war, für einen jungen, betrunkenen Kerl wie mich, dein Angebot nicht einfach anzunehmen.« Schmollt er.
Seine Hände bewegen sich über meine Schienbeine. Ich sollte meine Beine wegziehen, aber ich bin wie versteinert und trinke weiter kleine Schlucke von meinem Wein.
Es vibriert leise. Er räuspert sich und plötzlich sind seine Hände verschwunden. Er hält sein Handy in der Hand, tippt eine Nachricht, und ich beginne zu frieren.
»Entschuldigung, das war nur Steve, mein Assistent. Hab ihm gesagt, ich bin in Sicherheit und keiner muss sich Sorgen um mich machen.« Ben schaltet sein Handy auf lautlos und schiebt es weg.
Wie automatisch liegen Bens Hände wieder auf meinen Knöcheln.
Ich schaffe es nicht, ihm zu sagen, dass ich es damals ernst gemeint habe, auch wenn ich mich nicht daran erinnere. Denn es würde nichts daran ändern, dass wir nun hier in unseren eigenen verkorksten Leben sitzen.
»Musst du deiner Frau nicht Bescheid geben?« Mein inneres Ich verdreht die Augen. Das geht mich überhaupt nichts an, und wieso frage ich überhaupt?
Ben lächelt gequält.
»Ich glaub, ich will ihr gar nicht Bescheid geben. Sie hat vor ungefähr zwei Stunden die Scheidungspapiere zugesendet bekommen. Das bleibt aber unter uns. Da soll es noch eine offizielle Erklärung zu geben.«
Meine Augen weiten sich. Isabel und Ben. Das Hollywood-Traumpaar mit der gigantischen Hochzeit auf Hawaii, diesen endlos verliebten Auftritten auf den roten Teppichen der Welt, ihrer Mini-Serie auf Netflix und diesem Traumhaus in Hollywood lassen sich scheiden?
Ich möchte mich entschuldigen, neben meiner seriösen Art der Bibliothekarin und Künstlerin verfalle ich Gossip wie Fruchtfliegen verfaultem Obst.
Wenn ich nach Hause komme, schlüpfe ich in meinen Pyjama, schiebe mir eine Pizza in die Mikrowelle und schaue Promi-Flash wie eine Süchtige. Einmal rauskommen aus dem Alltag.
»Oh, das tut mir leid. Ich dachte, ihr seid unzertrennlich.« Sage ich noch höflich, und meine Finger fahren die Muster im Teppich unter uns nach.
Ben trinkt seinen Becher mit einem großen Schluck leer und hält ihn mir zum Nachschenken hin.
»Es ist schon gut so. Ich glaube, ein echtes Paar waren wir nur ein paar Monate. Dann haben wir herausgefunden, dass ich es liebte, nicht alleine auf dem roten Teppich zu stehen, und es mir mehr Ruhe zum Arbeiten gab anstatt mich mit der Frauenwelt in Hollywood auseinandersetzen zu müssen und sie liebte den Prestige und die Follower, die ich mitbrachte. Es hat gut funktioniert, solange es gut funktioniert hat.«
Während er erzählt, fülle ich seinen Becher nach, und draußen hört man das Gewitter so laut grummeln, als würde die Welt untergehen.
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