Ich bin dann mal weg. Gleich.
Urlaub ist für manch einen die schönste Jahreszeit. Man kann einfach mal die Seele baumeln lassen, sich um nichts kümmern und in den ist-mir-scheißegal-Modus umschalten. Die Batterien werden wieder aufgeladen und man lernt ganz nebenbei noch eine neue Kultur kennen oder einen anderen Lebensstil.
Für den Introvertierten ist die Sache nicht anders. Er mag Urlaub. Vor allem aber hat er meist stark ausgebildetes Fernweh. So kommt es nicht selten vor, dass er sich nach den abgelegensten Orten sehnt, To-Do-Listen hat, auf denen sowas steht wie 'Meinen Fuß auf jeden Kontinent einmal setzen' oder ständig auf Pinterest Urlaubsbilder ansieht. Die große weiter Welt ist für ihn ein Mysterium, das es zu entschlüsseln gilt.
Während ein Extrovertierter jetzt vermutlich einfach seine Sachen packen, den nächsten Flug buchen und ohne groß zu denken aufbrechen würde, gilt es für den Introvertierten mal wieder einiges zu beachten.
Erstens: Der Introvertierter plant seinen Urlaub meist von Anfang bis Ende durch. Spontanität ist ein eher schwach und selten ausgeprägter Charakterzug seiner Art. Dementsprechend sucht er manchmal stundenlang Hotels, Hotels, Campingplätze. Außerdem bucht er am besten sofort einen Shuttelservice vom Flughafen zur Unterkunft, denn er mag nur ungern öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Dann schaut er sich im Internet auch diverse mögliche Aktivitäten an und schreibt sie alle auf eine Liste. Nach Datum und Dauer sortiert. Er vermerkt die Eintrittspreise und macht eine weitere Liste mit Souvenirs, die er unbedingt kaufen muss. Danach informiert er sich über das Reiseland als solches. Wie viele Einwohner, welche Sprache sprechen die, Hauptstadt und typische Gebräuche. Des Weiteren entwickelt er einen genauen Ablaufplan für den An- und Abreisetag. Wann er wo sein muss und warum. Muss er etwas beachten? Nachdem er das getan hat, berechnet er die anfallenden Kosten. Genau. Schließlich weiß er auch schon, was er wann isst und wie tief er dafür in die Tasche greifen muss. Am Ende hat er die Reise vor sich, als wäre er schon da gewesen.
Zweitens: Die Landessprache stellt ein Problem da. Der Introvertierte hat sehr ungern das Gefühl, sich in einer Notsituation nicht verständigen zu können. Daher sind ihm Länder sehr unangenehm, in denen keine seiner beherrschten Sprachen fließend oder zumindest halbwegs verständlich gesprochen wird. Was er auf gar keinen Fall jemals tun will, ist die Verständigung durch merkwürdige Gesten, die einen aussehen lassen, als wäre man mittelschwer durchgeknallt. Mit den Armen wackeln, wenn er einen Salat mit Hühnchen bestellen will? Eher verhungert er.
Aufgrund dieser Befangenheit wird er daher in kein Land reisen, das bei ihm in die Kategorie 'nicht zu verstehen' fällt. Unabhängig davon, wie gerne er es tatsächlich besuchen wollen würde. Dementsprechend gilt für die Urlaubsplanung: "Und wehe ich spreche die Sprache nicht!"
Drittens: Mit wem soll er denn verreisen? Eltern würden gehen. Das ist allerdings ab einem gewissen Alter doch eher fragwürdig. Natürlich kann man das einmal im Jahr machen. Dann gilt man als Familienmensch, der darauf achtet, auch wertvolle Zeit mit seinen Verwandten zu verbringen. Macht man das allerdings immer.. Tja. Dann gilt man als Muttersöhnchen, nicht eigenständiges Etwas oder weltfremd. Außerdem muss man dann all seine Urlaubsplanung mit denen abstimmen. Und wenn man nicht gerade stumme, willenlose und meinungslose Untertanen aus ihnen gemacht hat, dann kann das mitunter äußerst schwierig werden.
Man könnte auch mit den besten Freunden reisen. Aber in den meisten Fällen haben die entweder kein Geld oder keine Zeit. Oder sie haben gar selbst schon Familien und fliegen mit denen weg.
Als letztes bliebe da dann noch das Reisen mit sich selbst und dem Selfiestick. Der Introvertierte hat darüber schon sehr viel gelesen. Er hat sich die Vorteile gesucht und sie gegen die Nachteile aufgewogen. Dabei hat er erkannt, dass das Alleinsein doch ganz gut zu ihm passt.
Es fehlt ihm jedoch an einer wichtigen Eigenschaft: Mut. [Gut. Das mag jetzt durchaus ein spezifisches Problem sein.] Er weiß nicht recht, ob er sich traut irgendwo hin zu fliegen, wo er noch nie war und dann zu hoffen, dass ihm nichts passiert, womit er Hilfe bräuchte.
Außerdem bedeutet 'Introvertiert' ja nicht 'ich will immer alleine sein'. Man würde schon gerne seine Erfahrungen mit jemandem teilen [und ihn vorschicken, wenn es darum geht, Essen zu bestellen oder ähnliche Interaktionen]. Ganz ohne jemanden aufzubrechen und vielleicht eine coole Reise zu haben, dann aber mit niemandem darüber in Erinnerung schwelgen zu können, ist nicht gerade die beste Lösung [außer es gilt sein Leben vollständig aufzuräumen]. Auch für den Introvertierten nicht.
Am Ende reist er dann meistens zunächst überhaupt nicht. Er träumt weiter von fernen Orten und schmiedet Pläne für den Tag, an dem er endlich in das Flugzeug, den Zug oder das Auto steigt und in einer neuen Welt ankommt.
Denn irgendwann in seinem Leben wird er Menschen treffen, die mit ihm gemeinsam überall hingehen. Oder, die ihn vergessen lassen, dass es ihn einmal in die Ferne gezogen hat.
Menschen, die er sehr mag. Doch auch hier steht er sich sehr oft einfach nur selbst im Weg.
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