Giuseppe Pignatellis Tagebuch
Das ist das Tagebuch von Elenas Grossvater, Giuseppe Pignatelli (*1921, †1980)
20. Juli 1951
Heute feiere ich meinen dreissigsten Geburtstag. Als Geschenk hat mein Vater mir eröffnet, wie wir unser Geld verdienen und wozu genau unsere Tankstelle dient. Es bereitet mir noch etwas Mühe zu akzeptieren ein Uomo d'Onore zu sein. Obwohl ich solches schon lange vermutete, ist es heute Tatsache geworden. Ich darf zum Geburtstag Ferien auf Sizilien machen.
10. August 1951
Palermo ist eine grossartige Stadt. Ich habe schon Freunde gewonnen und ein Mädchen kennengelernt. Sie heisst Maria, ist intelligent und schön zugleich. Ich müsste verrückt sein, sie nicht vom Platz weg zu heiraten.
2. September 1952
Heute ist der schönste Tag in meinem Leben. Ich habe Maria Caruso zu meiner Frau genommen. Ich bin so überglücklich.
7. Mai 1953
Unser Sohn erblickt die Welt. Maria und ich sind überglücklich. Wir nennen ihn Enzo.
29. Juli 1959
Ich konnte auf einem Kongress den nur wenige Jahre jüngeren Argentinier Alejandro De Tomaso kennenlernen. Er hat in diesem Jahr in Modena eine Autofabrik für teure Luxussportwagen eröffnet. Neben Ferrari, Maserati und Lamborghini nun schon der vierte, wenn das mal gut geht. Auf jeden Fall werde ich seine Fahrzeuge beobachten.
2. März 1960
Mein Vater hat sich von einer Filmschauspielerin einen pinkfarbenen Mercedes 300SL gekauft. Jetzt zweifle ich erstmals an seinem guten Geschmack. Der Wagen jedoch ist toll. Wahrscheinlich werde ich ihn aber irgendwann wieder in silbrig haben wollen.
2. Juni 1961
Mein Vater hat uns in Nardò ein Grundstück gekauft. Die Villa Pineta ist ein altes Landgut mit grossem Olivenhain und einer Scheune. Es ist ein tolles Grundstück. Wir freuen uns auf die Zukunft, denn unser Sohn kann auf dem Land aufwachsen. Obwohl die Menschen uns schon lange "Di Copertino" nennen, fühlen wir uns wohl hier.
4. April 1962
Mein Vater macht auf Bauer. Heute hat er sich tatsächlich so ein Ape Pentaro gekauft. Wenn er sich nur mal nicht den Hals bricht damit! Vater drängt mich, hier zwei grosse Hallen zu bauen. Er möchte einige Fahrzeuge von Alberobello hierher holen, ich habe keine Ahnung, worum es geht, aber mir gefällt die Idee, denn ich liebe Autos.
2. Juli 1963
Alberobello. Jetzt weiss ich, um was es geht. Ich habe die Stollen mit Maria besucht. Wir sind überwältigt. Wir haben Bonnie & Clyde gespielt, wie die jungen Verliebten.
5. Mai 1965
Wir haben einen Filmstar gekauft. Mein Vater konnte nicht widerstehen. Nun steht der Aston Martin DB5 aus dem James Bond Film Goldfinger irgendwo, wo Vater mir nicht sagen will. Die Hallen bei der Villa Pineta wären zu klein für alle Fahrzeuge, sagt er. Mein Vater hat einen neuen Plan. Er ist schon ein sturer alter Mann.
13. Mai 1971
Heute hat mich mein Vater mit einem fabrikneuen Citroën überrascht. Der goldfarbene Wagen sieht recht futuristisch aus. Robert Opron hat ein sehr elegantes Sportcoupé der Oberklasse geschaffen. Er nennt es SM. Der Wagen hat einen Sechszylinder Motor von Maserati.
16. August 1971
Alejandro De Tomaso hat sich gemeldet. Seiner Fabrik geht es nicht so gut, die Italiener lieben die grossen Motoren nach amerikanischer Art nicht. Ich helfe ihm und kaufe ihm drei Wagen ab. Einen roten Vallelunga von 1963, einen orangen Mangusta von 1966 und einen neuen Pantera Vigniale in Silber.
12.Februar 1972
Als einer der ersten konnte ich heute einen roten Maserati Merak fahren. Das ist ein richtig schönes Auto, ich musste ihn gleich haben.
18. Juni 1972
Auch die Schweizer können Sportwagen bauen, und wie! Ich durfte heute einen giftgrünen Monteverdi Berlinetta fahren. Der Wagen hat zwar einen etwas grossen Motor für diese Zeit, wo Öl knapp wird, aber er läuft sagenhaft. Ich habe ihn gerade mitgenommen.
