Introvertiert 007
Mein Name ist Vertiert. Intro Vertiert. Und ich bin Agent des Secret Service. Außerdem kenne ich hundert Wege, um dich zu ruinieren.
Der Introvertierte sitzt oft völlig verlassen in stillen Ecken herum. Nichts ungewöhnliches für ihn. Doch was viele nicht wissen: Er befindet sich gerade im Empfangsmodus. All seine Antennen sind ausgefahren, die Wanzen sind überall versteckt und seine Augen sind überall. Er ist durch jahrelanges hartes Training dazu in der Lage, mehreren Gesprächen gleichzeitig zu folgen und aus allen die relevantesten Informationen für sich selbst herauszufiltern. Er ist ein Spion der Extraklasse. Sein Gehirn ist um einiges aufnahmebereiter, als das eines normalen Menschen. Dadurch merkt er sich allerlei Dinge über einen angemessenen Zeitraum [für immer]. Keine Information geht ihm jemals verloren.
Das Training eines Introvertierten beginnt in der frühen Kindheit. Nur die wenigsten überleben es. Es ist anstrengend, unnachgiebig, gnadenlos und verzeiht keine Fehler. Die Rekruten müssen sich Widersachern widersetzen und Hindernisse überwinden. Ihre Körper werden gebrochen, um stärker wieder aufgebaut zu werden. Ihr Geist wird gesprengt und neu zusammengesetzt. Sie werden zu Maschinen. Zu Kampfrobotern. Diejenigen, die das Training überstehen, sind hoch angesehen und überall wertgeschätzt. Ihnen werden Ruhm und Ehre zuteil. Manch einer wird von der Queen zum Ritter geschlagen. Und vielen landen später bei der NSA.
Gut. Eventuell ist die Sache etwas übertrieben ausgedrückt. Aber im Großen und Ganzen stimmt es. Introvertierte lernen schnell, wie wichtig Wissen ist. Sie sind wahre Meister der Erpresserkunst. Schon als kleine Kinder sind sie in der Lage, ihren Eltern zu erklären: "Wenn ich kein Eis kriege, dann werde ich Mama sagen, dass du gepopelt hast!" Sie sind echte Könner.
Später verfeinern sie ihre Techniken zur Informationsaufnahme und lernen, geschickt zu selektieren. Am Ende wissen sie über jede Person, die in ihr Leben tritt schon vorab genauesten Bescheid. Und sie tragen genug Wissen mit sich herum, um besagte Person im Notfall auch völlig zu ruinieren, zu demütigen und auf so viel Abstand zu schicken, dass man meinen könnte, sie wären auf einem anderen Planeten.
Auch sind Introvertierte äußerst nachtragend und vergessen, können sie schon gar nicht. Sagt man unserem Introvertierten einmal, er sei fett, dann wird er sich diese Bemerkung auf der Kurzwahltaste vormerken. Kommt dann der Moment, in dem der Übeltäter selbst nicht in ein Kleidungsstück passt oder einen belanglosen Satz sagt wie: "Ich fühle mich heute aber äußerst voll gefressen", wird der Introvertierte diese Information abrufen und ihm an den Kopf knallen: "Und ich dachte, ich wäre zu fett?"
Bezüglich des Vergessens sei auch erwähnt, dass sich Introvertierte für immer an Versprechen erinnern. Das mag ganz toll klingen, wenn man besagtes Zugeständnis erfüllt. Doch wehe, man vernachlässigt die Übereinkunft. Dann könnte es zu folgendem Szenario kommen:
"Wollen wir heute mal etwas zusammen unternehmen?", fragt der Ahnungslose.
"Woran genau denkst du denn?", fragt der Introvertierte hoffnungsvoll.
"Naja, wir könnten ja ein Picknick machen."
Daraufhin ist der Introvertierte sichtlich beleidigt und eingeschnappt. Er weigert sich zunächst, vernünftig mit dem Ahnungslosen zu sprechen und gibt nur ein abweisendes, beinahe tödliches "Hm" von sich.
Der Ahnungslose guckt sichtlich verdutzt: "Was ist denn? Habe ich etwas Falsches gesagt?"
Und der Introvertierte wird nach angemessener Wartezeit [Synonym für Folter] antworten: "Du hast mir versprochen, dass wir Eis essen gehen?"
Der Ahnungslose entsetzt: "Wann war das denn? Daran kann ich mich gar nicht erinnern!"
"An meinem vierten Geburtstag!"
Der Introvertierte, heute sechsundzwanzig, macht beleidigt auf dem Absatz kehrt und verlässt den Raum. Er wird von nun an weiter Informationen sammeln.
Besagte Informationen und das bereits erwähnte gute Gedächtnis führen, gepaart mit viel Zeit, die man allein verbringt [und dementsprechend Fokus schaut, Bücher liest und Leute belauscht], noch zu einem anderen essentiellen Merkmal für Introvertierte: gefährliches Halbwissen.
Das gefährliche Halbwissen macht den Introvertierten zu einem gefürchteten Mitspieler in Quizspielen.
Gibt es beispielsweise eine Frage, bei der man Schätzen soll, wie viele Knochen ein Mensch besitzt, antwortet der Durchschnittsmensch: "Naja, ich würde sagen so 30/100/200/500." Je nach Laune oder Wissensstand. Ein Introvertierter würde sagen: "Ein erwachsener Mensch hat so um die 206 Knochen. Die Zahl kann leicht schwanken." Und er wüsste eine Begründung für die, von ihm angegebene, mögliche Abweichung.
Sein Wissen bringt dem Introvertierten regelmäßig den Sieg in besagten Spielen ein, doch provoziert auch eine Trotzreaktion der Mitspieler: "Nö, also mit dir spiele ich nicht mehr." Da ein Introvertierte sich jedoch in der Situation überlegen fühlt, nimmt er die Sache nicht persönlich und wird eher nicht gekränkt reagieren.
Generell kann man sagen, dass einen Introvertierten nichts allzu schnell aus der Ruhe bringt, wenn man seinen Sicherheitsabstand einhält. Er erhält sich in den meisten Fällen seine Ehrlichkeit.
Doch auch hier gibt es Ausnahmen. Situationen, in denen er es nicht wagt, die Wahrheit laut auszusprechen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top