Ja, gefällt mir gut.

Der Introvertierte hat sein Haus verlassen. Die Sonne scheint, es ist warm und die Eisdielen haben eröffnet. Doch deswegen ist er nicht hier. Er hat einen viel wichtigeren Termin: Der Introvertierte geht zum Friseur. Den Termin konnte er glücklicherweise per WhatsApp Nachricht ausmachen und so geht er mehr als beschwingt seines Weges.

Die Tür des Salon knarrt ein wenig. Der Introvertierte murmelt ein unhörbares: "Guten Tag alle miteinander!" Dann tut er so, als wäre er sehr lange damit beschäftig, seine nicht mitgebrachte Jacke aufzuhängen. Dabei ist er möglichst laut, damit ihn jemand bemerkt und er nicht selbst jemand ansprechen muss. 

Die nette Frau, die ihn dann endlich entdeckt, lächelt ihn an und fragt: "Haben Sie einen Termin?"

Der Introvertierte nickt. Er möchte am liebsten nicht sprechen, sondern nur nicken.

"Bei der Frau Müller-Schmidt-Schulze richtig?"

Wieder nickt der Introvertierte.

"Dann nehmen Sie doch bitte kurz Platz. Frau Müller-Schmidt-Schulze ist gleich bei Ihnen", und mit einem heuchlerischen Lächeln verschwindet die Frau irgendwo im Hinterland des Salons, wo der Introvertierte sie nicht mehr sehen kann. 

Er setzt sich und wartet. Der Introvertierte hasst es, zu warten. Er fand das schon bei Arzt nicht gut, weil er niemals weiß, wo er hingucken soll. Jetzt starrt er einfach völlig fasziniert auf die Regale, die mit allem möglichen Krims Krams für die Haare gefüllt sind. Er liest gerade das zweiundvierzigste Etikett, als Frau Müller-Schmidt-Schulze um die Ecke biegt, einen Schwall Parfum mit sich zieht und laut ruft: "Guten Tag Introvertierter. Auch mal wieder hier! Wurde aber auch Zeit."

Dem Introvertierten ist die Sache ziemlich unangenehm. Das stört die Frau aber absolut nicht und sie winkt ihn zu sich. Leicht rot im Gesicht nimmt der Introvertierte auf einem Stuhl platz und starrt in sein eigenes Gesicht.

"Na, was machen wir denn heute", fragt die Friseurin.

Die Stunde des Introvertierten hat geschlagen. Er hat sich vorher im Internet genauestens darüber informiert, welche Frisur gerade angesagt ist und wie er das am besten kommuniziert. Allerdings ist er sich jetzt nicht mehr sicher, ob er tatsächlich all diese Fachbegriffe benutzen sollte, die er vorher gegoogelt hat. Schließlich ist er kein Friseur und er will auch vermeiden, dass Frau Müller-Schmidt-Schulze sich beleidigt fühlt, weil er ihr den Job abgenommen hat. Daher sagt er nur:

"Ich hätte gern etwas Bewegung im Haar und hinten darf es ruhig etwas kürzer sein. Vorne sollten die Haare aber noch bis zum Schlüsselbein reichen."

Was der Introvertierte meint: Clavi Cut. Ein Haarschnitt der einem Longbob gleicht und nur insgesamt etwas länger ausfällt. Er hätte also gern weiterhin lange Haare, die allerdings von hinten nach vorne betrachtet, leicht [die Betonung liegt auf "leicht"] abfallen. Moderate Stufung.

Was die Friseurin versteht: Hinten raspelkurz. Vorne das Chaos beibehalten und bloß nicht so schneiden, dass es dem Gesicht in irgend einer Form schmeicheln könnte. Haare in unregelmäßigen Abständen wahllos abschneiden, sodass das Chaos auf dem Kopf perfekt wird und die Stufen eher so aussehen, als hätte die dreijährige Cousine sich daran versucht.

Was die Friseurin sagt: "Ah ich verstehe. Etwas ganz modernes also."

Was der Introvertierte denkt: "Oh. Sie hat mich wohl verstanden. Das habe ich gut umschrieben."

Die Friseurin fragt noch einmal: "Und was machen wir mit der Farbe?"

Der Introvertierte hatte ebenfalls gegoogelt. Was er möchte, nennt sich Balayage. Das bedeutet, die Haarspitzen sind heller als der Ansatz und der Übergang dazwischen verläuft fließend. Das Ergebnis ist ein natürlicher Look.

Was der Introvertierte sagt: "Einen schönen Farbübergang von Hell auf Dunkel hätte ich gern. Es dürfen ruhig ein paar Strähnchen oder sowas sein."

Was er hofft: "oder sowas" mach die Friseurin stutzig und sie schlägt eigenständig die Balayage-Technik vor.

Was passiert: Die Friseurin hat schon keine Ahnung, dass der Übergang von "Hell auf Dunkel" nicht so zu verstehen ist, dass der Introvertierte gerne hell- und dunkelblau im Haar hätte. Etwas verwirrt ist sie, aber da sie professionell ist, nickt sie. 

Es geht also ans Werk. Beide denken, alles richtig verstanden und kommuniziert zu haben. Doch schon bei der Farbe fällt dem Introvertierten etwas auf. Warum sieht denn das so blau aus? Aber er beruhigt sich innerlich und denkt sich, dass die Farbe beim Auftragen ja nie so aussieht, wie sie es nach dem Auswaschen tut. Doch das mulmige Gefühl bleibt.

Als die Friseurin beim Schneiden der nun ausgewaschenen, immer noch blauen Haare dann zum Elektrorasierer greift, wird der Introvertierte stutzig. Doch er traut sich nichts zu sagen und hofft einfach verzweifelt, dass die Frau ja weiß, was sie tut. 

Während die Haare am Hinterkopf weichen müssen, weiß der Introvertierte nicht, wo er hingucken soll. Er hat den Drang, die Friseurin zu beobachten, doch er weiß nicht, ob sie sich dann beobachtet fühlt. Also starrt er in seine eigenen Augen. Dann wieder woanders hin, damit er nicht komisch wirkt.

Frau Müller-Schmidt-Schulze schneidet mittlerweile wahllos Haare ab. Der Introvertierte hat sich bereits damit abgefunden, dass dieser Tag in einer Katastrophe endet. Er bewundert jetzt die schönen Frisuren der Fotomodels im Salon.

"So. Jetzt zeige ich Ihnen das noch einmal im Spiegel. Sehen Sie, wie schön das fällt?"

Frau Müller-Schmidt-Schulze verkauft ihr Werk professionell. 

"So wie ich mir das vorgestellt habe! Ja, gefällt mir sehr gut", antwortet der Introvertierte gekränkt.

"Das macht dann hundert Euro bitte."

Der Introvertierte gibt ihr hundertzehn, weil er mit ihrer Arbeit so zufrieden war. Dann geht er nach Hause. Auf dem Weg kauft er ein Kopftuch. Er hat sich entschieden, kurzfristig zum Islam zu konvertieren und es als Selbstversuch zu verkaufen. 

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