12. April 1973
Ich habe mir einen sportlichen Alfetta 2000 GTV von Alfa Romeo gekauft. Der Wagen ist silbergrau und hat ein modernes Fliessheck-Design. Sein Ton ist unübertroffen. Ich möchte den Wagen gerne Enzo schenken. Er wird in diesem Jahr zwanzig.
28. Juni 1973
Heute wurde uns ein Ferrari Daytona geliefert. Es ist ein 365 GTS/4, also ein offener Spider. Er ist in einem seltenen Piniengrün lackiert und gefällt mir sehr gut.
12. Oktober 1973
Irgendwie scheint mein Vater ein Fan von James Bond zu sein. Ein Wagen aus dem neuen Film "Live and Let Die" hat den Weg zu uns gefunden. Es ist eine Mischung aus Corvette und einem Cadillac Eldorado – man nennt ihn deshalb Corvorado, gebaut von Les Dunham. Sieht aus wie ein Eldorado Coupé.
8. November 1973
Unsere Jaguar-Familie erhält Zuwachs. Ein starker V12 E-Type hat uns heute erreicht. Das ist jetzt schon ein Klassiker. Ich möchte aber schon wissen, wo Vater all diese Fahrzeuge einlagert.
8. August 1974
Wie froh bin ich doch, dass Vater Lamborghini und Ferrari persönlich kennt. So komme ich an die tollsten Sportwagen heran. Heute konnte ich einen von nur 157 gebauten, orangen Lamborghini Countach LP400 von Modena nach Nardò fahren – die Polizei hatte keine Chance.
2. März 1975
Ich bin ein stiller Monteverdifan, seit ich den Berlinetta besitze. Heute habe ich mir einen neuen, metallic-braunen offenen Roadster mit dem schönen Namen Palm Beach gekauft. Ein schönes Auto in bewährter Schweizer Qualität. Nur meine Scheune ist langsam etwas voll. Er wird Zeit für Vaters Pläne.
3. Juli 1975
Die Hallen sind fertig, vor vier Tagen haben wir sie übernehmen können. Mein Vater ist ein Teufelskerl. Heute sind wir zu unserer grossen Höhle gefahren, in der Nähe von Alberobello, irgendwo in den Bergen. Was ich dort gesehen habe, übersteigt einmal mehr meine Vorstellungskraft. Mein Vater hat davon gesprochen, sicher. Und dann ist ja auch noch diese Liste, die vielen Blätter hinten in seinem alten Werkstattbuch. Niemals aber hätte ich gedacht, dass all die erwähnten Autos noch existieren. Und wie sie das tun. Sie sind makellos, wie an ihrem ersten Tag. Da steht Automobilgeschichte von unvorstellbarem Wert. Wir werden die Autos nun in geschlossenen Containern zu den Hallen fahren und sie dort gut geschützt und klimatisiert weiter aufbewahren.
10. Juli 1975
Der Umzug der Fahrzeuge gestaltet sich eher mühsam. Wir können nur nachts arbeiten. Zudem habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich kann noch nicht sagen, von welcher Seite wir kontrolliert werden. Es kann die Steuerfahndung sein, aber möglich wären auch die Kalabresen oder die Kerle aus Napoli. Auf jeden Fall müssen wir sehr vorsichtig sein. Bis jetzt haben wir keine Schäden festgestellt.
28. Juli 1975
Heute haben wir den letzten Wagen aus den Bergen um Alberobello geholt. Den kleinen Fiat von 1967 und den schmucken Mercedes von 1958 habe ich zuhause in die Scheune gestellt. Die beiden will ich bei mir haben. Den Mercedes haben wir Maria geschenkt. Sie freut sich darüber.
Die Menschen im Dorf beginnen Fragen zu stellen. Wir mussten einige von ihnen für ihr Schweigen bezahlen. Zum Glück kennt niemand die Hallen. Mein Sohn Enzo interessiert sich nicht dafür. Ich werde wohl oder übel auf seine Kinder hoffen müssen, falls er denn jemals welche haben wird.
5. August 1975
Nun wissen wir es: Die Kalabresen beobachten uns. Sie wollen die Autos. Die Bedrohung wird real. Deshalb habe ich heute angefangen, für die Nachwelt Spuren zu unseren Fahrzeugen zu legen. Vater hat Maria das erste Werkstattbuch geschenkt. Ich werde meines ab jetzt immer im kleinen Fiat verstecken. Dazu habe ich extra eine kleine Kiste unter dem Rücksitz eingebaut. Den ersten Hinweis zu dieser Sammlung habe ich im Haus hinter dem Kamin eingemauert. Wir können nicht vorsichtig genug sein.
6. August 1975
Mein Vater hat aufgehört sein Werkstattbuch zu führen. Er hat es Maria geschenkt. Sie hat keine Fragen gestellt. Ich liebe Maria, ihr könnte ich alles anvertrauen. Ab jetzt werde ich also Buch führen.
3. Oktober 1975
Wir haben einen eher unauffälligen Fiat 130 Coupé gekauft. Die Limousine wurde von Pininfarina gezeichnet und sieht in dunkelblau métallic sehr nobel aus.
16. Mai 1976
Eher durch Zufall sind wir an den Citroën SM des verstorbenen Französischen Präsidenten gelangt. Der Wagen sollte zur Inspektion und landete bei uns. Es ist eine viertürige offene Limousine aus dem Jahr 1972. Nun ja, Georges Pompidou wird ihn nicht mehr vermissen.
4. September 1977
Damit mein Vater nicht der einzige Ferrarifahrer ist, habe ich mir einen neuen 308 GTS liefern lassen. Im Gegensatz zu seinem GTB kann ich sogar noch das Dach öffnen. Ich liebe diesen Wagen.
12. Oktober 1978
Eberhard Schulz und Rainer Buchmann aus Deutschland haben einen tollen Wagen gebaut. Sie nennen ihn CW311, weil er nur einen sehr geringen Luftwiderstand habe, ich verstehe wenig davon. Aber das Auto ist grossartig. Es trägt einen Mercedes-Stern, obwohl Mercedes davon nichts weiss, eine mutige Entscheidung der beiden Autobauer. Wahrscheinlich auch deswegen soll der Wagen verschwinden. Er kam heute bei uns an.
12. Mai 1979
Heute haben wir eine eigenartige Anfrage erhalten. Die Filmgesellschaft Terra Filmkunst aus Deutschland fragt uns an, ob wir ihnen unseren Mercedes CW311 für einen Film ausleihen würden. Im Film soll es ausgerechnet um Autodiebstahl gehen. Ironie des Schicksals. Falls der Wagen nach den Dreharbeiten zu uns zurückfindet, steht dem Abkommen nichts im Wege. Noch ein Filmstar in der Sammlung. Ich freue mich darauf.
12. Juni 1979
Wieder einmal kaufe ich einen Monteverdi. Diesmal aber keinen Sportwagen. Es ist ein Geländewagen, erinnert an die Britischen Range Rover. Er nennt sich "Sahara" und ist ein Prototyp von Fissore, in rot und schwarz.
3. September 1979
Wir haben einen tollen Wagen gekauft. Es ist ein BMW M1, aufgerüstet für Renneinsätze. Er hat 400 PS. Wie gerne würde ich ihn fahren! Wenn mein Vater doch endlich die Autos versteuern würde! Dann könnten wir sie zeigen.
21. Oktober 1979
Die kraftvollen Geländewagen haben es mir angetan. Nachdem ich den Arabischen König Khaled haben kennenlernen dürfen, bin ich auf die Geländewagen von Sbarro gestossen. Ich konnte dem König sein gelbes Jagdfahrzeug mit drei Achsen abkaufen. Ein 6x6 Power-Geländewagen als Einzelstück. Der Wagen heisst "Windhawk" und ist einfach eine Kraftdemonstration pur.
Dazu konnte ich auch einen "Windhound" aus dem letzten Jahr kaufen. Maria würde mich rügen, wenn sie das wüsste. Beide Wagen haben Motoren von Mercedes.
31. Juli 1980
Mein Vater ist endlich vernünftig geworden. Die Sorgen um die Kalabresen haben ihn verbittert. Wir wollen versuchen, unsere Schätze endlich offiziell zu versteuern, damit alles seine Richtigkeit hat. Wir haben einen Termin in Taranto.
1. August 1980
Endlich habe ich meinen Vater überzeugen können, mit mir nach Taranto zu fahren. Wir werden uns bei der Steuer anmelden. In wenigen Tagen ist es soweit. Unsere Gegner werden danach hoffentlich aufgeben. Ich hoffe bloss, es ist nicht schon zu spät. Den nächsten Hinweis zum Verbleib der Fahrzeuge habe ich hinter dem Cheminée im Soggiorno eingemauert. Immer mehr Menschen reden von unseren Autos. Wir müssen uns beeilen.
4. August 1980
Heute fahren wir zum Steueramt nach Taranto. Nun wird es offiziell. Die grossen Hallen unter der Pista Fiat in Nardò müssen nicht länger geheim gehalten werden. Ich freue mich auf ruhigere Zeiten. Vor allem aber freue ich mich darauf, all die Autos endlich fahren zu dürfen!
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